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Interviews

Terézia Mora im Gespräch

In nicht einmal zwei Monaten steht der neue Preisträger des Deutschen Buchpreis fest. Bevor es jedoch so weit sein wird, wollten wir Buchpreisblogger noch einmal zurückblicken und einigen ehemaligen Gewinnern und Gewinnerinnen ein paar Fragen stellen. Auf Buchrevier hatte Tobias Nazemi bereits Julia Franck im Gespräch und ich hatte die Möglichkeit, Terézia Mora ein paar Fragen zu stellen.

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© Peter von Felbert

2013 wurden Sie für Ihren Roman „Das Ungeheuer“ mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet. Hat sich in den Monaten und Jahren danach etwas in Ihrem Leben verändert?

Nicht so viel. Die Lesereise für den Herbst war schon ausgebucht und ich habe keine zusätzlichen Termine hineingequetscht. Ich hatte auch das Glück, dass es von Seiten der Presse schon vor dem Preis reges Interesse für das Buch vorhanden war, es kamen also auch nicht wesentlich mehr Interviewanfragen (abgesehen natürlich von den 5 Tagen Redemarathon auf der Buchmesse (oder waren es gar 6?).) Bei den Lesungen war und ist seitdem mehr Publikum als sonst.

Hat diese Auszeichnung auch Ihr Schreiben verändert?

Nicht mehr als alles andere, was ich jeden Tag erfahre/lerne/verlerne.

Ralf Rothmann hat in diesem Jahr auf eine Nominierung durch seinen Verlag verzichtet. Was halten Sie von diesem Schritt?

Es ist sein gutes Recht. Offenbar kennt er sich genug zu wissen, dass diese Art von Aufmerksamkeit nichts für ihn ist.

Direkt im Anschluss an die Preisverleihung folgt in jedem Jahr die Frankfurter Buchmesse. Sie hatten dort zahlreiche Lesungen und Interviewtermine. Sind Sie danach erst einmal in ein Loch gefallen?

Nein. Wundersamer Weise war ich danach noch nicht einmal krank (das kam später im Laufe der Lesereise). Das ist mit das Beste an gerade vollendeten Büchern: sie bescheren einem einen einige Monate wirksamen „Nestschutz“, so dass einen „weltliche“ Ereignisse nicht so beeindrucken können, dass man aus dem Gleichgewicht geraten müsste. (Man = diesmal: ich.)

Ist zwei Jahre später noch etwas vom Deutschen Buchpreis in Ihrem Leben?

Es wird bei Lesungen erwähnt und ich bekomme gelegentlich Fragebögen.

Die Verleihung ist in jedem Jahr wieder von vielen Diskussionen geprägt: zu wenig Frauen, zu viel alte Autoren – verfolgen Sie diese Diskussionen?

Nein. Aber generell ist es eher Zufall, wenn ich etwas von den Diskussion im Betrieb mitbekomme.

Wenn Sie dieses Jahr in der Jury sitzen würden, welchen Roman würden Sie auszeichnen?

Leider kenne ich die diesjährigen Titel nicht. Ich werde erst im Herbst anfangen, mich zu orientieren – sowohl mithilfe der Longlist, als auch durch andere Quellen (Buchhändler meines Vertrauens, Feuilleton, Empfehlungen von Freunden, Zufall).

Annika Reich im Gespräch!

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Foto: © Hassiepen/Hanser. 

In diesem Frühjahr ist Annika Reichs neuer Roman Die Nächte auf ihrer Seite erschienen – ich habe das zum Anlass genommen, mich mit der Autorin auf der Leipziger Buchmesse zu treffen. Wir haben nicht nur über das neue Buch gesprochen, sondern auch über eine Absage von Michael Krüger und die Schattenseiten des Bloggens.

Du hast ursprünglich Ethnologie und Philosophie an der Freien Universität in Berlin studiert – wusstest du damals schon, dass du irgendwann mal schreiben möchtest?

Meinen ersten Roman habe ich schon mit fünfzehn geschrieben und mit neunzehn Jahren dann an alle großen Verleger geschickt. Ich hatte überhaupt keine Ahnung, wie das so läuft und hab das dann einfach mit einem selbstgemachten Cover und selbstgemaltem Briefpapier losgeschickt. Die erste Absage kam von Michael Krüger, eine ganze maschinengetippte Seite, auf der er schrieb, was das für ein grauenhaftes Buch sei. So habe ich das damals zumindest wahrgenommen. Eigentlich war das eine ganz tolle Replik auf mein Buch, er hatte sich damit jedenfalls wirklich auseinandergesetzt. Der letzte Satz war: „Wenn Sie wollen, rufen Sie mich mal an und erzählen Sie mir, wie Sie zu diesem Buch gekommen sind – das würde mich wirklich interessieren.“

Von dieser Absage hast du dich aber nicht abschrecken lassen und Ende Februar ist bereits dein viertes Buch „Die Nächte auf ihrer Seite“ erschienen. Wie lange hast du an dem Roman gearbeitet?

Drei Jahre lang. Mir kam es ewig lange vor, weil ich ein ganzes Jahr lang den Ton nicht gefunden habe. Ich habe geschrieben und geschrieben, wusste genau wie das Buch klingen sollte, aber es hat sich einfach nicht eingestellt. Der Ton kam nicht durch meine Finger auf das Papier. Das hat mich irrsinnig verunsichert, weil ich Angst hatte, ihn nie zu finden, obwohl ich ihn doch so deutlich hörte.

Das, was du über den Ton erzählst, finde ich sehr spannend. Wie kann ich mir den Schreibprozess bei dir überhaupt vorstellen? Bist du beim Schreiben immer ganz strukturiert oder folgst du einfach deiner Inspiration?

Ich bin überhaupt nicht strukturiert. Meistens habe ich eine Grundfrage, mit der ich in ein Romanprojekt hineinstarte, die so drängend und groß ist, dass ich sie mir nicht anders beantworten kann. Anschließend habe ich nicht die geringste Ahnung, wie ich diese Fragestellung in eine Geschichte fassen soll. Ich bin darauf angewiesen, dass Figuren zu mir kommen – das muss man wirklich so mystisch beschreiben – und diesen Figuren höre ich dann zu und lasse sie Dinge erleben. Eine ganze Zeit lang schreibe ich vollkommen im Blindflug. Irgendwann, wenn sich Figurenkonstellationen herausgebildet haben, baue ich dann das Buch auch stark. Im Nachhinein ist das Buch irrsinnig stark gebaut, im Verfahren ist es aber aus dem Blindflug geschöpft. Was für das Schreiberleben toll ist, weil man sich selbst so viele Überraschungen ermöglicht. Andererseits ist es aber auch eine verunsichernde Tätigkeit, da ich nie weiß, was als nächstes kommt und ob überhaupt etwas kommt.

In deinem neuen Roman, „Die Nächte auf ihrer Seite“, erzählst du auch vom arabischen Frühling. Wie kann ich mir deine Recherche für diese Passagen vorstellen?

Ich habe beim Schreiben ganz verschiedene Quellen herangezogen. Einmal habe ich viele Bücher gelesen, die zu diesem Thema veröffentlicht wurden, dann die gesammelten englischsprachigen Tweets – es wurde ja während der Revolution unheimlich viel getwittert – und  die Facebook-Seiten. Ich habe mir viele Filme dazu angesehen. Um die Stimmung in der Stadt einfangen zu können, waren diese Filme eigentlich am wichtigsten. Als ich das Buch geschrieben habe, fand in Berlin die Berlinale statt, und da gab es viele kleine Filmarbeiten, die sich mit dem arabischen Frühling beschäftigt haben.

