Souvenirs – David Foenkinos

David Foenkinos wurde 1974 geboren und ist Schriftsteller und Drehbuchautor. Er hat Literaturwissenschaft und Jazz studiert und “Souvenirs” ist bereits der neunte Roman, der von ihm in seinem Heimatland Frankreich veröffentlicht wird. Ich habe in diesem Jahr von David Foenkinos bereits mit Interesse den Roman “Nathalie küsst” gelesen, der von ihm und seinem Bruder Stéphane Foenkinos verfilmt wurde.

Im Mittelpunkt von “Souvenirs” steht ein namenloser Erzähler, von dem der Leser nicht viel erfährt: er lebt alleine in Paris, arbeitet als Nachtportier und möchte eigentlich gerne Schriftsteller werden. Mit seiner Arbeit als Nachtportier möchte er sein Leben so lange finanzieren, bis er hoffentlich irgendwann vom Schreiben leben kann. Sein Leben gerät aus den Fugen, als sein Großvater auf einer Toilettenseife ausrutscht und stirbt – danach soll nichts mehr so sein, wie es früher war.

“Am Tag, an dem mein Großvater starb, regnete es so stark, dass man nahezu nichts mehr erkennen konnte. Ich stand verloren in einem Gewühl von Regenschirmen und versuchte, ein Taxi zu bekommen. Keine Ahnung, warum ich es so eilig hatte, es war absurd, was nützte es zu rennen, er lief doch nicht weg, er war tot, er würde sich mit Sicherheit nicht vom Fleck rühren, sondern auf mich warten.”

Um den namenlosen Erzähler herum ist alles in Bewegung, alles verändert und verschiebt sich, nur er scheint zunächst wie ein einsam stehender Leuchtturm mitten in all dieser Veränderung erstarrt zu sein. Seine Eltern sind zeitgleich in Rente gegangen und kommen mit dieser Veränderung nur schwer zurecht. Während der Vater ein gemütliches Leben zu Hause führen möchte, treibt die Mutter der Wunsch danach, noch mehr zu entdecken, noch mehr sehen zu können. Oder ist es vielmehr der Wunsch, vor dem, was sie zu Hause erwartet, zu fliehen? Sie macht sich auf zu einer Reise quer durch Russland, verschwindet einfach, ohne dass der Erzähler ihr Verschwinden bemerkt und selbst als sie wieder nach Paris zurückkehrt, ist sie nicht wirklich wieder da – sie bleibt verschwunden, in sich selbst. Nach dem Tod des Großvaters ist die Großmutter des Erzählers auf sich alleine gestellt und wird von ihren Söhnen gegen ihren Wunsch schnell in ein Altenheim abgeschoben. Der Erzähler bemüht sich sehr um seine Großmutter, kümmert sich rührend um ihr Wohlergehen, bis sie eines Tages aus dem Altenheim spurlos verschwindet. Es ist der Erzähler, der sie nach einiger Zeit wiederfindet – ihr Verschwinden war von ihr lange geplant worden, sie ist in ihre Heimatstadt gereist, um ihren Erinnerungen und der Vergangenheit nachzuspüren. Ihr größter Wunsch ist es, noch einmal ihre damalige Grundschule besuchen zu können und es gelingt dem Erzähler, ihr diesen Wunsch zu erfüllen.

Doch nicht nur das Leben seiner Mitmenschen befindet sich in einem stetigen Wandel, auch sein eigenes Leben verändert sich schließlich fast unbemerkt. In der Heimat seiner Großmutter begegnet der Erzähler einer Frau, in die er sich sofort verliebt. Sein Glück wird in der Folge auf fast schon magische Weise mit dem Glück seiner Eltern verquickt. Doch ist es dem Erzähler wirklich gelungen, ein Glück zu finden, das für ihn Bestand haben wird?

Sicherheit gibt dem Erzähler vor allem sein Schreiben. Mit der gesprochenen Sprache wirkt er eher unbeholfen, nicht wirklich vertraut – aber er träumt davon, von all dem, was ihm geschieht, schreiben zu können.

“Ich bin mit den Worten, die ich sagen wollte, so oft in Verzug gewesen. Eine solche Zärtlichkeit werde ich nie wiederfinden. Außer jetzt vielleicht, beim Schreiben.”

