H wie Habicht – Helen Macdonald

In H wie Habicht erzählt Helen Macdonald ihre eigene Geschichte, es ist eine Geschichte der Trauer und des Verlustes. Gleichzeitig ist es auch eine Geschichte über die Falknerei und einen Habicht. Es ist schwer, das Buch einem Genre zuzuordnen – eines lässt sich aber auch so sagen: ich habe selten zuvor ein so beeindruckendes und berührendes Buch gelesen.

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Die Landschaft heißt Brecklands – das gebrochene, zerklüftete Land -, und dort fand ich mich an diesem Morgen zu Beginn des Frühjahrs vor sieben Jahren wieder, auf einer Reise, die ich ganz und gar nicht geplant hatte.

Helen Macdonald träumt bereits als Kind davon, Falknerin zu werden. Während andere Kinder von Hunden oder Pferden träumen oder Poster von Popstars an den Wänden hängen haben, beschäftigt sich Helen mit großer Ernsthaftigkeit mit der Falknerei: sie liest Sach- und Fachbücher über das atzen, ballieren und kröpfen. Schon als Kind richtet sie ihren ersten eigenen Falken ab. Trotz dieser großen Leidenschaft, wird Helen nicht Falknerin, sondern Universitätsdozentin – das Interesse an der Falknerei verliert sich sogar ein wenig im Laufe der Jahre. Erst als ihr geliebter Vater überraschend stirbt, beginnt Helen wieder damit, sich der Falknerei zu widmen. Als Habicht Mabel bei ihr einzieht, ahnt sie noch nicht, wohin sie die gemeinsame Reise mit ihr führen wird.

Die Suche nach Habichten ist wie die Suche nach Gnade: Sie wird einem gewährt, aber nicht oft, und man weiß nie, wann oder wie. Etwas besser stehen die Chancen an einem stillen, klaren Morgen im Vorfrühling, denn dann verlassen die Habichte ihre Welt in den Bäumen und vollführen ihre Balzflüge am offenen Himmel. Darauf hoffte auch ich an jenem Morgen.

In H wie Habicht geht es vordergründig um die Falknerei, um den Habicht, das Abrichten und Greifvögel ganz allgemein, daneben – und das ist der zweite Erzählstrang – geht es aber auch um den Schriftsteller T. H. White, der mit The Goshawk das Standardwerk der Falknerei vorgelegt hat. Das, was dieses Buch jedoch zusammenhält und trägt, ist für mich vor allen Dingen die Trauerarbeit der Autorin. Helen Macdonald verliert durch den überraschenden Tod ihres Vaters den Boden unter den Füßen. Ihre einzige Möglichkeit, diesen schweren Verlust aufzuarbeiten, sieht sie in dem Wunsch einen Habicht zu zähmen. So ist H wie Habicht nicht nur eine Geschichte der Falknerei, sondern gleichzeitig auch die Geschichte einer trauernden Frau und ihrer beschwerlichen Rückkehr ins Leben. Helen Macdonald wirft einen erschreckenden Blick auf das, was man in Zeiten tiefer Trauer erleben kann: auf die Angst, die bodenlose Traurigkeit, auf tiefe Einsamkeit und Depressionen. Für Helen ist Mabel irgendwann das einzige, was sie am Leben hält – genauso wie das Buch von T.H. White.

Das Buch, das Sie lesen, ist meine Geschichte, nicht die Biografie von Terence Hanbury White. Gleichwohl ist White Teil meiner Geschichte. Ich kann ihn nicht unerwähnt lassen, denn er war da. Als ich meinen Habicht abtrug, hielt ich gewissermaßen stille Zwiesprache mit den Taten und Werken eines längst verstorbenen Mannes, der argwöhnisch, mürrisch und entschlossen war zu verzweifeln.

Ich glaube, dass H wie Habicht ein großartiges Buch über Trauerarbeit ist. Es ist zunächst nicht ganz einfach in den Text vorzudringen, er ist verschlungen – ein Dickicht aus Erinnerungen, Gedankenblitzen und einer allumfassenden Trauer. Auf den ersten Seiten des Buches ist die Verwirrung und die Trauer der Autorin förmlich spürbar, sie ist verloren, vereinsamt und durcheinander. Im Laufe der Lektüre passen die Schichten des Textes jedoch immer besser ineinander. Die Lebensgeschichte von White, das Abrichten des Habichts und die Trauerarbeit verweben sich zunehmend zu einem feinen Muster, aus dem ich mich während der Lektüre kaum mehr befreien konnte. Das Buch von T.H. White spielt dabei in H wie Habicht eine ganz besondere Rolle: Helen Macdonald greift immer wieder zur Literatur – und ganz häufig besonders zu diesem Buch. Verbunden ist damit der Wunsch, in den Texten etwas zu finden, das sie von ihrer Trauer heilen kann. Helen Macdonald ist an dem Verlust ihres Vaters zerbrochen und Worte sind eines der wenigen Dinge, die ihr dabei helfen, sich Stück für Stück wieder selbst zusammenzufügen.

