Palo Alto – James Franco

James Franco wurde 1978 im kalifornischen Palo Alto geboren. Er ist nicht nur Schriftsteller, sondern auch Schauspieler, Regisseur, Filmproduzent, Maler und Performancekünstler. Bekannt wurde er durch seine Rollen in Spider Man und Milk, darüber hinaus war er in der Verfilmung Howl und an der Seite von Julia Roberts in Eat Pray Love zu sehen. Für seine Rolle in 127 Hours wurde er für den Oscar als “Bester Hauptdarsteller” nominiert. “Palo Alto” ist sein Debüt als Autor und wurde übersetzt von Hannes Meyer.

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“Wahrscheinlich ist es bei manchen Leuten so, dass ihnen nie einer sagt, was sie sein sollen, also sind sie nichts. Früher wurde man einfach in irgendetwas reingeboren, alles stand schon fest, also war man Bauer, bis man starb, oder man putzte das königliche Klo.”

“Palo Alto” ist eine Sammlung von insgesamt elf Stories, die in zwei Hälften geteilt ist, in Palo Alto I und Palo Alto II. Den Erzählungen vorangestellt ist ein Zitat von Marcel Proust, das dem Buch “Im Schatten junger Mädchenblüte” entstammt: “[…] die Jugend aber ist die einzige Zeit, in der man etwas lernt.” Es ist genau diese Zeit, die auch James Franco in seinen Erzählungen in den Mittelpunkt rückt. Eindringlich und erschütternd berichtet er von einer Generation, die verloren scheint – es ist eine Generation, die sich selbst verloren hat.

“Ich konnte nicht mehr über April reden. Barry hatte mit ihr geschlafen, mit der einen, die ich liebte, und es hatte ihm nichts bedeutet; Tanya würde sterben und es würde allen egal sein; die Erde war voll von Menschen, Milliarden Körper, die alle beerdigt werden und zu Dreck zerfallen; und Picasso war mit sechzehn schon ein Meister, und ich war bloß ein Stück Scheiße.”

Alle Stories sind in der kalifornischen Stadt Palo Alto angesiedelt, die einzelnen Erzählungen sind nicht miteinander verknüpft, doch immer wieder tauchen dieselben Namen auf, so lange, bis ich beim Lesen das Gefühl hatte, das all die Mädchen und Jungs zu einer einzigen Person verschwimmen. “Vor zehn Jahren, in meinem zweiten Jahr auf der Highshool, habe ich an Halloween eine Frau getötet.” James Franco erzählt von Jugendlichen, die eigentlich noch Kinder sind, doch ihre Kindheit viel zu schnell abschütteln mussten, um erwachsen zu werden. Von Jugendlichen, die Alkohol trinken, Drogen nehmen und Bewährungsstrafen erhalten. Er erzählt von Jugendlichen, die Sex haben, um anerkannt zu werden. Die alles dafür tun würden, gesehen zu werden. Jugendliche, die Tiere töten, um sich zu spüren, die Gegenstände zerstören, um am Leben teilzunehmen.

“Komisch, wie manchmal plötzlich neue Tatsachen auftauchen und einen am Guten in der Welt zweifeln lassen. Alle tun so normal, als ob sie deine Freunde wären, aber eigentlich führen sie ein ganz anderes Leben, von dem man nichts weiß. Wenn wir alle immer gefilmt werden würden, könnten wir uns die Filme der anderen ansehen, und dann wüssten wir von allen, wie sie wirklich sind.”

James Franco fängt in seinen Erzählungen ein ganz spezielles Lebensgefühl ein, er fängt die dunklen Seiten des Lebens ein und bannt sie auf Papier. Ohne Rücksicht, ohne Beschönigung – ungefiltert. Das ist bewegend, aber auch immer wieder erschütternd und schockierend. Der Autor tut das in einer nüchternen Art und Weise, wirft den Leser in das Leben seiner Figuren, nur um ihn nach wenigen Seiten wieder hinauszuwerfen. Vielleicht ist dies der einzige Vorwurf, dem man James Franco machen könnte: die Erzählungen entfalten ihre Stärke und Kraft durch die Kürze, doch gleichzeitig hätte ich mir immer wieder gewünscht, tiefer in das Leben der Figuren eintauchen zu können. Alle Geschichten kreisen um die Schwierigkeiten von Kindern, die erwachsen werden. Es sind verlorene Kinder, denn sie haben niemanden um sich, der sich kümmert, der tröstet – keinen Ratgeber, keinen Freund.

