Die irre Heldentour des Billy Lynn – Ben Fountain

Ben Fountain, der in North Carolina geboren wurde, ist Jurist und Literaturwissenschaftler. Für seine Erzählung “Brief Encounters with Che Guevara” wurde er bereits vielfach ausgezeichnet, mit “Die irre Heldentour des Billy Lynn” liegt nun sein erster Roman vor. Das Buch war ein Bestseller der New York Times und wurde mit dem National Book Critics Circle Award ausgezeichnet. Die Filmrechte liegen bei Simon Beaufoy, dem Regisseur von Slumdog Millionaire. Übersetzt wurde der Roman von Pieke Biermann.

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“Diese über allem hängende monströse Hohlheit macht ihn irre […].

Gerade einmal vier Monate lang war Billy Lynn mit seinem Bravo-Team im Irak im Einsatz gewesen, als sie in ein schweres Gefecht verwickelt werden. Zufällig vor Ort ist ein Kamerateam von Fox-News, das den heldenhaften Kampf der zehn Soldaten auf Filmmaterial bannt und damit nicht nur für die Ewigkeit festhält, sondern gleichzeitig für die Gesellschaft freigibt: das Video, das im Fernsehen und im Internet ausgestrahlt wird, macht die Soldaten über Nacht zu Superstars. Die amerikanische Regierung holt ihre erfolgreichen Soldaten vorübergehend zurück nach Hause und schickt sie auf eine Victory Tour quer durch Amerika. In einer Limousine werden die zehn Männer durch das Land gekarrt. Bei den zehn Männern handelt es sich um die acht übrigen Soldaten der Bravo-Squad – Shroom war bei dem Gefecht verstorben, Lake wurde schwer verwundet. Mit dabei sind außerdem noch Major Mac, der Presseoffizier und Albert Ratner, ein Filmproduzent, der beim Anblick der Soldaten die Kinokassen klingeln sieht. Er ist bereits in Gesprächen mit Oliver Stone, Brian Grazer, Mark Wahlberg und George Clooney.

“‘Und was haben Sie so gedacht bei  dem Gefecht?’, hatte eine hübsche Fernsehreporterin in Tulsa gefragt, und Billy hatte es versucht. Er hatte es weiß Gott versucht. Er versucht es unaufhörlich, aber immer wieder entgleitet und entwischt es, trudelt einfach weg, dieses Ding, dieses Es, dieses unaussprechliche Sonstwas.”

Das alles klingt nicht nur aberwitzig, es ist es auch. Der vierhundert Seiten starke Roman umfasst die Beschreibung eines einziges Tages, angereichert mit Rückblicken auf den Krieg und Billy Lynns Rückkehr in sein Elternhaus. Es ist ein Tag im Kopf des Soldaten Billy Lynn und es ist der letzte Tag der Victory Tour. Die Soldaten der Bravo-Squad verbringen diesen Tag in einem Footballstadion, zwischen Cheerleadern und kreischenden Fans. Billy Lynn ist gerade einmal neunzehn Jahre alt und genauso unbeholfen wie seine sieben Kollegen. Vom Blitzlichtgewitter sind sie geblendet, von den Interviews überfordert. Plötzlich lernen diese einfachen Jungs Logenbesitzer und schwerreiche Männer kenne, plötzlichen besuchen diese unbeholfenen Männer, die eigentlich noch halbe Kinder sind, das Weiße Haus und bekommen einen Silver Star überreicht.

“Da sind dieselbe Schwere, dieselbe Dumpfheit und Melancholie, eine Art ekelhaft süßer Emo-Funk, der aber fast angenehm wirkt, weil er immerhin auf etwas Wirkliches verweist. Ist Leid etwa die andere Wirklichkeit?”

Ben Fountain hat einen Kriegsroman geschrieben, in dem das Kriegsgeschehen lediglich eine Nebenrolle spielt. Der Autor benutzt das Footballspiel als Folie für das, was in der amerikanischen Gesellschaft falsch läuft. Die Soldaten werden zu Dressurpferden gemacht, die in einem einzigartigen Medienspektakel ihre Rolle spielen sollen. Die Regierung rund um George Bush braucht diese Helden, um einen Krieg rechtfertigen zu können, für den es eigentlich keine Rechtfertigung gibt. Nach der Victory Tour werden die Soldaten wieder zurück in den Irak geschickt, ihre Einsatzzeit ist noch lange nicht vorbei.

“Es ist das irrwitzig Zufällige, was einen mürbe macht, die Differenz zwischen Leben und Tod und schrecklicher Verwundung ist manchmal so hauchdünn wie bei der Frage, ob man sich auf dem Weg zum Essenfassen zum Stiefelbinden bückt oder nicht oder als Dritter in der Schlage vorm Scheißhaus steht und nicht als Vierter oder den Kopf nach links dreht und nicht nach recht. Zufällig.”

