Adolfo Kaminsky: Ein Fälscherleben – Sarah Kaminsky

Dies ist in mehrerer Hinsicht ein – für mich – besonderer Roman. Nicht nur der Inhalt konnte mich faszinieren und begeistern und ließ mich den Roman in knapp zwei Tagen förmlich verschlingen. Dies war auch ein besonderes Leseerlebnis, weil es sich um mein erstes Rezensionsexemplar gehandelt hat. Im Grunde genommen ist es falsch, hier von einem Roman zu sprechen, da all das, was Sarah Kaminsky schreibt, der Wirklichkeit entspricht. Sie schreibt über ihren eigenen Vater, über Adolfo Kaminsky.

Die Drehbuchautorin und Schauspielerin Sarah Kaminsky erzählt in “Adolfo Kaminsky: Ein Fälscherleben” die Geschichte ihres Vaters.  Interessanterweise lernen dabei nicht nur wir als Leser den Mann Adolfo Kaminsky kennen, sondern auch sie als Tochter lernt ihren Vater auf eine ganz neue und andere Art und Weise kennen und erfährt während der Arbeit an diesem Buch, viele Dinge, die auch sie zuvor nicht gewusst hat.

“Ich habe zwei Jahre Nachforschungen und etwa zwanzig Interviews gebaucht, um Adolfo Kaminsky kennenzulernen, der für mich einfach “Papa” war; um zu entschlüsseln, was er verschwieg, um aus seinen Berichten herauszuhören, was er mit Worten nicht sagte, um die Gleichnisse zu verstehen und in all den Anekdoten, von denen meine Hefte voll waren, die Botschaften zu finden. Und zuweilen brauchte ich den Blick der anderen, um seine Entscheidungen, sein Leben als Fälscher im Untergrund, seine politischen Engagements, seine Verständnislosigkeit gegenüber dem Hass in dieser Gesellschaft und seinen Wunsch zu begreifen, eine Welt der Gerechtigkeit und Freiheit aufzubauen.”

Im Mittelpunkt steht dabei nicht ihre eigene Beziehung zu ihrem Vater, sondern dessen Tätigkeit als Fälscher im Untergrund. Mit nur 17 Jahren – nach einer Färberlehre – beginnt er in der Résistance damit, falsche Dokumente herzustellen: Pässe, Zeugnisse, Urkunden, Briefe, … Die Entscheidung, für den französischen Untergrund aktiv zu werden, trifft Adolfo, nachdem seine Mutter, als er fünfzehn Jahre alt war, von den Nationalsozialisten ermordet worden war. Er, seine Geschwister und sein Vater kommen in das Lager Drancy, das sie nur mit viel Glück und mithilfe ihrer argentinischen Staatsangehörigkeit wieder lebend verlassen können.

“Seit ich bei der Sabotage mitmachte, fühlte ich mich angesichts des Todes meiner Mutter und Jeans nicht mehr vollkommen ohnmächtig. Ich hatte das Gefühl, sie zumindest zu rächen. Und ich war stolz: Ich war im Widerstand.”

Adolfo Kaminsky arbeitet unter großer Geheimhaltung und ständiger Angst entdeckt zu werden, fast Tag und Nacht. Die Rechnung, die er aufstellt, ist genauso simpel wie erschreckend:

“Wenn ich eine Stunde schlafe, werden dreißig Personen sterben …”

Auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, ist seine Arbeit im Untergrund noch lange nicht vorbei, sondern er arbeitet weiter als Fälscher. Vor allem während des Algerienkriegs, fertigt er noch einmal sehr viele Pässe an. An dieser aufreibenden und zeitintensiven Tätigkeit zerbrechen einige seiner Beziehungen, seine Kinder sieht er nur selten. Immer wieder ist er gezwungen unter einer neuen Identität umzuziehen. Ein Leben im Untergrund und ständig auf der Flucht … Eine interessante kleine Anekdote: den sicherlich berühmtesten Pass fälscht er in dieser Zeit für den Politiker Daniel Cohn-Bendit.

Erst mit fünfzig Jahren geht Adolfo Kaminsky endlich in den Ruhestand und genießt sein zweites Leben mit seiner Frau und seinen Kindern.

“1944 habe ich begriffen, dass die Freiheit durch die Entschlossenheit und Tapferkeit einer Handvoll Menschen zu erringen ist. Und solange die Illegalität weder gegen die Ehre noch gegen die humanistischen Werte verstößt, ist sie ein ernstzunehmendes, wirkungsvolles Mittel.”

Sarah Kaminsky zeichnet in ihrem Buch ein sehr lesenswertes Porträt eines faszinierenden und beeindruckend starken Menschen. Adolfo Kaminsky hat über dreißig Jahre lang sein eigenes Leben dem Leben im Untergrund untergeordnet und im Kampf um Freiheit und Gerechtigkeit alle eigenen Bedürfnisse vernachlässigt. Man lernt jedoch nicht nur einen faszinierenden Menschen kennen, sondern erfährt auch sehr viel über die Kämpfe im 20. Jahrhundert und über die Tatsache, wie viel Macht Geld und Pässe besitzen. Beides bedeutet Mobilität.

Eine große, ganz eindeutige Empfehlung und ich hoffe, dass Sarah Kaminskys Buch einige Leser finden wird.

4 Comments

  • Reply
    Bücherliebhaberin
    December 13, 2011 at 8:11 pm

    Ein sehr interessantes Buch!! Es ist immer wieder beeindruckend, wie viele Menschen sich fast komplett aufgegeben zum Wohle anderer bzw. ihr Leben aufs Spiel setzen. Da stellt sich immer die Frage: Wie würde man selbst handeln??

  • Reply
    maragiese
    December 14, 2011 at 8:09 pm

    Hallo bücherliebhaberin,

    hast du es auch schon gelesen?

    Mich hat das Buch auch sehr beeindruckt, da ich mich – ähnlich wie du – bei der Lektüre sehr oft gefragt habe, ob ich den Mut gehabt hätte, genauso zu handeln. Adolfo Kaminsky hat sein ganzes Leben aufgegeben, um anderen Menschen zu helfen und ich bin sehr glücklich, dass Sarah Kaminsky mit diesem Buch ihrem Vater zumindest ein kleines Denkmal setzen konnte.

    Ich kann nur hoffen, dass es viele Leser finden wird!

  • Reply
    Bücherliebhaberin
    December 17, 2011 at 5:07 pm

    Nein, ich habe es noch nicht gelesen aber nach deiner Rezension war ich sofort begeistert! Mal schauen, ob es noch auf die Leseliste 2012 passt 🙂

  • Reply
    maragiese
    December 20, 2011 at 9:00 pm

    Es freut mich sehr, dass ich dich gleich begeistern konnte! Und ich bin gespannt, ob es auf deine Liste fürs nächste Jahr passen wird und natürlich, ob es dir denn dann auch so gut gefallen hat, wie mir!

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