Sarah Strickers Roman „Fünf Kopeken“ war einer der Überraschungserfolge in diesem Herbst. Ich hatte die Möglichkeit die Autorin auf der Buchmesse in Frankfurt zu treffen und mit ihr, nicht nur über ihren Debütroman, zu sprechen.
Du lebst seit 2009 in Israel – wie ist es dazugekommen?
Ursprünglich bin ich mit einem Journalisten-Stipendium nach Israel gekommen, um für die größte Nachrichtenseite dort zu arbeiten. Eigentlich sollte ich zwei Monate bleiben. Aber es hat genau zwei Wochen gedauert, bis ich wusste: hier will ich nicht mehr weg. Warum ich mich zum Bleiben entschieden habe? Natürlich gab es Gründe, und ich könnte jetzt lang und breit darüber erzählen, wie ich mich die Mentalität der Israelis verliebt habe, oder dass es einfach keinen Ort auf der Welt gibt, an dem ich so gut schreiben kann, wie auf meinem Balkon in Tel Aviv. Aber im Endeffekt ist es wie in jeder Liebesbeziehung: Genauso wie man es tunlichst unterlässt, den Partner zu fragen, ob er einen noch liebt, empfiehlt es sich auch nicht, zu fragen, „warum liebst du mich eigentlich?“. Was man da hört, ist entweder unglaublich banal. Oder so schmierig von all dem Pathos, dass es einem durch die Finger flutscht. Die Antwort liegt wahrscheinlich irgendwo im toten Winkel des Denkens. Alles, was ich sagen kann, ist, dass ich in Israel sehr glücklich bin.
Kannst du denn sagen, was dir an deinem Leben in Tel Aviv besonders gefällt? Was du vielleicht am meisten schätzt?
Wahrscheinlich, dass es schier unmöglich ist, zu vereinsamen. Als ich noch in Berlin gelebt habe, hatte ich manchmal das Gefühl, völlig von meiner Umgebung abgeschlossen zu sein, gerade in intensiven Schreib-Phasen, wo man ja doch schnell zum Einsiedler wird. In Deutschland kann man einen ganzen Tag durch die Welt gehen, ohne mit einem einzigen Menschen zu sprechen. Selbst in Geschäften schiebt man einfach das Geld über den Tresen, bekommt die Ware und geht wieder, ohne dass man ein Wort miteinander gewechselt hätte. In Tel Aviv redet jeder mit jedem und das pausenlos. Man schafft es gar nicht durch den Supermarkt, ohne sofort in ein Gespräch verwickelt zu werden – was natürlich manchmal auch sehr nervtötend sein kann. Aber wenn ich auf meinem Balkon sitze und die lachenden und streitenden und, wie gesagt, pausenlos redenden Menschen höre, hab ich eher das Gefühl, Teil der Welt zu sein, in der ich lebe. Unabhängig davon habe ich in Tel Aviv aber auch einfach tolle Freunde gefunden. Das ist ja eigentlich immer der ausschlaggebende Grund dafür, dass man sich an einem Ort wohl fühlt: weil da Menschen sind, mit denen es irgendwie passt. Die hätte ich theoretisch natürlich auch woanders finden können, aber sie waren nun mal in Tel Aviv.
Was sind für dich die größten Unterschiede zwischen dem Leben in Deutschland und dem Leben in Israel?
Israelis sind viel direkter, machen sich weniger Gedanken darum, was Leute über sie denken könnten und halten nicht besonders viel von Regeln. Vor allem aber nehmen sie sich selbst nicht so ernst – was auf mich wahrscheinlich einen ganz guten Einfluss hat. Israel ist einfach ein Land, das größere Probleme hat, als Schreibkrisen. Rumgejammer, weil man mal einen Tag lang keinen gescheiten Satz hinbringt, wird einem dort ganz schnell abtrainiert. Wahrscheinlich hat es genau deshalb mit dem Roman in Tel Aviv so gut funktioniert. Ich habe das Gefühl, die Spitzen meiner Persönlichkeit wurden ein bisschen abgestumpft: sich wegen Kleinigkeiten verrückt machen, das Gefühl, immer irgendetwas müssen zu müssen, die Unfähigkeit, einfach mal nichts zu tun, ohne von schlechtem Gewissen zerfressen zu werden… all diese ja doch sehr deutschen Verhaltensweisen vertragen sich nicht besonders gut mit Kreativsein. Israel hat mich da bestimmt ein bisschen lockrer gemacht – was nicht heißt, dass ich mir nicht noch immer ca. einmal die Woche die Haare raufe, weil die Worte mal wieder nicht so wollen wie ich.
