ohnegrund – Schulamit Meixner

Die Schriftstellerin Schulamit Meixner studierte Judaistik und Theaterwissenschaft in Wien, wo sie anschließend als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Jüdischen Museum arbeitete. Daneben war sie auch an einem Gymnasium und in der Erwachsenenbildung tätig. Seit 2006 lebt die Autorin in London. “ohnegrund” ist ihr Romandebüt und ist im Picus Verlag erschienen. Ich habe es von Blogg dein Buch erhalten.

Obwohl der Roman “ohnegrund” nur ein schmales Büchlein ist und gerade einmal 180 Seiten umfasst, spielt er an insgesamt vier unterschiedlichen Handlungsorten: in London, Wien, Tel Aviv und in Indien. Es gibt keine linear verlaufende Handlung; die Geschichte wird aus mehreren Perspektiven erzählt und es gibt immer wieder abrupte Sprünge zwischen den unterschiedlichen Zeitebenen. Es gibt Sequenzen aus der Gegenwart, aus dem Jahr 2004, und aus der Vergangenheit. Im Mittelpunkt steht die erst zwanzigjährige Jüdin Emily Bloom, die sich selber Amy nennt. Sie wächst bei ihren Eltern Ashley und Clara in London auf, der Vater arbeitet als Maler, die Mutter als Bildhauerin. Amy fühlt sich von dem Künstlerehepaar nicht wahrgenommen, sieht sich selbst als ungesehen und ungeliebt. Sie wird von ihren Eltern zum Studium nach Tel Aviv geschickt. Sie erhoffen sich, dass Amy erfolgreich ein Innendesignstudium absolvieren kann – dazu muss sie jedoch zunächst einmal zu einem Aufnahmegespräch. Doch Amy ist orientierungslos und leidet unter der Gleichgültigkeit ihrer Umgebung. Und als sie in Tel Aviv landet, kommt auch noch ihr Onkel Zvi, der sie eigentlich vom Flughafen abholen sollte, nicht …

Statt zum Aufnahmegespräch zu gehen, lernt Amy schon am ersten Tag in Tel Aviv den jungen Israeli Nimrod kennen und verliebt sich in ihn. Zum ersten Mal in ihrem Leben orientiert sich Amy nicht mehr an den Erwartungen ihrer Umwelt, ihrer Familie, sondern baut sich in Tel Aviv ihr eigenes Leben auf. Zur Überraschung ihrer Eltern, von denen sie zwar auf der einen Seite unabhängig sein möchte, mit deren Kreditkarte sie aber immer noch alles bezahlt, was sie zum Leben braucht. An einer Stelle beschreibt Nimrod Amy als “verwöhnt, behüteter als wir, und dennoch so alleine.”

Amy und Nimrod heiraten, bekommen eine gemeinsame Tochter, Sharona. Doch mit den Jahren bekommt ihr gemeinsames Glück die ersten leichten Risse. Amy muss erleben, wie sich das wiederholt, worunter sie schon bei ihren Eltern gelitten hat: Nimrod stellt seinen beruflichen Idealismus über die familiären Bedürfnisse. Über Amy und ihre gemeinsame Tochter Sharona. Er entscheidet sich dazu, nach Indien zu gehen und verschwindet ganz plötzlich aus dem bisherigen gemeinsamen Leben. Sharona bleibt nur noch eine verblasste Erinnerung an ihren Vater.

“In diesem Augenblick hatte Sharona erstmals jenen ohnmächtigen Schmerz verspürt, den der Verlust ihres Dads ihr immer wieder bereiten sollte. Wieso konnte er nicht wie alle anderen Väter einfach zurückkommen? Sie in der Früh in den Kindergarten bringen und ihr einen Kuss geben?”

Zehn Jahre später, als Amy schon längst wieder als alleinerziehende Mutter nach London zurückgekehrt ist, ist sie konfrontiert mit  der Tatsache, dass ihr Lebensentwurf gescheitert ist und muss sich schweren Herzens auseinandersetzen mit ihrem Unglück und mit den Scherben ihres Lebens.

Auf der letzten Seite des Romans verrät Schulamit Meixner, dass Teile ihres Textes auf unveröffentlichten Interviews und persönlichen Recherchen beruhen. “ohnegrund” ist eine leichte Lektüre, der Roman ist leicht und flüssig zu lesen, auch wenn er sich mit einem schweren Thema beschäftigt.

Der Holocaust und auch das Judentum spielen in Meixners Roman nur am Rande eine Rolle. Es gibt nur wenige Stellen, die in eine politische Richtung tendieren.

“Fritz Grünbaum ist jetzt ein Platz und Jura Soyfer eine Gasse, über die man drübergeht und drüberfährt. Ihr Name ziert eine Hauswand, nicht weil sie ausgezeichnete Kabarettisten und Dramatiker waren, sondern weil sie von den Nazis umgebracht wurden. Mit toten Juden ist leicht auszukommen, derer kann man jahrelang gedenken. Ist dies jedoch eine Angelegenheit der anderen? Juden sind sehr wohl imstande, sich ihrer Toten selbst zu erinnern.”