“Man kann gegen das Teerbaby nicht ankmäpfen, das will es gerade. Wenn du das Teerbaby schlägst, zieht es dich rein. Sobald es dich in seinen Fängen hat, verliert es seine Form, wird zu einem klebrigen, schwarzen Monster und umhüllt dich ganz und gar. Je mehr du kämpft, an ihm zerrst und reißt, desto mehr verklebt es dich, bis du dich nicht mehr bewegen kannst und nur noch ein Klumpen Teer bist. Und irgendwann bist du das Teerbaby. Nur dass du statt der Knopfaugen echt Augen hast, die unter dem Teer hindurchschauen.”

Die Stories von James Franco erinnern an J. D. Salinger oder auch an Bret Easton Ellis – sie sind frei von Helden und stattdessen bevölkert von Jugendlichen, die fürchterlich einsam und alleine sind und diese innere Leere auch mit Alkohol, Drogen oder Sex nicht füllen können. Die Erzählungen sind mitunter schockierend und verstörend, wie ein Messer schneiden sie einem beim Lesen brutal in das eigene Fleisch und doch konnte ich das Buch zwischendurch kaum noch aus der Hand legen.

“Ich fahre gerne den leeren, dunklen Freeway entlang, der hin und wieder von Lichtern an der Straße erleuchtet wird, und wenn ich diese Lichter sehe, denke ich an die ganzen kleinen Welten da draußen, all die kleinen Tiere, die dort in ihren Revieren leben, und daran, dass wir einfach an der Seite ranfahren und in jeder beliebigen dieser kleinen, vergessenen Ecken der Welt ein Abenteuer erleben könnten, in diesen Nicht-Zonen, den wertlosen Abfallgrundstücken im Kielwasser der großen Freeways, und ich fahre gerne an ihnen vorbei, wenn ich über den Freeway rase wie durch einen Tunnel in die Nacht und dabei trotzdem noch eine ganze Actionszene mit Joe inszenieren kann, und ich denke, das ist das Leben, weil ich Gas gebe und die Zeit mich vorantreibt und nie aufhört, und manchmal hat man eben einen Beifahrer im Wagen, und dann kann man sich zusammen die Landschaft anschauen oder Musik hören, die beiden gefällt, oder ein kleines bisschen mit dem Messer spielen, weil man wissen will, ob der andere auch wirklich da ist.”

In “Palo Alto” fängt James Franco in unnachahmlicher Art und Weise das Lebensgefühl von gestrandeten Jugendliche ein. Es sind brutale Erzählungen, die verstören und schockieren. “Palo Alto” ist kein schönes Buch, es ist dreckig und rau, ich habe mich an den Erzählungen gestoßen und das Buch mit dem Gefühl zugeklappt, von blauen Flecken übersät zu sein und doch habe ich darin auch ein tiefes Gefühl von Menschlichkeit gefunden.

17 Comments

  • Reply
    frannym
    March 17, 2014 at 3:00 pm

    Normalerweise bin ich etwas skeptisch wenn Künstler sich plötzlich in einem anderen Kunstbereich ausleben wollen. Die wenigsten Sänger sind gute Schauspieler und genauso anders herum. Die Kurzgeschichten von James Franco fand ich aber sehr gut und gebe deswegen Leuten wie Ethan Hawke und Franka Potente mit ihren Büchern vielleicht auch eine Chance. Wie siehst du das?

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      March 17, 2014 at 3:12 pm

      Ja, zunächst habe ich auch häufig Zweifel, wenn sich Schauspieler oder Sänger auf fremdem Terrain bewegen … dazu muss ich jedoch gestehen, dass mir James Franco zuvor gar nicht unbedingt ein Begriff als Schauspieler gewesen ist. Ich finde, dass man offen sein sollte und neue Bücher nicht von Grund auf ablehnen, nur weil sie von jemandem geschrieben wurden, der eigentlich einem anderen Beruf nachgeht. Ansonsten hätte ich wohl auch nicht Ulrich Tukurs Spieluhr entdeckt und auch das Buch von Franka Potente liegt bereits auf meinem Stapel. 🙂

      • Reply
        Kindervatter
        March 18, 2014 at 10:37 am

        Wenn man ernsthaft kreativ ist, lebt man unter dem ständigen Zwang das auch auszuleben – oft interdisziplinär. Es ist einem dann kaum möglich etwas nicht-kreativ zu behandeln. Kochen, Schauspielern, Schreiben, Malen etc. unterliegen ja dem gleichen Prinzip: Einzelteile bedeutungsvoll zusammensetzen. Es scheint mir daher logisch, dass der Musiker kocht und schauspielert und schreibt und …