Hast du auch mit Menschen gesprochen, die den arabischen Frühling erlebt haben?

Oh ja! Ich habe Steckbriefe verteilt und darauf meine Romanfigur Sira beschrieben. Auf den Steckbriefen stand:  „Wenn du eine junge Deutsch-Ägypterin bist, die 2011 zufällig auf dem Tahrir-Platz gelandet ist und die Revolution miterlebt hat, und danach wieder zurück nach Berlin gekommen bist, dann melde dich bei mir, ich schreibe einen Roman über dich. Du heißt Sira.“ Daraufhin haben sich tatsächlich fünf Frauen gemeldet, die mir dann in mehreren Gesprächen von ihren Erlebnissen erzählt haben. Das war wahnsinnig hilfreich: Sie haben mir von ihren Familien erzählt, davon wie es in der Stadt riecht, was im Radio läuft und wie man dort Taxi fährt. All das, was man sich auch aus Büchern und Filmen zusammenreimen kann, aber wenn man es dann hört, ist es doch etwas anderes.

Und bist du selbst auch mal in Kairo gewesen?

Ich wollte fahren, aber zu der Zeit gab es dort Bombenanschläge. Ich hätte alleine fahren müssen, spreche kein Arabisch und man hat mir abgeraten. Aber ich werde jetzt wahrscheinlich nach Kairo fahren und mir im Nachhinein noch einmal alles anschauen. So ist es eher eine Karl-May-Nummer.

Wir haben uns jetzt die ganze Zeit über dein neues Buch unterhalten, aber du bist ja nicht nur Autorin, sondern auch Bloggerin – du hast einen eigenen Blog und bloggst auch im Auftrag der FAZ. Wie kam es dazu?

Es gibt diesen Mythos, dass Frauen nicht politisch bloggen können. De facto gibt es wenige politische Frauen-Blogs. Dann hat die ZEIT einen neuen Blog aufgelegt, der 5 vor 8 heißt. Alte Helden erklären die Welt. Da haben wir, eine Gruppe von Autorinnen, gedacht: jetzt reicht’s! Wir gehen fünf Minuten vorher online und es schreiben nur Frauen. Das war der Impuls und jetzt machen wir das dreimal die Woche und der Blog wird von inzwischen mehr als hundert Autorinnen belebt. Ich finde das ganz toll, dass wir diese Plattform haben und dort ganz viele unterschiedliche Texte bringen können.

Was ist für dich das Besondere am Bloggen? Die Vorteile oder auch der Reiz? Und gibt es auch Schattenseiten?

Ein großer Vorteil ist es, mehr Zeit zu haben und damit mehr Freiheit. Wir müssen im Blog nicht aktuell sein. Wir können uns die Zeit nehmen, die wir brauchen und müssen nicht das bedienen, was der Tagesjournalismus bedienen muss. Das finde ich beim Bloggen einen großen Vorteil. Außerdem können wir Nischenthemen besetzen, wir können Texte aus Teilen der Welt bringen, die in unseren Medien unterrepräsentiert sind. Wir können also unsere eigenen Relevanzen setzen: wenn riesige Debatten im Feuilleton geführt werden, die wir nicht relevant finden, müssen wir dazu keine Stellung beziehen. Wir bringen dann lieber einen Brief einer Frau aus Odessa. Auch den Austausch innerhalb unserer Bloggergemeinschaft finde ich schön, wir arbeiten hoch produktiv und mit großem Spaß zusammen, und man lernt viele interessante Frauen kennen. Schwierig sind die Kommentare. Damit musste ich erst einmal umgehen lernen. Ich lebe in einem relativ freundlichen Umfeld und die Verachtung, die einem da teilweise entgegenschlägt, kenne ich nicht. Ein paar von uns können inzwischen sehr gut damit umgehen, ich kann es nicht.

Abschließend würde ich dich gerne nach deinem Geheimnis fragen: Du bist Bloggerin, Autorin, hast eine Gastdozentur an der Kunstakademie Düsseldorf und bist Mitarbeiterin von Katharina Grosse. Wie findest du die Zeit für all diese Tätigkeiten?

Ich habe wahrscheinlich das Talent, schnell umschalten zu können. Ich brauche keine Übergangszonen. Wenn ich am Roman schreibe, muss ich nicht erstmal einen Kaffee trinken, wenn ich danach einen Blogtext schreibe. Ich habe relativ wenig Metaebene – ich denke wenig darüber nach, ob das jetzt alles zu viel ist, sondern mache die Dinge eins nach dem anderen. Aber es ist trotzdem zu viel! Es ist zu viel, aber leider oder zum Glück alles so spannend, dass ich nicht wüsste, was davon wegfallen sollte. Wenn ich irgendetwas aufgeben müsste, dann wäre es niemals das literarische Schreiben.  Das müsste unbedingt bleiben.

Verena Güntner im Gespräch!

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Foto: © Stefan Klüter

Verena Güntner ist nicht nur Schauspielerin, sondern auch Schriftstellerin – im vergangenen Herbst hat sie ihren eindrücklichen Debütroman Es bringen veröffentlicht. Ich habe mit ihr über die Arbeit auf der Bühne und über ihr Schreiben gesprochen.

Du hast Schauspiel studiert und viele Jahre als festes Ensemblemitglied gearbeitet, stehst du heutzutage immer noch auf den Theaterbühnen?

Ja, ich habe bis zum letzten Sommer gespielt. In der Zeit, in der ich das Buch zu Ende geschrieben habe, habe ich keine neuen Engagements angenommen, aber wie das halt so ist am Theater: es gibt Stücke, die laufen über mehrere Spielzeiten und die sind dann erst zum letzten Sommer hin ausgelaufen. Bis auf ein einziges Stück! Und zwar spiele ich seit jetzt fast vier Jahren das Gretchen. Das wird immer absurder, da Gretchen ja eigentlich vierzehn ist und ich immer älter werde. Ich vermute mittlerweile schwer, dass ich das wohl dienstälteste Gretchen bin.

Du bist aber nicht nur Schauspielerin – mittlerweile gibt es auch ein Buch von dir. Wie wird aus einer Schauspielerin eine Schriftstellerin?

Ich habe mich schon immer gerne mit Sprache und Texten befasst und mich da im Kleinen immer wieder ausprobiert. Ein paar Jahre lang habe ich sehr intensive Brieffreundschaften mit Menschen gepflegt, die auch gerne schreiben. Für mich waren das nicht nur Briefe, sondern die Möglichkeit, einen speziellen Dialog zu führen – vielleicht sogar in einer literarischen Form. Das habe ich über Jahre gemacht, genauso wie ich ein Tagebuch hatte und kleine Miniaturen und Geschichten geschrieben habe. Irgendwann habe ich gemerkt, dass da mehr ist, dass sich da etwas anzukündigen schien. Dieses Gefühl fiel zusammen mit dem Entschluss, mein Engagement in Bremen zu beenden, das war damals im Jahr 2007 und zu der Zeit habe ich auch das erste Kapitel von „Es bringen“ geschrieben, so in einem Rutsch, es danach jedoch jahrelang nicht mehr angeschaut – ich wusste nicht, wo das herkam. Es war plötzlich da.

