Jacob beschließt zu lieben – Catalin Dorian Florescu

“Jacob beschließt zu lieben” ist mein erster Roman von dem rumänischen Schriftsteller Catalin Dorian Florescu, der heutzutage in der Schweiz lebt. Interessanterweise ist Florescu nicht nur Schriftsteller, sondern daneben auch ausgebildeter Psychologe und Suchttherapeut. Für seine Romane erhielt er bereits zahlreiche Preise, außerdem war er auch schon mehrmals als Stadtschreiber tätig, unter anderem als Stadtschreiber von Dresden.

Der Titel “Jacob beschließt zu lieben” erinnert an den bekannten Roman “Veronika beschließt zu sterben” von Paulo Coehlo. Zumindest wurde bei mir diese Assoziation geweckt, auch wenn ich den Roman von Coehlo selbst gar nicht gelesen habe.

Catalin Dorian Florescu erzählt die Geschichte der Obertins, die vor ihrer Flucht aus Frankreich noch Aubertin hießen, aber ihren Namen ändern ließen, damit er weniger französisch klingt. Die Familiengeschichte der Obertins umfasst mehrere Jahrhunderte, eine Zeitspanne vom Dreißigjährigen Krieg bis zu den fünfziger Jahren unseres heutigen Jahrhunderts. Im Zentrum der Geschichte steht der Junge Jacob Obertin, Jacob mit c. Sein Vater Jakob, Jakob mit k, ist durch Zufall in das kleine rumänische Dorf gekommen, das den Namen Triebswetter trägt.

„Noch nie hatte jemand die Hilfe verweigert, noch nie sich dem widersetzt, was hier das Leben bestimmte: die Verpflichtung zum Liebesdienst. Das war man den anderen schuldig. Schuld hielt sie alle zusammen.“

Wobei man nicht ganz von Zufall sprechen kann, denn Jakob hatte zuvor einen Zeitungsartikel über Elsa Obertin gelesen, die mit ihrem Vater auf dem Hof der Familie lebt. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, Elsa zu erobern und den Bauernhof zu übernehmen. Wobei eigentlich recht klar ist, dass ihm das Besitzen des Hofes wichtiger ist, als Elsa – Jakob setzt von Beginn an Prioritäten. Jakob gelingt sein Plan, er verdrängt Elsas Vater aus dem Haupthaus heraus in das Gesindehaus, heiratet Elsa und übernimmt den Hof. Aus der Verbindung zwischen Elsa und Jakob entsteht ein Kind: Jacob, mit c. Eigentlich sollten erstgeborene Söhne in der damaligen Zeit nach ihrem Vater benannt werden; der vertauschte Buchstabe ist das Werk von Jacobs Großvater, der dem Vater Jacobs von Beginn an kritisch gegenübersteht.

Jacob ist ein schwächlicher Junge, der für die Hofarbeit nicht geeignet scheint. Am liebsten besucht er Ramina, seine “Hebamme”, die ihm immer wieder die Geschichte seiner Geburt erzählt. In zwei Versionen. Nachdem die Familie Obertin erst einige Zeit zuvor nach Rumänien ins Banat flüchteten, sind sie nun schon wieder mit einer Verschlechterung der Situation konfrontiert. Eines Tages wird Ramina von der Gendarmerie abgeholt.

„Mich vom einzigartigen Geruch ihrer Anwesenheit in meinem Leben trennen zu müssen, jener Mischung aus Schweiß, abgestandener Luft und dem Duft ihrer Brühen. Sie war neben den Toten und Großvater der einzige sichere Zufluchtsort meiner Kindheit gewesen, und kein schwerer Sturm, nicht tausend Teufel, hätten mich davon abgehalten, sie einmal wöchentlich zu besuchen.“

Jacob wird mit seinem Großvater in die Stadt geschickt, er soll eine Chance auf eine bessere Bildung erhalten. Dort lernt er das “Serbenmädchen” Katica kennen und Jacob beschließt zu lieben

Als die Gendarmerie erneut in die Stadt kommt, versteckt Jacob sich auf dem Friedhof, an dem Ort, an dem er sich schon immer als Kind versteckt hatte. Er wird verraten, von den Soldaten gefunden und mit vielen anderen Jugendlichen in einen Zug gesetzt und weggeschickt. Verraten wurde Jacob durch seinen eigenen Vater. Dieser hatte nach Raminas Tod ihren Sohn Sarelo auf dem Hof aufgenommen. Sarelo war sehr viel stärker und widerstandsfähiger als Jacob, sehr viel besser für die Arbeit auf dem Hof geeignet. Jacobs Vater hat Sarelo aus diesem Grund nicht nur als Erben für den Hof bestimmt, sondern auch noch in dem Moment, als die Soldaten vor ihm standen, um Sarelo mitzunehmen, lieber seinen eigenen Sohn verraten und geopfert.

