Von hier nach da: Briefe, 2008 – 2011 – Paul Auster und J.M. Coetzee

Zwei Menschen, die sich Briefe schreiben – wirkliche Briefe, die mit einem Stift auf Papier geschrieben und durch die halbe Welt geschickt  werden – sind aufgrund der heutigen technischen Möglichkeiten, eine Seltenheit. Paul Auster und J.M. Coetzee machen jedoch genau das; das Höchste der technischen Gefühle, ist ein Faxgerät, das von beiden ab und an genutzt wird. Diese Abneigung gegenüber der modernen Technik ist etwas, das beide Autoren miteinander verbindet. Paul Auster besitzt weder ein Handy, noch schreibt er E-Mails und doch dürfen sich beide als Romanautoren dem Fortschritt nicht ganz verweigern, zumindest solange man keine historische Schinken schreiben möchte.

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“Ich schätze altmodische Briefe mit Briefmarken darauf außerordentlich, aber in diesem Fall habe ich das Gefühl, so lange außer Gefecht gewesen zu sein, dass ich die Energie des Internets einspannen muss.”

Fast 300 Seiten, auf denen Briefe von zwei – naja, nicht mehr ganz jungen – Schriftstellern versammelt werden … die Frage, warum man das lesen sollte ist sicherlich nicht ganz unberechtigt. In den Briefen wechseln sich philosophische Diskussionen über Freundschaft ab mit banalen Alltagsgesprächen (Paul Auster berichtet, dass Siri Hustvedt an Weihnachten den Rotkohl vergessen hat). Politische Diskussionen über Israel, den arabischen Frühling oder auch den Zusammenbruch der Finanzmärkte stehen Seite an Seite mit Gedanken über die Faszination des Sports, denn beide Männer verbringen immer wieder Stunden damit, sich Sport im Fernsehen anzuschauen. Viele der Themen, die Auster und Coetzee in ihrem Briefverkehr anreißen, bleiben jedoch seltsam oberflächlich. Was sollte auch zwei Schriftsteller dazu befähigen, über Israel oder Libyen zu diskutieren? Was können beide, neben der Tatsache, dass sie bedeutende Autoren sind, zu einer solchen Diskussion überhaupt beitragen? Leider nicht wirklich viel. Die Finanzkrise wird von J.M. Coetzee als Krise der Zahlen bezeichnet, die Lösung ist denkbar simpel: einfach neue Zahlen erfinden und von vorne beginnen. Auch für den Konflikt in Israel hat Paul Auster eine praktisch handliche Lösung: warum die ganzen Israelis nicht einfach nach Wyoming umsiedeln, das Problem wäre gelöst.

“Ich sage mir, dass sollte mich nicht überraschen; so geht es nun einmal, wir alle sind sterblich, der Tod kann uns jederzeit holen, aber solch allgemeine Betrachtungen bieten nicht den geringsten Trost. Es zerreißt einem das Herz. Es gibt schlicht kein Mittel dagegen.”

Briefe üben auf mich eine ähnliche Faszination aus, wie Tagebücher: das Lesen hat ein voyeuristisches Element, eine Ebene, die aus Tratsch und Lästereien besteht, daraus, sich dem unverfälschten Bild eines Menschen zu nähern. Bei den Briefen von Paul Auster und J.M. Coetzee bleibt unklar, ob sie auf eine Veröffentlichung hin geschrieben wurden, oder ob man sich erst später dazu entschied, sie zu veröffentlichen. Der Eindruck, der bei mir entstanden ist, ist der einer zu glatten Oberfläche – ohne Risse und Sprünge. Auster und Coetzee üben sich in einer seltsamen gegenseitigen Zustimmung, die irgendwann allzu harmonisch und flach wirkt. Kaum einmal widersprechen sie einander, kaum einmal sind sie konträrer Meinung.