Du hast gerade erzählt, dass du 2007 angefangen hast, deinen Roman zu schreiben. Weißt du noch, wann in dir überhaupt ursprünglich der Wunsch entstanden ist, zu schreiben?

Ich glaube, die Auseinandersetzung mit Texten ist durch meinen anderen Beruf sowieso schon da, wird dort verlangt und gehört einfach dazu. Vielleicht habe ich in dieser Arbeit irgendwann gemerkt, dass es auch eigene Geschichten gibt, die ich unterdrücken musste, aber all das war kein wirklich bewusster Prozess nach dem Motto: „Jetzt schreibe ich einen Roman.“ Ich glaube auch, das hätte nicht geklappt, wenn ich mir das vorgenommen hätte. Dass ich den Roman wirklich auch beendet habe, hatte ganz viel mit dem open mike zu tun. Ich habe meinen Text einfach dahingeschickt und nicht damit gerechnet, eingeladen zu werden. Die Resonanz war dann überraschend groß, und ich glaube, dass ich das auch gebraucht habe – so eine Rückmeldung von außen. Man werkelt ja so vor sich hin, und ich habe immer gedacht: so geht das doch eigentlich nicht, so kann man kein Buch schreiben. Als dann plötzlich Leute da waren, die sagten: doch, da ist etwas, war das wohl die notwendige Bestätigung, um das Buch zu Ende bringen zu können.

Hat deine Tätigkeit als Schauspielerin dein Schreiben in irgendeiner Form beeinflusst? Gab es vielleicht Dinge, die du auf der Bühne nicht ausleben konntest, aber dafür beim Schreiben?

Da sprichst du einen ganz wichtigen Punkt an, weil ich schon glaube, dass mir als Schauspielerin irgendwann auch Dinge gefehlt oder nicht mehr genügt haben. Schreiben ist ja erst einmal die totale Freiheit. Auf der Bühne oder bei der Arbeit mit Schauspielkollegen und Regisseuren gibt es gewisse Begrenzungen: es gibt ein Stück und gewisse Vorgaben, an die man sich halten muss. An die muss man sich natürlich auch nicht sklavisch halten, im besten Fall ist das ein großes Miteinander, aber ich denke schon, dass mein Schreiben das Resultat eines empfundenen Mangels war.

Wenn ich mir deine Laufbahn als Schriftstellerin anschaue, dann fällt mir als erstes auf, dass du – im Gegensatz zu vielen anderen jungen Autoren und Autorinnen – keine Schreibschule besucht hast. Würdest du dich als Autodidaktin bezeichnen?

Faktisch bin ich das wahrscheinlich. Aber ich sage gern, dass mein anderer Beruf meine Ausbildung gewesen ist. Man entwickelt dort natürlich ein Gespür für Spannungsbögen und Dramaturgien, man lernt, sich in Figuren hineinzudenken. Das ist das Handwerk, das man als Schauspieler braucht. Ich empfinde es deshalb nicht so, dass ich keine Ausbildung habe, ich war eben nur nicht auf einer Schreibschule-

2012 hast du dann beim Open Mike gelesen, was war das für dich für eine Erfahrung?

Das war so aufregend, weil es meine erste Lesung gewesen ist. Überhaupt war das mein allererster Auftritt als Autorin, ich hatte mich selbst vorher ja gar nicht so gesehen. Und man liest dort auf einer Art Theaterbühne, ziemlich groß ist die, gemessen am Umstand, dass man da alleine sitzt, und muss auch eine sehr steile Treppe hochsteigen. Vor keiner Theaterpremiere war ich so aufgeregt, wie vor dem open mike. Ich bin der Literaturwerkstatt sehr dankbar, das ist eine so tolle Veranstaltung, und ich hatte das Gefühl, gleich aufgenommen zu werden. Das ist sicherlich nicht bei jedem so, und ich hatte viel Glück. Zu merken, dass und wie die Leute auf meinen Text reagieren, war schön. Dass der Text vor einem Publikum funktioniert, war für mich eine notwendige Erfahrung.

Dein Roman „Es bringen“ ist im vergangenen Herbst erschienen und du hast dich für eine etwas ungewöhnliche Hauptfigur entschieden, für Luis, einen pubertierenden sechzehn Jahre alten Macho. Warum?

Er ist eine adoleszente Bringerfigur, ich vermute, das ist das Ungewöhnliche daran. Man kennt viele Coming-of-Age-Romane, die die Geschichte eines klassischen Losers erzählen. Bei Luis ist das ja alles etwas anders. Erstmal. Denn im Grunde ist er ein sehr verletzlicher Junge und genau das hat mich interessiert, dieses Spannungsfeld: einer, der nach außen hin dieses Mackertum lebt und sehr selbstbewusst daherkommt, auf der anderen Seite aber eine große Zartheit besitzt.

Abschließend würde mich eines noch ganz besonders interessieren: wie sehen deine Pläne für die Zukunft aus? Schreiben oder Schauspielern?

Ich habe immer große Angst vor endgültigen Antworten, aber jetzt im Moment ist es einfach das Schreiben. Ich habe viel größere Lust, zu schreiben, als zu spielen. Das kann sich ja aber auch wieder ändern. Ich bin da sehr offen.

Petra Hartlieb im Gespräch!

Petra Hartlieb

Foto: © www.sebastianreich.com

Literarisch bekannt geworden ist Petra Hartlieb vor allen Dingen als Teil eines Krimiduos, nebenbei betreibt sie aber auch noch zwei Buchhandlungen mitten in Wien und hat jetzt sogar noch darüber geschrieben. Doch wie kam es eigentlich dazu? Genau darüber habe ich mit ihr gesprochen: über Buchhandlungen und den Mut, den eigenen Traum zu leben.

Ursprünglich haben Sie angefangen Psychologie und Geschichte studiert, um dann viele Jahre im Literaturbetrieb tätig zu sein. Wie ist aus Ihnen schließlich eine Buchhändlerin geworden?

Ein bisschen durch Zufall. Ich bin wegen der Liebe nach Hamburg gezogen – mein Mann war bei Rowohlt und ich war bei einem kleinen Verlag in Wien und bin dann zu ihm nach Hamburg gezogen. In eine fremde Stadt und ohne Job. Da ich nichts fertig studiert habe, konnte ich nichts und habe lange überlegt, was ich nun machen könnte. In Wien war ich sehr aktiv in der literarischen Szene und viele Leute haben mich gekannt, in Hamburg hatte ich dann plötzlich das Gefühl, dass mich niemand kennt, dass niemand weiß, wie toll ich bin. Mein Mann kennt viele Buchhändler, deshalb habe ich dann begonnen in einer kleinen Buchhandlung zu jobben. Erst einmal nur einen Tag die Woche, irgendwann dann zwei Tage die Woche und ich habe relativ schnell gemerkt, dass ich das gut kann: ich kann gut mit Leuten, ich kann gut Geschichten erzählen.

Mittlerweile betreiben Sie seit 2004 mit Ihrem Mann eine Buchhandlung in Wien und erzählen in Ihrem neuen Buch „Meine wundervolle Buchhandlung“ von ihrem Leben als Buchhändlerin. Woher kam die Idee, ein Buch darüber zu schreiben?