Wie hat dein Umfeld auf deine Entscheidung reagiert in Israel zu bleiben? Gab es unter den Reaktionen auch Sorge oder Angst?
Als ich angefangen habe, mich für Israel zu interessieren, war meine Mutter alles andere als begeistert. Für sie war Israel einfach eine einzige Kriegszone, und als letztes Jahr dann wirklich die Sirenen über Tel Aviv geheult haben, hat sie schon sehr gelitten. Ich glaube, sie hat es mir richtig übel genommen, dass ich nicht einfach zurück nach Deutschland geflogen bin und ihr schlaflose Nächte bereitet habe. Aber allmählich steckt meine Familie die Sorgen ganz gut weg, sie merken einfach, wie gut es mir geht, seitdem ich in Israel lebe. Natürlich wäre es ihnen lieber, wenn ich in ihrer Nähe wäre. Aber bevor ich nach Israel gezogen bin, habe ich in Berlin gewohnt. Das war auch sieben Stunden von meinem Heimatort entfernt. Länger dauert es jetzt auch nicht.
Israel wird in Deutschland vor allem als Krisenregion wahrgenommen. Bekommst du in deinem alltäglichen Leben in Tel Aviv überhaupt etwas davon mit?
Klar, ich bin ja ursprünglich Journalistin und auch so ein sehr politischer Mensch, ich lese Nachrichten, ein paar meiner Freunde sind in der Politik, es gibt keine Woche, in der ich nicht mit irgendjemandem in einen Streit gerate. Aber natürlich blendet man das im Alltag ein Stück weit aus. Ich habe keine Angst. Vorhin wurde ich gefragt, ob ich denn auch Bus fahre: klar, klar fahre ich Bus! Da denke ich auch nicht zweimal drüber nach.
Wie sieht deine weitere Lebensplanung aus, möchtest du irgendwann in deine Heimat zurückkehren?
Ich kann mir im Moment nicht vorstellen, aus Israel weg zu gehen. Ich vermisse es auch ganz schnell. So spannend die Buchmesse und der ganze Presserummel rund um die „Fünf Kopeken“ sind – nach ein, zwei Wochen in Deutschland zieht es mich schon wieder nach Tel Aviv. Aber wenn du mich fragst, was meine Zuhause ist, muss ich ganz ehrlich sagen: Für mich ist mein Zuhause am ehesten die Sprache. Ich fühle mich da daheim, wo ich schreiben kann. Und das klappt in Tel Aviv nun mal am besten. Versteh mich nicht falsch, ich hab einen riesen Spaß hier, aber ich freu mich einfach darauf, wieder an meinen Schreibtisch zu kommen und mich an den zweiten Roman zu machen. Die Ideen kommen allmählich zusammen. Aber leider ist es gerade ziemlich schwer, Zeit zu finden, um konzentriert zu arbeiten. Ich habe das Gefühl, jedes Mal, wenn ich mir einen Tag freischaufle, kommt eine neue Interviewanfrage. Das ist natürlich toll! Ich jammere hier auf hohem Niveau. Aber ich merke auch, dass es mir nicht gut tut, wenn ich länger nicht schreibe – ich werde dann einfach ein grantig.
Inwiefern hat Israel dein Schreiben verändert?
Es hat mir gut getan, weit weg zu sein. Auch weit weg von aller Konkurrenz oder allen Stimmen, die einem sagen könnten, ob das, was man da fabriziert, eigentlich gut ist oder nicht. Ich war nie Teil einer „Szene“, weder habe ich im Literaturinstitut studiert, noch war ich in irgendwelchen Schreibworkshops. In Israel hatte ich ganz automatisch die Distanz, die ich brauchte, weil ich abgeschnitten von der deutschen Sprache im Hebräischen eingeschlossen war, sodass ich mich ganz auf mein Eigenes konzentrieren konnte. In Deutschland kamen mir immer wieder Stimmen von außen in die Quere. Aber natürlich ist es auch einfach so, dass Sonnenschein am Morgen sehr hilft, den eigenen Schweinehund zu bekämpfen.