Sich zu verlieben ist eine verheerende Erfahrung, außer man verliebt sich in eine Landschaft.

H wie Habicht ist eine ebenso beeindruckende wie ungewöhnliche Lektüre. Helen Macdonald erzählt eine berührende Geschichte, ob man den Text nun als Sachbuch liest oder als Roman, als Erinnerungsbuch oder Autobiographie. Für mich ist der Habicht eine großartige und poetische Lektüre über den Tod, die Trauer und die Rückkehr ins Leben.

Helen Macdonald: H wie Habicht. Ullstein Verlag, Berlin 2015. 416 Seiten, €20. Weitere Rezensionen auf: Zeichen & Zeiten, Fantasie & Träumerei und Elementares Lesen

19 Comments

  • Reply
    skyaboveoldblueplace
    February 17, 2016 at 9:16 am

    Liebe Mara,
    ein sehr schöner Text über ein mir vällig unbekanntes Buch einer mir ebenfalls unbekannten Autorin,
    Ich fürchte aber, ich werde es micht auf den Haufen legen (den ich ja kleiner lesen möchth, nicht größer😄😄).
    Aber das letzte Zitat, was Du bringst

    Sich zu verlieben ist eine verheerende Erfahrung, außer man verliebt sich in eine Landschaft.

    ist natürlich so verheerend, daß es mir nicht mehr aus dem Kopf geht, auch, wenn ich sicher bin, daß es völlig falsch ist….

    Liebe Grüße
    Kai

    • Reply
      Mara
      February 25, 2016 at 4:53 pm

      Lieber Kai,

      ich freue mich sehr darüber, mal wieder von dir zu lesen. 🙂 Ich hatte zuvor auch noch nichts über die Autorin oder das Buch gehört und es dann in der Buchhandlung entdeckt, an dem Habicht auf dem Cover konnte ich einfach nicht vorbeigehen. Ich habe das Buch dann in den Wochen nach Bandits Tod gelesen und wurde dadurch sicherlich noch einmal besonders gerührt von der Geschichte und der Trauer der Autorin.

      Auch mir hat sich das Zitat eingebrannt, weil es mich irgendwie anspricht, gleichzeitig aber natürlich völlig falsch ist.

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    Stefanie Abt
    February 17, 2016 at 2:24 pm

    Ich lese das Buch gerade und finde es sagenhaft. Es ist originell, informativ, poetisch und weise. Ein ganz tolles Buch!

    • Reply
      Mara
      February 25, 2016 at 4:47 pm

      Liebe Stefanie,

      ich freue mich sehr über deine Wortmeldung hier und darüber, dass dir das Buch ebenfalls gut gefällt. 🙂

  • Reply
    Petra Gust-Kazakos
    February 17, 2016 at 4:35 pm

    Liebe Mara, ich habe schon verschiedentlich viel Gutes über dieses Buch gelesen – lange kann ich mich nicht mehr vor dem Kauf bremsen … Danke für die schöne Besprechung!

    • Reply
      Mara
      February 25, 2016 at 4:47 pm

      Sehr schön, ich hoffe, du legst dir das Buch bald zu und wirst dann ebenso viel Spaß damit haben, wie ich! 🙂

  • Reply
    Constanze Matthes
    February 17, 2016 at 4:47 pm

    Das Buch hat sich in mein Herz geschrieben. Es war einer meiner stärksten Leseeindrücke der vergangenen Monate mit Erinnerungsgarantie und verbindet sehr viele Facetten – und das auf eine einzigartige Art und Weise. Irgendwie nehme ich jetzt Greifvögel, die ich sehe, mit ganz anderen Augen wahr. Es sind sehr schöne Tiere. Wunderbar, dass Du dieses wunderschöne Buch vorstellst. Es sollte ganz viele Leser erreichen. Viele Grüße

    • Reply
      Mara
      February 25, 2016 at 4:45 pm

      Liebe Constanze,

      ich kann mich dir nur anschließen: auch ich hoffe, dass ganz viele von diesem wunderbaren Buch hören werden und es ebenfalls mit Begeisterung verschlingen. Mir ging es ganz ähnlich wie dir -ich habe das Buch nach Bandits Tod gelesen und ich glaube, dass es mich aufgrunddessen noch mehr gerührt hat. Es hat in jedem Fall einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen.