Ich muss an dieser Stelle immer gestehen, dass die Idee nicht von mir ist. Die Idee ist eigentlich von Jo Lendle gekommen, dem ehemaligen Verleger des DuMont Verlags. Das ist ein guter Freund von mir, der auch eigene Bücher schreibt, die er dann immer bei uns in der Buchhandlung vorstellt. Er kennt unser Leben, unsere Wohnsituation über der Buchhandlung und wie das alles immer so ein bisschen chaotisch ist. Die eigentliche Idee kam dann von ihm: magst du nicht mal eine Geschichte über eine verrückte Buchhändlerin schreiben, die über ihrer Buchhandlung wohnt? Darüber habe ich lange nachgedacht, ohne etwas zu schreiben und irgendwann hatte ich dann doch das Gefühl: „Warum eigentlich nicht, ich kann das doch mal versuchen“.

In Ihrem Buch kann man dann auch herauslesen, dass es eher eine spontane Entscheidung gewesen ist, die Buchhandlung zu übernehmen. Haben Sie den Schritt zur eigenen Buchhandlung jemals bereut?

Ich bereue die Entscheidung jedes Jahr wieder im Weihnachtsgeschäft. Nein, im Ernst: bereuen tue ich es nicht. Ich bin kein Mensch, der in hätte ich und wenn ich denkt. Es ist das passiert, was wir gemacht haben. Es ist gut gegangen, wir haben viel Glück gehabt und machen einen guten Job. Ob mein Leben besser oder anders wäre, wenn wir uns vor zehn Jahren dagegen entschieden hätten, weiß ich nicht. So etwas weiß man nie. Ich bereue es nicht, auch wenn die ersten zwei Jahre schon sehr, sehr hart gewesen sind. Wenn mir jemand am Anfang gesagt hätte, wieviel ich dort in den ersten zwei Jahren – mit einem kleinen Kind – arbeiten werde, dann hätte ich wahrscheinlich gesagt: das kann ich nicht, das geht nicht. Ich habe es dann aber einfach durchgezogen.

Es gibt diesen etwas abgegriffen Satz, wenn Beruf von Berufung kommt … würden Sie sagen, dass Sie mit dem, was Sie machen, Ihren Traum leben?

Das auf jeden Fall! In einer Buchhandlung zu arbeiten, war auf jeden Fall immer ein Traum von mir, vielleicht sogar von meinem Mann und mir. Für uns beide war immer völlig klar, dass wir etwas mit Büchern machen möchten. Es gibt nichts anderes. Ich bin keine geborene Verkäuferin und könnte nichts anderes verkaufen. Es sollten Bücher sein, ob in einem Verlag oder in einer Buchhandlung, war erst einmal egal. Dass es dann eine Buchhandlung wurde, ist auch ein großer Zufall gewesen. Natürlich ist eine Buchhandlung, wie wir sie haben, eine alte Buchhandlung mit hohen Decken schon ein Traum. Manchmal fühle ich mich bei uns wie in einer Filmkulisse. Es ist ein echter Traum, dass es uns noch gibt, dass wir uns behaupten können und dass wir erfolgreich sind: Dieser Traum hat aber auch einen hohen Preis.

Die Geschichte von Hartliebs Büchern ist mehr als ungewöhnlich, denn Sie arbeiten nicht nur in einer Buchhandlung, sondern leben auch darin. Wie lebt es sich in einer Buchhandlung und wie häufig laufen Sie nach Feierabend die Wendeltreppe doch noch mal runter?

Die ersten Jahre haben wir immer durchgearbeitet. Das hat damals aber auch unser Familienleben gerettet. Wir haben immer bis sechs Uhr gearbeitet, dann zugesperrt, Familienleben gehabt und wenn das Kind geschlafen hat, haben wir das Babyphone angemacht und sind wieder runtergegangen und haben weitergearbeitet. So schlimm ist es mittlerweile nicht mehr, aber es ist nach wie vor so, dass wir im Weihnachtsgeschäft wirklich die halbe Nacht arbeiten. Du gehst nicht schlafen, wenn du weißt, dass sich da unten die Kisten türmen, die eigentlich noch ausgepackt werden müssen. Inzwischen schaffe ich es besser – wenn ich mal einen freien Tag habe, dann gehe ich da auch wirklich nicht runter.

Mittlerweile haben Sie bereits eine zweite Buchhandlung eröffnet. Woher nehmen Sie den Mut und die Zeit dafür?

Mein Mann und ich sind beide sehr ähnlich: wir lassen uns immer sehr von unserem spontanen Gefühl und von unserem Herzen leiten. Wenn wir das Gefühl haben, dass wir etwas unbedingt machen müssen, weil sich das irgendwie gut anfühlt, dann machen wir das. Das machen wir im Privatleben so, aber auch im Arbeitsleben. Ich habe meinen Mann auf der Buchmesse in Leipzig kennengelernt, im Oktober bin ich zu ihm gezogen und im November haben wir geheiratet. Genauso treffen wir auch die Entscheidung für neue Mitarbeiter. Wir machen keine siebentausend Auswahlrunden, sondern wenn sich jemand vorstellt, bei dem wir das Gefühl haben, dass passt, dann lassen wir den zwei Tage zur Probe arbeiten und nehmen ihn dann. So machen wir es auch im Geschäft, da gibt es kein großes Konzept. Die zweite Buchhandlung war vom Zusperren bedroht, wir fanden den Raum toll und zufälligerweise wurde sie uns dann sehr günstig angeboten. Wir haben dann gesagt: „Komm, dass schaffen wir doch noch.“

Eigentlich müsste man ja annehmen, dass die Zukunft des Buchhandels düster aussieht. Macht Ihnen die aktuelle Entwicklung Angst oder sehen Sie auch positive Zeichen, die Sie weitermachen lassen?

Ich bin eher ein Mensch, der relativ im Augenblick lebt. Wenn ich danach gefragt werde, wie ich das sehe und ob es in zehn Jahren noch Buchhandlungen geben wird, dann kann ich nur sagen, dass ich das nicht weiß. Ich kann das einfach nicht beantworten. Wir arbeiten von Jahr zu Jahr, wir gucken, dass wir das Jahr positiv abschließen und das Geld verdienen, um unser Personal und unsere Miete zu bezahlen und auch noch die Schulden zurückzuzahlen. Was aber in zwei oder drei Jahren sein wird, das kann ich nicht beeinflussen. Es macht mir aber natürlich auch Angst. Ich kann nur schauen, dass ich die richtigen Entscheidungen treffe, dass ich das richtige Konzept fahre und meine Kunden nicht verliere. Ob es uns in fünf Jahren noch geben wird, dass weiß ich nicht, aber ich denke, dass überlege ich mir dann. Ich bin aber ganz sicher keine, die in ihrem eigenen Laden sitzt und dabei zuschaut, wie das alles immer schlechter wird. Lieber ein Schrecken mit Ende, dann muss ich mich eben mit 55 Jahren noch einmal neu erfinden. Oder ich werde reiche Bestsellerautorin.

Ja, warum denn nicht? Sie arbeiten mittlerweile seit mehr als zehn Jahren in Ihrer eigenen Buchhandlung. Inwieweit haben sich in dieser Zeit die Anforderungen an Buchhändler verändert? Sehen Sie da eine Entwicklung?

