Der Name Miranda July ist mir bisher schon öfter begegnet: sie ist nicht nur Schriftstellerin, sondern auch Regisseurin, Schauspielerin und Performancekünstlerin. Das letzte Mal aufmerksam auf sie wurde ich in einer Ausgabe der Zeitschrift Fräulein, die die Klappentexterin auf ihrem Blog vorgestellt hatte. Nun fiel mir vor kurzem dieses Buch in die Hände, von dem ich vorher nicht wusste, was genau mich erwarten würde. Nach der Lektüre kann ich sagen, dass ich sehr positiv überrascht und absolut begeistert bin.
„Es findet dich“ entstand im Sommer 2009, in einer Zeit, als Miranda July eigentlich an ihrem Drehbuch zu einem Film schrieb, der vor einiger Zeit auch hier in den Kinos erschienen ist (The Future). Doch statt an diesem Drehbuch zu arbeiten, klickt sich Miranda July durch das Internet oder versucht sich anderweitig abzulenken.
„Diese Geschichte spielt 2009, unmittelbar nach unserer Hochzeit. Ich schrieb im kleinen Zuhause an meinem Drehbuch. Ich schrieb am Küchentisch oder in meinem alten Bett mit den Laken aus dem Secondhand-Laden. Besser gesagt – jeder, der in jüngster Zeit etwas zu schreiben versucht hat, kennt das – hätte ich an diesen Orten wunderbar schreiben können, klickte mich aber stattdessen durchs Internet.“
Doch Miranda July klickt nicht nur im Internet herum, um sich von der Arbeit abzulenken, sondern freut sich vor allem auf jeden Dienstag: Dienstag ist der Tag, an dem der PennySaver erscheint. Bei dem PennySaver handelt es sich um ein Heftchen, das ausschließlich aus Kleinanzeigen besteht. Eines Tages wird im PennySaver eine Lederjacke für 10$ angeboten und Miranda July entscheidet sich – „um auf keinen Fall wieder an den Computer“ zu gehen, wegen „des Internets und seiner Sogwirkung“, nicht, weil sie wirklich eine Lederjacke bräuchte – dort anzurufen. Als sie denjenigen, der die Anzeige aufgegeben hat, am Telefon hat, wagt sie den Sprung ins kalte Wasser:
„Eigentlich hab ich mich gefragt, ob ich, wenn ich vorbeikomme, um mir die Jacke anzusehen, auch ein Interview mit Ihnen machen könnte, zu Ihrem Leben, überhaupt zu Ihrer Person. Ihre Hoffnungen, Ihre Ängste …“
Aus diesem Telefonat ergibt sich das erste Interview für „Es findet dich“ und Miranda July lernt auf diesem Weg Michael kennen, der die Lederjacke verkaufen möchte. Insgesamt sind in „Es findet dich“ zehn Interviews versammelt, die Einblicke in das Leben von ganz normalen, ganz einfachen Menschen geben, die zum Teil sehr spannende und interessante Dinge erzählen. Zu jedem Interviewtermin nimmt Miranda July die Fotografin Brigitte Sire mit, die Fotos macht, die die Interviews in „Es findet dich“ ergänzen und untermalen.
