© Julia Zimmermann
Seit Anfang diesen Jahres ist Jo Lendle Verleger des Hanser Verlags, doch nicht nur das: er schreibt auch selbst. Seinen Roman Was wir Liebe nennen habe ich bereits besprochen. All das war Grund genug, mich mal mit ihm über die Arbeit eines Verlegers, Lektorenausbildungsgänge und die Bedeutung von Literaturblogs zu unterhalten.
Sie haben Kulturwissenschaft studiert und sind Absolvent des Deutschen Literaturinstituts in Leipzig. Was hat Sie in die Verlagsbranche geführt?
Ich habe durch die Erfahrung, eine Literaturzeitschrift herauszugeben, festgestellt, was für einen großen Spaß man beim Kuratieren und Programmmachen haben kann. Ich habe in beiden Studiengängen viel an halbfertigen Texten gearbeitet und gemerkt, wie hilfreich das ist – erstens, weil es mir Spaß macht, zweitens aber auch, weil es den Texten wirklich hilft. Das ist ja ein kleines Geheimnis, man redet beim Buchmachen nie viel über die Arbeit des Lektorierens. Diese beiden Dinge, das Arbeiten am Text mit den Autoren, aber auch das Komponieren eines Programms, haben mir so eingeleuchtet, dass ich dachte, das wäre doch ein schöner Beruf.
Gab es dann einen Moment, in dem Sie wussten, dass aus Ihnen mal ein Lektor werden kann?
Das begann mit einem Praktikum im Gustav-Kiepenheuer-Verlag in Leipzig. Ich bekam vom damaligen Lektor Thorsten Ahrend ein Manuskript auf den Tisch gelegt, verbunden mit der Aufgabe, daraus ein Buch zu machen. Es war insofern ein irrsinnig glücklicher Umstand, als es ein sehr unfertiges Manuskript war, eher eine Materialsammlung, in dem sich aber wirklich brillante Abschnitte fanden. Daneben aber auch viele angesammelte Gelegenheitsgedanken. Eigentlich müsste man dieses Manuskript zur Grundlage eines Lektorenausbildungsganges machen. Es gibt Manuskripte, in denen sollte ein Lektor nicht mehr rumrühren. Das Lektorieren ist ja keine Aufgabe um ihrer selbst willen. Aber es gibt eben auch Texte, bei denen der neutrale, naive und ungetrübte Blick von außen in einer ganz grundsätzlichen strukturierenden und ordnenden Art und Weise hilfreich sein kann. Das Manuskript lag vor mir und ich wusste erst gar nicht, was ich damit machen soll. Ich bin immer wieder zu Thorsten Ahrend hingegangen und habe gefragt, ob ich das jetzt wirklich so machen kann, wie ich es machen würde. Da hat er gesagt: Ja, ja – mach mal. Als Leser, der ich war, hatte ich zunächst eine unheimliche Ehrfurcht. Dann aber habe ich das Manuskript fröhlich auf die Hälfte zusammengestrichen und mich als beginnender Lektor über den kräftiger werdenden Text gefreut. Den Autor haben die Vorschläge zum Glück überzeugt.
Heutzutage arbeiten Sie nicht mehr als Lektor, sondern als Verleger. Wie kann man sich Ihre Arbeit als Verleger vorstellen – wie sieht Ihr Tagesablauf aus?
Das ist jetzt natürlich ein bisschen anders. Ich war lange Lektor, aber im Moment gibt es diese Textarbeit nicht mehr. Jetzt ist es eher eine strukturierende Arbeit. Der Hanser Verlag besteht eigentlich aus mehreren Verlagen, das ist der belletristische Verlag und der Kinder- und Jugendbuchverlag in München, das sind die Verlage in Wien, Zürich und Berlin: Nagel & Kimche, Zsolnay & Deuticke und Hanser Berlin. Da gibt es verschiedene Programme mitzuentwickeln, gegeneinander zu akzentuieren. Ich muss mir Gedanken machen, wie die Bücher jeweils vorgestellt werden. Jetzt in meiner Anfangszeit gibt es ungeheuer viel, das ich zunächst einmal von der Logik der spezifischen Eigenheiten der Verlage verstehen muss. Ich muss alles einmal gegen das Licht halten und überlegen: Stimmt das genauso oder dreht man da dran. Stellt man vielleicht auch mal Dinge in Frage? Das ist im Augenblick die ganz bestimmende Tätigkeit. Einmal die jeweils nächsten Programme zu durchdenken und dann aber auch den Verlag als Ganzes zu durchdenken. Das wird die ersten zwei Jahre sicherlich einen großen Teil meiner Arbeit ausmachen.
Fehlt Ihnen bei all der Organisation und Strukturierung auch die Arbeit am Text?
Ich war sehr lange Lektor und fand das immer den schönsten denkbaren Beruf. Seitdem ich seit vier Jahren als verlegerischer Geschäftsführer arbeite, macht es mir Freude, die Dinge, die ich in der Textarbeit gelernt habe, auf den Verlag zu übertragen. Textarbeit bedeutet im Wesentlichen, eine Balance zu finden zwischen dem Kleinklein der Detailarbeit auf Satzebene und der großen strukturierenden Gespräche darüber, was dieses Manuskript als Ganzes eigentlich will. Überspitzt formuliert: Was ist ein Verlag und was ist Literatur in einer Zeit, die komplett im Umbruch ist und welche Farbe soll das Lesebändchen von diesem oder jenem Buch haben. Dazwischen ist ein großes Feld.
