Nachts werden wir erwachsen – Ben Brooks

91o8xSyHW1L._SL1500_“Nachts werden wir erwachsen” ist schon Ben Brooks vierter Roman, obwohl er gerade erst einmal zwanzig Jahre alt ist und es ist sein erster Roman, der nun auch auf Deutsch erscheint. Vor dem Kauf des Buches hatte ich schon einige Artikel (KulturSpiegel und dRadio) über den Roman gelesen und mir den Blog dieses jungen Autors angeschaut – all dies deutete für mich daraufhin, dass “Nachts werden wir erwachsen” eine ganz spezielle Vorliebe von mir ansprechen könnte. Diese Vorliebe lässt sich nicht leicht in Worte fassen und wohl am besten als Holden-Caulfield-Faible bezeichnen. In dieses Schema fallen für mich zum Beispiel auch die Romane von Nick McDonell, Airen oder Ned Vizzini. Obwohl alle diese Romane sicherlich nicht als hohe oder anspruchsvolle Literatur beschrieben werden können, hatte ich schon immer eine ausgeprägte Schwäche für weiße Mittelschichtskinder, die mit vielen abwechselnden Partnern Sex haben, Drogen nehmen und nicht wissen, was sie mit ihrem Leben in Zukunft anfangen sollen. Vielleicht auch, weil ich selbst all dies nicht hatte und wohl auch nie haben wollte (oder vielleicht gerade doch? ;-)) …

“Ich bin Holden Caulfield, nur weniger draufgängerisch und attraktiver.”

Mit diesen Worten beschreibt sich Hauptfigur und Ich-Erzähler des Romans – der siebzehnjährige Jasper – selbst. Aus der Sicht Jaspers schreibt Ben Brooks über dessen Leben. Jasper lebt zusammen mit seiner Mutter und seinem Stiefvater Keith in einer kleinen Stadt in England.  Seine Mutter zeichnet sich dadurch aus, dass sie gerne und viel To-Do-Listen schreibt und seinem Stiefvater Keith unterstellt Jasper ein Mörder zu sein, der sich seiner Ex-Frau entledigt hat. Diese Unterstellung wird im Laufe des Romans immer stärker zu einer Obsession und führt so weit, dass er eines Nachts den Hügel umgräbt, unter dem er die Leiche vermutet … natürlich ohne fündig zu werden.

Bis auf das Zusammenleben mit Stiefvater Keith ist Jaspers Leben eigentlich ganz okay: er lernt gerade für seine Abschlussklausuren, hat viele Freunde und feiert in seiner Freizeit am liebsten Partys. Eine super Party bedeutet für Jasper:

“[…] ich hatte Sex, war betrunken und habe von einer Droge so viel genommen, dass alle Wirkungen auftraten, die ich bei Mr Gates im Sozialkundeunterricht gelernt habe …”

Sein Traum ist ein Date mit seiner hübschen Mitschülerin Georgia Treely, im Bett landet er dann aber mit der pummeligen Abby Hall, die Akne hat. Damit hat er sich nicht nur zum Gespött der Schule gemacht – oben drauf kommt, dass Jasper befürchten muss, Vater geworden zu sein.

Unter dieser oberflächlichen Spaßfassade blitzt aber auch immer wieder sehr viel Unsicherheit und vor allem auch Angst auf. Eine Mitschülerin von Jasper bringt sich um, seine beste Freundin Tenaya schneidet sich die Arme auf und Jasper selbst muss jede Woche zu seiner Therapeutin Julia, weil er eine Katze totgetreten hat:

“Manchmal, wenn ich traurig bin oder mich krank fühle, spiele ich das alte Avril-Lavigne-Album und denke daran, wie glücklich ich 2003 war, als Küsse in der Schuldisco mit einem Mädchen, das nach Panda Pops schmeckte, genug waren, um zu denken, es könnte nicht besser sein. Ich höre das Avril-Lavigne-Album. Ich bewege den Mund zu den Texten, Richtung Decke. Wenn Mum das sehen würde, hätte sie bestimmt Angst, ich könnte schwul sein. Ich bin nicht schwul. Ich bin nur jung und ein bisschen ängstlich.”

 Am Ende des Romans wird immer deutlicher, dass die oberflächliche Fassade des Partyhengsts und Frauenaufreißers, der nachts, wenn er nicht schlafen kann, gerne in Pornochats geht, täuscht. Dahinter verbringt sich ein ängstlicher junger Mann, der versucht seinen Platz in der Welt zu finden und eine Form um seine Gefühle auszudrücken.