Jacobs Schicksal nimmt danach noch einige Wendungen und Umwege, deren Schilderung mich sehr begeistert hat, doch ich scheue mich davor, zu viel zu verraten und damit dem Leser die Freude daran zu nehmen, dieses Schicksal selber entdecken zu dürfen. Nur so viel: In den letzten Abschnitten des Romans gibt es einige der stärksten Passagen, die mich sehr berührt, die mich unheimlich gepackt haben.

Florescu ist ein stilistisch herausragender Roman gelungen, der eine weit verzweigte, groß angelegte Familiengeschichte erzählt. Florescu geht bei seiner Erzählung über die Familie Obertin bis ins 17. Jahrhundert zurück, springt innerhalb der Erzählung immer wieder zwischen unterschiedlichen Zeitebenen hin und her. Am meisten beeindruckt hat mich der letzte Teil des Romans. Florescu überzeugt durch eine poetische Sprache und zeigt in “Jacob beschließt zu lieben”, dass er die Fäden einer groß angelegten Familiengeschichte in den Händen halten kann. Nichtsdestotrotz ist der Roman sicherlich nicht leicht zu lesen. Die literarische Sprache macht ihn zugänglich, doch das Lesen erfordert dennoch Geduld und teilweise auch Arbeit – zumindest erging es mir so. Das Lesen erfordert ein Hineinarbeiten in den Text, doch wer diese Mühen auf sich nehmen möchte, wird mit einer beeindruckenden Geschichte belohnt: die Geschichte von Jacob Obertin. Doch auch über das Schicksal von Jacob hinaus, wirft Florescu ein Schlaglicht auf die Situation im rumänischen Banat. Losgelöst von Jacobs individuellem Schicksal bietet der Roman eine Folie für Menschen, die ihr Zuhause verlieren, fliehen müssen, heimatlos werden und keinen Ort haben, an den sie gehen können.

12 Comments

  • Reply
    buechermaniac
    June 12, 2012 at 5:57 am

    Liebe Mara

    Ich war, um ehrlich zu sein, sehr gespannt, wie dir Florescus Roman gefallen würde, als ich gesehen habe, was du gerade am lesen bist. Es freut mich sehr, dass es dir auch so gut gefallen hat. Für mich war “Jacob beschliesst zu lieben” ein absolutes Highlight im vergangenen Jahr. Doch sein Buch hat auch einiges ausgelöst bei einigen Banat-Deutschen, denn Triebswetter gibt es wirklich. Der Autor wurde mit bösen Mails und Anschuldigungen im Internet heftig angegriffen. Vor allem, dass er schlecht recherchiert und sich nur kurz im Dorf aufgehalten habe. Die Journalisten, Literaturkritiker und der Verlag wurden praktisch in den Boden gestampft. Das hat mich ganz schön erschreckt. Abstand sollte es durch die Recherechearbeit in New York geben, aber anscheinend war es nicht vorbei. Ich habe mich anschliessend nur noch gefragt, muss man sich als Leser eines Romans zuerst noch über alle Details genau informieren und sich beinahe entschuldigen, wenn man dann das Buch gut findet? Meine Rezension habe ich vorübergehend auf “privat” gestellt, weil ich nicht auch noch ins Schussfeld geraten wollte.

    Florescu habe ich bereits zum zweiten Mal bei einer Lesung getroffen und von der letzten habe ich berichtet (http://lesewelle.wordpress.com/2011/11/28/mit-beiden-beinen-in-zwei-kulturen/). Ich freue mich auf alle Fälle auf sein nächstes Buch, war “Jacob beschliesst zu lieben” doch nicht der erste Roman, den ich gelesen habe.