“Wir leben in einer Zeit endloser Schreibworkshops, Schreibkurse (stell Dir vor, ein Examen in Schreiben zu machen), es gibt mehr Dichter pro Quadratzentimeter als je zuvor, mehr Lyrikzeitschriften, mehr Lyrikbände (99% davon in mikroskopisch kleinen verlagen), Poetry Slams, Performance-Dichter, Cowboy-Dichter – aber trotz all dieser Betriebsamkeit kommt dabei kaum etwas Bemerkenswertes heraus.”

“Von hier nach da” ist an den Stellen am stärksten, an denen sich beide ihrem eigentlichen Metier zuwenden: der Literatur. Die Bücher des jeweils anderen werden höflich analysiert (Coetzee hat “Unsichtbar” verschlungen) und auch über andere Schriftsteller wird kaum ein böses Wort verloren. Und doch erhält man seltsam intime Eindrücke in die Arbeit eines Literaten, beide reisen von Festival zu Festival und doch tut sich J.M. Coetzee auch mit siebundsechzig Jahren noch schwer, persönliche Fragen zu beantworten. Besonders faszinierend sind die Passagen, in denen es um Kritik an den eigenen Büchern geht und wie man damit umgehen kann. J.M. Coetzee erhält einen Brief einer Leserin, die ihm antisemitische Tendenzen unterstellt, weil sie zwischen Autor und literarischer Figur nicht unterscheiden kann. Paul Auster hat es in der Zwischenzeit ganz aufgegeben, Kritiken seiner Bücher zu lesen – sie setzen ihm zu sehr zu. An einer anderen Stelle entspinnt sich – angelehnt an Derrida – ein faszinierender Dialog über die Muttersprache. Auch über die neuen technischen Entwicklungen des Lesens wird diskutiert, Paul Auster begrüßt das E-Book und den E-Reader, während J.M. Coetzee bedauert, dass es in der heutigen Zeit immer weniger um das Buch an sich geht.

“[…] kürzlich habe ich eine Alumnus-Zeitschrift einer Universität in Südafrika bekommen. Darin war auch ein Artikel, der die Eröffnung einer neuen Universitätsbibliothek feierte, ausgestattet mit Computerarbeitsplätzen, Studienkabien, Seminar- und zahllosen Arbeitsräumen. Ich habe den Artikel gelesen und noch einmal gelesen, um sicherzugehen. Ich hatte recht. Das Wort Buch tauchte nicht ein einziges Mal auf.”

Paul Auster und J.M. Coetzee legen mit “Von hier nach da” einen Briefwechsel voller Stärken und Schwächen vor. Thematisch zusammengehalten werden die Briefe von der losen inhaltlichen Klammer der Freundschaft, die die ersten und letzten Briefe dieses Bandes bestimmt. Nicht alles davon ist substantiell, aber vieles ist interessant, besonders dann, wenn es um die Literatur geht. Vieles ist ab und an auch humorvoll. Doch das Gefühl, zwei Schriftstellern wirklich näher gekommen zu sein, das habe ich leider nicht.

11 Comments

  • Reply
    wildgans
    May 26, 2014 at 11:41 am

    Von Deinem letzten Satz will ich mich nicht abbringen lassen, alles Andere klingt doch zu gut, liegt es doch sehr nahe meinen eigenen Leseinteressen!
    Der Einband sieht schön anmutend sinnlich gestaltet aus!

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      May 26, 2014 at 11:42 am

      Mein letzter Satz spiegelt ja zum Glück auch nur meinen persönlichen Eindruck wieder. Um den Autoren näher zu kommen (und mein voyeuristisches Interesse zu befriedigen), war es mir einfach zu glatt – daneben gibt es aber auch viel Interessantes, viele Gedanken mit Substanz.
      Ich wäre sehr gespannt, wie dir die Briefe gefallen! 🙂

  • Reply
    jancak
    May 26, 2014 at 1:35 pm

    Sehr interessant, ich habe Bücher von beiden Autoren auf meiner Leseliste

  • Reply
    fraupixel
    May 27, 2014 at 8:16 am

    Ich lese furchtbar gern Briefe von anderen Menschen 😉 Ich glaube Denis Scheck hat das einmal über die Tagebücher von Walser gesagt: “Wenn man einen Autor verehrt, möchte man von ihm einfach alles lesen. Sogar den Einkaufszettel!” Ich finde Briefbücher interessant, weil sie meistens keinem Spannungsbogen folgen und die Gedanken so vor sich hin laufen.