Die Tatsache, dass dieser Roman erfolgreich in Amerika verkauft wurde, mag überraschen, denn Ben Fountain findet wenig positive Worte für dasLand und für die amerikanische Regierung. Die amerikanische Gesellschaft wird immer wieder aufs Korn genommen: als Überflussgesellschaft, als kriegsverrherlichendes Land. Das Footballspiel ist eine einzige Inszenierung – in der Halbzeitpause tritt Destiny’s Child auf, die Soldaten essen eine opulente Mahlzeit und hören sich die Reden des Teambesitzers der Dallas Cowboys an.

“Das war grob. Das war total versiffte Scheiße. Das war ein Geblute und Gekeuche wie bei der schlimmsten Abtreibung der Welt, das Jesukind ausgeschissen in Menschengestalt.”

“Die irre Heldentour des Billy Lynn” ist wahrlich kein perfekter Roman. Vieles wirkt überzeichnet und mit so starken Wattstrahlern ausgeleuchtet, dass die Konturen verschwimmen und es kaum noch etwas Greifbares im Roman gibt. Ben Fountain spielt mit typographischen Merkmalen, darüber hinaus ist die Sprache jedoch eher schlicht gehalten. Es ist gerade diese nüchterne Sprache, die stellenweise eckig und simpel wirkt, durch die es gelingt, diese unbeholfenen halben Kinder einzufangen und auf Papier zu bannen.

“Die irre Heldentour des Billy Lynn” ist eine lesenswerte Lektüre. Ben Fountain beschreibt auf 400 Seiten einen einzigen Tag und tut das so rasant, dass ich das Buch stellenweise nur schwer aus der Hand legen konnte. Der Roman ist sicherlich ein politisches und gesellschaftskritisches Buch, genauso wie eine nachträglich Verdammung der Bush Regierung, es ist aber auch ein aufregendes, irrwitziges und flottes Buch, das ich gerne gelesen habe.

 

10 Comments

  • Reply
    danares
    February 26, 2014 at 1:28 pm

    Wird gekauft! Vielen Dank für diesen tollen, tollen “Tipp” – wenn man dieses Wort als Blogger noch in den Mund nehmen darf… 🙂

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      February 27, 2014 at 2:25 pm

      Ach, wir Blogger werden einfach weiter empfehlen und “Tipps” geben – ich freue mich auf jeden Fall darüber, dass ich dich neugierig machen konnte. 🙂

  • Reply
    ODudek
    February 26, 2014 at 1:40 pm

    Schließe mich danares an!

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      February 27, 2014 at 2:24 pm

      Ich freue mich, dass du auch neugierig geworden bist! 😀

  • Reply
    Karo
    February 26, 2014 at 6:11 pm

    Wow, das klingt unheimlich spannend, dieser Ben Fountain traut sich ja was! Das lässt mich sogleich an die aktuelle Feuilleton-Debatte über die langweilige deutsche Gegenwartsliteratur denken…solche Erzählstoffe, die gleichzeitig unterhaltsam als auch gesellschaftskritisch und aktuell sind, wünsche ich mir auch mehr hierzulande.

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      February 27, 2014 at 2:24 pm

      Ben Fountain traut sich in der Tat allerhand … nicht alles funktioniert und doch finde ich dieses Buch unheimlich wichtig! In der Tat fehlt es in unserer Gegenwartsliteratur an Mut (oder auch an dem Bedürfnis), gesellschaftskritische Themen literarisch zu behandeln, was ich sehr schade finde.

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    Nanni
    February 27, 2014 at 10:34 am

    Klingt nach einem sehr interessanten Buch. Ich mag ja gerne Bücher, die politisch und Gesellschaftskritisch sind. Ich werde “Die irre Heldentour des Billy Lynn” auf jeden Fall im Auge behalten. Danke.

    LG Nanni

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      February 27, 2014 at 2:23 pm

      Liebe Nanni,

      gern geschehen! 🙂 Politisch und gesellschaftskritisch ist das Buch definitiv – ich bin schon gespannt, wie es dir gefällt, falls du dich für die Lektüre entscheiden solltest.

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst – Shani Boianjiu | buzzaldrins Bücher
    February 28, 2014 at 2:25 pm

    […] und rätselhaft. Ich kann mir selbst nicht erklären, was mich direkt nach der Lektüre von “Die irre Heldentour des Billy Lynn” zu Shani Boianjius Roman greifen ließ. Manchmal ergeben sich beim Lesen von Büchern seltsam […]

  • Reply
    Sonntagsleserin #KW9 | Wörterkatze
    March 2, 2014 at 1:31 pm

    […] ““Die irre Heldentour des Billy Lynn” ist eine lesenswerte Lektüre. Ben Fountain beschreibt auf 400 Seiten einen einzigen Tag und tut das so rasant, dass ich das Buch stellenweise nur schwer aus der Hand legen konnte. Der Roman ist sicherlich ein politisches und gesellschaftskritisches Buch, genauso wie eine nachträglich Verdammung der Bush Regierung, es ist aber auch ein aufregendes, irrwitziges und flottes Buch, das” buzzaldrin “gerne gelesen” hat. […]

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