        • Reply
          buzzaldrinsblog
          March 18, 2014 at 8:30 pm

          Lieber Benjamin,

          ich danke dir für deinen Besuch und deine interessante Wortmeldung. Ein ganz wichtiges Wort in deinem Beitrag ist für mich der Begriff “ernsthaft” – ich glaube, dass deine Beobachtung sicherlich auf ernsthafte Künstler zutrifft, ich glaube aber auch, dass es viel zu viele Schauspieler/Sänger gibt, die schriftstellerisch tätig werden, ohne dafür die Ressourcen zu haben (die Arbeit wird dann ja auch häufig von einem Ghostwriter übernommen :-)). Es gibt aber natürlich auch viele positive Bespiele, sei es James Franco, aber auch Joachim Meyerhoff fällt mir diesbezüglich ein.

          Liebe Grüße
          Mara
          Mara

      • Reply
        KINDERVATTER
        March 19, 2014 at 7:49 am

        Völlig richtig, aber diese Wertung ist ja subjektiv, ein Reisetagebuch von Hape Kerkeling hat auch irgendwo seine Daseinsberechtigung. Der großartige Johnny Depp hat mal Regie geführt (The Brave) – eine Katastrophe, die Malerei von Udo Lindenberg – “beispiellos” und Clint Eastwood schreibt die wohl schlechteste Filmmusik seit es bewegte Bilder gibt. Die Ergebnisse eines Disziplinwechsels sind nicht immer hervorragend, dennoch ist der Drang nachvollziehbar und man muss ihn den Leuten zugestehen. Das wäre ja was, wenn man nur eine Tätigkeit in seiner Karriere ausüben dürfte, dann wäre ich immer noch Aushilfe in einer Videothek und nie Grafikdesigner und nie Buchautor geworden und würde wohl später mal nie ein guter Koch werden.

        Die Kritik am Genrewechsel bezieht sich vielleicht eher auf die, die mit dem erarbeiteten Ruhm eines Genres in ein anderes wechseln und wegen ihrer Bekanntheit nicht ganz unten anfangen müssen. Und da stimme auch ich zu.

  • Reply
    BücherBall
    March 17, 2014 at 4:09 pm

    Hallo Mara,

    deine Rezension hat mich nach anfänglicher Neugier doch ein wenig abgeschreckt, wobei ich an und für sich eine solche harte, nüchterne Schreibart gerne lese. Antun werde ich mir diese Lektüre(n) wohl dann doch. Anbei kann ich auch eine Story-Sammlung empfehlen: “Emporium Storys” von Adam Johnson. Hierin geht es in neun Storys über eine skurril-utopische Zerrspiegelwelt unserer eigenen, in welcher z.B. Kinder zu professionellen Snipern ausgebildet werden, aber dennoch beim täglichen Ausüben ihrer Pflichten das Kindhafte deutlich zeigen. Sehr abgefahrenes Buch, macht aber auch sprachlich Spaß, es zu lesen.

    LG
    Kevin

  • Reply
    packingbooksfromboxes
    March 17, 2014 at 5:38 pm

    Hier nun ein Kommentar, der nicht direkt dieses Buch betrifft, sondern allgemein Ausdruck meines ehrfürchtigen Erstaunens ist:
    Bitte sag mir, dass du da reichlich Bücher auf einem Stapel liegen hast, die du aus den vergangenen Jahren rezensieren “musst”! Oder inhalierst du das wirklich alles in Echtzeit? Mein Gefühl mag mich täuschen, aber ich lese bestimmt jeden zweiten, wenn nicht sogar JEDEN Tag eine neue Bücherrezension von dir? Da bin ich sehr neugierig 🙂
    Liebe Grüße!

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      March 18, 2014 at 8:40 pm

      Doch, doch, ich lese alle diese Bucher “live”, manchmal verschiebt es sich um ein paar Tage oder Wochen – aber ich arbeite hier keine Altlastenlektüren ab. 😉 Dein Gefühl, jeden Tag eine Besprechung zu lesen, muss dich täuschen, aber vielleicht jeden zweiten … 😉

      • Reply
        packingbooksfromboxes
        March 18, 2014 at 9:02 pm

        Dann hast du hiermit meinen allergrößten Respekt! Und eigentlich sollte da auch sowas wie positive Bewunderung durchklingen 🙂

      • Reply
        buzzaldrinsblog
        March 21, 2014 at 3:02 pm

        Ist durchgeklungen! 😀 Danke dir für die lieben Worte!

