Das Huhn, das vom Fliegen träumte – Sun-Mi Hwang

Sun-Mi Hwang ist Autorin und Literaturprofessorin, die bereits seit Jahren Bücher veröffentlicht, ohne, dass ihr der internationale Durchbruch gelingen wollte. Erst mit ihrer feinfühligen Tierfabel “Das Huhn, das vom Fliegen träumte” wurde sie endlich auch außerhalb Südkoreas bekannt. Der Roman erschien in diesem Frühjahr im Kein & Aber Verlag, insgesamt wurde er in 19 Sprachen übersetzt und diente darüber hinaus als Vorlage für einen Animationsfilm. Aus dem Englischen übertragen wurde er von Simone Jakob, Nomoco ist für die Illustrationen verantwortlich.

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“Sie hatte den Stall zwar noch nie verlassen, aber seit sie im Hof vor dem Gebäude eine Henne mit ihren hinreißenden Küken erspäht hatte, hegte sie insgeheim einen Wunsch: ein Ei auszubrüten und ein Küken schlüpfen zu sehen.”

Einer der berühmtesten Tierfabeln ist sicherlich George Orwells “Animal Farm”, ein Buch, das ich vor vielen Jahren gelesen habe, an das ich jedoch auch heute immer noch lebhafte Erinnerungen habe: Schwatzwutz, Old Major und Schneeball geistern immer noch durch meinen Kopf. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass ich mich ausgerechnet für dieses Buch bei Blogg dein Buch beworben habe. Auch Sun-Mi Hwang legt mit “Das Huhn, das vom Fliegen träumte” eine Tierfabel vor, wir lernen jedoch keine Schweine kennen, sondern ein Huhn. Sprosse ist eine Legehenne, die auf dem Bauernhof eines Ehepaares lebt, die Zustände im Stall erträgt sie schon lange nicht mehr. Sie tut nichts anderes, als Eier zu legen – diese Aufgabe erscheint ihr mittlerweile wie eine monotone Fließbandarbeit, ohne Sinn und Verstand. Der Moment, in dem ihr die Eier weggenommen werden, ist für sie auch nach all der langen Zeit im Stall immer noch schmerzhaft und herzzerreißend.

“Die Akazie hatte auch an dem Tag geblüht, an dem man sie in den Hühnerstall gesperrt hatte. Ein paar Tage später waren die Blüten wie Schneeflocken heruntergerieselt, und nur die grünen Blätter waren am Baum zurückgeblieben.”

Der Wunsch ein Ei auszubrüten und die Geburt eines Kükens mitzuerleben ist der Lebenswunsch von Sprosse, der Blick in den Hof, auf dem die Hoftiere frei herum spazieren, ist wie ein Blick in eine Traumwelt. Sie möchte dort sein, auf dem Hof – in Freiheit. Es sind ihr starker Wille und ihr Durchhaltevermögen, die sie hinaus aus ihrem Gefängnis führen – ein kleines bisschen Glück ist auch dabei. Doch in Freiheit muss Sprosse feststellen, dass ihre Wunschvorstellung und die Realität weiter auseinanderklaffen, als gedacht, zur Gemeinschaft im Hof findet sie kaum einen Zugang und dann gibt es da auch noch das Wiesel, das es darauf abgesehen hat, Hühner zu töten.

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“Ich wollte doch nur ein Ei ausbrüten. Ein einziges Ei, ganz für mich allein. Ich wolle flüstern: “Komm, zerbrich die Schale, damit ich dich kennenlernen kann. Hab keine Angst!” Und nach dem Schlüpfen das Küken an mich drücken.”

Als Sprosse auf einer ihrer Wanderungen in Freiheit ein herrenloses Ei entdeckt, glaubt sie, dass ihr sehnlichster Wunsch endlich doch noch in Erfüllung gehen kann: die Freiheit ist beängstigend, sie kann einen aber auf verschlungenen Wegen auch zu einem der glücklichsten Menschen beziehungsweise zu einem der glücklichsten Legehennen dieser Welt machen …

Ich habe Sprosse sofort ins Herz geschlossen, ihren Name habe ich als äußerst passend empfunden: Sprossen sind die Mütter der Blumen, sie widerstehen Wind und Regen, speichern das Sonnenlicht und bringen strahlend weiße Blüten hervor. Der Name passt so hervorragend, weil auch Sprosse den Widrigkeiten des Lebens trotzt, seien es nun Wind oder Regen – sie ist mutig, kämpferisch und lässt sich niemals unterkriegen. Ihr Leben in Freiheit, das sie sich mit Mut und Willenskraft erkämpft hat, stellt sie vor vielfältige Hürden und Herausforderungen, doch sie gibt nie auf und lässt den Kopf nicht hängen – so lange, bis sie förmlich über das Ei stolpert, das sie endlich zu einer Mutter machen könnte.