Vor zehn Jahren ist es noch so gewesen, dass die Feinde der kleinen Buchläden die großen Buchhandelsketten gewesen sind. Da war mein Albtraum immer, dass ein Thalia gegenüber aufmachen wird und wir dann zusperren müssen, weil alles ganz schrecklich wird und die dort eine riesige Filiale mit fünf Stockwerken hinbauen. Davor habe ich inzwischen keine Angst mehr.

Das hat sich eher umgedreht, oder?

Ja, das hat sich total verändert. Die tun mir nix mehr. Die Leute, die zu mir gehen, die würden nicht in einen Thalia gehen. Dafür hat sich alles ins Internet verschoben. Das haben wir vor ein paar Jahren gemerkt, als man plötzlich das Gefühl hatte, Amazon ist die Richtschnur für alles geworden. Ich hatte dann als Buchhändlerin plötzlich ein ganz schlechtes Gewissen, weil ich ein Buch nicht da hatte und dann ein Kunde kommt und sagt: „Aber bei Amazon gibt’s das.“ Man macht sich dann ganz klein und hat das Gefühl, man genügt nicht, während Amazon so toll ist, sind wir nur eine verstaubte und blöde Buchhandlung. Das wiederum hat sich im letzten Jahr total geändert. Durch das schlechte Image und die schlechte Presse, die Amazon sich selbst zuzuschreiben hat, hat man im Buchmilieu schon das Gefühl, dass die Kunden doch eher Leute sind, die denken, intellektueller sind und durchaus Dinge in Frage stellen. Wir merken einfach, dass immer wieder neue Kunden kommen und es für viele nicht mehr so sexy ist, bei Amazon zu bestellen.

Franz Friedrich im Gespräch!

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Foto: Jörg Steinmetz

Die Diskussionen rund um die Longlist des Deutschen Buchpreis liegen mittlerweile schon wieder ein paar Monate zurück, doch sie sind mir im Gedächtnis geblieben. Mit Franz Friedrich habe ich genau darüber gesprochen: über den Deutschen Buchpreis, sexistische Diskussionen und die Angst davor, auf der Shortlist zu stehen.

Erst einmal Glückwunsch dazu, dass du mit deinem Roman „Die Meisen von Uusimaa singen nicht mehr“ auf der Longlist des Deutschen Buchpreis standst – wie hast du von der Nominierung erfahren?

Ich weiß gar nicht genau, ob man das sagen darf, aber die Verlage wissen das meistens schon am Abend vor der Bekanntgabe und ich habe die Nachricht dann von meinem Lektor erfahren, der mich angerufen hat, um mir zu sagen: Du bist drauf.

Und dann war die Freude wahrscheinlich groß, oder?

Ja, schon – die Freude war groß. Es hat mir aber auch ein bisschen Angst gemacht. Auf der Longlist zu stehen, ist natürlich super, aber ich hatte dann irgendwie Angst davor, dass ich auf die Shortlist komme.

Angst, warum denn Angst? Wäre das nicht eher ein Grund zur Freude gewesen?

Ich hatte Angst davor, so viel Aufmerksamkeit zu bekommen, dass ich diese nicht mehr kontrollieren oder beherrschen kann. „Die Meisen von Uusimaa singen nicht mehr“ ist mein erstes Buch gewesen und ich habe noch gar keine Erfahrung. Wenn man schon ein paar Bücher rausgebracht hat, dann kann man all das vielleicht besser einschätzen oder kanalisieren. Ich kann das noch nicht und da habe ich im ersten Moment gedacht: „Oh je!“. Ich hatte Angst davor, wenn ich auf der Shortlist stehe, dass ich irgendetwas Blödes in einem Interview sage und das wird dann gleich ganz komisch multipliziert und verfremdet. Über die Longlist habe ich mich aber gefreut, weil die Aufmerksamkeit nicht nur für das Buch gut ist, sondern auch für den Verlag, der es dann leichter hat, das Buch zu verkaufen.

Dieses Jahr war der Buchpreis ja auch von vielen Diskussionen geprägt: zu wenig Frauen, zu viel alte Autoren – hast du diese Diskussionen verfolgt?

Ja, ich habe diese Diskussionen verfolgt, die – als die Longlist da war – ja relativ schnell losgingen. Es haben sich ja auch alle möglichen Leute dazu geäußert und positioniert. Da ich in diesen Dingen relativ unerfahren bin, habe ich das alles schon irgendwie persönlich genommen. Im Nachhinein war es natürlich nicht persönlich gemeint, es gibt immer Debatten, die losgetreten werden müssen, aber ich habe mir zwischendurch schon gedacht: „Bin ich jetzt falsch?“ Wenn man sagt, dass es zu wenige junge Frauen auf der Liste gibt, sagt man ja auch gleichzeitig, dass zu viele Männer da sind. Ich bin ein Mann, also bin ich zu viel. Irgendwie gehöre ich da nicht drauf, weil es gibt da eine begrenzte Zahl. Das hat mich dann schon ein bisschen getroffen. Alles in allem muss ich sagen, dass ich diese Debatte nicht wirklich gut fand. Sie ist relativ schnell entglitten und mir hat die Art und Weise der Diskussion nicht gefallen. Ich würde mich selber als Feministen bezeichnen, wenn es aber nur darum geht, junge Frauen auf dieser Liste sehen zu wollen, rutscht das schnell in einen Sexismus ab. Nach dem Motto: hier gibt es zu wenige sexy Bitches. Ich finde es grundsätzlich total wichtig, darüber zu reden, wie der Sexismus im Literaturbetrieb funktioniert, weil dieser nach wie vor von Männern beherrscht wird. Die meiste Literatur wurde von Männern geschrieben und hat einen männlichen Blick. Eigentlich ist das ein richtig interessantes Thema und es würde sich lohnen, ernsthaft darüber zu diskutieren und eine wirklich gute Debatte zu führen. So wie die Debatte dann aber geführt wurde, empfand ich sie jedoch komischerweise nicht als emanzipatorisch feministisch, sondern fast schon als sexistisch.

Da kann ich dir nur zustimmen. Mir selbst haben auf der Longlist Bücher gefehlt, ob diese von einem Mann oder einer Frau geschrieben wurden, war für mich dabei zweitranging.

Ja genau. Es gibt sicherlich im Literaturbetrieb Strukturen, die es Frauen schwerer macht – darüber kann man gerne reden. Es gibt aber gleichzeitig auch eine ganze Reihe anderer ausschließender Strukturen. Man könnte ja auch sagen, es gibt zu wenig Arbeiterkinder auf der Liste, zu wenig Migranten oder zu wenig Homosexuelle. Das ist alles interessant, aber es ist eine Art der Debatte, bei der ich mich frage, was das bringt.

Kannst du – losgelöst von dieser Diskussion – denn sagen, ob es etwas in deinem Leben gibt, das sich nach der Nominierung verändert hat?

Dass das Buch nun draußen ist, das hat natürlich viel verändert. Mit der Nominierung hat sich aber eigentlich nichts geändert. Es war eine schöne Sache, auch mit der Lesung – es gab eine Blinddatelesunge und da war ich in Marburg eingeladen und das war gleichzeitig auch meine erste Lesung mit dem Buch und ich war total nervös und aufgeregt. Ich dachte: „Schrecklich, die kennen mich gar nicht!“ Das Buch war ja relativ neu und ich hatte keine Ahnung, wie die nun reagieren. Dann waren dort aber total viele nette Leute und der Moderator war super, genauso wie die Buchhandlung, die die Lesung betreut hat. Es war einfach eine ganz spannende Erfahrung, die ich da machen durfte und es ist mir ganz viel Freundlichkeit dabei entgegengekommen.