  • Reply
    Kathrin
    March 18, 2014 at 11:44 am

    Wie die meisten kannte auch ich James Franco bislang nur als Schauspieler. Nach deiner Rezension bin ich nun neugierig auf Geschichten aus seiner Feder. Der Schreibstil erscheint mir im Moment für meinen Geschmack zwar noch zu nüchtern, aber ich werde dem Buch trotzdem eine Chance geben, insbesondere da mir durch meine Masterarbeit momentan oft die Konzentration für Romane fehlt und ich mich daher stärker auf Kurzgeschichten konzentrieren möchte. Deine Rezension kam also wie gerufen 🙂

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      March 18, 2014 at 8:25 pm

      Liebe Kathrin,

      der Schreibstil ist in der Tat ausgesprochen nüchtern, doch diese Nüchternheit fühlt sich atmosphärisch sehr passend an. 🙂 Ich glaube, ein anderer Schreibstil hätte der Geschichte viel von seiner Kraft genommen. Wenn du wenig Zeit und Konzentration für Bücher hast, ist ein Band mit Kurzgeschichten vielleicht eine wirklich gute Idee.

      Auf jeden Fall schön, dass ich dich neugierig machen konnte! 😀

      Liebe Grüße
      Mara

      • Reply
        Kathrin
        March 19, 2014 at 7:06 pm

        Liebe Mara, dank deiner Besprechung habe ich das Buch nun gestern Abend noch bestellt – die Neugier war einfach zu groß. Ich habe mir allerdings die englische Ausgabe gegönnt, da ich noch einen Gutschein hatte, den ich nicht für die preisgebundenen deutschen Bücher nutzen konnte.

        • Reply
          buzzaldrinsblog
          March 21, 2014 at 2:58 pm

          Liebe Kathrin,

          ich muss auch mal mein Englisch üben, ich beneide Menschen immer so, wenn sie in der Lage sind, auch Bücher auf Englisch zu lesen – das ein oder andere ist ja im Original auch schlichtweg günstiger.

          Viel Spaß auf jeden Fall bei der Lektüre! 😀

          Liebe Grüße
          Mara

          • Kathrin
            March 21, 2014 at 3:32 pm

            Hallo Mara,
            Bücher sind zum Englischtraining wirklich gut geeignet. Am Anfang ist es ungewohnt und nicht so leicht, da man nicht immer jedes Wort versteht – man muss sich daher schnell aus dem Kopf schlagen, jedes Wort gedanklich zu übersetzen, sonst kommt man nie voran. Aber je öfter man auf Englisch liest (oder auch Serien/ Filme sieht), desto leichter wird es und irgendwann ist es so normal wie auf Deutsch zu lesen.

            Wenn du noch nicht so erfahren im Englischlesen bist, fang am besten mit etwas leichtem an (Kinderbücher, Kurzgeschichten oder Bücher, die du schon auf Deutsch kennst) – so habe ich damals auch angefangen. 🙂

            Das Lesen auf Englisch hat ja nicht nur finanzielle Vorteile – ich habe bei Büchern, die ich auf Deutsch und Englisch kenne, schon ein paar Mal festgestellt, dass durch die Übersetzung viel vom Stil und der Atmosphäre verloren ging, was natürlich auch unsere Eindrücke von einem Buch beeinflussen kann.

            Vielleicht findest du ja noch den Zugang zur englischsprachigen Literatur – ich bin gespannt, wie dann deine Erfahrungen sein werden.

            Ein schönes Wochenende wünscht dir
            Kathrin

  • Reply
    [Die Sonntagsleserin] KW #12 – März 2014 | Phantásienreisen
    March 23, 2014 at 8:51 am

    […] Herz legte und deren positive Eindrücke nun von Mara bestätigt wurden. Zum anderen las Mara den Kurzgeschichtenband “Palo Alto” von Schauspieler James Franco – und die Rezension dazu fiel so interessant aus, dass ich mir “Palo Alto” sofort […]

  • Reply
    James Francos Kurzgeschichten verfilmt | Phantásienreisen
    May 16, 2014 at 7:17 am

    […] März machte uns Mara von Buzzaldrins Bücher auf “Palo Alto”, den Kurzgeschichtenband des Schauspielers James Franco (“Die […]

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