„Es erschien mir plötzlich sonnenklar, dass die ganze Welt, und besonders Los Angeles, darauf angelegt war, mich vor genau diesen Leuten, mit denen ich mich nun traf, abzuschirmen. Es gab kein Gesetz dagegen, ihre Bekanntschaft zu machen, aber es passierte einfach nicht.“
Die Menschen, die Miranda July kennenlernt und interviewt, sind ganz unterschiedlich und doch immer auf irgendeine Weise interessant und faszinierend. Der Lederjackenverkäufer Michael stellt sich als sechzigjähriger Mann heraus, der sich gerade einer Geschlechtsumwandlung unterzieht, um zu einer Frau zu werden. Primila, die Original-Saris für 5$ verkauft, versucht durch diese Einnahmen ihr Heimatdorf in Indien zu unterstützen, das ein Bewässerungssystem bauen möchte. Der Teenager Andrew, der es auf seiner Schule nur in ein Förderprogramm geschafft hat, hat in dem Garten seines Elternhauses Teiche angelegt, in denen er Kaulquappen züchtet, um sie zu verkaufen. Ron, der ein siebenundsechzigteiliges Hobbymalset verkauft, stellt sich als sehr unsympathischer Verbrecher heraus, der eine elektronische Fußfessel tragen muss. Noch erschreckender war für mich der Fall von Domingo, dessen Schwester Matilda im PennySaver Glücksbärchis verkauft. Er ist als Kind aus Kuba eingewandert, hat in Amerika jedoch kaum eine Chance, Fuß zu fassen. Er verbringt den Großteil seines Tages in der Bibliothek und druckt sich dort Fotos von blonden jungen Frauen, Babys und Polizisten aus. Bilder von glücklichen Familien. Und träumt davon auch eine Familie zu haben.
Im Laufe der Interviews beginnt Miranda July etwas zu erkennen: sie erkennt, dass nicht nur die Welt im Internet etwas zu bieten hat. Die interessantesten Menschen und Geschichten findet man vielleicht nur da draußen, ohne dass man sich dort einfach hin klicken kann.
„Die Welt außerhalb des Webs wurde mir immer ferner, während alles im Web von weltbewegender Wichtigkeit war. Die Blogs von Fremden mussten täglich gelesen werden, während Menschen aus meiner unmittelbaren Umgebung, die keine Webpräsenz hatten, mir fast wie Zeichentrickfiguren vorkamen, als fehle ihnen eine Dimension. […] Domingo hatte eines der besten Blogs, die ich je gelesen hatte, aber ich hatte zu ihm hinfahren müssen, um dranzukommen, er hatte mir alles leibhaftig erzählen müssen; man fand ihn nicht einfach mit ein paar schnellen Klicks. Man konnte nur durch Zufall auf ihn stoßen.“
Das Interview, was mich in „Es findet dich“ am meisten beeindruckt hat, war Miranda Julys Begegnung mit dem einundachtzigjährigen Joe. Joe erscheint in seinem Interview so beeindruckend, so warmherzig, einfach wie ein unendlich herzensguter Mensch. Die Kätzchen auf dem Buchcover stammen von Karten, die Joe seit 62 Jahren für seine Frau Carolyn bastelt. Acht Karten im Jahr. Dazu schreibt er ihr Limericks die manchmal auch ein bisschen obszön sind. Joe spielt auch später in dem Film von Miranda July mit, an dessen Drehbuch sie in diesem Sommer geschrieben hat. Bevor sie ihn komplett fertigstellen konnte, ist Joe jedoch an Krebs gestorben.
„Es findet dich“ ist ein seltsames, aber gleichzeitig auch entzückendes und verzauberndes Buch. Ich hatte das Gefühl, etwas Besonderes in der Hand zu halten, etwas Außergewöhnliches. Mit jedem Interview taucht man ein in die Welt eines fremden Menschen. Den einen findet man sympathischer, als den anderen – doch alle haben etwas zu erzählen, etwas zu sagen. Ergänzt werden die Interviews von kurzen Texten, Anmerkungen oder Beobachtungen von Miranda July und den Fotos von Brigitte Sire. Aus der spontanen Idee, bei einer Anzeige aus dem PennySaver anzurufen, ist schließlich dieses Buch entstanden und ich bin froh, dass dies geschehen ist.
„Es findet dich“ hat mir ein warmes Gefühl gegeben und vor allem das letzte Interview mit Joe zeigt, dass das Glück, der Zufall (was auch immer das sein mag) manche Menschen doch manchmal finden kann. Manchmal erst sehr spät im Leben, aber im Falle von Joe gerade noch rechtzeitig. Ihm hat sein Auftritt in Miranda Julys Film sehr viel Spaß gemacht.
