Viviane Élisabeth Fauville – Julia Deck

Julia Deck wurde 1974 in Paris geboren und studierte Literatur an der Sorbonne. Heutzutage arbeitet sie als Redaktionsassistentin bei dem Branchenmagazin Livres Hebdo. “Viviane Élisabeth Fauville” ist ihr erster Roman und wurde von Anne Weber übersetzt, von der zuletzt der Roman “Tal der Herrlichkeiten” erschien.

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Viviane Élisabeth Fauville ist die Frau, die im Zentrum dieses Romans steht. Sie ist Anfang vierzig, geschieden und Mutter eines zwölf Wochen alten Kindes. Ihr Mann hat sie verlassen, nachdem er sie mit einer jüngeren Kollegin betrogen hat.  Die Trennung von ihm hat ihr den Boden unter den Füßen weggezogen, zurückgeblieben ist sie mit ihrer kleinen Tochter, die Bedürfnisse hat, die so leicht zu befriedigen sind. Wie kann man nur so zufrieden mit der Welt sein? Viviane ist schon lange nicht mehr zufrieden. In einer Bäckerei hat sie einen Nervenzusammenbruch, doch niemand nimmt sie ernst, niemand möchte ihr helfen. Auch der Psychoanalytiker, den sie anschließend aufsucht, kann sie nicht aus dem retten, in dem sie gefangen zu sein scheint. Er nimmt sie nicht einmal ernst, jedenfalls nicht so wirklich. Und dann ist er plötzlich tot.

“Sie sind nicht ganz sicher, aber Sie haben das Gefühl, vor vier oder fünf Stunden etwas getan zu haben, was Sie nicht hätten tun sollen. Sie versuchen, sich die Abfolge Ihrer Gesten in Erinnerung zu rufen, deren Faden wiederaufzunehmen, aber jedesmal, wenn Sie eine zu fassen bekommen, fällt sie, statt automatisch die Erinnerung der nächsten nach sich zu ziehen, wie ein Stein auf den Grund jenes Loches, das nun Ihr Gedächtnis ist.”

Der Umzug, die Scheidung, das Kindergeld für Alleinerziehende – Viviane erstickt an den Formalitäten, die zu erledigen sind und verliert sich irgendwo dazwischen selbst. Gemeinsam mit ihrer Tochter und unter wechselnden Namen verirrt sie sich zwischen den Straßen von Paris, bis sie selbst nicht mehr weiß, wer sie ist und was sie getan hat. Sicherheit bietet ihr nur noch ihre Tochter, die immer da ist und nicht verschwindet.

“[…] am 16. November, also gestern, haben Sie Ihren Psychoanalytiker umgebracht. Sie haben ihn nicht symbolisch umgebracht, wie man irgendwann den Vater umbringt. Sie haben ihn mit einem Messer der Marke Henckels Zwilling, Serie Twin Profection, Modell Santoku, umgebracht.”

“Viviane Élisabeth Fauville” ist ein schmaler Roman, der vor allen Dingen durch die gewagten Erzählperspektiven überzeugen kann. Julia Deck wechselt fortlaufend die Perspektiven, aus denen heraus sie ihre Geschichte erzählt. Beim Lesen hat mich das Gefühl übermannt, mit jedem Perspektivwechsel tiefer hineingezogen zu werden in die Geschichte. Julia Deck macht unzweifelhaft deutlich, dass ihre Hauptfigur eine Mörderin ist. Sie erklärt Viviane Élisabeth Fauville für schuldig, doch hat sie ihren Psychoanalytiker wirklich umgebracht? Was ist Wahn und was ist Realität? Wie viel bildet sich diese haltlose und verwirrte Frau ein? Wie viel davon stimmt? Mit zunehmendem Verlauf des Romans, nehmen auch die Zweifel am Tathergang und an der Täterschaft zu. Es werden andere Varianten aufgeworfen und wieder verworfen. Das Spiel mit Perspektiven, Identitäten, Wahn und Realität, gelingt Julia Deck in virtuoser Manier, so virtuos, das man als Leser selbst in dieses Vexierspiel hineingezogen wird.

“Anschließend weiß ich nicht, warum ich tue, was ich tue, aber ich tue es. Denken Sie bloß nicht, ich würde das für eine gute Idee halten oder ich sei stolz darauf, es ist einfach nicht anders zu machen: Meine Füße gehen vorwärts und ich hinterher.”

Julia Deck hat einen poetischen Roman geschrieben (“Sein himmelblaues Hemd reimt sich mit seinem Blick, sein sandfarbenes Jackett mit seiner Haut.”). “Viviane Élisabeth Fauville” enthält aber auch Momente eines Kriminalromans, doch dieses Etikett würde für die Geschichte, die erzählt wird, viel zu kurz greifen. Es ist nicht nur ein Kriminalroman, sondern auch ein meisterhaftes Vexierspiel aus Wahn und Realität. Julia Deck bildet eine psychische Erkrankung ab, in kurzen Worten, mit wenigen Sätzen, doch so authentisch, dass man sich beim Lesen wie in den Kopf der Hauptfigur gepflanzt fühlt.

“Viviane Élisabeth Fauville” ist ein meisterhaft erzählter Roman, der nicht nur mit dem Leser spielt, sondern auch mit der Erzählperspektive und mit unserer herkömmlichen Vorstellung von Realität.  Julia Deck schlägt ein rasantes Erzähltempo an, doch es gelingt ihr dabei stets, die Fäden in der Hand zu behalten. Selten zuvor habe ich einen Roman gelesen, der mich so atemlos zurückgelassen hat.

6 Comments

  • Reply
    Petra Gust-Kazakos
    March 3, 2014 at 5:34 pm

    Klingt spannend, fast kann ich es mir als Film vorstellen – dabei hab ich es noch nicht mal gelesen, liegt sicher an deiner guten Beschreibung : )

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      March 5, 2014 at 1:11 pm

      Ich musste beim Lesen auch an einen Film denken, vielleicht an ein Road Movie – quer durch Paris. Gerade bei deinem Frankreichbezug könnte ich mir vorstellen, dass du den Roman gerne liest. 🙂

  • Reply
    caterina
    March 3, 2014 at 7:30 pm

    Juhu, es liegt hier schon und wartet ganz ungeduldig! 🙂

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      March 5, 2014 at 1:02 pm

      Wie schön, ich bin gespannt, ob es dir ähnlich gut gefallen wird! 😀

  • Reply
    (Die Sonntagsleserin) KW #10 – März 2014 | Bücherphilosophin.
    March 9, 2014 at 7:06 am

    […] Élisabeth Fauville” sticht einem sofort ins Auge und was sich dahinter verbirgt ist, laut buzzaldrins Bücher, auch nicht zu verachten, nämlich “ein meisterhaft erzählter Roman, der (…) mit der […]

  • Reply
    Frankreich - zu Gast auf der Frankfurter Buchmesse!
    October 24, 2017 at 2:38 pm

    […] Édouard Levé, Souvenirs von David Foenkinos, Kümmernisse von Judith Perrignon oder auch Viviane Elisabeth Fauvile von Julia […]

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