Was bedeuten dir Preise und Auszeichnungen überhaupt beim Schreiben?

Ich glaube, dass das Gute an Preisen immer das Preisgeld ist, denn Geld schafft Sicherheit. Insofern sind Preise natürlich wichtig. Es ist aber gar nicht möglich, auf einen Preis hin zu schreiben. Ich glaube, dass macht auch keiner.

Wenn man sich deine Biographie anschaut, sieht man, dass du Schreiben in Leipzig am Literaturinstitut studiert hast – kannst du noch sagen, wann genau ist in dir der Wunsch entstanden zu schreiben?

Das klingt vielleicht eitel, aber eigentlich wollte ich schon immer schreiben – obwohl ich eine schlechte Rechtschreibung hatte und man mich schon fast als Legastheniker hätte bezeichnen können. Ich war sowieso kein guter Schüler, zumindest im Fach Deutsch. Aber sobald ich – auch wenn das jetzt kitschig klingt – als Erstklässler ein Alphabet zur Verfügung hatte, habe ich angefangen Geschichten zu schreiben. Das war damals natürlich noch nicht der seriöse Wunsch Schriftsteller zu werden, aber diese Möglichkeit, Bücher zu schreiben, war für mich immer da. Damals hatte ich sicherlich noch andere Lieblingsberufe, die dann mit der Zeit weggefallen sind.

Wenn wir abschließend noch einmal über deinen Roman sprechen: du hast ja nicht nur Schreiben studiert, sondern auch Experimentalfilm und auch in deinem Roman spielt der Film eine wichtige Rolle. Was verbindet Film und Literatur miteinander? Gibt es Dinge, die man im Film nicht machen kann, dafür aber in der Literatur?

Bei mir ist das so, dass ich beides gleichzeitig studiert habe. Ich war in Leipzig eingeschrieben und habe gleichzeitig am UDK Experimentalfilm studiert. Für mich lief also beides parallel nebeneinander her. Das Schöne an der Beschäftigung mit Film für mich ist die Tatsache, dass die Literatur mir manchmal etwas beengt vorkommt. Man zensiert sich selbst: das geht nicht, das geht nicht, das geht nicht. Auch beim Film gibt es Grenzen, aber andere Grenzen. Und da merke ich dann immer, dass durch die Vermischung beider Gattungen eine Öffnung entsteht. Eine Öffnung des Raums oder auch der Möglichkeiten. Das Andere, das am Film interessant ist, ist, dass es dort eine andere Art der Genauigkeit gibt. Das ist die Genauigkeit des Blicks oder auch des Bildes. Bei der Literatur funktioniert diese Genauigkeit eher über das Wort, die Sprache muss das sozusagen alles richten und im Film ist es das Bild. Diese Genauigkeit in die Literatur wieder mit zurückzunehmen, finde ich immer wieder spannend und befruchtend.

Roman Ehrlich im Gespräch!

EHRLICH_ROMAN_2014_G-sRGBVor ein paar Monaten hat Roman Ehrlich noch beim Debütantenball gelesen, doch mittlerweile liegt bereits sein zweites Buch in den Läden: Urwaldgäste ist ein lesenswerter Erzählband. Ich habe dies zum Anlass genommen, mich mit Roman Ehrlich über das Debütieren im Literaturbetrieb und den Beruf des Schriftstellers zu unterhalten.

Du hast vor einiger Zeit an einem literarischen Debütantenball in Göttingen teilgenommen – wie fühlst du dich als Debütant im Literaturbetrieb?

Es ist interessant zu sehen, wie mein Buch aufgenommen wird. Es ist spannend für mich, wie die Presse darauf reagiert, aber auch die Veranstaltungen, zu denen man eingeladen wird sind oft interessant. Einiges, was passiert ist, habe ich erwartet, weil ich an einem Literaturinstitut studiert habe, wo Leute, die man kennt, auch Bücher geschrieben und veröffentlicht haben. Freunde von mir waren da etwas schneller als ich, deswegen ist der Literaturbetrieb für mich keine komplett unbekannte Welt. Ich bin jetzt glücklich, dass es dem Buch ganz gut geht und sehr nervös, was die zweite Veröffentlichung angeht. Wie beim ersten Buch habe ich auch jetzt kein Gefühl dafür, wie es aufgenommen werden wird. Ich habe versucht meine Hoffnungen niedrig zu halten und tue das jetzt auch wieder.

Dein erster Roman ist vor beinahe einem Jahr erschienen – bist du insgesamt zufrieden damit, wie er aufgenommen wurde?

Also ich bin begeistert, dass es so gut funktioniert hat. Er wurde viel besprochen und war in der Wahrnehmung vorhanden. Das habe ich nicht erwartet, es hat mich aber sehr gefreut.

Ist es dir damals schwergefallen, den Text aus den Händen zu geben?

Es war ja die verrückte Situation, dass die Erstveröffentlichung des Textes beim Bachmannpreis war und ich zu diesem Zeitpunkt bereits wusste, dass es in einem Verlag escheinen würde. Beim Bachmannpreis war dann ich anwesend, da war das Publikum anwesend und da war die Kritik anwesend. Da war all das in einem Raum, was sonst eigentlich – räumlich und zeitlich – getrennt voneinander stattfindet. Ich glaube, dass das für eine Erstveröffentlichung eine unwahrscheinliche Konstruktion war.  Das hat dann auch erst einmal meinen Geist gesprengt. Es ist natürlich toll, weil man wirklich wie bei einer Geburt mit dabei ist.

Beim Bachmannpreis wird man sehr direkt mit der Kritik konfrontiert, wie verfährst du darüber hinaus mit Kritik – liest du Besprechungen oder googelst du nach dir selbst?

Ich lese das schon! Man bekommt auch, wenn man das möchte, all diese Kritiken vom Verlag zugeschickt. Man kriegt dann einen Ordner, wo alles ganz ordentlich aufgelistet ist: alle Besprechungen des Buches. Ich finde das unheimlich interessant, auch wenn es negativ ist. Das ist ja eben diese Öffentlichkeit und das ist auch das, wonach man hungrig ist, dass es eine Reaktion auf das gibt, was man veröffentlicht hat. Das ist mit Sicherheit auch ein bisschen Narzissmus, dass man das gerne liest und dass man da vorkommen möchte. Aber es ist auch einfach wertvoll, sich das anzuschauen. Kritik ist grundsätzlich erst mal produktiv. Das können auch Verrisse sein, es gab auch im Internet Kritiken die äußerten, dass das Buch langweilig sei – ich nehme das alles mit auf, auch wenn ich das nächste Buch nicht schreibe, um diese Leute glücklich zu machen, aber ich überprüfe mich dennoch selbst.

Gibt es im Rückblick einen Punkt, den du festmachen könntest, an dem du wusstest, dass du schreiben möchtest?

