Eine strahlende Zukunft – Richard Yates

30 Jahre lang musste das deutsche Publikum auf diesen Roman warten, der im Original 1984 erschien und den Titel “Young hearts crying” trägt, doch nun liegt er endlich in der hervorragenden Übersetzung von Thomas Gunkel vor. “Eine strahlende Zukunft” ist die letzte Veröffentlichung von Richard Yates gewesen, dem die große Anerkennung zu seinen Lebzeiten verweigert wurde. Auch in diesem Roman widmet er sich erneut seinen zentralen Themen: dem Leben, der Vorstadthölle, der Ehe und wie all dies zu Bruch gehen kann, schleichend und doch unaufhaltsam.

“Mit dreiundzwanzig hatte Michael Davenport gelernt, seiner eigenen Skepsis zu trauen. Er hielt nichts von Mythen oder Legenden, nicht einmal in Gestalt allgemeiner Annahmen; er wollte stets zur wahren Geschichte vordringen.”

Richard Yates

Richard Yates seziert in “Eine strahlende Zukunft” das zerbrechliche Konstrukt der Ehe und die Fragilität von Lebensträumen. Im Zentrum des Romans steht der Schriftsteller Michael Davenport, der Gedichte und Theaterstücke schreibt und seine junge Ehefrau Lucy Blaine. Beide haben jung geheiratet, erst nach der Hochzeit erfährt Michael, dass er nicht nur eine Tochter aus gutem Hause geheiratet hat, dies hat er bereits geahnt, sondern dass Lucy über ein Millionenerbe verfügt. Für Michael ist es unvorstellbar, vom Geld seiner Frau zu leben, statt in Saus und Braus zu leben, hausen sie mit ihrer Tochter Laura in ärmlichen Verhältnissen. Es zieht sie immer weiter weg aus New York, von Vorort zu Vorort – immer auf der Jagd nach dem Glück.

“Nichts ist unordentlich, nichts verkorkst, nichts aus den Fugen. Wahrscheinlich will man genau das, wenn man … verheiratet ist und eine Familie und alles hat. Es dürfte Millionen von Menschen geben, die alles dafür geben würden, hier wohnen zu können […].”

Doch Glück stellt sich bei den Davenports irgendwie nicht so wirklich ein. Michael bleibt ein erfolgloser Dichter, die Erfolge, die er feiert, sind klein. Mit seiner Arbeit als Schriftsteller kann er kaum zum Lebensunterhalt seiner Familie beitragen. Lucy lebt ein Leben im Schatten ihres Mannes, immer auf seinen großen Durchbruch wartend und zunehmend unzufrieden. Sie leidet vor allem unter den zweckmäßigen Wohnverhältnissen, in denen sie leben. Die Unzufriedenheit gipfelt irgendwann in einer Trennung und einer anschließenden Scheidung, das, was sich beide einstmals erhofft hatten, konnte sich nie erfüllen.

“Die Ehe ist wirklich seltsam […]. Man kann jahrelang miteinander leben, ohne zu wissen, mit wem man da verheiratet ist. Das ist doch ein Rätsel.”

Anschließend begleitet Richard Yates das weitere Leben seiner beiden Hauptfiguren: beide bleiben weiterhin auf der atemlosen Suche nach dem großen Glück, ohne eigentlich genau zu wissen, wie dieses große Glück aussehen könnte. Wechselnde Partnerschaften, die meistens in schnellen Trennungen ändern, kennzeichnen den weiteren Lebensweg von Lucy und Michael. Der Moment, in dem beide jung waren und sich Hals über Kopf ineinander verliebten, ist lange her – das Leben ist mittlerweile schal geworden. Beide sind voneinander geschieden, doch ihre Abstürze ähneln einander und werden im Absturz der gemeinsamen Tochter, die zum Hippie mutiert und den Halt im Leben verliert, gespiegelt.

“Ich weiß, was du meinst, aber ich bin nicht deiner Meinung. Ich habe immer schon deine Ansicht zu allem gekannt; das war nie das Problem. Das Problem ist, dass ich nie deiner Meinung war – kein einziges Mal -, und das Entsetzliche ist, dass ich das erst in den letzten Monaten begriffen habe.”

