Krieg – Jochen Rausch

Jochen Rausch ist Journalist, Autor und Musiker und leitet seit dem Jahr 2000 Radio 1Live als Programmchef. 2008 erschien sein Roman “Restlicht”, 2011 folgte der Erzählungsband “Trieb”. Im vergangenen Herbst veröffentlichte der Berlin Verlag schließlich “Krieg”, den neuesten Roman von Jochen Rausch, der heutzutage in Wuppertal lebt. Mehr zum Autor findet man auf dessen Homepage.

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“In den Nächten hört er Schüsse, wenn es denn Schüsse sind. Manchmal hört er auch Schreie.”

Arnold Steins lebt seit vielen Jahren tief zurückgezogen in der einsamen Wildnis. Nur selten verlässt er die raue Welt der Berge, um sich auf den Weg hinunter in das Dorf zu machen, doch ab und an muss auch Arnold das Nötigste besorgen und seine Einkäufe erledigen. Sein ehemaliges Leben als Lehrer hat er schon lange hinter sich gelassen, heutzutage zieht er die Einsamkeit und Abgeschiedenheit vor. In seinem früheren Leben als Lehrer, das mittlerweile schon längst verblasst scheint, war Arnold auch verheiratet – gemeinsam mit seiner Frau hat er einen Sohn großgezogen, einen Sohn, der mittlerweile erwachsen ist und als Soldat in den Krieg gezogen ist. Jeder Weg zurück in die wirkliche Welt ist schwer, jeder Einkauf mit der Angst verbunden, das neue Zuhause zerstört wiederzufinden.

“Diesmal sind es keine Schüsse oder Schreie, die Arnold sich einbildet. Diesmal ist er überzeugt, es ist etwas mit der Hütte. Seit er am Weinregal nach einem trockenen Weißen gesehen hat, denkt er es: Die Hütte könnte in Flammen stehen. Oder ein Steinschlag ist über sie niedergegangen. Man hört auch von Einbrechern.”

Und wirklich, so allein wie Arnold zu sein glaubt, ist er nicht – eines Tages bricht ein Fremder in seine Hütte ein, zerstört seine Einrichtung und hinterlässt in den folgenden Tagen immer wieder kleine Zeichen seiner bedrohlichen Anwesenheit, bis er so weit geht, Arnolds geliebten Gefährten, seinen namenlosen Hund, schwer zu verletzen. Für Arnold ist dieser Übergriff, dieser Angriff auf alles, was ihm im Leben geblieben ist, wie eine Kriegserklärung: er besorgt sich eine Waffe und begibt sich in einen Kampf mit einem unsichtbaren Gegner, ohne Gesichte und ohne Kontur. Arnold ist bereit für den Sieg in diesem Krieg mit seinem Leben zu bezahlen.

Erst als sich Arnold in diesem Lebenskampf befindet, versteht er zum ersten Mal die eigenen Lebenszusammenhänge. Der Kampf gegen den gesichtslosen Gegner wird zunehmend ein Kampf gegen die eigene Vergangenheit, gegen die Monster im Kopf, gegen die Geheimnisse, gegen alles Dunkle, das auf seinem Leben lastet.

“Dort, wo er den Hund gefunden hat, macht er ein Kreuz. Der Bolzen hat eine bleigraue Spitze wie ein Schreibstift. Der Stift verjüngt sich, erst beim Nagelkopf am anderen Ende wird er breiter. Blut klebt daran. Sie hätten es dem Hund nicht antun sollen. Das nicht. Und das Radio hätten sie ihm auch nicht zerschlagen dürfen.”