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“Sprossen bildeten Blätter heraus, die von Wind und Sonne berührt wurden, bevor sie abfielen, vermoderten und zu Erde wurden, auf der wohlriechende Blumen wachsen.”

Sun-Mi Hwang legt mit “Das Huhn, das vom Fliegen träumte” ein modernes Märchen vor, ein Märchen, das wunderbar leise und feinfühlig ist. Sanft und mit ganz viel Zartgefühl versetzt die Autorin sich in die Welt ihrer Tiere, lässt sie sprechen und handeln. Es ist vor allem Sprosse gewesen, die sich in mein Herz hinein geschlichen hat, es gibt aber auch noch viele andere wunderbare Figuren: der alte Hofhund und die Wildente fallen mir als erstes ein. Das Schöne an diesem Märchen ist die Kraft die es besitzt: “Das Huhn, das vom Fliegen träumte” ist in erster Linie eine Tierfabel, doch darüber hinaus lässt es sich auch auf die wirkliche Welt übertragen. Wie häufig blickt man aus seinen eigenen vier Wänden heraus auf das Leben anderer Menschen, das einem in solchen Momenten so viel leichter und besser erscheint? Wie häufig sind wir dazu bereit, den schwierigen Weg zu gehen und nicht den leichten? Wie häufig sind wir dazu bereit, für unsere Träume und Wünsche zu kämpfen und für die Erfüllung von beidem alles zu geben? Sprosse berührt und begeistert mit ihrer Kraft und ihrem Willen über die märchenhafte Welt hinaus und strahlt hinüber – bis in mein eigenes Leben.

“Das Huhn, das vom Fliegen träumte” ist ein schmales Büchlein mit großer Wirkung: Sun-Mi Hwang erzählt von Hühnern und Wildenten, doch eigentlich erzählt sie davon, wie wichtig es ist, für uns selbst einzustehen und unsere Träume und Wünsche zu verfolgen. Eigentlich erzählt sie davon, wie wichtig es ist durchzuhalten, mutig zu sein. Wie wichtig es ist, zu träumen und zu lieben. Lasst euch verzaubern von dieser wunderbaren Geschichte!

15 Comments

  • Reply
    das A&O
    March 30, 2014 at 11:01 am

    Komme meist nur am WE dazu, meine abonnierten Blogs zu lesen. Bei dir werde ich ab jetzt immer anfangen, alle zwei Tage eine Rezi: Rrrrespekt! In der Zeit, in der ich nur deine Rezis lese, hast du wahrscheinlich schon wieder drei neue Bücher geschafft! Gibt es dafür einen Zaubertrunk? 😉

    Doch nun zum Buch: Bin verzaubert von der Buchkunst, die deine Fotos zeigen, und von deinen abschließenden Zeilen. Ihn ihnen fliegt das Huhn ; ) Sogesehen ist es die letzte Ergänzung deiner schönen Namensinterpretation: Sprosse bringt nämlich auch die Worte zum Blühen, die so, wie du sagst, bis ins “echte” Leben hinüberwachsen.

    Buchstabenbunte Sonntagsgrüße aus Stuttgart
    von das A&O

  • Reply
    Hermia
    March 30, 2014 at 3:33 pm

    Ohhh, das klingt toll!

    Aber eine Frage habe ich noch – du schreibst, es wäre aus dem englischen übersetzt worden. Heißt das, es wurde zweimal übersetzt (koreanisch-englisch-deutsch)?

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      March 30, 2014 at 3:52 pm

      Aus dem Stehgreif beantworten kann ich dir diese Frage nicht wirklich, liebe Hermia – im Buch ist eben lediglich vermerkt, dass die Übersetzung aus dem Englischen kommt, darüber war ich gestolpert, weil ich eine Übersetzung aus dem Koreanischen erwartet hatte. Ich habe gerade bei Wikipedia quergelesen, dort wird der Eindruck erweckt, als stamme die englische Übersetzung von der Autorin, die die Tierfabel im Original auf Koreanisch veröffentlicht hat.

      Ganz sicher bin ich mir aber auch nicht. 😉

      • Reply
        Hermia
        March 30, 2014 at 5:53 pm

        Ich habe gerade bei Penguin nachgeguckt und da wird als Translator “Chi-Young Kim” genannt.

