City on Fire – Garth Risk Hallberg

Der junge amerikanische Autor Garth Risk Hallberg erschafft in City on Fire ein vielstimmiges Panorama, das auf 1070 Seiten von New York im Jahr 1977 erzählt. Das ist rasant, spannend und erstaunlich gut zu lesen. Müsste ich ein kurzes Fazit ziehen, würde ich wohl sagen: beste Leseunterhaltung!

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Die Dinge werden erst dann interessant, wenn sie in die Brüche gehen.

Im Roman von Garth Risk Hallberg beginnt alles mit einem Schneesturm in der Silvesternacht im Jahr 1976: im Central Park – mitten in New York – wird Samantha Cicciaro schwer verletzt im Schnee gefunden. Jemand hat auf die Jugendliche geschossen, direkt neben all den Villen und Geschäftsgebäuden. Dieses Ereignis bildet den Anker und das Zentrum des Romans – um den Fall lösen zu können, muss die Polizei das komplette Umfeld von Sam auf den Kopf stellen. Da ist zum Beispiel der dunkelhäutige Mercer Goodman, der das Mädchen gefunden und die Polizei gerufen hat. Er arbeitet an einer Mädchenschule und lebt in einer Beziehung mit einem Mann, sein Lebensgefährte William ist ein Nachkomme der weithin bekannten und steinreichen Familie Hamilton-Sweeney. Statt die Familiendynastie fortzuführen, lebt William das Leben eines Aussteigers: schon früh verlässt er das Elternhaus, lebt als Künstler und alternativer Musiker, nimmt Drogen und verliebt sich irgendwann in Mercer. Williams Schwester Regan hat zusammen mit ihrem Ex-Mann Keith zwei Kinder, sie hat sich jedoch von Keith getrennt, als sie seine Affäre mit Samantha aufdeckte.

Und sie hatte gelernt, dass man im Grunde nichts von dem horten konnte, was wirklich zählte. Gefühle, Menschen, Lieder, Sex, Feuerwerke: All diese Dinge existierten nur in der Zeit, und wenn der Moment vorbei war, waren auch sie vorbei.

An dieser kurzen Zusammenfassung wird vielleicht schon deutlich. wie viele Leben Garth Risk Hallberg in seinen Roman gepresst hat und wie sehr die einzelnen Figuren miteinander verwoben sind. City on Fire ist kein  wirklicher Kriminalroman, sondern vielmehr ein aufregendes und vielschichtiges Puzzle einer ganzen Stadt – endlos viele individuelle Geschichten werden zu einem einzigen und riesengroßen Panorama zusammengesetzt. Das liest sich großartig und wunderbar unterhaltsam, es ist nur nicht leicht, eine Rezension über ein solches Buch zu schreiben, da es kaum möglich ist, über einen einzelnen Handlungsstrang sprechen zu können, ohne über alle anderen Handlungsstränge zu sprechen.

Und du da draußen: Bist du nicht irgendwie bei mir? Ich meine, wer träumt nicht immer noch von einer anderen Welt als dieser? Wer von uns wäre jetzt bereit, die Hoffnung aufzugeben – wenn das bedeutete, den Wahnsinn, das Rätselhafte, die absolut nutzlose Schönheit der Millionen zuvor möglichen New Yorks aufzugeben. 

Der Roman, der mit einem Schneesturm beginnt, endet mit einem Stromausfall, dem sogenannten Blackout, den es im Juli 1977 tatsächlich in New York gegeben hat. Der Stromausfall ist der einzige Moment des Romans, in dem mich der Autor ein wenig verliert: die Geschichte wird auf den letzten Seiten einfach zu rasant, einige Figuren, die ich zuvor im Laufe von hunderten Seiten ins Herz geschlossen habe, gehen plötzlich aufgrund des rasenden Tempos verloren – ihre Geschichten bleiben unabgeschlossen, werden nicht zu Ende entwickelt.

Er sah die Sonne, die hinter einer Wolke hervorkam, und die Äste der Ulmen, die wie die Arme von Tänzern in die Luft gestreckt waren, und die grünen Gewänder, die sie in den Wind hielten. Alles Nebensächlichkeiten, natürlich, doch das war es, was diese Stadt einem gab und was Romane nicht konnten: nicht, was man brauchte, um zu leben. sondern was das Leben überhaupt erst lebenswert machte.

City on Fire I City on Fire II

City on Fire erinnert in der Aufmachung und in der Gestaltung an Amerikanische Nacht von Marisha Pessl: der herkömmliche Text wird immer wieder durch verschiedene Elemente durchbrochen. Es gibt Zeitungsausschnitte, Briefe, E-Mails, Patientenberichte. Alles davon ist notwendig, um diese ausufernde Geschichte zu erzählen, nichts davon ist überflüssig. Zusammengehalten wird diese Geschichte, die kaum wirkliche Schwächen hat, von einer flüssigen Sprache, die von dem Übersetzer Tobias Schnettner ins Deutsche übertragen wurde.

Alles in allem ist Garth Risk Hallberg mit City on Fire ein wunderbarer und lesenswerter Roman gelungen, der zwar 1000 Seiten stark ist, sich aber leicht lesen lässt. Vielleicht ist das der einzige Makel dieser Geschichte: City on Fire hat nur wenige Ecken und Kanten, der Roman ist nicht besonders mutig und bis auf die Gestaltung auch nicht wirklich unkonventionell erzählt. Er liest sich ein wenig wie eine gute Vorabendserie: spannend zu verfolgen und leicht zu konsumieren. Was soll ich sagen: für mich ist City on Fire ein schöner Unterhaltungsroman – eine Mischung aus ein wenig Kriminalroman, aus viel Familienroman und aus einer großen Portion Gesellschaftsporträt. Vor allen Dingen aber erzählt Garth Risk Hallberg von uns Menschen, vom Leben, von der Liebe und von den dunklen Schattenseiten.

Garth Risk Hallberg: City on Fire. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Tobias Schnettler. S. Fischer Verlag, Frankfurt 2016. 1072 Seiten, €25. 

2 Comments

  • Reply
    Annika
    June 10, 2016 at 6:52 pm

    Jetzt möchte ich das Buch auch lesen! Habe es gerade auf meine Bücherei-Merkliste gesetzt! 🙂

  • Reply
    Mariki
    June 14, 2016 at 4:48 pm

    Ich hab es ja auch zuhause und werde damit doch mal wieder einen Tausenderseiter angehen. Irgendwann …

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