Bereits beim Lesen des Klappentextes habe ich mich an den beeindruckenden Roman “Winter in Maine” von Gerald Donovan erinnert gefühlt, der das Leben von Julius beschreibt, das zerbricht, als jemand auf seinen Hund schießt. Auch Julius lebt einsam in einer Hütte, mitten in den Wäldern von Maine. Beiden Romanen liegt beinahe dieselbe Erzählhandlung zugrunde, doch bei diesem Roman gibt es noch eine zusätzliche Ebene, eine Ebene, die bereits im Titel angedeutet wird: der Titel “Krieg” bezieht sich nicht nur auf den Kampf, in den sich Arnold Steins begibt, sondern auch auf seinen Sohn, der als Soldat in den Krieg zieht – er wird nach Afghanistan geschickt und sein Vater bleibt mit seinen Sorgen zurück. Jochen Rauschs Roman “Krieg” wird mithilfe von zwei unabhängigen Erzählsträngen erzählt, auf der die Handlung vorangetrieben wird. Es ist gerade dieser Erzählstil, der eine unwahrscheinliche Spannung erzeugt, einen unwahrscheinlichen Sog ausübt.

In knapper Sprache und wenig Worten gelingt es Jochen Rausch ein Bild der Spannung heraufzubeschwören. In die äußere Idylle, die sich Arnold Steins mitten in den Bergen geschaffen hat, lässt er urplötzlich und mit einer unvorstellbaren Gewalt das Böse hinein brechen. Nicht nur Jochen Rauschs Hauptfigur durchläuft eine Vielzahl an Gefühlen –  vor allen Dingen Wut und Hilflosigkeit – sondern auch ich als Leserin werde durch ein wahres Wechselbad der Gefühle geführt, ein unheimlich intensives und packendes Wechselbad.

“Angst? Nein. Merkwürdigerweise nicht. Vielleicht hat er nie wieder Angst im Leben. Vielleicht überwindet der Mensch alle Angst, wenn er erst seine Träume begraben hat.”

Jochen Rausch legt mit “Krieg” eine unheimlich spannende und fesselnde Lektüre vor, so dass ich ab und an schon beinahe das  Gefühl hatte, einen Thriller zu lesen und keinen Roman. “Krieg” ist ein unheimlich vielschichtiger Roman, dessen wichtigste Aussage möglicherweise die ist, dass man – egal was man tut – nicht vor seiner Vergangenheit fliehen kann …

7 Comments

  • Reply
    Hauke
    May 2, 2014 at 12:28 pm

    “Krieg” habe ich sehr gerne gelesen. Auch einer meiner “Lesetipps”. Danke und herzliche Grüße aus Kiel!

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      May 2, 2014 at 12:44 pm

      Hallo Hauke,

      wie schön, dass es dir mit dem Roman ähnlich erging – das Einzige, das mir schwer fiel, war die Gewalt an Tieren, da musste ich doch jedes Mal schlucken. Ansonsten großartig! 🙂

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    haushundhirschblog
    May 2, 2014 at 8:10 pm

    Ganz herzlichen Dank!
    Dass man vor seiner Vergangenheit nicht fliehen kann und sich selbst immer wieder überall mit hin nimmt .. das ist ein Thema, das mich grundsätzlich interessiert.
    Immer wieder ist es spannend und schön, hier bei Dir zu lesen!

    Ganz herzliche Grüße, mb

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      May 4, 2014 at 4:57 pm

      Hallo mb,

      schön, dass dich die Thematik angesprochen hat – auch ich habe den Roman, unter anderem wegen dieser Thematik, gerne gelesen. Auch das einsame Leben mit Hund ist für mich ein ansprechendes Thema. Nur die Gewalt gegen den Tod war für mich beim Lesen sehr schwer zu ertragen …

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    Apfel
    May 4, 2014 at 9:18 am

    Das Buch ist mir bisher entgangen. “Winter in Maine” fand ich auch gut und ich mag Romane über einsam lebende Menschen total gerne, kommt also auf den Wunschzettel.

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      May 4, 2014 at 4:12 pm

      Schön, dass ich dich neugierig machen konnte! Das Buch wurde auf einigen Blogs besprochen, hat aber insgesamt nicht ganz so viel mediale Präsenz erhalten, wie es verdient gehabt hätte. Ich bin gespannt, wie es dir gefallen wird, falls du es lesen wirst. 🙂

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    »Der Stärkere besiegt den Schwächeren, so geht der Krieg« | SchöneSeiten
    January 7, 2016 at 7:04 am

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