7 Comments
tindirma
April 18, 2012 at 7:39 pmVielen Dank für die Buchvorstellung! Ich bin so etwas wie ein Fan von Miranda July. Ich liebe beide ihrer Langfilme (The Future hatte ich damals auf der Berlinale gesehen) und mochte auch ihre Kurzgeschichten. Ihre Geschichten und ihre multi-mediale Herangehensweise sind herrlich unkonventionell, immer überraschend und durch und durch humanistisch geprägt. Dieses Buch kenne ich noch nicht, wird sich aber dann demnächst ändern.
Viele Grüße,
Mark
buzzaldrinsblog
April 19, 2012 at 12:58 pmHallo Mark,
ich kannte bis zu “Es findet dich” leider noch nichts von Miranda July was über kurze Zeitschriftenartikel hinaus ging. Nun bin ich verliebt. In ihre etwas seltsame aber so liebenswerte Sprache und Herangehensweise an die Wirklichkeit. Ich wünsche dir auf jeden Fall ganz viel Spaß mit “Es findet dich” und bin schon gespannt auf dein Urteil dazu – als Miranda-July-Kenner quasi … 😉 “The Future” werde ich mir auf jeden Fall auch anschauen, daran werde ich wohl nicht mehr vorbeikommen.
Bei “Es findet dich” musste ich übrigens lustigerweise immer an “Kuttners Kleinanzeigen” denken, eine niedliche Sendung von vor ganz vielen Jahren, die mit einem ähnlichen Prinzip operiert hat.
Julysierte Grüße
Mara
Mariki
April 19, 2012 at 1:33 pmDie Geschichte mit Joe finde ich sehr rührend. Überhaupt eine schräge Idee für ein Buch! Klingt sehr lebensnah. Ich hab von Miranda July “Zehn Wahrheiten” auf dem SuB und bin sehr gespannt darauf!
buzzaldrinsblog
April 19, 2012 at 6:15 pmLiebe Mariki,
oh ja, die Geschichte mit Joe ist wirklich sehr rührend – da kamen mir beim Lesen auch ein paar Tränchen. Er ist einfach so herzensgut und liebevoll und wird von Miranda July sehr einfühlsam beschrieben. Ich habe mich sehr für Joe gefreut, dass er die Chance erhält, in ihrem Film mitzuspielen. “Zehn Wahrheiten” kenne ich leider noch nicht, besitze es auch noch nicht, möchte es aber sehr gerne lesen. Vielleicht warte ich dann aber erstmal deine Eindrücke ab, bevor ich mich da ran wagen werde. 😉
Mariki
April 21, 2012 at 10:20 amIch bin ja nicht so der Kurzgeschichtenfan, aber ich möchte schauen, ob ich nicht vielleicht einer werden kann, deshalb hab ich mir “Zehn Wahrheiten” gekauft. Ich werde dir berichten! 😉
Sehr traurig, dass Joe dann gestorben ist.
Klappentexterin
May 25, 2012 at 1:01 pmLiebe Mara,
da haben wir also wieder ein gemeinsames Buch, das uns begeistert! Wie schön! Ich kann mich deinen Worten nur anschließen. Mich hat das Buch regelrecht durchgeschüttelt, so überraschend und bewegend war es. Wie das Leben selbst. Das Buch enthält eine Vielzahl bemerkenswerter Geschichten, die man nicht so schnell vergisst, genauso wenig wie die nachdenkliche Miranda July.
Viele Grüße zum Pfingstwochenende
Klappentexterin
buzzaldrinsblog
May 26, 2012 at 12:27 pmLiebe Klappentexterin,
ich freue mich, dass wir wiedermal ein gemeinsames Buch haben. Mich hat das Buch ja ganz überraschend getroffen. Ich hatte mir nicht viel erwartet, keine großen Hoffnungen gehabt und dann wurde ich von Miranda July schier umgehauen. Die Geschichten von den Menschen, die Miranda July interviewt sind wirklich beeindruckend. Auch heute denke ich immer noch manchmal an Joe. Hat dich seine Geschichte auch so begeistert? 🙂
Liebe Grüße und schöne Pfingsttage
Mara