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    BuecherFaehe
    February 17, 2016 at 6:16 pm

    Hach, ich hatte das Buch schon so oft in der Hand, aber mitgenommen habe ich es bis jetzt noch nicht. Dabei klingt das eigentlich genau nach meinem Geschmack.
    Tatsächlich habe ich bis jetzt aber immer übersehen, dass es autobiografisch ist – ich dachte, die Geschichte wäre fiktiv. Sehr interessant!

    • Reply
      Mara
      February 25, 2016 at 4:43 pm

      Ich glaube, dass es auch ganz schwer ist, diese Geschichte richtig zu vermarkten – in den Buchläden sehe ich es zumeist zwischen den Romanen, dabei handelt es sich eben nicht um einen solchen, sondern um eine Art Sachbuch. Aber wie auch immer: es ist ein tolles Buch und ich freue mich, dass du es dank meiner Besprechung für dich entdecken konntest.

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    Thomas
    February 20, 2016 at 1:01 pm

    Ein Buch, das offiziel unter der Rubrik “Sachbuch” verkauft wird und sich mit den Themen Falknerei und Tod beschäftigt? Vermutlich kein Titel, zu dem ich normalerweise greifen würde, aber da du dich jetzt auch in die lange Reihe der begeisterten Rezensenten eingereiht hat wandert es auf meine Wunschliste. Danke für die tolle Vorstellung des Buches!

    • Reply
      Mara
      February 25, 2016 at 4:42 pm

      Lieber Thomas,

      sehr gerne! Ich freue mich, dass ich dich neugierig machen konnte, obwohl du das Buch zuvor noch gar nicht auf dem Schirm hattest. Ich habe es zufällig in einer Buchhandlung entdeckt und war von dem Habicht auf dem Cover so in den Bann gezogen, dass ich es einfach lesen musste – die Lektüre hat sich auf jeden Fall gelohnt.

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    imandra777
    February 21, 2016 at 6:50 pm

    Dieses Buch kann auch nur begeistern. Da sind wir uns einer Meinung Mara. Ich hoffe, dass das Buch auch noch viele weitere Leser finden wird.

    • Reply
      Mara
      February 25, 2016 at 4:40 pm

      Das hoffe ich auch sehr, mich hat es genau im richtigen Moment enorm berührt!

  • Reply
    Ute
    March 12, 2016 at 6:29 pm

    Liebe Mara!
    Auch ich lese das Buch gerade und kann mich den Lobeshymnen nur anschließen.
    Ich bin auf das Buch durch einen Beitrag in der Sendung “Druckfrisch” aufmerksam geworden. Dort wurde die Autorin interviewt, während ein Habicht auf ihrer Hand saß. Die Ausstrahlung der Autorin und die des Vogels haben mich fasziniert.
    Ein lieber Mensch hat mir dann dieses besondere Buch geschenkt- ein wahrer Schatz!

  • Reply
    Bri
    June 15, 2016 at 7:49 am

    Liebe Mara, ich lese das Buch gerade und bin – wie Du auch – beeindruckt. Und begeistert. Es lohnt sich auf jeden Fall, den wie Du schreibst, etwas schwierigen Einstieg zu meistern. Das Buch hat für mich noch einen Nebeneffekt, es taktet mich gerade richtig runter. Macht ruhig – ein bißchen von dem, was Helen Macdonald mit Mabel brauchte, um sie abzutragen 😉 geht wohl auf den Leser über. Und das ist grandios. LG, Bri

  • Reply
    Ein Jahr in Büchern | Buzzaldrins Bücher
    December 22, 2016 at 2:18 pm

    […] Helen MacDonald – H wie Habicht […]

  • Reply
    mickzwo
    March 20, 2017 at 2:39 pm

    “Ich habe selten zuvor ein so beeindruckendes und berührendes Buch gelesen.” Diesem Satz würde ich vollkommen zustimmen. Und ich glaube auch, “dass H wie Habicht ein großartiges Buch über Trauerarbeit ist.”

  • Reply
    infraredhead
    May 6, 2017 at 9:50 pm

    Danke für die schöne Rezension, die Lust auf das Buch macht. Kommt gleich auf meine Wunschliste!

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