5 Fragen an Stephanie Gleißner!

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©Sibylle Baier

“Einen solchen Himmel im Kopf” ist der Debütroman der jungen Autorin Stephanie Gleißner. Nach einem Studium der Literatur- und Religionswissenschaft in Tübingen und Kapstadt, war sie 2008 Finalistin des Open Nike. 2010 wurde sie für den Literaturkurs der “Tage der deutschsprachigen Literatur” in Klagenfurt ausgewählt. Im Moment lebt und arbeitet die Autorin in Berlin.

1.) Warum wollten Sie Schriftstellerin werden?

Mit 14/15 habe ich Oscar Wilde, F. Scott und Zelda Fitzgerald, Anais Nin, die Beat-Autoren, Nietzsche und was man halt sonst noch so in dem Alter liest, gelesen. Das Was und Wie sie schrieben, ist natürlich schwer auf einen Nenner zu bringen, aber alle hatten sie, so schien es mir jedenfalls damals, ein Leben ohne Alltag und Banalitäten. Es gab Abenteuer und Süchte und Befreiung von Süchten und weiße Leinenkleider und geistreiche Konversation, gutaussehende Künstlerfreunde mit essentiellen Krisen, Glücksspiel und unerfüllte Lieben. So wollte ich das auch haben. Über das Schreiben an sich (das ja wenig glamourös ist) habe ich mir damals noch keine Gedanken gemacht. Mit dem Interesse für Musik und Pop-Kultur allgemein wurden meine Motive für den Wunsch Schriftstellerin zu sein, dann auch weniger oberflächlich: ich hörte Musik und las Bücher, die mich aufstachelten und die, wenn man sie beendet hatte, einen irgendwie unbefriedigt und umtriebig zurück ließen. Irgendwann habe ich die Unruhe, die Bücher und Musik mir bereiteten, dann als eine Art Auftrag empfunden, selbst auch etwas in die Welt zu bringen.

2.) Gibt es einen Schriftsteller oder einen Künstler, der Sie auf Ihrem Weg besonders inspiriert hat?

Die oben Genannten zur oben genannten Zeit. Extrem wichtig seit der ersten Begegnung: Bob Dylans 60er Jahre Platten. Inzwischen ist die Schriftsteller-/Werkverehrung jedoch Texterlebnissen gewichen – Texte, die mich immer wieder (anders) beschäftigen sind beispielsweise Ottfried Preusslers „Krabat“, Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften“, Ingeborg Bachmanns „Todesarten“-Projekt, Vieles von Brecht, und Christian Krachts „1979“.

3.) Wann und wo schreiben Sie am liebsten?

Am besten und liebsten schreibe ich nachts in einem Zimmer ohne andere Menschen. Lieber wäre ich aber ein Frühermorgenschreiber – aber das kann man sich wohl nicht aussuchen.

4.) Welches Buch haben Sie zuletzt gelesen?

Oskar Maria Grafs „Wir sind Gefangene. Ein Bekenntnis“. Es ist ein autobiographischer Text. Graf schildert seine Kindheit in einem Dorf bei München. Er schuftet unter der Fuchtel des gewalttätigen ausbeuterischen älteren Bruders in der Bäckerei seiner Familie, flieht nach München mit der vagen und naiven Vorstellung von einem Dichterleben.

„Ich malte mir ein gemütliches Dichterdasein aus. So ungefähr: Ein Zimmer mit Diwan. Schön warm. Ich koche mir selbst und dichte. In kurzer Zeit erscheinen meine Werke. Die daheim hören von mir, staunen und kommen zum großen Sohn.“

Dann bricht der Erste Weltkrieg aus, er wird eingezogen, gerät immer wieder in Konflikt mit den Gepflogenheiten und Hierarchien des Militärs, wird schließlich ins Zuchthaus gesteckt und kehrt von dort einigermaßen traumatisiert zurück nach München, wo er sein Dichterleben wieder aufzunehmen versucht, aber sofort in den Strudel der revolutionären Bewegungen und Umtriebe gerät. Die Schilderungen enden mit dem Ende der Räterepublik, da ist Graf gerade 25 Jahre alt, man hat aber schon beim Lesen soviel erlebt, dass es für mehr als ein Leben reichen würde. Mir hat besonders gefallen, dass es so ein unruhiges Buch ist: es wird nicht rückblickend-sinnstiftend erzählt, sondern Graf bleibt sehr nah an seinem früheren Ich, das sich leicht mitreißen und begeistern lässt, die Ereignisse und die vielbeschworene Revolution selbst aber gar nicht fassen, geschweige denn verstehen kann.

Freilich, wenn ich allein war, wurde mir oft recht kläglich zumute. Das ist ja alles recht schön und gut, sagte ich mir, die reden und reden in einem fort von der nahen Revolution, aber angehen tut sie nicht. Immer ist es eine Versammlung und die hört dann auf, man geht auseinander, und alles ist wieder das gleiche. Bedrückte Tage kamen. Ich weiß nicht, ob es anderen Menschen in meinem Alter zu damaliger Zeit auch so ergangen ist, aber ich habe bei mir deutlich beobachtet: Die Revolution war eigentlich etwas Unvorstellbares für mich, sie war gewissermaßen ein Zustand, dem alles zustrebte, was aber nach diesem Hereinbruch geschehen sollte, darüber war sich kaum wer klar.

