Saturns Schatten. Die dunklen Welten der Depression – Andrew Solomon

Andrew Solomon hat mit Saturns Schatten ein umfangreiches und beeindruckendes Buch über Depressionen vorgelegt. Er mischt eigene Erfahrungen, mit Fallstudien, medizinischen Erklärungen und philosophischen Betrachtungen. Obwohl schon ein paar Jahre alt, hat es für mein Gefühl nichts von seiner Kraft, seiner Klugheit und seinem Wissen verloren.

Im depressiven Zustand liegt klar auf der Hand, dass jedes Unterfangen und jede Regung, ja das ganze Leben sinnlos ist. In dieser Lieblosigkeit empfindet man nur noch eines, nämlich dass absolut nichts von Bedeutung ist.

Andrew Solomon hat mit Saturns Schatten ein umfangreiches, manchmal fast schon erschlagendes, Werk über Depressionen vorgelegt. Es ist so dicht, so voll, so intensiv, dass ich mehrere Wochen brauchte, bis ich es durchgelesen hatte – aber als ich die letzte Seit zuklappte, hatte ich tatsächlich das Gefühl, viel gelernt und mitgenommen zu haben.

Der Autor schreibt aus einer persönlichen Betroffenheit heraus: als er Mitte zwanzig war, erkrankte er schwer an Depressionen. In den folgenden Jahren kam es zu mehreren Rückfällen – während der fünfjährigen Arbeit an diesem Buch erlebte er gleich zwei schwere depressive Episoden. Andrew Solomon schreibt ehrlich und ungeschönt über seine Erkrankung, aber auch über die Auswirkungen seiner Depression auf seine Angehörigen.

Danach ging es stetig mit mir bergab. Ich konnte immer schlechter arbeiten, sagte Einladungen ab, redete mir ein, nicht liebenswert zu sein und nie wieder eine Beziehung eingehen zu können, verspürte keinerlei sexuelle Bedürfnisse und aß auch nur noch unregelmäßig, da ich selten Appetit hatte. Meine Analytikerin schob das alles auf die Depression, doch ich konnte das Wort, ja, ihr ganzes Gerede, nicht mehr hören. Ich sei nicht verrückt, protestierte ich, befürchte aber, es zu werden.

Das Besondere an Saturns Schatten ist sicherlich der Stil: Andrew Solomon verwebt auf faszinierende Art und Weise seine eigene Geschichte mit Betrachtungen aus der Medizin, der Philosophie oder auch der Politik. Er blickt zurück in die Vergangenheit, beschäftigt sich mit unterschiedlichen Therapieansätzen, setzt sich mit der Pharmaindustrie auseinander und erzählt dabei immer aus seiner eigenen Perspektive heraus, aber auch aus dem Wissen heraus, das er sich in den fünf Jahren Arbeit an seinem Buch erarbeitet hat. Er hat fast tausend Interviews geführt – mit Ärzt*innen, aber auch mit vielen Patient*innen. Das liest sich alles nicht wie ein trockenes Sachbuch, sondern wie ein spannendes Stück Prosa.

Das Buch bietet keine einfache Zusammenfassung und keine leichten Lösungen, auch bietet es keine falschen Versprechen. Andrew Solomon widmet sich dieser Krankheit gänzlich ungeschönt und arbeitet sich einmal förmlich hindurch.

Manche Menschen leiden unter leichten Depressionen und sind völlig lebensunfähig, andere haben schwere Depressionen und können doch Beachtliches aus ihrem Leben machen. 

Was habe ich aus dem Buch gelernt? Jede Depression ist unterschiedlich – und Erkrankte können ganz unterschiedlich damit umgehen. Es gibt oft keinen einfachen Heilungsweg, denn auch Heilungswege sind unterschiedlich. Rückschläge sind kein Versagen. Während seiner fünf Jahre langen Arbeit an dem Buch, wurde Andrew Solomon immer wieder gefragt, warum er sich das antut: warum verschwendet er fünf Jahre seines Lebens, um über eine solch niederschmetternde Erkrankung zu schreiben? Der Ursprung des Buches liegt im Jahr 1998, da veröffentlichte er einen langen Essay über Depressionen in der New York Times – in den folgenden Wochen, Monaten und Jahren, schrieben ihm hunderte Menschen und erzählten ihm ihre Geschichten. Dieses Buch ist auch ein Denkmal für all diese Stimmen, die so viel zu erzählen haben und sonst nicht gehört werden.

Saturns Schatten ist eine große Empfehlung für alle, die selbst an Depressionen erkrankt sind aber auch für alle Freund*innen und Familienangehörige.

Andrew Solomon: Saturns Schatten. Die dunklen Welten der Depression. Aus dem Amerikanischen von Hans Günter Holl. 576 Seiten, 12,75€.


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