    LG buechermaniac

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      buzzaldrinsblog
      June 12, 2012 at 12:56 pm

      Liebe buechermaniac,

      ersteinmal freue ich mich sehr zu hören, dass dir der Roman auch so gut gefallen hat. Er ist nicht leicht zu lesen (so habe ich es zumindest empfunden), da er doch viel Geduld bedarf. Oder er eignet sich einfach nicht, um zwischen Seminaren und Referatsvorbereitungen gelesen zu werden … 😉
      Ich freue mich sehr über deinen Kommentar und die darin enthaltenen Hintergrundinformationen, die mir um ehrlich zu sein gänzlich unbekannt waren. Ich hatte mit Absicht nicht viel über den Roman gelesen, da ich meine eigene Meinung nicht beeinflussen lassen wollte. Finde diese Informationen nun aber sehr interessant und zum Teil auch schockierend.
      Ich bin mir nicht sicher, aber ich lese ja einen Roman und kein Sachbuch und als Roman hat mir der Text sehr gut gefallen, vor allem die Sprache hat mich überzeugt. Ob der Inhalt nun faktisch korrekt dargestellt wurde, ist dabei dann für mich erst einmal zweitrangig. Zumindest so lange eine unkorrekte Darstellung mir nicht zu sehr auffällt. Da ich sehr wenig weiß über die Banat-Deutschen, habe ich die Darstellung von Florescu auch erst einmal nicht hinterfragt.

      Danke für den Link zu dem Bericht über die Lesung, da schaue ich gleich mal hinein. Ich würde gerne weiteres von dem Autor lesen, kannst du mir noch etwas besonders ans Herz legen?

      Liebe Grüße!

  • Reply
    buechermaniac
    June 12, 2012 at 1:32 pm

    Ich fand den Roman nicht unbedingt schwer zu lesen, das liegt vielleicht tatsächlich an deinen Studiumsvorbereitung, wer weiss. Die Sprache hat mir sehr gut gefallen und ich fand den Stoff auch sehr spannend.

    Als weitere Lektüre vielleicht “Der blinde Masseur”, diesen Mann gibt oder gab es tatsächlich oder “Der kurze Weg nach Hause”. Das letztere ist schon so lange her, dass ich mich nicht mehr im Detail an den Inhalt erinnere. Ich persönlich würde gerne seinen ersten Roman “Wunderzeit” lesen, der sehr autobiographisch ist, den es aber nur noch antiquarisch gibt.

    LG buechermaniac

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      June 12, 2012 at 1:43 pm

      Hmm, ja, vielleicht liegt mein Empfinden in der Tat daran, dass ich sehr eingebunden bin im Moment. Mir hat die Sprache und auch der Inhalt sehr gut gefallen – ich fand den Roman auch nicht in dem Sinne “schwer” zu lesen, aber ich habe schon eine Zeit gebraucht, bevor ich mich im Text zurechtgefunden hat, was sicherlich an den vielen Charakteren aber auch an den Zeitsprüngen liegt.

      Danke für deine Tipps zur weiteren Lektüre, dann werde ich wohl als nächstes “Der blinde Masseur” lesen. “Der kurze Weg nach Hause” steht jetzt zumindest schon einmal auf meiner Wunschliste. “Wunderzeit” klingt sehr interessant, schade, dass es nur noch antiquarisch erhältlich ist.

  • Reply
    caterina
    June 12, 2012 at 8:59 pm

    Liebe mara, ich habe den Roman Anfang des Jahres in einem virtuellen Lesekreis gelesen, war aber längst nicht so angetan wie du. Ich fand den Beginn des Buches deutlich stärker, dieses Hin- und Herspringen zwischen den Zeitebenen und Erzählstimmen, in den letzten Kapiteln, in denen nur noch Jacobs Geschichte erzählt wird, hat mir das gefehlt, die Struktur kam mir dadurch wenig kohärent vor. Auch hat mich die Sprache nicht sonderlich beeindruckt – sicherlich schön und literarisch, aber sie hat sich mir nicht eingeprägt, ich habe sie nicht als etwas Besonderes, Herausragendes empfunden. Schlecht fand ich den Roman dennoch nicht, letztendlich war es eine kurzweilige, angenehme Lektüre, aber meine Erwartungen hat sie nicht im Geringsten erfüllt.

