Blinder Galerist – Johann König

Johann König ist gerade einmal siebenunddreißig Jahre alt und hat schon seine Memoiren veröffentlicht – und das vollkommen zu Recht. Gemeinsam mit Daniel Schreiber erzählt er von einem ungewöhnlichen Lebensweg: Blinder Galerist ist ein kluges, mutmachendes und sehr lehrreiches Buch.

Unsere Gesellschaft ist eine Gesellschaft der Sehenden. Alles um uns herum ist auf das Sehen aufgebaut. Das versteht man erst, wenn man nicht mehr oder schlecht sieht. Unser ganzes Leben hängt vom Sehen ab. In diesem Sinne sind Blindheit und Sehbehinderung – wie jede andere Behinderung auch – zunächst eine Kategorie sozialer Ungleichheit.

Johann König gehört zur Zeit zu den erfolgreichsten Galeristen – in Berlin betreibt er in der umgebauten St.-Agnes-Kirche in Kreuzberg seine KÖNIG GALERIE. Dort arbeitet er mit Künstler*innen wie Jeppe Hein, Alicja Kwade und Norbert Bisky zusammen. So viel Erfolg in so jungen Jahren im hart umkämpften Kunstgewerbe wäre wahrscheinlich schon erstaunlich genug, doch bei Johann König kommt hinzu, dass er sehbehindert ist. Er ist seit einem Unfall in seiner Kindheit nahezu komplett blind – ein blinder Galerist.

 Johann König wuchs in einer kunstbegeisterten Familie auf: sein Vater Kasper, ist Kunstprofessor und Kurator, sein Bruder Leo Kunsthändler und sein Onkel Walther Buchhändler – ihm gehört die bekannte Walther König Buchhandlung. In seiner Kindheit ist er umgeben von kunstschaffenden Menschen wie Andy Warhol, Isa Genzken oder On Kawara.

Natürlich ist es ein großes Geschenk, schon als Kind so viel gesehen, so viel Kunst erfahren, so viele spannende Leute kennengelernt und überhaupt so viel mitbekommen zu haben. Im Nachhinein verstehe ich, dass ich unheimliches Glück hatte, in so einer Umgebung aufzuwachsen – ein Privileg. Ich habe von Anfang an gelernt, dass Kunst so viel mehr als Sehen ist, dass sie das bloße Visuelle übersteigt. Die Bilder, die im Kopf entstehen, sind genauso wichtig wie die Bilder an der Wand und häufig sogar noch wichtiger als diese. Kunst erzeugt Unklarheiten, die Bedeutung eines Werks erschließt sich häufig erst durch den Zusammenhang. Wer mehr weiß, sieht auch mehr.

Als er zwölf Jahre alt ist, schließt er sich in der elterlichen Wohnung in seinem Zimmer ein und spielt mit Schwarzpulver von Platzpatronen – sie explodieren in seinen Händen und verletzten diese und seine Augen schwer. Von diesem Moment an, wird er aus seinem behüteten Leben gerissen. Er verbringt viele Wochen und Monate im Krankenbett und muss mehrere schwere Operationen über sich ergehen lassen. Seine alte Schule kann er anschließend nicht mehr besuchen, er wechselt auf die Blindenstudienanstalt nach Marburg und macht dort sein Abitur.

Durch Hornhauttransplantationen wird es ihm ermöglicht, zumindest auf einem Auge wieder mehr sehen zu können. Doch jede dieser Operationen ist auch mit der Angst verbunden, dass es zu einer Abstoßung oder zu einer Verschlechterung kommen könnte.

Meine Sehkraft ist großen Schwankungen unterworfen. Ich sehe mal mehr, mal weniger. Ich weiß, dass ich das nicht wirklich beeinflussen kann, dennoch versuche ich immer wieder, Erklärungen dafür zu finden. Habe ich am Abend zuvor zu viel getrunken? Habe ich genug gegessen? Liegt es am Wetter oder an der Luftfeuchtigkeit? Daran, dass ich zu wenig geschlafen habe? Wenn ich irgendwo zu Gast bin, kann es schon mal passieren, dass ich in einen Aschenbecher fasse, weil ich denk, dass es sich bei den Zigarettenstummeln um Nüsse handelt. Bei einer Eröffnung in Paris habe ich einmal meine Frau Lena umarmt und bin mit ihr ein bisschen durch die Ausstellung gegangen. Ein, zwei Minuten später, immer noch Arm in Arm, schaute ich sie an und blickte ins Gesicht einer anderen Frau. Sie musste wahnsinnig lachen, Lena, die hinter mir stand, auch.

Noch bevor er sein Abitur beendet, eröffnet Johann König seine erste Galerie. Man könnte glauben, so ein Unfall würde alle Türen im Leben verschließen – aber stattdessen sucht er immer nach neuen Türen, die sich öffnen lassen. Am Anfang konzentriert er sich auf Konzeptkunst statt Malerei: anders als ein Gemälde, lässt sich diese Kunst besser erleben und erzählen, auch wenn man nicht mehr so viel sehen kann.

