Deborah Feldman – Unorthodox

Deborah Feldman erzählt in Unorthodox die Geschichte ihres Lebens. Es ist eine Geschichte der Befreiung, denn die Autorin wächst in einer streng limitierten und abgeschotteten jüdischen Gemeinde auf. Es ist aber auch eine Geschichte, die von der Kraft der Literatur erzählt.

Unbenannt

Ich bin überzeugt davon, dass meine Fähigkeit, tief zu empfinden, mich außergewöhnlich macht und dass sie meine Fahrkarte ins Wunderland ist.

Unorthodox ist kein Roman, sondern die wahre Lebensgeschichte von Deborah Feldman – eindrücklich und sehr berührend erzählt die Autorin davon, wie sie in eine ultraorthodoxe Gemeinde hineingeboren wird, die sie schon früh im Leben hinterfragt und aus der sie sich als junge Frau schließlich befreit. Dafür zahlt sie den hohen Preis, aus der einzigen Gemeindschaft, die sie ihr Leben lang kannte, ausgeschlossen zu werden. Das Buch, das sich in Amerika millionenfach verkaufte, machte die Aussteigerin zu einer Aussätzigen: die Satmarer Gemeinde, in der sie in Brooklyn aufwuchs, überzog sie nach der Veröffentlichung mit Hassbriefen – von ihren Angehörigen wurde sie für verstorben erklärt. Ihr Wünsche und Vorstellungen vom Leben waren mit den Glaubenssätzen ihrer Familie nicht vereinbar. Die Satmarer glauben, dass der Holocaust eine Bestrafung ist, die über sie gekommen ist, da sie sich zu sehr assimiliert haben – das Ziel der Gemeinde ist es, so weit wie möglich allem zu entsagen und ein Leben in einem stark abgegrenzten Raum zu führen.

Deborah Feldman wirft in Unorthodox ein erschütternden Blick auf dieses Leben in einer abgeschotteten Gemeinde – all das, was für viele von uns ein normaler Teil des Lebens ist, ist für sie als junges Mädchen lange unbekannt gewesen. Weder darf sie Musik hören, noch in einem Rock zur Schule gehen – nur das Recht auf Literatur erkämpft sie sich heimlich und die Bücher liest sie unter der Bettdecke, immer mit der Angst im Hinterkopf, entdeckt zu werden. Das, was die Gemeinde lebt, hat in der Welt, in der Deborah Feldman aufwächst, alleinigen Geltungsanspruch. All diejenigen, die nicht Teil der Gemeinde sein können, werden ausgeschlossen. Da ist zum Beispiel ein psychisch kranker Verwandter, der versteckt in einem Zimmer leben muss, weil die Scham zu groß ist, sich Hilfe zu suchen.

Ich besitze keinen Bibliotheksausweis, also kann ich keine Bücher mit mir mit nach Hause nehmen. Ich wünschte, ich könnte es, da ich mich immer so außergewöhnlich glücklich und frei fühle, wenn ich lese, dass ich überzeugt bin, es könnte alles andere in meinem Leben erträglich machen, dürfte ich nur immer Bücher mit mir haben.

Unorthodox ist jedoch nicht nur ein Buch über eine abgeschottete Gemeinde, sondern vor allen Dingen auch ein Buch über eine starke Frau. Deborah Feldman empfindet ihre Herkunft von Beginn an als etwas, von dem sie sich befreien möchte. Statt den einfachen Weg zu gehen und sich dem zu fügen, was ihr vorgelebt wird, versucht sie immer wieder auszubrechen. Es sind vor allen Dingen die Bücher, die ihr eine Vorstellung von dem Leben geben, das sie auch so gerne führen würde. In Little Woman. Matilda oder auch Stolz und Vorurteil findet sie Frauenfiguren, an denen sie sich orientiert.

Wenn irgendwer jemals versuchen sollte, Dir vorzuschreiben, etwas zu sein, was Du nicht bist, dann hoffe ich, dass auch Du den Mut findest, lautstark dagegen anzugehen.

Statt bei ihren Eltern aufzuwachsen, wird das junge Mädchen zu ihren Großeltern abgeschoben. Trotz der Strenge und Lieblosigkeit, die in ihrem Zuhause herrscht, erhält sie sich ganz viel Neugier, Wissensdurst und Mut. All dies bewahrt sie sich ihr ganzes junges Leben lang: als junge Frau, die verheiratet wird, steht für sie schnell fest, dass sie mehr sein möchte als eine Ehefrau und Lehrerin. Als sie Mutter wird, schreibt sie sich dann heimlich als Literaturstudentin ein und saugt das auf, was ihr von den Dozenten erzählt wird. Deborah Feldman ist nie zufrieden mit dem vorgefertigten Leben, in das sie sich bedingungslos fügen muss und kämpft so lange um Freiheit und Unabhängigkeit, bis sie das Leben führen kann, was sie sich wünscht.

Wenn du keine Wurzeln hast, hast du auch kein Erbe. Unser ganzer Wert ist durch den Wert unserer Vorfahren definiert. Wir machen uns einen Namen für unsere Kinder. Wer sollte mich wollen, wo ich doch keinen Namen habe, den ich weitergeben kann?