Dieses Hasten von Versammlung zu Versammlung, die nächtlichen Manifest-Schreib-Aktionen, diese ganze Umtriebigkeit wird nicht durch die Behäbigkeit eines formvollendeten, jede Silbe abwägenden Erzählstils eingedämmt, sondern durch ein schnelles, atemloses, mit vielen Abbrüchen und Ausrufezeichen versehenem Schreiben mitvollzogen und überträgt sich auch auf den Leser – bei mir war das jedenfalls so. Ich musste auch oft laut auflachen – was vor allem der Selbstinszenierung Grafs als naiver Hochstapler geschuldet ist – es wird da eine regelrechte Poetik des Sich-Dumm-Stellens aufgefahren, mit der die Hohlheit der Autoritäten und anderer Ehrenhaftigkeit in Anspruch nehmender Topoi wie der Krieg, die Revolution, die Kunst etc. vorgeführt wird. Manchmal, meist dann, wenn durchscheint wird, dass diese scheinbare Naivität auch das Ergebnis einer Beschädigung ist, bleibt einem das Lachen aber auch im Hals stecken – das sind vielleicht die stärksten Stellen, dieses wirklich sehr lesenswerten Buches.

5.) Was würden Sie einem jungen Schriftsteller raten?

Ich spare mir Ratschläge (dafür bin ich wirklich nicht die Richtige) und bringe statt dessen lieber noch ein Zitat aus dem Graf-Buch, das man durchaus auch als Ratschlag verstehen kann. Kontext: Graf und sein Freund Schorsch sind auf Monte Verità im Tessin, eine um die Jahrhundertwende recht bekannte Künstlerkolonie – eine Art Aussteigerkommune.

Es war auch schon wieder alles so langweilig. Man bekam keine Post, am Ende der Welt war man und wußte nicht, was in den Städten vorging. Es war zu still da, zu gemütlich, zu reizlos. Der blaue Himmel allein machte es auch nicht. Ach – und überhaupt!

“Wir fahren wieder zurück in unseren Sumpf, diese ganze Naturtrottelei kann mir gestohlen bleiben! … Das ist was für Verdauungsphilister und Grasfresser! Das ist kein Leben!” sagte ich angewidert.

Schorsch nickte. Auch er haßte diese Art Gemütlichkeit. […] Wir wollten leben und die wollten sich, schien es, nur einrichten.

Herzlichen Dank an Stephanie Gleißner für die Beantwortung meiner Fragen!

8 Comments

  • Reply
    Markus Rybacki
    July 31, 2012 at 5:41 pm

    Ein tolles Interview!!! 🙂

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      July 31, 2012 at 6:36 pm

      Danke, lieber Markus! Es freut mich sehr, dass dir das Interview gefallen hat, ich bin selbst auch ganz begeistert von den gelungenen Antworten!

  • Reply
    caterina
    July 31, 2012 at 6:12 pm

    Ich stimme Markus zu. Die Antworten der Autorin sind sehr ausführlich und vor allem sehr durchdacht – höchst interessant!

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      July 31, 2012 at 6:38 pm

      Liebe caterina,
      ich freue mich sehr über deinen Kommentar und darüber, dass dir sowohl Interview, als auch Autorin gefallen! Ich fand die Antworten auch sehr interessant – das Buch von Oskar Maria Graf habe ich mir gleich notiert. 🙂

  • Reply
    haushundhirschblog
    August 1, 2012 at 7:56 pm

    Vielen Dank für dieses Interview!

    Klasse!

  • Reply
    frauzettelchen
    August 2, 2012 at 5:30 am

    Eine sehr schöne Kategorie. Toll, dass Stephanie Gleißner bereit war, Deine Fragen zu beantworten. Von den Antworten bin auch ich ziemlich begeistert, weil man keinen Moment lang das Gefühl hat, dass es sich dabei nur um eine lästige Pflichterfüllung handelt. Es ist schön, mal ein wenig hinter den Buchrücken zu schauen und ganz nebenbei noch mit neuen Buchempfehlungen versorgt zu werden. “Einen solchen Himmel im Kopf” und “Wir sind Gefangene” sind dann auch direkt mal auf meiner Liste gelandet. 🙂 Danke!

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      August 2, 2012 at 6:13 pm

      Liebe Frau Zettelchen,

      ich habe mich auch total gefreut, dass Stephanie Gleißner bereit dazu war, mitzumachen. Die Kategorie mit den Interviews war vor einigen Wochen ja eher so etwas wie eine Spontanidee und ich freue mich sehr, dass die kleinen Fragebögen hier auf so viel positive Resonanz stoßen. Ich hoffe sehr, auch in Zukunft den ein oder anderen Schriftsteller hier vorstellen zu dürfen.

      Auch bei mir ist “Wir sind Gefangene” gleich auf der Wunschliste gelandet, es klingt einfach zu gut, um daran vorbeizugehen. Bei Facebook habe ich heute auch eine Lesung aus Stephanie Gleißners Roman gesehen und hoffe sehr, dass sich einige entscheiden werden, das Buch zu kaufen.

      Liebe Grüße
      Mara

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