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      May 27, 2014 at 10:06 am

      Ich teile die Leidenschaft dafür, Briefe anderer Menschen zu lesen und lese auch gerne Tagebücher. Auch den Satz von Denis Scheck mag ich in diesem Zusammenhang sehr, es gibt einige Autoren und Autorinnen, von denen ich wohl in der Tat sogar einen Einkaufszettel lesen würde. In diesem Fall waren mir die Briefe jedoch einfach ein wenig zu glatt, wodurch mir die Möglichkeit fehlte, den beiden Schriftstellern wirklich näher zu kommen. Und darum geht es doch eigentlich auch beim Lesen von Briefen, oder? 🙂

  • Reply
    skyaboveoldblueplace
    May 27, 2014 at 3:31 pm

    Liebe Mara,
    bei allem Für und Wider – ich werde auf jeden Fall bei Gelegenheit mal in den Briefwechsel hineinlesen, denn beide Autoren finde ich großartig. Wenn es dann nix ist wird es nicht gekauft. Aber spannend finde ich es erstmal doch.
    Danke jedenfalls für Deine offene Besprechung und den Hinweis, ohne den mal wieder eine vielleicht interessante Publikation an mir vorbei gegangen wäre.
    Liebe Grüße, Kai

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    Meine Buchtipps
    May 28, 2014 at 12:41 pm

    ich MUSS mich endlich mal mit paul auster beschäftigen.

    seine frau liegt hier ja auch immer noch am SuB…. himmel, warum dauert manches immer so lange? 🙂

    lg petra

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      June 4, 2014 at 4:47 pm

      Liebe Petra,

      das neue Buch von Siri Hustvedt liegt hier auch schon, ich möchte es unbedingt bald lesen … aber irgendwie rennt die Lesezeit schneller als man das möchte davon. 🙂

  • Reply
    laura
    May 28, 2014 at 6:01 pm

    Danke für den Hinweis und die differenzierte Besprechung dieses Briefwechsel-Buches. Da ich vor kurzem meinen ersten Coetzee las, war ich erstaunt festzustellen, dass er den von mir geschätzten Auster kennt… Ich bewundere es, dass man selbst im sog. digitalen Zeitalter weiter an der Tradition festhält, handschriftliche Briefe zu verfassen. Auch wenn ich selbst manchmal solche schreibe, kann man sich doch als Endzwanziger nicht komplett gegen Emails, Blogs und Co “wehren” – das will ich auch gar nicht 😉 Aber ich fürchte, das Buch muss warten, weil ich grad wenig Zeit und Muße auf Bücher habe, die so an der Oberfläche bleiben… das wird schon in den von dir gewählten Zitaten deutlich.

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      June 4, 2014 at 4:46 pm

      Liebe Laura,

      ich mag Coetzee als Schriftsteller sehr gerne, mit Paul Auster tue ich mir schwer und doch war ich sehr gespannt auf den Briefwechsel. Leider bleibt dieser in der Tat viel zu stark an der Oberfläche kleben, es gibt wenig Tiefgang, wenig Überraschendes. Die Rückwärtsgewandtheit beider Autoren fand ich auch spannend, Auster tippt seine Texte ja sogar auf einer alten Schreibmaschine.

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    Jesus in Amerika – Der Briefwechsel zwischen Paul Auster und John Maxwell Coetzee | skyaboveoldblueplace
    November 18, 2014 at 4:25 pm

    […] Maras Blog Buzzaldrins Bücher vom 26.05.2014  >>> daher habe ich den Hinweis auf dieses Buch, danke nochmal, Mara! >>> http://buzzaldrins.de/2014/05/26/von-hier-nach-da-briefe-2008-2011-paul-auster-und-j-m-coetzee/ […]

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