Auch wenn es so erscheint, ist das Leben von Johann König kein geradliniger Weg – es gibt Rückschläge und Niederlagen, Dinge die schief gehen und Momente, in denen er auf die Hilfe und Unterstützung anderer angewiesen ist. Das Schöne an diesem Buch ist, dass er auch die dunklen Stunden nicht verschweigt.

Meistens gibt es keinen Plan für den Weg, der vor uns liegt. In der Regel finden wir ihn nur, indem wir ihn gehen. Und manchmal haben wir das Glück, dabei auf Reserven zu stoßen, von denen wir nicht wussten, dass wir über sie verfügen.

Vor der Lektüre kannte ich Johann König nicht, auch nicht seine Galerie – um ehrlich zu sein: mit der Kunstwelt habe ich nicht viel am Hut. Aber ich liebe spannende und inspirierende Lebensgeschichten und die Lebensgeschichte von Johann König ist beides zugleich, spannend und unglaublich inspirierend. An manchen Stellen dürfte das Buch ruhig noch ausführlicher sein, Johann König erzählt sehr knapp und komprimiert, kein Wort zu viel.

Das Buch endet mit den Worten Aber es ist, wie es ist und das finde ich einen ganz schönen Blick auf vieles im Leben: weniger hadern, weniger Blicke zurück und dafür ein mutiger Schritt nach vorne. Blinder Galerist ist eine Empfehlung für alle die Freude an Lebensgeschichten haben – ich habe die Lektüre sehr genossen. Und wer Lust bekommt, kann nach dem Lesen der KÖNIG GALERIE direkt einen Besuch abstatten.

Johann König mit Daniel Schreiber: Blinder Galerist.  Propyläen Verlag. Mai 2019. 160 Seiten, 24€.

3 Comments

  • Reply
    Mikka Liest
    August 10, 2019 at 9:11 pm

    Hallo,

    ich sehe auch mal mehr, mal weniger. Normal habe ich ein Sehvermögen von zirka 40%, also keine Sehbehinderung, aber da meine MS mir oft Sehnerventzündungen beschert, gibt es Phasen, wo das rapide absinkt. Vor zwei Wochen bin ich morgens aufgewacht und war (nicht zum ersten Mal) auf dem rechten Auge blind, inzwischen ist die Sicht nur noch sehr unscharf.

    Da ich selber Hobbykünstlerin bin und immer eine ~30%ige Chance besteht, dass die Beeinträchtigungen durch eine Sehnerventzündung sich nicht zurückbilden, frage ich mich öfter: was mach ich dann? Kann ich dann trotzdem noch malen und zeichnen? Und wenn nicht, was dann?

    Da macht Mut, was Johann König sich aufgebaut hat. Ach, Mensch – wenn er das alles schaffen kann, werde ich notfalls auch Möglichkeiten finden.

    Er hat sicher sehr viel öfter und sehr viel gravierender mit sozialen Ungerechtigkeiten zu tun, aber unbekannt sind sie mir nicht. Viele Webseiten sind für mich oft vollkommen unlesbar, und nicht alle lassen sich mit einem Screenreader vernünftig ‘übersetzen’. Amtliche Broschüren und Ähnliches sind auch nicht immer barrierefrei gestaltet.

    Vorgestern wollte der Provider, über den ich meinen Blog betreibe, mich zwingen, alle Formulare auf der Seite mit einem reCaptcha zu versehen, das NICHT barrierefrei ist. Ganz abgesehen von meinem eigenen Sehvermögen bin ich zur Zeit dabei, meinen Blog möglichst barrierefrei “nachzurüsten” und werde ganz sicher nichts installieren, das Blinde und Sehbehinderte ausschließt. Nachgegeben wurde erst, als ich im Prinzip sagte: entweder geht das reCaptcha oder ich.

    Nimm mir den Hinweis nicht übel – die Schriftfarbe, die du für Zitate benutzt, macht die Schrift für mich so gut wie unlesbar. Ich würde dir gerne meinen Beitrag zum Thema Kontrast und Barrierefreiheit ans Herz legen:
    https://wordpress.mikkaliest.de/buchblog-barrierefrei-kontrast-und-barrierefreiheit/

    Wenn ich das richtig ‘sehe’ (beziehungsweise nicht höre), haben deine Bilder auch keinen alt-Text? Ich will dich da wirklich nicht böse angehen, ich dachte nur, wenn wir quasi gerade beim Thema sind… 😉

    Diese Seite ist da auch hilfreich:
    https://achecker.ca/checker/index.php

    LG,
    Mikka
    [ Mikka liest von A bis Z ]

  • Reply
    Nicolas
    November 18, 2019 at 10:44 pm

    Ich sehe das eher als einen Beweis dafür, dass man nicht mal sehen können muss um in einem visuellen (ok nicht wirklich) Beruf Erfolg zu haben, sofern man mit den richtigen Eltern und genug Kohle/Connecke aufwächst. Ansonsten relativ uninteressant wie Galeristen und Künstler privat in den meisten Fällen.🤷‍♂️

    • Reply
      Linus
      November 21, 2019 at 1:21 pm

      Hallo Nicolas,

      dich scheint das Buch ja doch sehr persönlich berührt zu haben! 🙂

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