Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse – Thomas Meyer

Thomas Meyer wurde 1974 in Zürich geboren. Ein Studium der Jurisprudenz hat er abgebrochen und stattdessen angefangen in einer Werbeagentur als Texter zu arbeiten. In der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde er zum ersten Mal 1998, als er damit begann, Kolumnen im Internet zu veröffentlichen. Seit 2007 ist Thomas Meyer selbstständiger Autor und Creative Director und betreibt eine eigene Homepage.

Der Roman mit dem absonderlichen Titel “Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse” erzählt die Geschichte von Mordechai Wolkenbruch aus Wiedikon. Mordechai, kurz Motti, ist ein junger orthodoxer Jude, der ein Problem hat: ohne Frau an seiner seine Seite versucht seine Mutter, seine mame, ihn zwanghaft zu verkuppeln. Doch ihre ausgewählten Kandidatinnen können ihren Sohn nur schwerlich überzeugen, denn alle haben einen Fehler: sie sehen aus wie seine eigene Mutter. Doch mit 25 Jahren noch frauenlos zu sein, ist für Mottis Mutter eine schwer zu ertragende Tatsache; sie schickt ihren Sohn von Zürich über Bern nach Basel, St. Gallen und Lugano, doch nirgendwo wird er fündig.

“Das machte meine mame, deren Brautvermittlungsbemühungen für ihre bejden anderen Söhne schon mit dem jeweils ersten Versuch voll ins Üppige getroffen hatten, hochgradig nervös. Denn bei mir taten sie es nicht. Der Grund lag darin, dass meine mame auch mich ausschließlich mit Dublikaten ihrer selbst bekannt machte: Rachel, Dania, Sara, Mazzal, Rifka, Joelle, Bracha, Schoschanne; und alle schwatzten sie mich in Grund und Boden, während sie in unserem Wohnzimmer milchikes gebek in sich hineinstapelten, das meine Mutter vom Koscherbäcker besorgt hatte.”

Bis zu dem Moment, als er Laura kennen lernt. Laura studiert gemeinsam mit Motti und sieht klasse aus, aber sie ist eine Schickse. Schlimm genug, dass die junge Frau Hosen trägt, sie trinkt auch noch Alkohol und schimpft wie ein Rohrspatz und ist bei alledem noch nicht einmal jüdisch. Wo soll das nur hinführen?

Motti ist hin- und hergerissen zwischen dem langjährigen folgsamen Gehorsam der Mutter gegenüber und dem Wunsch, sein eigenes Leben zu führen und das am besten mit Laura an seiner Seite. Je mehr Druck Mottis mame auf ihren heiratsunwilligen Sohn ausübt, desto mehr versucht dieser aus seinem vorgegebenen Leben und den damit verbundenen Strukturen herauszutreten. Judith, Mottis Mutter, ist eine jüdische Mutter, die einer Schablone entsprungen scheint: sie besitzt einen enormen “tuches” (tuches ist das jüdische Wort für Hintern und spielt in dem Buch eine Rolle, die einem Leitmotiv gleichkommt), ist fordernd und erweckt dabei den Eindruck über Leichen gehen zu können. Länger als eine halbe Stunde hält sie es ohne ihren geliebten Sohn kaum aus.

“Erleichtert drückte mich meine mame an ihren gigantischen busem, bedeckte mich mit kischn und gestand eine libe, wie sie tiefer und schöner nicht sein könne.”

“Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse” ist eine beinahe 300 Seiten umfassende Liebesgeschichte, die jedoch an keiner Stelle klassische Elemente einer Liebesgeschichte aufweist, denn Kitsch sucht man hier vergebens. Stattdessen wird der Leser mit viel Erfindungsreichtum, originellem Witz und einem ungewöhnlichen Humor unterhalten. Selten zuvor habe ich einen Roman gelesen, der mich so gut unterhalten hat – beim Lesen bin ich immer wieder in lautes Gelächter ausgebrochen und habe mich gleichzeitig dabei ertappt, mich schon fast unwohl beim Lachen zu fühlen. Über Juden lacht man doch nicht, oder? Der besondere Kniff des Romans ist sicherlich, dass er sich auf höchst charmante Art und Weise über Eigenarten der Juden lustig macht, man als Leser aber trotz aller Frotzelei und Witz dennoch am Ende das Gefühl hat, der Lebensweise der jüdischen Bevölkerung näher gekommen zu sein,

Den besonderen Charme des Romans macht sicherlich auch die Sprache aus, denn Thomas Meyer verwendet in “Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse” eine ganz eigene Sprache, die durchsetzt ist von einer Vielzahl an jüdischen Ausdrücken. Während man sich am Anfang in diesen Erzählton noch hineinlesen muss, hat man am Ende der Lektüre schon fast das Probleme, diese Sprache nicht mit in den eigenen Alltag zu übernehmen. Die skurrilen Charaktere des Romans sind trotz ihrer Überzeichnung liebenswürdige Figuren, deren Schicksal man als Leser gerne begleitet. Neben all dem offenkundigen Humor und Witz, hat der Roman aber auch eine tieferliegende Ernsthaftigkeit, denn die zentrale Frage, mit der Motti sich beschäftigt, ist die Frage danach, wie er leben möchte und das ist eine Frage, die sich wahrscheinlich jeder ab und an stellt. In dieser Hinsicht lässt sich der Roman auch als Entwicklungsroman lesen, der Motti auf dem Weg begleitet, herauszufinden, wie jüdisch er sein möchte und was für ihn das richtige Leben ist.

