Rosa Straußenfedern – Hanna Krall

“Dies ist ein Buch über das, was mir Menschen in fünfzig Jahren schrieben und erzählten.” Das sind die wenigen Worte, aus denen der Klappentext dieses seltsamen Buches besteht – es sind Worte, die mich sofort neugierig gemacht haben. Im Einband erfahre ich, dass Hanna Krall 1935 in Warschau geboren wurde und mit ihren Veröffentlichungen vor allem in Polen für Aufmerksamkeit sorgte, auch ein jahrelanges Publikationsverbot konnte sie nicht stoppen. Bekannt wurde sie vor allem mit ihren häufig lakonischen Reportagen.

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“Ich bin keine Pessimistin, überhaupt nicht. Ich denke nie, schade, dass ich nicht mehr vierzig bin. Ich denke, gut, dass ich noch nicht vierundsechzig bin. Ich denke, gut, dass ich eine Brasse gefangen habe und keinen Goldbarsch. Ich denke, dass mir solche Dinge wie Sonne, Wolken, Dämmerung am Wasser immer wichtiger werden.”

“Rosa Straußenfedern” ist weit entfernt von klassischer oder auch herkömmlicher Literatur, was auch immer man darunter verstehen mag. Es gibt keine Handlung, keine wirklichen Figuren, keinen roten Faden – das Einzige, das es gibt, ist ein klar abgegrenzter Zeitraum: die Jahre von 1960 bis 2009. Hanna Krall versammelt Briefe, Notizzettel, Gedankensplitter, Unterhaltungen, Ideen, Reportagematerial und ordnet all dies in eine chronologische Reihenfolge. Ihre Gesprächspartner sind berühmt, zu Wort kommt unter anderem Jan Karski, aber auch Marek Edelman. Doch es sind vor allem die unbekannten Stimmen, die unbekannten Namen, deren Geschichten berühren und bewegen.

Die Struktur des Buches ist kompliziert, ich habe mich beim Lesen zunächst einmal hineindenken müssen. Die einzelnen Abschnitte sind kurz, manchmal nur eine Seite lang, höchstens drei. Das Schriftbild ist zweigeteilt, die kursiven Passagen sind direkte Zitate ihrer Gesprächspartner, aus den anderen Stellen spricht die Stimme von Hanna Krall. Über jedem Abschnitt steht ein Name, es sind bekannte und unbekannte Namen – mit viel Gespür für das Detail und mit dem Auge einer Reporterin fasst Hanna Krall ihre Geschichten zusammen.

“Liebste Gattin, lass dich nicht unterkriegen, wir haben schon ganz andere Dinge überstanden, wir haben die Schwindsucht überstanden, die Wawel-Straße und den Verlust unserer Tulpenzwiebeln. Das Buch wird irgendwann herauskommen, das verspreche ich Dir. Vorerst gehe ich die Pferde unserer Tochter bezahlen und den dritten Band der Enzyklopädie kaufen. Ja, dein Buch ist fern, aber die Familie ist nah, vielleicht ist das gar nicht so schlecht.”

Der banale Alltag wechselt sich ab mit grausamen Erinnerungen an den Krieg. Krall ruft dem Leser alles der damaligen Zeit in Erinnerung: die Gewalt, die Grausamkeit, die Einsamkeit, der Hunger. Es gibt aber auch viele heitere und lakonische Abschnitte, wir erfahren woraus die Arbeit eines Sexers besteht, eine Berufsbezeichnung, über die ich zum ersten Mal gestolpert bin. Es wird ein Verlagsdirektor zitiert, der Hanna Kralls Buch ablehnt, Seite an Seite mit Briefen ihrer Tochter Katarzyna, die der Mutter aus dem Ferienlager schreibt. Auch mit der quälenden Frage der Berufswahl ihres Enkels, beschäftigt sich die Autorin.

Hanna Krall erzählt keine Geschichte, es bleibt dem Leser überlassen, die Geschichte, die sich in diesem 200 Seiten schmalen Buch verbirgt, aufzuspüren und zu entdecken. Die Geschichten der anderen, macht Hanna Krall zu ihrer eigenen, verleibt sie sich ein und erzählt sie nach. Der rote Faden ist – wenn man so mag – der Verlauf der Zeit. Hanna Krall richtet ihren Blick auf die großen sowie die kleinen Katastrophen unserer jüngsten Geschichte, sie lässt Holocaust-Überlebende zu Wort kommen und Solidarnosc-Aktivisten und wir lernen eine angebliche Attentäterin Lenins kennen.

