“Freiheit ist ein Wort, das niemals schweigt.”

Bei einer der beeindruckendsten Veranstaltungen am ersten Tag des diesjährigen Blauen Sofas konnte die interviewte Autorin nicht selbst auf dem Sofa sitzen, sondern wurde aus dem ZDF-Nachrichtenstudio in Istanbul zugeschaltet. Der türkischen Autorin, Journalistin und Physikerin Aslı Erdoğan ist es momentan verboten aus der Türkei auszureisen. Auf dem blauen Sofa Platz nahmen stattdessen Oliver Kontny, Übersetzer von Aslı Erdoğan und Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenverein des Deutschen Buchhandels.

Der Börsenverein engagiert sich schon länger für Aslı Erdoğan, zuletzt wurde auf der Buchmesse in Istanbul eine Mahnwache organisiert: für Alexander Skipis steht fest, dass die Meinungsfreiheit die wichtigste Grundlage für den Buchmarkt sein muss. Genauso wichtig ist es ihm, in dieser Zeit als Institution nicht zu schweigen: “Die Türkei ist auf dem Weg in einen totalitären Unrechtsstaat und wir müssen Haltung beweisen und dagegen aufbegehren.” Aslı Erdoğan, die 1967 geboren wurde, wurde am 16.8.2016 im Rahmen der so genannten “Säuberungen” nach dem Militärputsch in der Türkei verhaftet. Ihr wurde vorgeworfen Mitglied der PKK zu sein. Ende Dezember wurde die Autorin unter Auflagen aus dem Gefängnis entlassen, unter anderem wurde ihr ein Ausreiseverbot erteilt. Aufmerksamkeit hatte sie mit einem Brief erregt, den sie aus der Untersuchungshaft heraus geschrieben hatte und in dem sie appellierte, dass die vom Regime verhafteten Autoren und Autorinnen nicht vergessen werden dürfen. Momentan sitzen etwas über 150 Autoren, Journalisten und Verleger im Gefängnis. Viele der Menschen, die sich politisch und kulturell engagieren, wissen nicht, ob sie morgen noch in Freiheit leben. Es gibt noch eine handvoll Zeitungen, die sich darum bemühen, unabhängig zu publizieren, die aber um ihr finanzielles Überleben kämpfen, da sich kaum noch Unternehmen trauen, dort Anzeigen zu schalten – der Börsenverein sammelt zur Unterstützung Geld für diese Zeitungen.

Als Aslı Erdoğan aus dem Nachrichtenstudio zugeschaltet wird, wirkt die Situation fast surreal, denn die Autorin, die über die schwerste Zeit ihres bisherigen Lebens spricht, sitzt vor einer traumhaft aussehenden Kulisse – die Sonne scheint und das Wasser glitzert. Im Kontrast dazu stehen ihre Worte, die deutlich machen, wie schwierig die momentane Situation in der Türkei für die Autoren und Autorinnen ist. Der Prozess gegen Aslı Erdoğan, die chronisch erkrankt ist, läuft momentan noch; gefordert wird eine lebenslange Haftstrafe aufgrund von Terrorpropaganda und dem versuchten Umsturz einer Regierung.

Im Knaus Verlag sind nun unter dem Titel Nicht einmal das Schweigen gehört uns noch zwanzig Essays der Autorin veröffentlicht worden – der Übersetzer Oliver Kontny hat den titelgebenden Essay vorgelesen, aus dem auch der Satz stammt “Freiheit ist ein Wort, das niemals schweigt.” Durch die eindrücklichen Worte aus dem Essay und die Aussagen während der Live-Schaltung, ist mir die Situation in der Türkei – die ich bisher nur aus den Nachrichten kannte – noch einmal sehr bewusst geworden. Ich bin mir noch nicht sicher, wie ich aus Deutschland heraus helfen kann, doch zumindest
den Essayband von Aslı Erdoğan werde ich mir auf jeden Fall kaufen.

Aslı Erdoğan (mit einer Einführung von Cem Özdemir): Nicht einmal das Schweigen gehört uns noch. Knaus Verlag, München 2017. 17,99€, 192 Seiten.

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