Ich kann mich erinnern wie das war, als ich irgendwann mal festgestellt habe, dass selbst wenn ich Tagebuch geschrieben habe, die Aufzeichnungen eigentlich nie für mich alleine waren, sondern alles auf eine Art geschrieben war, dass eine Öffentlichkeit impliziert wurde. Obwohl das ja ganz lange nicht passiert ist, dass irgendetwas veröffentlicht wurde. Mir ist aufgefallen, dass ich beim Schreiben einen Leser oder eine Leserin immer mitgedacht habe. Ich habe dann auch angefangen viel zu lesen. Es gab aber kein Erweckungserlebnis, es gab keinen biographischen Knackpunkt, wo ich dachte: jetzt werde ich Schriftsteller. Ob ich mittlerweile an diesem Punkt angekommen bin, ist auch immer noch Verhandlungssache.

Wenn man sich deinen Lebenslauf ansieht, fällt auf, dass du am Literaturinstitut in Leipzig studiert hast. Hast du das Studium dort als hilfreich empfunden?

Ich weiß es nicht, ich weiß es bis heute nicht. Ich denke immer noch darüber nach und ich dachte, irgendwann würde das dann mal vorbei sein und ich würde das dann einfach wissen. Vor allem auch, seitdem ich dort meinen Abschluss erworben habe und fertig mit dem Studium bin. Das Studium hat mir mit Sicherheit einiges eröffnet und mir auch geholfen. Ich habe viele Leute kennengelernt, was mit Sicherheit das Wichtigste gewesen ist – die Menschen, die ich dort getroffen habe und mit denen ich teilweise bis heute noch befreundet bin. Es war auf jeden Fall eine Bereicherung. Wenn ich die Wahl gehabt hätte, etwas anderes zu studieren, Biologie oder Medizin, dann hätte ich mir das im Nachhinein wohl empfohlen zu tun. Es ist einfach auch ein schwieriger Weg. Ich musste erst dort fertig werden und tatsächlich ganz aus Leipzig weggehen, bevor ich dieses Buch schreiben konnte und auch das zweite. Bevor ich das Gefühl hatte, ich kann wieder so nah an das heran, was ich eigentlich will und was eigentlich der Text ist, den wirklich nur ich schreiben kann. Dazu musste ich erst aus diesem Kontext raus, aus dieser Blase von schreibenden Leuten.

Vor einigen Monaten tobte eine Schreibschuldebatte, ausgelöst durch Florian Kessler – die fällt mir natürlich ein, wenn wir über das Literaturinstitut sprechen. Bist du auch ein typischer Schreibschüler, also ein gutsituierter Arztsohn?

Nee. Man muss mittlerweile wahrscheinlich den Hut ziehen vor dem Text, den Florian Kessler geschrieben hat, auch wenn ich ihn inhaltlich nicht gut finde. Es ist einfach offenbar, dass die Polemik des Textes so gut funktioniert hat, weil wir alle die ganze Zeit darüber sprechen müssen. Ich bin kein Arzt-, Lehrer- oder Akademikerkind. Meine Mutter hat irgendwann später noch mal studiert, die ist jetzt also auch Akademikerin. Meine Eltern waren Gärtner und Buchdrucker, als ich mit ihnen aufgewachsen bin. Aber das bedeutet einfach nichts. Für mich hat es das Schreiben nicht leichter oder schwerer gemacht.

Obwohl du zu den jungen Autoren gehörst, liegt nun bereits dein zweites Buch vor – ist Schriftsteller eine Art Traumberuf, das, was du für immer machen möchtest? Oder gibt es auch einen Plan B?

Es muss eigentlich immer einen Plan B geben, glaube ich. Es ist ja noch nicht das letzte Wort darüber gesprochen, ob Schreiben überhaupt ein Beruf ist. Es gibt viele Leute, die das machen, die schreiben und davon leben können, die ihre Steuern bezahlen und ihre Miete bestreiten können. Aber ich kann das nicht für mich annehmen als meinen Beruf, als das, was ich tatsächlich immer mache und immer machen werde. Ich versuche es so zu betrachten, dass ich im Schreiben immer das sehe, was für mich selbst als Mensch gewinnbringend ist. Also etwas, das mir beim Leben hilft oder beim Umgang mit der Welt. Jetzt gerade ist der glückliche Fall eingetreten, dass ich davon leben kann und für ein oder zwei Jahre nichts anderes tun muss. Ich werde auch nicht für den Rest meines Lebens diese Jobs machen können, die ich gemacht habe, bevor das der Fall gewesen ist. Ich werde mir also etwas ausdenken müssen, wie ich Geld verdienen und schreiben kann.

Jo Lendle im Gespräch!

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© Julia Zimmermann

Seit Anfang diesen Jahres ist Jo Lendle Verleger des Hanser Verlags, doch nicht nur das: er schreibt auch selbst. Seinen Roman Was wir Liebe nennen habe ich bereits besprochen. All das war Grund genug, mich mal mit ihm über die Arbeit eines Verlegers, Lektorenausbildungsgänge und die Bedeutung von Literaturblogs zu unterhalten.

Sie haben Kulturwissenschaft studiert und sind Absolvent des Deutschen Literaturinstituts in Leipzig. Was hat Sie in die Verlagsbranche geführt?

Ich habe durch die Erfahrung, eine Literaturzeitschrift herauszugeben, festgestellt, was für einen großen Spaß man beim Kuratieren und Programmmachen haben kann. Ich habe in beiden Studiengängen viel an halbfertigen Texten gearbeitet und gemerkt, wie hilfreich das ist – erstens, weil es mir Spaß macht, zweitens aber auch, weil es den Texten wirklich hilft. Das ist ja ein kleines Geheimnis, man redet beim Buchmachen nie viel über die Arbeit des Lektorierens. Diese beiden Dinge, das Arbeiten am Text mit den Autoren, aber auch das Komponieren eines Programms, haben mir so eingeleuchtet, dass ich dachte, das wäre doch ein schöner Beruf.

Gab es dann einen Moment, in dem Sie wussten, dass aus Ihnen mal ein Lektor werden kann?

Das begann mit einem Praktikum im Gustav-Kiepenheuer-Verlag in Leipzig. Ich bekam vom damaligen Lektor Thorsten Ahrend ein Manuskript auf den Tisch gelegt, verbunden mit der Aufgabe, daraus ein Buch zu machen. Es war insofern ein irrsinnig glücklicher Umstand, als es ein sehr unfertiges Manuskript war, eher eine Materialsammlung, in dem sich aber wirklich brillante Abschnitte fanden. Daneben aber auch viele angesammelte Gelegenheitsgedanken. Eigentlich müsste man dieses Manuskript zur Grundlage eines Lektorenausbildungsganges machen. Es gibt Manuskripte, in denen sollte ein Lektor nicht mehr rumrühren. Das Lektorieren ist ja keine Aufgabe um ihrer selbst willen. Aber es gibt eben auch Texte, bei denen der neutrale, naive und ungetrübte Blick von außen in einer ganz grundsätzlichen strukturierenden und ordnenden Art und Weise hilfreich sein kann. Das Manuskript lag vor mir und ich wusste erst gar nicht, was ich damit machen soll. Ich bin immer wieder zu Thorsten Ahrend hingegangen und habe gefragt, ob ich das jetzt wirklich so machen kann, wie ich es machen würde. Da hat er gesagt: Ja, ja – mach mal. Als Leser, der ich war, hatte ich zunächst eine unheimliche Ehrfurcht. Dann aber habe ich das Manuskript fröhlich auf die Hälfte zusammengestrichen und mich als beginnender Lektor über den kräftiger werdenden Text gefreut. Den Autor haben die Vorschläge zum Glück überzeugt.