“Ich bin überhaupt nicht melancholisch. Mir genügt eine kleine, winzige Freude am Tag. Mir genügt der Gedanke, dass diese Freude noch auf mich wartet. Manchmal ist es eine gute Zigarre. Manchmal … Sie werden es nicht glauben. Manchmal ein Stück Fruchtgelee – süß, mit Bitterschokolade überzogen -, das ich abends esse.”

Hanna Krall legt mit “Rosa Straußenfedern”  ein wahrlich seltsames Buch vor. Ein Buch, das sich entzieht, das sich sperrt und verweigert – es ist nicht leicht, einen Zugang zu finden, zur Sprache von Hanna Krall, aber auch zu den hier versammelten Erinnerungen und Gedankensplittern. Und doch hat mich die Lektüre seltsam angerührt, all die Geschichten, Erinnerungen und Erlebnisse fremder und bekannter Menschen hallen auch jetzt immer noch in mir nach und ich ertappe mich dabei, wieder und wieder zu dem Buch zu greifen und in diese Lebensgeschichten einzutauchen.

12 Comments

  • Reply
    jancak
    May 19, 2014 at 2:23 pm

    Habe von Hanna Krall den Erzählband “Hypnose” gelesen und die Texte, die sie zu Teofila Reich-Ranickis Aquarelle übers Warschauer Ghetto geschrieben hat, die mich sehr beeindruckten

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      May 21, 2014 at 1:37 pm

      Liebe Eva,

      für mich war dies das erste Buch von Hanna Krall, aber sicherlich nicht das letzte – ihre Erzählstimme hat mich unheimlich berührt und beeindruckt. Schade, dass Bücher wie dieses nicht die ihnen gebührende Aufmerksamkeit erhalten.

      Liebe Grüße
      Mara

      • Reply
        jancak
        May 22, 2014 at 1:39 am

        Tun sie das nicht?

        • Reply
          buzzaldrinsblog
          May 22, 2014 at 9:24 am

          Also über dieses Buch habe ich bisher weder auf Blogs noch in Feuilletons gelesen, auch würde ich es wohl nie zufällig im Thalia oder Hugendubel finden – also: nein, ich befürchte, dass Bücher wie dieses von Hanna Krall nicht genügend Aufmerksamkeit bekommt.

          • jancak
            May 22, 2014 at 4:02 pm

            Na dann lesen wir sie halt, mir ist der Name ein Begriff, aber es ist richtig, daß ich in Buchhandlungen nicht besonders danach Ausschau halte. Dafür habe ich heute im Schrank ein Buch von Gina Kaus gefunden

          • buzzaldrinsblog
            May 25, 2014 at 7:55 am

            Klar, wir lesen sie – wenn ich aber realistisch bin, sind meine Möglichkeiten, für Aufmerksamkeit zu sorgen, wohl eher gering … 😉

  • Reply
    skyaboveoldblueplace
    May 20, 2014 at 11:13 am

    Liebe Mara,
    ich habe vor gut 20 Jahren den Band ‘Legoland’ von Hanna Krall gelesen, das sind Reportagen/Erzählungen “über das Leben vor dem Untergang und das Leben der noch einmal Davongekommenen” , so nannte es die Zeit in einem Artikel über das Buch (http://www.zeit.de/1991/10/gier-nach-leben) und das trifft es genau.
    Ich habe diese Reportagen damals wegen ihres sachlichen, ja lakonischen Stils sehr bewundert – und nun kommst Du mit diesem ‘seltsamen’ Buch. Wie Du es beschreibst finde ich mal wieder großartig und sehr nachvollziehbar – und Dein Text hat mich dazu gebracht, es sofort zu bestellen, d.h. ich muss sofort mindestens 3 andere Bücher in die Momox-Kiste geben… aber ich mag nunmal seltsame, ein wenig sperrige Bücher.
    Danke für die Besprechung und liebe Grüße, Kai

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      May 21, 2014 at 1:41 pm

      Lieber Kai,

      ach, als ich deinen Kommentar gestern las, habe ich mich so gefreut – wie schön, dass ich dich sogar gleich zu einer Bestellung animieren konnte! Mich hat die Erzählstimme von Hanna Krall unheimlich beeindruckt, ich mag ihren lakonischen Ton – “Rosa Straußenfedern” lässt sich wirklich schnell lesen und doch musste ich immer wieder zurückblättern, “wieder”lesen, “neu”lesen. Es war eine unheimlich berührende Lektüre und hoffentlich nicht das letzte Buch, das ich von Hanna Krall gelesen haben werde – “Legoland” habe ich gleich mal auf meine Wunschliste gesetzt.