“Ich bin sehr gefühlvoll, aber ich zeige es nicht, denn wenn ich es täte, würden die Leute denken, dass ich schwach bin und mich abziehen, gefühlsmäßig.”

Was Jasper hilft, ist die Arbeit an seinem Roman, den er zu Beginn von “Nachts werden wir erwachsen” anfängt zu schreiben und am Schluss des Buches beendet. Er ist ein Stück von Jaspers eigener Geschichte:

“Mein Roman ist fertig. Es ist die Geschichte eines jungen Mannes, der mit starkem Charisma und Verstand gesegnet ist und der versucht herauszufinden, was er machen soll und wie er es machen soll.”

Ich bin an “Nachts werden wir erwachsen” mit geringen Erwartungen herangegangen und kann abschließend nur sagen, dass es mir gut gefallen hat. Der Roman fällt aus dem Rahmen und er fällt sicherlich auch aus dem Rahmen der Bücher, die ich hier bisher vorgestellt habe. Trotz all seiner Schwächen ist Jasper ein liebenswerter Junge. Ben Brooks gelingt es deutlich zu machen, dass es noch mehr gibt, hinter der Machosprüche klopfenden Fassade von Jasper – hauptsächlich Unsicherheit und Angst. Angst vor Gefühlen, der Zukunft und davor für das eigene Leben Verantwortung zu übernehmen. All dies wird von Ben Brooks in einer dem Alter von Jasper angepassten Sprache sehr flüssig lesbar dargestellt. Der Roman ist immer wieder schreiend komisch und an anderen Stellen todtraurig. Ich freue mich, dass Ben Brooks mit seinem vierten Roman auch endlich in Deutschland bekannt wird und wünsche diesem viele Leser …

11 Comments

  • Reply
    atalante
    February 23, 2012 at 9:56 am

    Hallo Mara,

    da dieses Buch ja fast gleichzeitig von uns gelesen wurde, bietet sich ja ein kleine Diskussion an.
    Du schreibst, daß Jasper sich den Anschein eines Macho oder Frauenaufreißer gibt. Das habe ich eigentlich gar nicht so empfunden. Sind nicht letztlich alle dies Sexaktivitäten nur ein kläglicher Versuch beim Erwachsensein mit zu spielen? Sie setzen sich alle selbst unter Druck und suchen doch nur jemanden, der lieb zu ihnen ist, um das mal so platt auszudrücken.

    • Reply
      maragiese
      February 23, 2012 at 12:56 pm

      Hallo atalante,

      das ist ja ein interessanter Zufall, dass auch du das Buch gerade liest. Wie bist du darauf gekommen? Und wie hat es dir gefallen?
      Ich habe mich auch sehr über deinen Kommentar und die Möglichkeit quasi zeitnah über eine gemeinsame Lektüreerfahrung zu sprechen gefreut – auch wenn ich mir nicht ganz sicher bin, ob ich dich richtig verstanden habe. Ich habe in meiner Rezension ja auch geschrieben, dass ich dieses Machogetue von Jasper, hinter dem er sich immer wieder versteckt, als reine Fassade empfinde. Dahinter verbirgt sich ein ängstlicher und unsicherer Junge. Vielleicht tut er all das, was er tut (seine Partynacht in Plymouth zusammen mit Jonah oder auch seine unsensible Reaktion auf Abbys mögliche Schwangerschaft) um mit seinen Freunden mithalten zu können, um erwachsen zu spielen – ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Ich wollte – glaube ich – lediglich zum Ausdruck bringen, dass sich hinter der Fassade von Jasper sehr viel mehr verbirgt, als man vielleicht auf den ersten Blick meinen mag. Mir tut er schon fast leid, unter welchem Druck er scheinbar steht, mithalten zu müssen – mitmachen zu müssen. Wer nicht mitmacht fällt raus … Hmm, ich weiß nicht.

  • Reply
    atalante
    February 23, 2012 at 2:03 pm

    Vielleicht habe ich es auch missverständlich ausgedrückt?
    Auf jeden Fall habe ich es nicht als Machoverhalten empfunden, da sich ja innerhalb der Gruppe niemand daran stört, vor allem nicht die Mädchen und auch nicht seine beste Freundin Tenaya.
    Das Buch kam wohl zu mir, weil der Verlag dachte, wer “Skippy stirbt” liest, liest auch “Nachts”. In der Tat behandeln beide Autoren die gleichen Fragen. Aber man merkt den Altersunterschied. Paul Murray ist zwanzig Jahre älter als Ben Brooks. Skippy wurde mir von einer Bekannten mit einem dringenden Lesemuss ausgeliehen. Beide Bücher sind auch humorvoll geschrieben, Brooks hat mir allerdings besser gefallen. Vielleicht auch, weil er nicht so umfangreich ist.
    Meine Eindrücke zu beiden Büchern findest Du auf meinem Blog.