Richard Yates widmet sich in “Eine strahlende Zukunft” den alltäglichen kleinen Dramen: “Eine strahlende Zukunft” ist Ehe- und Lebensroman, der Titel enthält dabei eine feine Ironie, denn das Strahlen der Zukunft von Michael und Lucy verblasst schnell. Lucys geerbte Millionen, sind ein strahlendes Versprechen, das verblasst und nie eingelöst wird, da Michael zu stolz ist, als dass er von dem Geld seiner Frau leben möchte. Das Bild der strahlenden Zukunft suggeriert eine Sehnsucht, die im Leben von Lucy und Michael nie eingelöst werden kann. Richard Yates legt mit “Eine strahlende Zukunft” aber auch einen Künstlerroman vor, denn Lucy und Michael bewegen sich beide im Künstlermilieu und umgeben sich mit Künstlerfreunden. Michael ist Schriftsteller und auch Lucy probiert sich im Schreiben und im Malen aus, doch bei beiden Tätigkeiten findet sie nicht die Anerkennung, die sie sich wünscht. Als sich Michael und Lucy auf den letzten Seiten des Romans nach vielen Jahren wiedertreffen, stoßen sie mit einem Glas Wein an und kommen zu dem Schluss: “Scheiß auf die Kunst.” 

“Scheiß auf die Kunst, okay? Ist es nicht witzig, dass wir ihr ein Leben lang nachgejagt sind? Dass wir unbedingt all denen nahestehen wollten, die sie zu begreifen schienen, als könnte uns das weiterhelfen; dass wir nie aufhörten, uns zu fragen, ob sie nicht hoffnungslos unseren Horizont übersteigt – oder vielleicht gar nicht existiert?”

Wenn man sich den Lebensweg von Richard Yates anschaut, dann überkommt einem das Gefühl, dass hier nicht nur eine von seinen Hauptfiguren spricht, sondern vielleicht auch der Autor selbst, der ein Leben lang als Schriftsteller um Anerkennung gekämpft hat. Vielleicht ist es kein Zufall, dass dies der letzte Roman von Richard Yates gewesen ist.

“Eine strahlende Zukunft” ist eine großartige Nahaufnahme des Scheiterns von Ehen und Träumen, die Sprache ist nüchtern und legt gleichzeitig die Wünsche und Sehnsüchte der Figuren schonungslos offen. Richard Yates ist für mich ohne Frage einer der besten amerikanischen Schriftsteller und auch nach diesem Roman ist es für mich unbegreiflich, wie lange dieser Autor unbekannt und unentdeckt bleiben konnte. Die Anerkennung wurde ihm zu Lebzeiten verweigert, doch lesen kann man Richard Yates immer noch. Lesen muss man Richard Yates immer noch.


Yats

16 Comments

  • Reply
    Bri
    July 16, 2014 at 2:25 pm

    Ah, das erinnert mich thematisch stark an John Cheevers “Die Lichter von Bullet Park” – 1969 im Original erschienen. Und an das Lied “little boxes” von Malvina Reynolds … http://www.youtube.com/watch?v=2_2lGkEU4Xs

    • Reply
      Mara
      July 16, 2014 at 2:27 pm

      Danke für den Liedtipp, ich mag so was immer gerne, die passende Musik zum Roman. 🙂
      Die Ähnlichkeiten zu John Cheever sind in der Tat nicht von der Hand zu weisen, “Die Lichter von Bullet Park” habe ich übrigens auch sehr gerne gelesen. Im Laufe der Jahre ist es etwas verloren gegangen, aber ich habe ein großes Faible für amerikanische Literatur (Roth, Cheever, Wolff, Ford, etc.). 🙂

      • Reply
        Bri
        July 16, 2014 at 2:30 pm

        Ja, das merkt man – das Faible für amerikanische Literatur 😉 Ich übrigens mittlerweile auch. Früher war ich europäischer orientiert. Aber die Amerikaner nehmen Literatur einfach ernst – als Beruf, Berufung und nicht als brotlose Kunst, wie es hier leider häufig angesehen wird. Sie sind begnadete Erzähler und bringen jungen Menschen das Handwerkszeug bei, was es dazu braucht. Das finde ich klasse.

        • Reply
          Mara
          July 18, 2014 at 6:34 pm

          Bei mir war es lustigerweise der umgekehrte Weg, ich war erst ganz auf amerikanische Literatur fixiert und habe dann durch meinen Blog begonnen, mich auch für europäische und besonders deutschsprachige Literatur zu öffnen und zu entdecken, dass es hier auch richtig gute Texte gibt. Mit den Amerikanern verbindet mich dann aber doch etwas Besonderes, was du in deinem Kommentar in sehr treffenden Worten auch auf den Punkt bringst – danke dafür. 🙂

  • Reply
    7o9
    July 16, 2014 at 3:25 pm

    Ui das merk ich mir vor. Revolutionary Road fand ich schon umwerfend gut. Tolle Review 🙂

    • Reply
      Mara
      July 18, 2014 at 6:30 pm

      Danke! 😀 Revolutionary Road fand ich auch klasse, genauso wie Easter Parade – dieses hier ist aber definitiv auch sehr lesenswert! 🙂