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    Brigitte
    May 20, 2014 at 6:03 pm

    Liebe Mara,
    Hanna Krall ist eine meiner Lieblinge, ohne sie kann ich mir mein Leseleben nicht mehr vorstellen.
    Die “Rosa Straußenfedern” – sind es nicht auch Erinnerungsfetzen, Stimmer derer, die immer weniger werden, immer seltener zu hören sind, weil sie schlicht sterben, einer nach dem anderen, es sind diese Fetzen, die von ihrem Leben übrig bleiben.
    Wie ein Lauschen “in den Wind”, so kommt mir Hanna Kralls Spurensuche vor, hier hört sie etwas, dort erinnert sie sich selbst. Nicht mehr das Ganze, zumindest zusammenhängender wie vor Jahren, wie in ihren ersten Büchern, sondern sporadischer werdend – ich weiß nicht, wie ich das ausdrücken soll. Aber mir erscheint es eine zwangläufige Entwicklung zu sein. Die Stimmen werden weniger, die Lücken größer … und irgendwann, da müssen Bücher wie dieses reichen.

    Liebe Grüße
    Brigitte

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      May 21, 2014 at 1:33 pm

      Liebe Brigitte,

      ohne deine Besprechung vor einigen Jahren bei den Eulen, hätte ich dieses Buch wohl nie in die Hand genommen. Eines Tages lag es plötzlich in meiner Lieblingsbuchhandlung aus, ich erinnerte mich an deine Worte und musste es einfach mit nehmen.
      Deinem Kommentar kann ich mich nur anschließen, ich glaube, dass es zunehmend wichtiger wird, diese Erinnerungsfetzen zu konservieren, denn bald haben wir niemanden mehr, der von dem erzählen könnte, was passiert ist. Erst heute habe ich Per Leos Roman ausgelesen und auch wenn der Titel etwas verrutscht ist (“Flut und Boden”), kann ich dir den Roman nur wärmstens empfehlen.
      Von Hanna Krall möchte ich nun unbedingt noch mehr lesen, gibt es etwas, dass du mir besonders ans Herz legen könntest?

      Liebe Grüße aus dem heute sonnigen Göttingen
      Mara

      • Reply
        Brigitte
        May 22, 2014 at 5:13 pm

        Unbedingt: “Da ist kein Fluss mehr” (es ist vielleicht ihr bekanntestes Buch), ganz unbedingt: “Existenzbeweise” und noch unbedingter (weil es mein Lieblingsbuch von ihr ist): “Herzkönig”.

        Und als krassen Kontrast dazu, weil es aber trotzdem irgendwie zusammengehört: Jerzy Andrzejewski “Warschauer Karwoche” (auch “Die Karwoche” – A. war zeitweise glühender Kommunist, ist heftig kritisiert worden wegen seines Lavierens oder Nichtlavierens, die Figuren in dem Buch sind vielleicht ein bisschen plakativ, aber ich habe den Roman dennoch als sehr intensives Leseerlebnis empfunden).

        Lieben Gruß
        Brigitte

        • Reply
          buzzaldrinsblog
          May 25, 2014 at 7:53 am

          Liebe Brigitte,

          danke für all diese Tipps, sie sind alle in meinem dicken Wunschlistenbuch notiert und ich hoffe, ich komme bald dazu mir die Bücher zu besorgen und sie zu lesen – ich bin immer noch beeindruckt von den Rosa Straußenfedern und freue mich bereits sehr auf weitere Lektüre. Wobei ich gar nicht weiß, ob freuen in diesem Zusammenhang der richtige Begriff ist.

          Ich danke dir auf jeden Fall für die schönen Empfehlungen und sende sonnige Grüße aus Göttingen!
          Mara

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