Thomas Meyer legt mit  “Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse” einen liebenswerten, skurrilen und spannenden Roman vor, den man in der Öffentlichkeit nur lesen sollte, wenn einem nichts peinlich ist, denn ohne laut beim Lesen aufzulachen, wird wohl niemand dieses Buch beenden können. Geht in die Buchhandlung eures Vertrauens und kauft euch dieses großartige Buch – ich habe selten zuvor so gut gelacht und dennoch etwas mitgenommen, über das es sich lohnt nachzudenken.

13 Comments

  • Reply
    Eva Jancak
    September 16, 2013 at 12:32 pm

    Das is sicher ein interessantes Buch, das ich mir auch zu lesen wünschen würde, einen Ausschnitt daraus, habe ich auch schon voriges Jahr im Wiener Literaturhaus gehört, als dort die für den Schweizer Buchpreis Nominierten vorgestellt wurden.

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      September 17, 2013 at 5:33 pm

      Es ist in der Tat unheimlich interessant und gut gemacht, falls du es irgendwann lesen solltest, wäre ich schon jetzt sehr auf deine Meinung dazu gespannt. Die Frage, über was man lachen darf und kann, kann auch sicherlich in Zusammenhang mit diesem Buch diskutiert werden. 🙂

  • Reply
    brunnenwaechterin
    September 16, 2013 at 1:34 pm

    Dieses Buch kommt ganz sicher auf meine Liste. Humorvoll und skurril ist eh meine Wellenlänge, das Ganze gemischt mit ein bisschen Tiefgang klingt sehr vielversprechend!

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      September 17, 2013 at 5:36 pm

      Schööön, ich freue mich sehr, dass ich dich neugierig machen konnte! 😀 Lustigerweise ist das eine Mischung, die mich ansonsten eigentlich eher nicht anspricht, diesmal aber voll mitreißen und begeistern konnte – vielleicht sollte ich ab nun häufiger skurrile und humorvolle Bücher elsen. 🙂

  • Reply
    madameflamusse
    September 16, 2013 at 7:45 pm

    ach cool, denn, das gibt es viel zu selten mit dem laut lachen 🙂

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      September 17, 2013 at 5:27 pm

      Stimmt, kommt bei mir auch nicht all zu häufig vor, dass ich zu humorigen Büchern greife. 😉

  • Reply
    skyaboveoldblueplace
    September 17, 2013 at 8:01 am

    Liebe Mara, danke mal wieder, für die schöne Rezeption. Man spürt Deine Begeisterung sehr und ich werde mir das Buch sofort bestellen. Es scheint, das könnte eines sein, das ein wenig zur Gemütserhellung beitragen könnte. Durch Deine Besprechung erinnert es mich ein wenig an Woody Allens Stadtneurotiker oder auch an Goodbye Columbus von Philip Roth.
    Liebe Grüsse, Kai

    • Reply
      skyaboveoldblueplace
      September 17, 2013 at 8:04 am

      Schrub ich Rezeption? Au wei, bin wohl grade zuviel bei den Doctores unterwegs, ich meinte natürlich Rezension um nicht zu sagen Besprechung. Wie auch immer, habe mich beim Lesen sehr gefreut, you made my day, wie der Rheinländer so sagt…
      Noch ein Gruss, Kai

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      September 17, 2013 at 5:20 pm

      Lieber Kai,

      Schreibfehler seien dir im Umzugsstress erlaubt – ich habe es sogar mal geschafft vor einiger Zeit, einen Kommentar mit einem fremden Namen und nicht mit meinem eigenen, zu unterschreiben. Dagegen liest sich “Rezeption” fast noch passend. 😉
      Das Buch von Thomas Meyer war einmal etwas ganz anderes, da ich mir mit humorigen Büchern eigentlich immer schwer tue und ich zu Beginn auch nicht wusste, was ich von der Sprache des Romans halten sollte – man liest sich aber ganz schnell ein und wie gesagt: am Ende war ich dann fast traurig, mich nicht weiter in diesem absonderlichen Sprachgemisch bewegen zu können.

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    mrscoffee
    September 17, 2013 at 4:03 pm

    Das muss sofort auf meine wunschliste. 🙂 tolle Besprechung! Liebe grüße

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      September 17, 2013 at 5:16 pm

      Dankeschön 🙂 Ich freue mich, dich neugierig gemacht zu haben!

  • Reply
    caterina
    September 17, 2013 at 6:23 pm

    Ein wunderbarer Titel, der ganz reizend zu sein scheint – danke dir für die Empfehlung, liebe Mara! Und überhaupt finde ich den Salis Verlag sehr spannend – nicht erst, als ich auf der Gartenmesse im Literarischen Colloquium Berlin mit dem Verleger, einem sehr sympathischen und aufgeschlossenen Mann, ins Gespräch gekommen bin. Gelesen habe ich aber bedauerlicherweise erst ein Buch aus dem Verlag, und zwar Schwarze Sonnen von Felix Mennen, einen sehr ungewöhnlichen Krimi mit postmodernen Elementen, an dessen Ende man nicht weiß, wie einem geschehen ist.

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      September 19, 2013 at 2:00 pm

      Liebe Caterina,

      auch für mich war dies das erste Buch aus diesem spannenden Verlag, aber sicherlich nicht das letzte – das Angebot ist in der Tat unheimlich spannend und vielfältig und ich freue mich hoffentlich ein bisschen Lesezeit erübrigen zu können, um noch weitere Titel des Verlags demnächst entdecken zu können.

      Liebe Grüße
      Mara

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