        Wahrscheinlich gibt es wenige Koreansich Übersetzer…

  • Reply
    Kathrin
    March 30, 2014 at 4:26 pm

    Katarina von Die Bücherphilosophin hatte mich ja damals schon mit ihrer Rezension zur englischsprachigen Ausgabe neugierig gemacht und seit ich von der deutschsprachigen Übersetzung weiß, habe ich das Buch ständig im Hinterkopf. Dass “Das Huhn, das vom Fliegen träumte” aber auch wunderbar illustriert ist, wusste ich noch nicht. Nun möchte ich die Geschichte von Sprosse umso mehr lesen – vorerst muss es jedoch noch auf der Wunschliste verweilen (leider).

  • Reply
    skyaboveoldblueplace
    March 30, 2014 at 4:58 pm

    Liebe Mara,
    das muss ein wunderbares Buch sein. Und so schön gestaltet. Deine Begeisterung und dazu diese schönen Bilder sprechen Bände. Das wird wohl mal wieder auf meine Liste wandern müssen. Ich finde übrigens immer wieder, dass Kein & Aber sehr schöne Bücher machen.
    Liebe Grüße, Kai

  • Reply
    Tanja
    March 30, 2014 at 9:12 pm

    “Das, Huhn das vom Fliegen träumte” wollte ich mir erst für die Indiebook Aktion kaufen, allerdings hatte ich mich dann doch für “Der Kanal” entschlossen. “Blitzbirke” stand auch in der engeren Auswahl. Dein besprochenes Buch ist sehr liebevoll gestaltet. Sehe ich die Wildgänse, wünschte ich, ich könnte fliegen. Eine wirklich gelungene Rezension zu einem sehr interessanten Buch.

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      April 3, 2014 at 3:55 pm

      “Blitzbirke” habe ich in der Tat hier auch noch liegen, ich freue mich schon auf die Lektüre! Dieses Buch solltest du dir aber auch noch unbedingt vornehmen – es ist wirklich herzallerliebst und sehr berührend! 🙂

  • Reply
    diazroya
    April 2, 2014 at 11:05 am

    Die Rezension, Deine Fotos – wunderschön! Ich würde gerne sofort mit dem Lesen anfangen. Leider muss das Buch noch ein wenig auf meiner Wunschliste bleiben. Danke für diesen außergewöhnlichen Tip 🙂

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      April 3, 2014 at 3:54 pm

      Gern geschehen, ich freue mich sehr darüber, dich neugierig gemacht zu haben! Melde dich doch noch einmal, wenn du das Buch gelesen hast – ich wäre sehr auf deine Eindrücke gespannt! 🙂

      • Reply
        diazroya
        April 3, 2014 at 3:55 pm

        Das werde ich auf jeden Fall! 🙂

  • Reply
    skyaboveoldblueplace
    April 2, 2014 at 3:39 pm

    Liebe Mara,
    wollte nur kurz berichten, dass ich das Büchlein heute Nacht gelesen habe. Deine Besprechung passt perfekt. Und Sprosse, Streuner, Grünfeder und das Wiesel geistern noch immer in meinem Kopf herum. Sollte wirklich jeder gelesen haben.
    Liebe Grüße, Kai

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      April 4, 2014 at 2:53 pm

      Lieber Kai,

      ich freue mich so über deine Rückmeldung! 😀 Ich hoffe, dass es dir noch viele nachtun werden und das Buch viele Leser und Leserinnen finden wird – die Geschichte hätte es in jedem Fall verdient.

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    Josephine Von Blueten Staub
    April 4, 2014 at 3:43 pm

    Hi! Ich bin gerade durch BloggdeinBuch auf deine Rezension gestoßen und finde sie sehr gelungen. (Leider kam mein Rezensionsexemplar noch nicht an, deshalb musste ich jetzt meine Neugier mit den Rezensionen der anderen befriedigen…)
    Danke für das steigern meiner Spannung ins Unermessliche 😉 Liebe Grüße

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      April 6, 2014 at 2:23 pm

      Liebe Josephine,

      herzlich willkommen auf meinem Blog! Schade, dass dein Rezensionsexemplar noch nicht eingetroffen ist, was ist denn da nur schiefgelaufen? Auf der anderen Seite beneide ich dich darum, dass diese großartige Lektüre noch vor dir liegt – viel Spaß dabei!

      Liebe Grüße
      Mara

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