Ich habe mit Unorthodox ein berührendes und tief beeindruckendes Buch gelesen, das nicht nur die Lebensgeschichte einer starken und unabhängigen Frau erzählt, sondern auch von der Kraft der Literatur. Bücher können retten und heilen – und sie können einen aus seinen begrenzten Verhältnissen ausbrechen lassen und ganz neue Vorstellungen vom Leben vermitteln. Unorthodox ist ein Buch, dem ich ganz viele Leser wünsche.

Deborah Feldman: Unorthodox. Übersetzt aus dem Amerikanischen von Christian Ruzicska. Secession Verlag, Zürich 2016. €22, 319 Seiten.  Eine weitere Besprechung gibt es auf dem Blog Zeilensprünge und bei der Buchhändlerin und Bloggerin Jacqueline Masuck

14 Comments

  • Reply
    Bri
    July 15, 2016 at 8:25 am

    Steht schon lange auf meiner Liste … jetzt wieder hoch gerutscht. Du musst unbedingt die Hochzeit der Chani Kaufman ergänzend dazu lesen!!!! https://feinerbuchstoff.wordpress.com/2015/09/01/kampf-um-freiheit/

    • Reply
      Bücherflocke
      July 15, 2016 at 9:13 am

      Hallo BRI,
      danke für den Tipp “Die Hochzeit der Chani Kaufman”. Habe ich auf meine Liste gesetzt. Und vielleicht rezensiere ich das dann auch gleich:-)
      Herzliche Grüße,
      die Bücherflocke

      • Reply
        Mara
        July 24, 2016 at 5:50 pm

        Hallo Bücherflocke,

        bei mir steht das Buch auch noch ungelesen und ich habe jetzt große Lust bekommen, es möglichst bald in Angriff zu nehmen!

        Liebe Grüße
        Mara

    • Reply
      Mara
      July 24, 2016 at 5:59 pm

      Das liegt hier schon seit einigen Monaten ungelesen – jetzt werde ich es auf jeden Fall bald in Angriff nehmen, vielen Dank für den Link zu deiner Besprechung! 🙂

      • Reply
        Bri
        July 25, 2016 at 7:58 am

        Ich bin ja immer etwas zögerlich, was Verlinkung meiner Rezis auf anderen Blogs in Kommentaren angeht, aber die Hochzeit der Chani Kaufman MUSST DU JETZT LESEN 😉 Ich konnte es nicht aus der Hand legen. LG und viel Freude damit – bin auch Deine Leseeindrücke gespannt …

  • Reply
    booksandmore81
    July 15, 2016 at 8:29 am

    Schöner Artikel. Hier ist meiner, den ich vor einiger Zeit geschrieben habe: https://booksandmore81.wordpress.com/2016/04/06/deborah-feldman-unorthodox/

    • Reply
      Mara
      July 24, 2016 at 5:58 pm

      Vielen Dank für den Link, deine Besprechung schaue ich mir gleich sehr gerne nochmal an! 🙂

  • Reply
    Bücherflocke
    July 15, 2016 at 9:12 am

    Hallo Buzz Aldrin,
    vielen Dank für diese Empfehlung – den Titel hatte ich schon länger im Kopf, seitdem die SZ die Autorin interviewt hat. Jetzt weiß ich wieder, wie sie heißt. Ein weiterer Tipp zum Thema wäre noch “Die Romanleserin” von Pearl Abraham, semi-autobiographisch, denn die Autorin wurde ebenfalls chassidisch erzogen.
    Herzliche Grüße,
    die Bücherflocke

    • Reply
      Mara
      July 24, 2016 at 5:57 pm

      Liebe Bücherflocke,

      vielen Dank für deinen Kommentar – “Die Romanleserin” wird interessanterweise auch im Buch erwähnt und ist deshalb eh schon auf meiner Wunschliste gelandet! Ich freue mich, dass ich dir dieses ganz besondere Buch zurück ins Gedächtnis rufen konnte.

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    dj7o9
    July 15, 2016 at 9:24 am

    Möchte ich auch unbedingt lesen, klingt sehr spannend!

  • Reply
    nettebuecherkiste
    July 16, 2016 at 9:41 am

    Oh, das interessiert mich, kommt auf meine Liste. “Die Romanleserin” fand ich auch sehr interessant!

  • Reply
    Lotta
    July 19, 2016 at 5:36 am

    Liebe Mara,
    ich habe mich ehrlich gesagt noch überhaupt nicht mit diesem Buch auseinander gesetzt. Jetzt habe ich deine und auch die verlinkte Rezension gelesen und bin begeistert. Jetzt weiß ich, was ich meinen Kunden empfehlen kann, wenn ich mich nach einer interessanten Autobiografie fragen. Das Thema reizt mich sehr, auch wenn ich eigentlich nicht so der Typ für Romane lesen bin.
    Vielen Dank für die tolle Rezension und das Verlinken der anderen tollen Rezension.

    Liebst, Lotta

    • Reply
      Mara
      July 24, 2016 at 5:49 pm

      Liebe Lotta,

      vielen Dank für deinen Besuch und deine Wortmeldung – ich freue mich sehr darüber, dass ich dir eine Anregung für deine Kunden mit auf dem Weg geben konnte. Mir hat das Buch ausgesprochen gut gefallen und ich freue mich darüber, dass es scheinbar ganz erfolgreich ist. Ich wünsche mir ganz viele Käufer und Leser für diese berührende Geschichte.

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    Andrea Stock
    July 22, 2016 at 5:37 pm

    Habe es mir heute aufgrund Deiner Empfehlung gekauft und bin schon ganz gespannt darauf.

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