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      February 24, 2012 at 1:08 pm

      Ich weiß nicht, ich glaube, dass wir im Endeffekt sogar dasselbe ausdrücken wollen – aber vielleicht hat mich auch mein Eindruck des Machogehabes getäuscht.
      Danke auch für deinen Hinweis auf deinen Blog, da habe ich gestern gleich deine Rezension zu “Nachts werden wir erwachsen” angeschaut … “Skippy” kenne ich bisher noch nicht, es steht hier bei mir noch ungelesen im Regal. Irgendwie war ich bisher noch nicht dazu gekommen und dann hatte ich zwischendurch auch nicht unbedingt positive Besprechungen über das Buch gelesen. Mir hat Ben Brooks auch gut gefallen, erinnert habe ich mich an Airen (den du ja auch erwähnst). Ich lese solche Bücher einfach gerne …

      • Reply
        atalante
        February 24, 2012 at 2:58 pm

        Dann hast Du vielleicht auch “Vollkommen leblos, bestenfalls tot” von Antonia Baum gelesen. Das wurde ja letztes Jahr beim Bachmannpreis ziemlich gemeuchelt von den Juroren. Bald ist übrigens wieder Juni und ein neues Vorsingen findet statt. Darauf freue ich mich schon.

        Was Brooks betrifft, so bist Du sicher näher dran an dem Gefühl dieser Generation. 😉

        • Reply
          buzzaldrinsblog
          February 25, 2012 at 4:35 pm

          Oh nein, das kenne ich noch nicht – auch wenn es mir schon ein paar Mal im Buchladen aufgefallen war. Das wird dann auf jeden Fall demnächst von mir gekauft werden. Auf die Bachmannpreistage freue ich mich auch schon sehr, ich habe letztes Jahr sehr gerne und mit großer Begeisterung deine Berichte dazu gelesen – darauf hoffe ich auch in diesem Jahr erneut.

          Und es stimmt sicherlich, dass ich noch näher an Brooks dran bin, Ben und ich sind ja fast gleich alt *hüstel* 😉

  • Reply
    haushundhirschblog
    February 23, 2012 at 6:53 pm

    Danke, maragiese, für diese feine Rezension!

    • Reply
      haushundhirschblog
      February 23, 2012 at 6:54 pm

      Ooops. Könntest Du das s gegen ein z tauschen? 😉

      • Reply
        buzzaldrinsblog
        February 24, 2012 at 1:12 pm

        Hallo haushundhirschblog,

        ich freue mich, dass ich dein Interesse wecken konnte und die Buchstaben sind selbstverständlich getauscht … 😉

        Liebe Grüße,
        Mara

  • Reply
    caterina
    February 28, 2012 at 1:26 pm

    Oh Gott, ich fand Holden Caulfield so schrecklich nervtötend und unausstehlich mit seinem Verdruss über alles und seiner emotinalen Sprunghaftigkeit und seinem sprachlich völlig uninspirierenden Geplappere. Ich habe ihn die ganze Zeit nur schütteln und ihm sagen wollen, “Sei nicht so verdammt ätzend!”. 🙂
    Ich fürchte, trotz des schönen Covers, des schönen Titels und deiner schönen Rezension ist auch Ben Brooks Buch nichts für mich…

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      March 2, 2012 at 2:35 pm

      Liebe Caterina,
      du scheinst ja eine ganz klare Meinung zu Holden Caulfield zu haben … ich finde es immer wieder faszinierend, wie dieses Buch so polarisierende Haltungen provozieren kann. Mich hat es, als ich es zum ersten Mal gelesen habe, gleich umgehauen und ich bin auf den Geschmack gekommen … es folgte “Vielleicht lieber morgen” von Chbosky und seitdem kann ich von “solchen” Büchern einfach nicht mehr die Finger lassen. Ich kann es aber auch sehr gut verstehen, wenn Menschen mit diesen Büchern überhaupt nichts anfangen können 😉
      Wenn du schon nichts mit Holden anfangen konntest, dann sollte ich dir wohl auch lieber von Jasper abraten!

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