Die Frage, welche Bücher man mit auf eine einsame Insel mitnehmen würde, gehört wohl zu den beliebtesten Fragen unter Bibliophilen, aber auch zu denjenigen, die kaum zu beantworten sind. Wie sollte man sich jemals entscheiden können, angesichts der Tatsache, dass es so viele gute Bücher gibt? Markus Gasser versucht in Das Buch der Bücher für die Insel eine Antwort auf die Frage zu finden und stellt in fünfzig Kapiteln potentielle Inselbücher vor. Das ist nicht nur höchst lesenswert, sondern auch eine große Gefahr für jeden Wunschzettel.
Solange in der Bibliothek noch Licht brennt, kann die Welt nicht verloren sein!
Dieser Satz steht auf der Rückseite des Buches und auch wenn ich eigentlich niemand bin, der bei Büchern wert auf das Äußere legt (zumindest nicht ausschließlich), muss ich doch gestehen, dass ich mir dieses Buch allein aufgrund der wunderbaren Gestaltung gekauft habe. Der Titel in Kombination mit dem großartigen Cover, den zwei roten Lesebändchen und diesem Satz auf dem Buchrücken hat mich einfach verzaubert. In diesem Fall stimmte jedoch nicht nur die äußere Gestaltung, auch der Inhalt hat mich dann begeistern können.
Kaum wendet sich ein Gespräch unter Literaturenthusiasten kurz vor der Sperrstunde der Frage zu, welche Bücher man auf eine einsame Insel mitnehmen würde, herrscht gebannte Stille am Tisch; man gibt sich feurigem Grübeln hin. Dann wirft einer seine Liste der persönlichen Lieblingsgrößen in die Runde und schon fällt ein anderer ihm ins Wort: weshalb dieser Roman fehle, während es jene Erzählung auf Platz drei geschafft habe. Und eine endlose Debatte bricht los, als könnte die perfekte Liste die Weltgeschichte verändern.
Das Buch der Bücher für die Insel ist in fünfzig kleine Kapitel unterteilt, in denen Bücher und Autoren vorgestellt werden. Die fünfzig Kapitel sind noch einmal in fünf übergeordnete Abschnitte gegliedert: Die Neuschöpfung des Universums, Helden, Wie leben die Anderen?, Die Abenteuer des Lesens und Die Archive der Finsternis. Im Grunde handelt es sich bei den fünfzig Kapiteln um fünfzig Rezensionen, um Skizzen, die den Autor, das Buch und sein Werk einordnen und dabei Lust auf die Lektüre und das Entdecken machen.
Erwähnung finden unter anderem Herman Melville, J.R.R. Tolkien, Emily Brontë, Jane Austen, Jonathan Franzen, Roald Dahl, Alice Munro und David Mitchell. Es wird bereits früh im Buch deutlich, dass es Markus Gasser nicht darum geht, eine objektive Liste der größten Bücher zusammenzustellen. Es geht ihm viel mehr darum dazulegen, welche Bücher ihm etwas bedeuten, was ihn manche Bücher gelehrt haben und welche Kraft das Lesen von Literatur haben kann. Das ist nicht nur klug und charmant, sondern auch immer wieder unterhaltsam und vor allen Dingen höchst lesenswert. Auch ich – als passionierte Leserin – finde mich in vielen seiner Gedankengängen wieder, entdecke Autoren und Bücher wieder, die ich auch gerne gelesen habe und werde neugierig auf Bücher, die ich bisher noch nicht zur Hand genommen habe. Deshalb darf ich mir an dieser Stelle auch nicht die Warnung verkneifen, dass dieses Buch wahrlich eine Gefahr für jeden Wunschzettel darstellt.
Es nimmt die Frage nach der Bibliothek für die einsame Insel spielerisch ernst und begibt sich mit seinen Lesern auf eine Weltreise durch die Kontinente der Literatur. In fünfzig Kapiteln macht es Romane und Erzählungen und deren Autoren lebendig und beschwört die Atmosphäre ihrer Zeit herauf.
Das Buch der Bücher für die Insel lässt sich wie ein ganz normales Buch lesen – von vorne nach hinten. Es lässt sich aber auch querfeldein entdecken, man kann immer wieder durchblättern, sich nur bestimmte Kapitel vornehmen oder es auf dem Nachttisch liegen lassen, um es in passenden Momenten immer wieder in die Hand zu nehmen. Es geht Markus Gasser jedoch nicht nur darum, die Bücher vorzustellen, die ihm viel bedeuten, sondern er versucht auch Antworten auf grundsätzlichere Fragen zu finden: warum lesen wir eigentlich? Welche Bücher würden wir auch ein drittes Mal zur Hand nehmen? Warum machen uns manche Bücher neugierig und andere nicht? Markus Gasser gelingt es nicht nur Koffer mit Büchern zu bepacken, mit denen man am liebsten sofort auf eine Insel reisen möchte, sondern er schafft es auch, einen zum Nachdenken anzuregen: warum bedeuten mir bestimmte Bücher besonders viel? Welche Bücher würde ich nochmals lesen? Und welche in einen Urlaubskoffer packen? Das Buch der Bücher für die Insel ist also nicht nur Leseratgeber und Packanleitung, sondern lädt auch zur eigenen Auseinandersetzung mit Literatur ein. Verzeihen muss man dem Autor lediglich, dass er manchmal doch etwas prätentiös und bemüht originell daherkommt.
Die Themen, denen es folgt, sind zugleich eins mit den Gründen, warum wir lesen und warum Bücher unverzichtbar sind: weil sie unser Universum neu erschaffen; weil wir in ihnen die Unbeugsamkeit wie die Schwächen großer und kleiner Heldinnen und Helden bewundern; weil wir uns schwelgerisch unbefangen in Abenteuern und fremden Welten verlieren; und weil Bücher die Träume und Alpträume unserer Geschichte wie Archibe erzählend bewahren.
Markus Gasser ist es gelungen, eine ungewöhnliche Bibliothek zusammenzustellen, mit der man problemlos die Reise auf eine einsame Insel antreten könnte. Das Buch der Bücher für die Insel lädt zu Entdeckungsreisen ein und eignet sich nicht nur zum Selberlesen, sondern auch zum Verschenken. Eine schöne Empfehlung, besonders für die Ferien und die sommerliche Jahreszeit.
Für den Herbst ist übrigens schon das nächste Buch angekündigt, das ebenfalls sehr reizvoll klingt: Eine Weltgeschichte in 33 Romanen.
Markus Gasser: Das Buch der Bücher für die Insel. Carl Hanser Verlag, München 2014. 384 Seiten, €21,90.
Markus Gasser: Eine Weltgeschichte in 33 Romanen. Carl Hanser Verlag, München 2015. 304 Seiten, €21,90.