  • Reply
    Lara
    July 16, 2014 at 4:25 pm

    Danke für diese gute Bewertung. Das Buch werde ich demnächst auch lesen 🙂
    Lg, Lara

    • Reply
      Mara
      July 18, 2014 at 6:30 pm

      Viel Spaß bei der Lektüre, liebe Lara – ich bin schon ganz gespannt darauf, wie es dir gefallen wird! 😀

  • Reply
    Mareike
    July 16, 2014 at 8:04 pm

    Das klingt wirklich sehr vielversprechend! Ich freue mich schon auf das Buch. 🙂
    Liebe Grüße und vielen Dank für die schöne Rezension
    Mareike

    • Reply
      Mara
      July 18, 2014 at 6:29 pm

      Liebe Mareike,
      ich bin schon gespannt, wie du die Lektüre empfinden wirst! 🙂 Mir hat das Buch sehr gut gefallen, “Easter Parade wird aber mein Lieblingsbuch von Yates bleiben, da reich auch dieses nicht heran.

      Sonnige Grüße
      Mara

  • Reply
    kai60
    July 18, 2014 at 3:07 pm

    Liebe Mara,

    ich muss leider zugeben, dass ich von Richard Yates immer noch nichts gelesen habe, irgendwie habe ich im Moment andere Bücher vor der Nase – ABER mit dieser und Deinen anderen Posts Yates hast Du mien Interesse wieder mal geweckt. Was würdest Du denn als ‘Einstiegslektüre’ empfehlen. Es muss nicht unbedingt das seitenstärkste sein… Ich habe gesehen, es gibt auch einen Band Short Stories von ihm. Kennst Du den. Vielleicht lohnt es sich ja, damit anzufangen? Im übrigen erinnert mich Deine Besprechung ein bisschen an John Updike und seine Rabbit-Romane. Der hatte ja auch SEIN grosses Thema, also das Scheitern des Durchschnittsamerikaners (wenn es ihn den gibt) – und den habe ich sehr gerne gelesen.
    Liebe Grüsse, Kai

    • Reply
      Mara
      July 18, 2014 at 6:23 pm

      Lieber Kai,

      ach wie schön, dass ich dein Interesse an Richard Yates doch noch wecken konnte! 🙂 Er ist einer meiner absoluten Lieblingsautoren, ich habe ihn zum ersten Mal vor vielen Jahren gelesen, noch lange bevor Revolutionary Road in die deutschen Kinos kam und mich dann sehr darüber gefreut, dass er immer stärker wahrgenommen wird. Die Short Stories von ihm (11 Arten der Einsamkeit) habe ich sehr gerne gelesen, zum Einstieg sind sie sicherlich empfehlenswert – eben weil sie auch nicht so seitenstark sind. “Easter Parade” liegt mir am meisten am Herzen, das würde ich dir ansonsten auch empfehlen! 🙂

      Liebe Grüße
      Mara

      • Reply
        kai60
        July 19, 2014 at 10:22 am

        Liebe Mara,
        danke für die Tipps. Ich werde mir dann doch mal den Roman besorgen und auf den wachsenden Stapel legen, bin ja doch am Ende eher ein Romanleser… Jedenfalls werde ich ihn so nicht mehr aus den Augen verlieren, denn meine Stapelbücher lese ich dann doch früher oder später immer…
        Liebe Grüsse, Kai

        • Reply
          Mara
          July 23, 2014 at 1:48 pm

          Lieber Kai,

          ich kann das sehr gut verstehen, auch ich lese lieber Romane – nur wenige Kurzgeschichtenbände konnte mich bisher begeistern. Ich bin auf jeden Fall schon jetzt sehr gespannt, wie dir Yates gefallen wird. 🙂

          Liebe Grüße
          Mara

  • Reply
    Lesemanie
    July 21, 2014 at 3:35 pm

    Spätestens seit ich Revolutionary Road verschlungen habe, ist lese ich kaum lieber über scheiternde Ehen (und Leben) als bei Yates. Ich weiß immer im Vorfeld, dass ich gleich wieder mit Tränen in den Augen da sitzen werde, aber die Sprache ist immer so toll und die Charaktere so umwerfend entworfen, dass ich nicht widerstehen kann. Vielen Dank für die tolle Rezension und den Tipp – ein Buch für die Liste 🙂

    • Reply
      Mara
      July 23, 2014 at 1:34 pm

      Vielen Dank für deinen Besuch und Kommentar, ich freue mich! 🙂 Schön, dass wir die Liebe zu Yates teilen, auch ich lese unheimlich gerne darüber, wie er Ehen scheitern lässt und manchmal ja auch ganze Leben. Hast du auch die Verfilmung von Revolutionary Road gesehen? Sehr empfehlenswert, aber natürlich nicht ganz so toll wie das Buch. 😉

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