Zuvor haben sie in Köln beim DuMont Verlag gearbeitet – was sind die größten Unterschiede zwischen beiden Verlagshäusern?
Es gibt äußerliche Unterschiede: Der Hanser Verlag ist in der Literatur eine Ikone, er hat sicherlich das Lesen von uns allen sehr geprägt. Bei DuMont haben wir erst 1998 mit der Literatur angefangen. Das heißt, dort war alles Aufbau und nicht so ein gewachsenes Programm, mit so einer großen stolzen Schar wichtiger Hausautoren, wie man das bei Hanser findet. Da mussten wir vieles entdecken. Diese Unterschiede gibt es nach wie vor, so dass ich meine Entdeckungslust auf jeden Fall mit zu Hanser nehmen möchte. Dann gibt es auch in der Struktur des Hauses einen großen Unterschied: Bei DuMont konnten wir im Grunde alles auf Zurufbasis regeln, es war überschaubarer, die Kommunikation direkter. Jetzt sitzen wir eben an vier verschiedenen Orten, da nimmt der organisierende Teil der Arbeit zu.
Jeder Verleger hat seine ganz eigene Handschrift, was zeichnet Ihre Handschrift aus?
Es gibt diese Handschriften und sie sind essentiell, aber über die eigene Handschrift soll und kann man kaum sprechen. Das ist etwas für Graphologen.
In der Literaturblogwelt wird immer wieder die Frage diskutiert, welchen Stellenwert Literaturblogs haben – auch im Verhältnis zum Feuilleton. Wie betrachten Sie als Verleger das Phänomen der Literaturblogs?
Es ist im Augenblick tatsächlich interessant zu sehen, wie sich das Gespräch über Literatur verändert. Eigentlich sind das zweierlei Geschichten: Zum einen entwickeln sich neue Kategorien in der Auseinandersetzung mit Büchern, zum anderen entwickelt sich eine neue Form von Öffentlichkeit. Es gibt also eine andere Form von Wahrnehmungserzeugung. Letzteres interessiert mich tatsächlich auch aus der Praxis des Büchermachens, denn wir merken, dass der Hebel des klassischen Feuilletons kürzer geworden ist und sich die Wirkung im Gespräch über Bücher verändert. Da es jetzt in den Blogs interessante Felder gibt, beziehen wir das einfach mit ein in unsere Öffentlichkeitsarbeit und in unseren Austausch. Wir reden mit unseren Autoren darüber, wie die in diese Gespräche einsteigen können und steigen dort auch selber als Verlag ein. Wir ziehen gemeinsam mit der ZEIT gerade etwas auf, das ein Ort werden soll, an dem über Literatur gesprochen werden kann: Freitext. Dabei stellen wir fest, dass sich das Gespräch über Bücher verändert: In der klassischen Feuilletonrezension ist der Austausch eher überindividuell. Es gibt dort ein eher allgemeines Sprechen, während das Sprechen im Blog vom individuellen Leseerlebnis ausgeht. Das ist etwas, das den klassischen Rezensenten eher zum Naserümpfen bringt, auch wenn es in den gelungenen Fällen nicht weniger Daseinsberechtigung hat.
Die Literaturblogs gehören – wenn man so will – einer neuen Generation an, ähnlich wie E-Reader und das gemeinsame Social Reading auf Plattformen wie Lovelybooks im Netz. Verfolgen Sie die digitale Entwicklung des Lesens?
Ich verfolge diese Entwicklung sehr, ich verfolge nicht jedes einzelne Medium, aber die Tatsache, dass Lesen nicht mehr ausschließlich das zurückgezogene, einsame, monadische Tun ist, sondern Teil eines Austausches, das interessiert mich. Ich weiß, dass ich mich manchmal, vor allem, wenn ich von einem Text besonders überzeugt bin, gerne zurückziehe und einfach nur mit dem Text alleine eine monadische Kugel bilde. Ich weiß aber auch, dass mich diese neuen Formen, in ein andauerndes und vibrierendes Gespräch über Literatur zu kommen, sehr reizen.
Verknüpfen Sie mit dieser Entwicklung also Erwartungen und keine Befürchtungen für Verlage oder auch Buchhandlungen?
In diesen neuen Gesprächsformen sehe ich erst einmal reizvolle Möglichkeiten. Dass diese sich auf der Grundlage eines allmählichen Verschwindens von anderem entwickeln, macht mir natürlich Sorgen. Ich bin ein großer Anhänger des deutschsprachigen Feuilletons und fände es entsetzlich, wenn dort etwas wegbrechen würde, das Niveau der Auseinandersetzung ist im weltweiten Vergleich außergewöhnlich hoch. So sehr ich einzelne Blogs schätze, ist dies natürlich ein Feld, aus dem auch ungebremste Plauderei auf uns einbricht. Ein klassischer, gut ausgebildeter Feuilletonredakteur macht vieles nicht mit, weil er weiß, dass er etwas ewiger denken muss, als nur so in den aktuellen Nachmittag hinein.
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