Heutzutage arbeiten Sie nicht mehr als Lektor, sondern als Verleger. Wie kann man sich  Ihre Arbeit als Verleger vorstellen – wie sieht Ihr Tagesablauf aus?

Das ist jetzt natürlich ein bisschen anders. Ich war lange Lektor, aber im Moment gibt es diese Textarbeit nicht mehr. Jetzt ist es eher eine strukturierende Arbeit. Der Hanser Verlag besteht eigentlich aus mehreren Verlagen, das ist der belletristische Verlag und der Kinder- und Jugendbuchverlag in München, das sind die Verlage in Wien, Zürich und Berlin: Nagel & Kimche, Zsolnay & Deuticke und Hanser Berlin. Da gibt es verschiedene Programme mitzuentwickeln, gegeneinander zu akzentuieren. Ich muss mir Gedanken machen, wie die Bücher jeweils vorgestellt werden. Jetzt in meiner Anfangszeit gibt es ungeheuer viel, das ich zunächst einmal von der Logik der spezifischen Eigenheiten der Verlage verstehen muss. Ich muss alles einmal gegen das Licht halten und überlegen: Stimmt das genauso oder dreht man da dran. Stellt man vielleicht auch mal Dinge in Frage? Das ist im Augenblick die ganz bestimmende Tätigkeit. Einmal die jeweils nächsten Programme zu durchdenken und dann aber auch den Verlag als Ganzes zu durchdenken. Das wird die ersten zwei Jahre sicherlich einen großen Teil meiner Arbeit ausmachen.

Fehlt Ihnen bei all der Organisation und Strukturierung auch die Arbeit am Text?

Ich war sehr lange Lektor und fand das immer den schönsten denkbaren Beruf. Seitdem ich seit vier Jahren als verlegerischer Geschäftsführer arbeite, macht es mir Freude, die Dinge, die ich in der Textarbeit gelernt habe, auf den Verlag zu übertragen. Textarbeit bedeutet im Wesentlichen, eine Balance zu finden zwischen dem Kleinklein der Detailarbeit auf Satzebene und der großen strukturierenden Gespräche darüber, was dieses Manuskript als Ganzes eigentlich will. Überspitzt formuliert: Was ist ein Verlag und was ist Literatur in einer Zeit, die komplett im Umbruch ist und welche Farbe soll das Lesebändchen von diesem oder jenem Buch haben. Dazwischen ist ein großes Feld.

Zuvor haben sie in Köln beim DuMont Verlag gearbeitet – was sind die größten Unterschiede zwischen beiden Verlagshäusern?

Es gibt äußerliche Unterschiede: Der Hanser Verlag ist in der Literatur eine Ikone, er hat sicherlich das Lesen von uns allen sehr geprägt. Bei DuMont haben wir erst 1998 mit der Literatur angefangen. Das heißt, dort war alles Aufbau und nicht so ein gewachsenes Programm, mit so einer großen stolzen Schar wichtiger Hausautoren, wie man das bei Hanser findet. Da mussten wir vieles entdecken. Diese Unterschiede gibt es nach wie vor, so dass ich meine Entdeckungslust auf jeden Fall mit zu Hanser nehmen möchte. Dann gibt es auch in der Struktur des Hauses einen großen Unterschied: Bei DuMont konnten wir im Grunde alles auf Zurufbasis regeln, es war überschaubarer, die Kommunikation direkter. Jetzt sitzen wir eben an vier verschiedenen Orten, da nimmt der organisierende Teil der Arbeit zu.

Jeder Verleger hat seine ganz eigene Handschrift, was zeichnet Ihre Handschrift aus?

Es gibt diese Handschriften und sie sind essentiell, aber über die eigene Handschrift soll und kann man kaum sprechen. Das ist etwas für Graphologen.

In der Literaturblogwelt wird immer wieder die Frage diskutiert, welchen Stellenwert Literaturblogs haben – auch im Verhältnis zum Feuilleton. Wie betrachten Sie als Verleger das Phänomen der Literaturblogs?

Es ist im Augenblick tatsächlich interessant zu sehen, wie sich das Gespräch über Literatur verändert. Eigentlich sind das zweierlei Geschichten: Zum einen entwickeln sich neue Kategorien in der Auseinandersetzung mit Büchern, zum anderen entwickelt sich eine neue Form von Öffentlichkeit. Es gibt also eine andere Form von Wahrnehmungserzeugung. Letzteres interessiert mich tatsächlich auch aus der Praxis des Büchermachens, denn wir merken, dass der Hebel des klassischen Feuilletons kürzer geworden ist und sich die Wirkung im Gespräch über Bücher verändert. Da es jetzt in den Blogs interessante Felder gibt, beziehen wir das einfach mit ein in unsere Öffentlichkeitsarbeit und in unseren Austausch. Wir reden mit unseren Autoren darüber, wie die in diese Gespräche einsteigen können und steigen dort auch selber als Verlag ein. Wir ziehen gemeinsam mit der ZEIT gerade etwas auf, das ein Ort werden soll, an dem über Literatur gesprochen werden kann: Freitext. Dabei stellen wir fest, dass sich das Gespräch über Bücher verändert: In der klassischen Feuilletonrezension ist der Austausch eher überindividuell. Es gibt dort ein eher allgemeines Sprechen, während das Sprechen im Blog vom individuellen Leseerlebnis ausgeht. Das ist etwas, das den klassischen Rezensenten eher zum Naserümpfen bringt, auch wenn es in den gelungenen Fällen nicht weniger Daseinsberechtigung hat.

Die Literaturblogs gehören – wenn man so will – einer neuen Generation an, ähnlich wie E-Reader und das gemeinsame Social Reading auf Plattformen wie Lovelybooks im Netz. Verfolgen Sie die digitale Entwicklung des Lesens?

Ich verfolge diese Entwicklung sehr, ich verfolge nicht jedes einzelne Medium, aber die Tatsache, dass Lesen nicht mehr ausschließlich das zurückgezogene, einsame, monadische Tun ist, sondern Teil eines Austausches, das interessiert mich. Ich weiß, dass ich mich manchmal, vor allem, wenn ich von einem Text besonders überzeugt bin, gerne zurückziehe und einfach nur mit dem Text alleine eine monadische Kugel bilde. Ich weiß aber auch, dass mich diese neuen Formen, in ein andauerndes und vibrierendes Gespräch über Literatur zu kommen, sehr reizen.

Verknüpfen Sie mit dieser Entwicklung also Erwartungen und keine Befürchtungen für Verlage oder auch Buchhandlungen?

In diesen neuen Gesprächsformen sehe ich erst einmal reizvolle Möglichkeiten. Dass diese sich auf der Grundlage eines allmählichen Verschwindens von anderem entwickeln, macht mir natürlich Sorgen. Ich bin ein großer Anhänger des deutschsprachigen Feuilletons und fände es entsetzlich, wenn dort etwas wegbrechen würde, das Niveau der Auseinandersetzung ist im weltweiten Vergleich außergewöhnlich hoch. So sehr ich einzelne Blogs schätze, ist dies natürlich ein Feld, aus dem auch ungebremste Plauderei auf uns einbricht. Ein klassischer, gut ausgebildeter Feuilletonredakteur macht vieles nicht mit, weil er weiß, dass er etwas ewiger denken muss, als nur so in den aktuellen Nachmittag hinein.

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