Ähnlich wie bei “Nathalie küsst” arbeitet David Foenkinos auch bei “Souvenirs” mit unterschiedlichen Elementen, mit denen er den Fließtext ergänzt: beispielsweise gibt es ergänzende Fußnoten. Unterbrochen wird die Geschichte auch immer wieder für “Erinnerungen”: in kursiv gesetzter Schrift, schreibt Foenkinos über die Erinnerungen von einigen der Buchfiguren, aber auch von historischen Figuren oder Schriftstellern, die erwähnt werden. Diese Passagen haben mir ausgesprochen gut gefallen, da sie die Perspektive über die eigentlich erzählte Geschichte hinaus erweitert haben.

Überhaupt spielen Erinnerungen in diesem Roman eine ganz entscheidende Rolle. Ein Hinweis darauf ist auch der Titel des Romans: “Souvenirs”. Ein Souvenir ist ein Erinnerungsstück, etwas, das man behält, um sich erinnern zu können. Die Großmutter des Erzählers fährt mit über neunzig Jahren auf eigene Faust zurück in ihre Heimatstadt, um sich erinnern zu können und es ist fast herzzerreißend, als sie feststellen muss, dass sie die einzig Verbliebene ist – es ist niemand mehr dort, mit dem sie ihre Erinnerungen teilen kann, der sie in ihrer Erinnerung bestätigen kann, der ein Korrektiv für ihre Vergangenheit bilden kann. Niemand. David Foenkinos zitiert an einer Stelle den französischen Schriftsteller Patrick Mondiano mit den Worten: “Leben heißt, einer Erinnerung nachzuspüren.” Dieser Satz umschreibt die Essenz des Romans sehr eindrücklich.

“Souvenirs” ist ein flott zu lesender Roman, der von einem Hauch melancholischem Flair umweht wird, ohne dass er zu traurig geraten ist. Nachdenklich, melancholisch, doch  auch immer mit einem selbstironischen Zwinkern im Auge lässt David Foenkinos seinen Ich-Erzähler erzählen. “Souvenirs“ hat mir noch besser gefallen, als “Nathalie küsst”, da David Foenkinos in “Souvenirs” für mein Empfinden einen noch eingänglicheren Ton trifft und der Roman genau die richtige Mischung zwischen Melancholie und Witz enthält, ohne dass die Geschichte Gefahr laufen könnte, zu seicht zu sein.

5 Comments

  • Reply
    Tanja
    December 21, 2012 at 3:02 pm

    Manchmal fällt mir das Schreiben auch leichter, als das auszusprechen was mich bewegt. Ich denke, der namenlose Erzähler wird mir gefallen. Vielen Dank für deine wundervolle Rezension.

    Liebe Mara,
    ich wünsche dir, deinem Bandit und deinen Lieben ein besinnliches Weihnachtsfest und hinterlasse herzliche Grüße!

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      December 23, 2012 at 12:35 pm

      Liebe Tanja,
      mir geht es da ähnlich wie dir und dem Erzähler: mir fällt es auch häufig leichter Dinge zu schreiben, als sie wirklich auszusprechen. Nicht nur aus diesem Grund habe ich mich dem namenlosen Erzähler sehr nahe gefühlt. Auch sein Wunsch Schriftsteller zu werden und die Tätigkeiten, die er sich für sein Leben wünschen würde, waren mir sehr nahe. Ich bin gespannt, wie dir das Buch gefallen wird. 🙂

      Viele Grüße und danke für deine guten Wünsche! Auch ich wünsche dir schöne und geruhsame Weihnachtstage.
      Mara

  • Reply
    Petra Gust-Kazakos
    December 21, 2012 at 3:23 pm

    Das klingt gut, liebe Mara, schon der Titel gefällt mir sehr. Kommt auf die Liste : )

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      December 23, 2012 at 12:36 pm

      Der Titel hat mir auch gut gefallen, vor allem weil Erinnerungen eine zentrale Rolle im Roman spielen. Bin schon gespannt, wie das Buch dir gefallen wird. 🙂

  • Reply
    Frankreich - zu Gast auf der Frankfurter Buchmesse!
    October 11, 2017 at 9:38 am

    […] dann stoße ich auf In diesem Sommer von Véronique Olimi, Autoportrait von Édouard Levé, Souvenirs von David Foenkinos, Kümmernisse von Judith Perrignon oder auch Viviane Elisabeth Fauvile von […]

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