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      June 13, 2012 at 12:17 pm

      Liebe Caterina,

      danke für deinen interessanten Kommentar! Die unterschiedlichen Bewertungen, dir und Mariki hat eher der Beginn gefallen statt das Ende und ich war eher überfordert von den vielen Zeitsprüngen und habe es genossen, als sich die Geschichte am Ende auf Jacob konzentriert, zeigt mal wieder, wie unterschiedlich Bücher wahrgenommen und gelesen werden können.
      Ich finde es schade, dass dir der Roman nicht ganz so gut gefallen hat. Ich selbst hatte vor allem zu Beginn Schwierigkeiten hinein zu kommen, am Ende hat mir dann aber sowohl die Geschichte, als auch die sehr schön literarische Sprache sehr gut gefallen. Ich bin aber auch nicht mit viel Vorwissen oder auch jeglichen Erwartungen an die Lektüre herangegangen; während er Lektüre fühlte ich mich sprachlich und inhaltlich dann sehr gut unterhalten.

      Liebe Grüße!

      • Reply
        caterina
        June 13, 2012 at 12:27 pm

        “Erwartungen” ist nicht das richtige Wort, denn Erwartungen hatte ich eigentlich nicht. Denn ich selbst hatte das Buch gar nicht wahrgenommen bzw. hätte es mir aufgrund des Covers und des Klappentextes nicht gekauft, irgendwie interessierte es mich nicht sonderlich. Als es dann im Lesekreis ausgewählt wurde, bin ich also eigentlich sogar mit recht niedrigen bzw. gar keinen Erwartungen an das Buch herangegangen, insofern war die Enttäuschung nicht allzu groß. Wie gesagt fand ich es auch nicht wirklich schlecht, eher gutes Mittelmaß. Den bösartigen Humor in den ersten Kapiteln, den Mariki ja schon angesprochen hat, fand ich zum Beispiel ganz großartig. Aber nun ja, so unterschiedlich können Leseerfahrungen eben sein! In mir hat dieses Buch jedenfalls keine Neugier auf Florescus weiteres Werk geweckt.

  • Reply
    Mariki
    June 13, 2012 at 7:55 am

    Ich fand das Buch toll! Besonders den Beginn, das Ende fand ich im Gegensatz zu dir deutlich schwächer. Ich mochte den fiesen Humor und war interessiert an der Geschichte dieser mir fremden Gegend. Wenn es dich interessiert, hier meine Meinung: http://buecherwurmloch.wordpress.com/2012/01/16/catalin-dorian-florescu-jacob-beschliest-zu-lieben/

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      June 13, 2012 at 12:05 pm

      Interessant, dass sowohl du als auch Caterina das Ende des Romans schwächer bewertet. Mir erging es lustigerweise in der Tat eher umgekehrt – schwer getan habe ich mir mit dem Beginn, während die Geschichte mich am Ende, wenn sich alles auf Jacob konzentriert, richtig mitgerissen hat. Danke für den Link zu deiner Rezension, da schaue ich gleich mal rein. 🙂

      • Reply
        Mariki
        June 13, 2012 at 12:12 pm

        Das ist wirklich interessant, total subjektiv! Es gab ja auch viele negative Stimmen (vor allem von den Nachfahren der echten Einwohner von Triebwetter), in unserer Lesegruppe auf Facebook haben wir ebenfalls sehr kontroverse Meinungen gehabt.

  • Reply
    atalante
    June 13, 2012 at 3:43 pm

    Ich hatte die gleiche Titelassoziation wie Du, Mara, und verstehe nicht, warum der Verlag da nicht sensibler war. Dies und das meiner Meinung nach auch sehr kitschige Cover schrecken mich doch ziemlich ab.

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      June 14, 2012 at 7:28 pm

      Hmm, es tut mir leid, dass dich das abschreckt. Bei der Titelassoziation kann ich das ehrlich gesagt nachvollziehen, aber ich weiß leider auch nicht, wie der Roman im Original heißt und was die Alternativen gewesen wären. Das Cover empfinde ich dagegen als nicht so abschrecken – auch hinter Büchern mit fürchterlichem Cover kann sich großartige Literatur verstecken (siehe das Krawatten-Buch).

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