Die Kunst des Feldspiels – Chad Harbach

Chad Harbach wurde 1975 geboren und hat an der University of Virginia und in Harvard studiert. Er ist Redakteur der literarischen Zeitschrift n+1, die er gemeinsam mit anderen amerikanischen Autoren herausgibt. “Die Kunst des Feldspiels” ist sein erster Roman.

In “Die Kunst des Feldspiels” erzählt Chad Harbach die Geschichte von Henry Skrimshander. An einem Sonntag im August wird Henry von Mike Schwartz, einem Baseballspieler des Westish College, bei einem kleinen, unbedeutenden Baseballturnier entdeckt. Henry ist “der kleinste Spieler auf dem Feld”, ein “dürrer Sonderling” und doch bemerkt Schwartz beinahe sofort “die Anmut, die in jeder von Henrys Bewegungen lag”.

“[…] er erreichte jeden einzelnen mit Leichtigkeit. Dabei schien er sich nicht schneller zu bewegen als jeder andere anständige Shortstop, und doch war er sofort da, unfehlbar, so als wüsste er vorher, wohin der Ball fliegen würde. Oder als würde nur für ihn allein die Zeit langsamer vergehen.”

Henry wird in die Baseballmanschaft des Westish College aufgenommen. Für den Jungen aus der Provinz, der in Lankton, South Dakota, zur Welt kam – einer Stadt mit dreiundvierzigtausend Einwohnern, umgeben von “Meeren aus Getreide” – kommt dies dem Betreten einer völlig unbekannten und neuen Welt gleich.

Seit seinem neunten Geburtstag trägt Henry denselben Handschuh, den er auf den Namen “Zero” getauft hat.

“Wenn er von Little-League-Spielen zurückkam, fragte seine Mutter ihn immer, wie viele Fehler er gemacht habe. ‘Zero!’ krähte er dann und ließ gleichzeitig seine Faust in den geliebten Handschuh sausen.”

In der Fangtasche trägt der Handschuh den Namenszug Aparicio Rodriguez, ein fiktiver Baseballspieler der St. Louis Cardinals, der nach seinem Karriereende “Die Kunst des Feldspiels” geschrieben hat – ein Buch über Baseball und gleichzeitig auch Henrys Bibel.

Auch in Westish wird Henry, der unter die Fittiche von seinem Mentor Mike Schwartz genommen wird und ein hartes Trainingsprogramm absolvieren muss, um größer und muskulöser zu werden, schnell bekannt dafür, keine Fehler zu machen. Ihm gelingt ein schier kometenhafter Aufstieg, an dessen Ende er schon von einem Wechsel zu einem Topteam und seinem ersten Gehalt träumen kann – bis Henry in einem Spiel ein Routinewurf auf eine fatale Art und Weise misslingt und damit eine ungeahnte Kette an Ereignissen in Gang setzt.

Chad Harbach erzählt jedoch nicht nur die Geschichte von Henry, sondern verwebt Henrys Schicksal mit den Lebensverläufen von einer Reihe weiterer Figuren. Am meisten dabei heraus sticht sicherlich Mike Schwartz, der Entdecker von Henry, der sich “sein ganzes Leben lang” selbst danach gesehnt hatte, “irgendein übernatürliches Talent zu besitzen, eine einmalige Form von Brillanz, die die ganze Welt genial nennen würde” und irgendwann erkennen muss, dass er über die Förderung Henrys, sein eigenes Leben vergessen hat. Kurz vor seinem Abschluss, ohne eine wirkliche Perspektive für die Zukunft, ist er noch nicht bereit dafür, nicht mehr gebraucht zu werden.

Neben Mike Schwartz spielt auch der Präsident von Westish, Guert Affenlight, eine wichtige Rolle. Affenlight ist in “Die Kunst des Feldspiels” sicherlich die Figur, die mich am meisten fasziniert hat: der ehemalige Biologiestudent, der durch Zufall in die Literaturwissenschaft wechselte und mit seiner Dissertation “The Sperm-Squeezer” berühmt wurde. Der alleinerziehende Vater, seine Tochter Pella ist mittlerweile jedoch schon selbst verheiratet (wenn auch unglücklich), stürzt sich verzweifelt und ohne Nachzudenken in ein erotisches Abenteuer, in eine Affäre, die ihm am Ende des Romans zum Verhängnis werden soll.  Auch Pella begleitet man ein Stück weit durch das Buch, erlebt mit, wie schwierig es für sie ist, sich abzunabeln: von ihrem Ehemann, aber auch von ihrem Vater. Und dann gibt es da auch noch Henrys Wohnheimmitbewohner Owen, der Henry mit den Worten begrüßt: “Mein Name ist Owen Dunne. Ich bin dein schwuler Mulattenmitbewohner.”

“Die Kunst des Feldspiels” ist ein Sportroman und dann auch noch ein Roman über Baseball, einen Sport den wahrscheinlich kaum jemand in Deutschland wirklich versteht. Doch auch wenn man kein Interesse an Sport und keine Ahnung von Baseball hat, kann man dieses Buch genießen und sich von der Geschichte die Chad Harbach erzählt aufsaugen lassen. Chad Harbach erzählt von den alltäglichen menschlichen Dramen: von obsessivem Ehrgeiz, von Fehlern, von der Graumsamkeit des Sports, von Einsamkeit und von Liebe. Um sich in Henry und die anderen Figuren hineinversetzen zu können, muss man nicht wissen, was ein “Shortstop” oder “Fastball” ist, wo sich die “Strike Zone”, “Home Plate” oder “First Base” befindet. Jede der Figuren war mir auf ihre jeweils eigene Art nah, jede Figur bildet eine Identifikationsfläche, in jeder Figur konnte ich mich ein Stück weit selbst erkennen: Henry, der von Selbstzweifeln zerfressen wird und unter der grausamen Angst leidet, den nächsten Fehler zu machen. Mike Schwartz, der feststellen muss, dass er sein Leben für jemanden anderen gelebt hat und sich selbst dabei verloren hat. Guert Affenlight, der sich nach Liebe sehnt und dafür alles riskiert.

