Das dritte Reich – Roberto Bolano

Die Bewertung von “Das dritte Reich” – einem Frühwerk von Roberto Bolano, das erst jetzt aus seinem Nachlass veröffentlicht worden ist (übrigens interessanterweise, ohne das genaue Anweisungen vorliegen, was Bolano selbst sich für dieses Manuskript gewünscht hatte) – fällt mir sehr schwer. Eigentlich bin ich eine glühende Verehrerin von Bolanos Schreibkunst und habe mit großer, zum Teil sogar sehr großer Begeisterung, schon “2666”, “Stern in der Ferne”, “Lumpenroman” und “Naziliteratur in Amerika” gelesen. Auch auf “Das dritte Reich” hatte ich mich sehr gefreut, leider muss ich nach der Lektüre jedoch das Fazit ziehen, dass dieser Roman eher zu den schwächeren von Roberto Bolano gehört.

Roberto Bolano erzählt in Form eines Ferientagebuchs die Geschichte des deutschen Elektrikers Udo Berger, der den ersten gemeinsamen Urlaub mit seiner Freundin Ingeborg in Spanien verbringt. Sie wohnen in dem Hotel “Del Mar”, dort wo Udo Berger schon als Kind zusammen mit seinen Eltern seinen Urlaub verbracht hat. Udo Berger ist ein begeisterter Brettspieler, der mit Vorliebe das Strategiespiel “Das dritte Reich” (ein Spiel, das es wohl auch in der Realität gibt) spielt. Er ist Mitglied eines Vereins von sogenannten “wargame”-Spielern und kurz vor seinem Urlaub hat er die Landesmeisterschaft gewonnen. Udo Berger wird auch immer wieder als “Champion” bezeichnet und veröffentlicht Essays und Fachartikel über unterschiedliche Strategiespiele, um irgendwann sein Hobby zum Beruf machen zu können. Ihm wird von Kennern der Szene immer wieder eine ungelenke schriftliche Ausdrucksweise vorgeworfen, woraufhin er sich entscheidet, im Urlaub ein Ferientagebuch zu führen, um sich selbst zu verbessern und an seinem Ausdruck zu feilen.

Dies sind die Grundkomponenten der Erzählung und lange Zeit passiert auch nicht unbedingt viel mehr … Udo Berger und seine Freundin verbringen einen typischen Hotelurlaub in Spanien: in seinen Einträgen berichtet er, dass sie essen, baden, sich sonnen und Diskotheken besuchen. Alles leider nicht wirklich außerordentlich spannend, auch wenn man doch im Laufe der Einträge merkt, dass die Stimmung zwischen Udo und Ingeborg mit der Zeit zunehmend angespannter wirkt. Fahrt nimmt die Geschichte auf, als Udo und Ingeborg das deutsche Urlaubspaar Charly und Hanna kennenlernt und sich mit den beiden anfreundet. Durch diese Bekanntschaft lernt Udo auch den “Verbrannten” kennen, einen einsam lebenden Mann, mit schweren Verbrennungen. Er arbeitet als Tretbootverleiher am Strand und schläft auch nachts dort unter seinen Tretbooten. Als Charly schließlich eines Tages von einem Surfausflug im Meer nicht mehr zurückkehrt, nimmt die Geschichte schon beinahe die Wendung hin zu einem Kriminalfall.  Während Ingeborg auf dieses Ereignis hin zurückfährt, bleibt Udo alleine in Spanien zurück und seine Erlebnisse, die er notiert, werden zunehmend surrealistisch.

Udo beginnt eine Affäre mit der Hotelchefin Frau Else und der Putzfrau Clarita, zieht mit zwei zwielichtigen Spaniern um die Häuser und bekommt jeden Abend Besuch von dem “Verbrannten”, mit dem er beginnt eine Partie “Drittes Reich” zu spielen. Auch Frau Elses Mann, der abgeschottet und schwer erkrankt in einem der Hotelzimmer liegt, hat eine undurchsichtige Rolle.

Für mich als Leserin war es an vielen Stellen schwierig zu entscheiden, welche Erlebnisse der Realität entsprechen und was sich Udo Berger davon einbildet. Es gibt viele Erzählstränge, viele Figuren, kaum etwas davon wird jedoch sinnvoll zusammengeführt. Vieles bleibt für den Leser offen, vieles wird nicht erklärt. Im Mittelpunkt für mich steht im letzten Drittel des Romans vor allem das Spiel zwischen Udo und dem “Verbannten” und die Frage, wer gewinnt und wer verliert und was danach passieren wird … damit einhergehend natürlich auch, was für eine zentrale Rolle so ein Strategiespiel im Leben mancher Menschen spielt. Für mich ist das, was mit Udo Berger in Spanien geschieht auch ein Sinnbild dafür, was passiert, wenn ein Spiel, ein eigentlicher Zeitvertreib, ausartet und damit alle Proportionen verliert.

Abschließend fällt es mir schwer ein Fazit zu ziehen, da ich kaum sagen kann, ob mir der Roman gefallen hat, oder nicht. Auch in “Das dritte Reich” gibt es viele gute Ansätze: an vielen Stellen hat mir die Sprache gut gefallen, auch die Figuren und der primäre Inhalt haben mich an spätere Bolano-Romane erinnert. All dies bleibt hier leider Stückwerk und für mich auch ohne jeden erkennbaren roten Faden. Die Passagen über das Spiel “Das dritte Reich” sind an vielen Stellen leider sehr langatmig und von Fachbegriffen geprägt, was ein Verständnis erschwert.

Nebenbei sei noch die schöne Gestaltung des Romans erwähnt, aber wer sich dem Autor Roberto Bolano annähern möchte, sollte dennoch auf diesen Roman erst einmal verzichten und sich lieber “2666” oder auch “Stern in der Ferne” widmen.

2 Comments

  • Reply
    klappentexterin
    November 20, 2011 at 5:59 pm

    Schade, dass dich der Roman nicht so ganz überzeugen konnte wie die anderen Werke. Interessant finde ich deine Rezension, da sie sich von dem abhebt, was ich bisher über den Roman gelesen habe. Zusammen mit dem wirklich gelungenen Cover wäre ich beinah der Verführung erlegen, doch jetzt nach deiner Besprechung werde ich wohl mit einem anderen Buch anfangen.

    Viele Grüße

    Klappentexterin

    • Reply
      maragiese
      November 21, 2011 at 4:56 pm

      Liebe klappentexterin,

      ja, auch ich war enttäuscht darüber, dass der Roman es nicht geschafft hat, mich zu begeistern. Leider merkt man dem Text einfach an vielen Stellen an, dass es sich um ein Frühwerk handelt; er ist fragmentarisch, zusammengestückelt, einen wirklichen roten Faden habe ich leider vergebens gesucht. In den größeren Feuilletons habe ich auch überwiegend gute Besprechung gelesen, deshalb bin ich vielleicht noch etwas mehr enttäuscht.

      Die Gestaltung des Buches ist aber in der Tat wirklich genial … wenn du also mal ein schön gestaltetes Buch für dein Regal suchst, wäre dies auf jeden Fall ein Kandidat.

      Liebe Grüße
      mara

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