Im Herbst dieses Jahres ist dein Debütroman „Fünf Kopeken“ erschienen – was hat es mit dem ungewöhnlichen Titel auf sich?
Vor ein paar Jahren hab ich mal ein Weilchen Russisch gelernt, und da hat mir jemand erzählt, dass in der Sowjetunion die fünf die beste Note war und es offenbar den Brauch gab, Kindern vor wichtigen Prüfungen ein Fünf-Kopekenstück unters Kopfkissen zu legen. Die Geschichte hatte ich längst wieder vergessen, als ich eines Sonntagmorgens in Berlin eine fürchterliche Schreibkrise hatte. Um mich abzulenken bin ich auf einen Flohmarkt gegangen, und da ist mir die Münze sprichwörtlich in die Hände gefallen. Als ich sie gesehen habe, ist mir nicht nur diese Anekdote wieder eingefallen – plötzlich haben sich auch die ganzen Ideen, die mir bis dahin so im Kopf rumgespukt sind, zu einer Geschichte zusammengefügt, die ich unbedingt aufschreiben wollte.
Eines der zentralen Themen ist Schönheit und Hässlichkeit – wie bist du auf diese Themen gekommen und warum war es dir wichtig darüber zu schreiben?
„Meine Mutter war sehr hässlich“, der erste Satz des Romans, ist bereits ein Tabu. Ich habe das Gefühl, dass Leser diesen Satz nie einfach stehen lassen können. Entweder sie denken, das Buch sei autobiographisch und ich würde einfach auf hundsgemeinem Weg versuchen, meiner Mutter eins auszuwischen. Oder sie wittern eine Finte und gehen davon aus, dass die Mutter doch in irgendeiner Weise attraktiv sein könnte. Das fand ich sehr spannend! Warum ist das so? Warum kann das niemand akzeptieren? Die ersten Ideen zu dem Thema kamen mir bereits während der Schulzeit: einer meiner besten Freunde hatte seine Mutter verloren und nur ganz selten darüber geredet. Wenn er doch mal über sie sprach, sagte er: „Sie war wunderschön.“ So bewegend ich das damals auch fand, so empfand ich es doch immer auch als seltsam, dass er ausgerechnet dieses Klischee wählte. In Memoiren oder Erinnerungen sind Mütter ja immer schön, auch die hässlichen. Das muss einfach so sein. Ich glaube, das hat damit zu tun, dass die meisten von uns ihre Eltern nur sehr oberflächlich betrachten. Würde man seine Eltern als richtige Personen wahrnehmen, aus Fleisch und Blut, mit eigenen Bedürfnissen, die nichts mit unseren eigenen zu tun haben, würden sie auch zur Konkurrenz. Wer will schon riskieren, herauszufinden, dass die eigenen Eltern vielleicht viel krasser unterwegs waren, als man selbst. Den meisten ist es deshalb lieber, wenn ihre Mutter und ihr Vater einfach nur „die Mama“ und „der Papa“ bleiben. Die Fahrstuhlmusik für das eigene Auf und Ab. Eigentlich wissen wir überhaupt nicht, wer unsere Eltern sind. Deshalb war es mir auch wichtig, dass die Mutter den ganzen Roman über keinen Namen bekommt.
Dein Roman wurde in der Presse sehr euphorisch besprochen, hattest du mit diesem Erfolg gerechnet oder zwischendurch auch gezweifelt?
Ich hatte Zweifel, habe nach wie vor Zweifel und glaube, wenn man nicht immer am Zweifeln ist, sollte man es mit dem Schreiben lieber lassen. Als ich mit dem Roman angefangen habe, hatte ich weder eine Agentur, noch einen Verlag. Ich habe geschrieben, weil ich den Roman schreiben wollte.
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