Henry ist sicherlich die Hauptfigur, doch Chad Harbach gelingt es beinahe leichthändig, das Schicksal der anderen Figuren um ihn herum zu arrangieren. Stück für Stück, mithilfe wechselnder Perspektiven, begleitetet man die Figuren durch den Roman und wünscht sich, dass das Schicksal es mit allen doch irgendwie gut meinen könnte, genauso wie Henry sich dies für sein eigenes Leben wünscht:

“Sein einziger Wunsch war immer gewesen, dass sich niemals irgendetwas änderte. Oder dass sich die Dinge nur zum Guten änderten, dass alles Tag für Tag immer ein bisschen besser wurde, bis in alle Ewigkeit.”

Dieser Wunsch erfüllt sich nicht ganz und sicherlich nicht für alle Figuren und doch habe ich “Die Kunst des Feldspiels” mit einem versöhnlichen Gefühl zugeklappt. Und mit dem Gefühl, einen großartigen Roman gelesen zu haben: Chad Harbach erzählt mit einer unfassbaren Souveränität und der Roman entwickelt beim Lesen eine starke Sogkraft. Seit “Die Korrekturen” von Jonathan Franzen habe ich nie wieder einen ähnlich komplexen, faszinierenden und großartig komponierten Roman gelesen. “Die Kunst des Feldspiels” ist ein mehr als würdiger Nachfolger.

8 Comments

  • Reply
    Coach Hans Weisse
    November 9, 2012 at 11:55 am

    Hört sich lesenswert an, ein Baseball Buch für Insider.

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      November 9, 2012 at 6:06 pm

      Ich kenne mich gar nicht mit Baseball aus, habe das Buch aber sehr gerne gelesen. Ich weiß nicht, wie die Lektüre für einen Baseballfachmann ist und wäre da sehr gespannt auf eine Rückmeldung von dir … 🙂

  • Reply
    Conor
    February 6, 2013 at 8:47 am

    Hallo, Mara!
    Vielen Dank für deine Rezension, weshalb ich mir das Buch zum Geburtstag gekauft und nun gelesen habe. Es hat mir ebenfalls sehr gefallen, auch wenn es ein Sportroman war – aber es geht eben nicht nur um Sport, sondern um anderes – wie z.B. Scheitern, Freundschaft und das Erwachsenwerden.
    Ich frage mich, ob Habach mit Absicht den Protagonisten, der den Baseball ins Gesicht geworfen bekam, “Owen” genannt hat – in Anlehnung an Irving’s “Owen Meany”?

    Liebe Grüße
    conor

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      February 6, 2013 at 6:42 pm

      Liebe Conor,
      ich freue mich sehr, dass dir das Buch ähnlich gut gefallen hat, wie mir und gratuliere dir auch mal eben nachträglich zum Geburtstag. 🙂 Für mich war “Die Kunst des Feldspiels” eines der Highlights des vergangenen Jahres, vergleichbar mit den Korrekturen von Jonathan Franzen. Auch wenn das Buch vordergründig ein Sportroman ist, geht es ja auch noch um viele andere Dinge. Ich hoffe sehr, dass wir noch mehr zu lesen bekommen werden von diesem jungen und spannenden Autor.

      Viele Grüße
      Mara

  • Reply
    Conor
    February 7, 2013 at 7:49 am

    Liebe Mara!
    Erstmal danke für deine Glückwünsche!
    Da ist mir eingefallen, dass dein Geburtstag erst vor kurzem war – also auch dir herzliche Glückwünsche nachträglich zum Geburtstag und alles Gute für dein neues Lebensjahr!
    Ich wünsche dir viele neue und interessante Bücher!:)

    Auch ich hoffe auf weitere Romane dieses Autoren. Es gab soviele schöne Passagen in seinem Roman.:)

    Liebe Grüße
    Conor

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      February 7, 2013 at 6:39 pm

      Liebe Conor,
      auch ich bedanke mich herzlich für deine Glückwünsche! 😀
      Tolle Bücher gab es in der Tat, unter anderem ein Buch von Jeanette Winterson, auf das ich mich bereits sehr freue – ich werde natürlich darüber auf meinem Blog berichten.

      Wir dürfen gespannt seien, was uns von Chad Harbach noch so erwarten wird! 🙂

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    Die Kunst des Feldspiels – Chad Harbach | Binge Reading & More
    June 7, 2015 at 2:20 pm

    […] langes Interview mit Chad Harbach, das auf dem Sydney’s Writer Festival geführt wurde. Und hier noch eine Rezension zum Buch von Frau Buzzaldrins […]

  • Reply
    Chad Harbach – Die Kunst des Feldspiels | 1001 Bücher - das Experiment
    February 20, 2016 at 4:55 pm

    […] Eine weitere Besprechung findet man bei Mara auf Buzzaldrins. […]

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