Mein Urteil über das Romandebüt von Schulamit Meixner fällt sehr zwiespältig aus. Der Roman ist schön konzipiert und erzählt eine interessante Geschichte und doch hat er mich leider nicht begeistern können. Bei der Bewertung des Romans empfinde ich zwei Kritikpunkte als zentral: ich habe mich immer wieder an der Sprache und an einigen Formulierungen gestört.  Der Roman ist in einer leichten, an vielen Stellen humorvollen Sprache geschrieben. Doch zwischendurch gibt es Passagen, die ich als sehr klischeehaft empfunden habe:

“Amy flog hemmungslos in seine Umarmung und die harten Knöpfe seines Militärhemdes drückten schwer durch ihren dünnen Pyjama. […] ‘Keine Panik, Mädchen. Das ist für mich ein Frühlingsspaziergang.”

“Vollkommen schön bist du, meine Geliebte, und kein Fehl ist an dir. – Ich werde nicht in dich eindringen, solange du nicht willst.”

Mir ist es während des Lesens nicht gelungen, mit dieser Sprache warm zu werden. Für mein Empfinden arbeitet Schulamit Meixner an vielen Stellen mit zu offensichtlichen Klischees: die vernachlässigte Tochter eines Künstlerehepaars, der idealistische Psychologiestudent, … viele Dialoge, viele Passagen haben sich für mich einfach als nicht passend angefühlt. Zwischendurch gibt es dann auch immer wieder österreichische Begriffe, die sich mir nicht immer erschlossen haben.

Ich hoffe, dass meine zwiespältige Einschätzung des Romans deutlich geworden ist, der eine interessante Geschichte erzählt, mich jedoch sprachlich leider gar nicht erreichen konnte.

9 Comments

  • Reply
    caterina
    July 25, 2012 at 7:59 pm

    Ich bin nahezu erleichtert. Endlich mal ein Buch, das dich nicht begeistert hat! Ich war bis jetzt immer erstaunt, was für ein glückliches Händchen du bei der Wahl deiner Lektüren hattest, aber nun weiß ich: Auch du kannst hin und wieder (ganz selten) danebengreifen, das beruhigt mich ungemein. (Wenn man meine letzten Rezensionen liest, mag es auch so wirken, als ob ich nur gute Bücher lesen würde, aber in Wahrheit rezensiere ich – im Gegensatz zu dir [korrigiere mich, falls ich mich irre] – nicht alles, was ich lese; zu manchen Büchern habe ich nichts zu sagen, Bücher, die mir gar nicht oder nur bedingt gefallen oder gar keine Empfindung in mir ausgelöst haben.)
    Aber natürlich ist es schade, dass der Roman eine Enttäuschung für dich war, da er wirklich recht interessant klingt von der Thematik (wenn auch nicht sonderlich neu). Schade.

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      July 26, 2012 at 11:52 am

      Liebe caterina,
      ich habe mich sehr über deinen Kommentar gefreut, da du etwas ansprichst, dass mich auch seit längerem beschäftigt: ob ich überhaupt eine glaubwürdige Literaturbloggerin sein kann, wenn ich nur “positive” Rezensionen schreibe? Du hast recht, dass ich in der Tat alles rezensiere, was ich lese und natürlich einen sehr hohen Prozentsatz an Büchern habe, die mir gefallen haben. Richtige Fehlgriffe gab es für mich – seit ich diesen Blog führe – nicht. Es gab Bücher, die mir nicht so gut gefallen haben, wie “Die Tigerfrau” oder auch das Buch von Zeruya Shalev, “ohnegrund” ist aber der erste wirkliche Fehlgriffe. Die geringe Anzahl an Fehlgriffen liegt sicherlich auch daran, dass ich mich vor dem Kauf eines Buches eigentlich immer umfassend darüber informiere. Bei mir gibt es nie so etwas wie Cover-Käufe und nur ganz selten Spontankäufe – so dass es auch nur selten negative Überraschungen gibt.
      Die Thematik war es auch, die mich bei diesem Buch angesprochen hatte, aber leider ist die Umsetzung nicht wirklich gelungen – wobei ich den größten Schwachpunkt des Romans wirklich bei den sprachlichen Aspekten sehe ..

      • Reply
        caterina
        July 27, 2012 at 8:19 pm

        Liebe mara, es gibt keinen Grund zu befürchten, deine Rezensionen seinen nicht glaubwürdig, nur weil sie fast durchweg positiv sind. Wenn man deine Texte liest, merkt man, wie persönlich und emotional sie sind und somit auch aufrichtig. Du hast ja selbst schon den Grund dafür genannt, dass du ein so glückliches Händchen bei der Auswahl deiner Bücher hast: Du setzt dich vorab sehr sorgfältig mit ihnen auseinander und informierst dich umfassend – was ich für mich nicht behaupten kann. Manchmal sind es nur Stimmungen, die ein Buch (Cover, Titel, Vorschau- und Klappentext) bei mir auslöst, manchmal genügt mir schon eine einzige euphorische Stimme, um mich zum Kauf zu bewegen. Es ist also nur logisch, dass ich häufiger danebengreife, während du fast immer (aber eben doch nicht immer) genau das Richtige für dich auswählst. Also: keine Sorge, deine Besprechungen sind absolut glaubwürdig, ganz gleich wie positiv. 🙂

  • Reply
    frauzettelchen
    July 26, 2012 at 6:09 am

    Ich war schon sehr gespannt auf Deine Besprechung, weil ich den Roman selbst erst vor ein paar Tagen gelesen habe und meine Einschätzung auch eher zwiespältig war. Sehr gut gefallen haben mir die Perspektiv- und Zeitsprünge, ich hätte aber gerne mehr über Sharona erfahren. Sehr schön auch die Idee mit den vorangestellten Wetterberichten. Mit der Sprache hatte ich aber auch so meine Schwierigkeiten. Außerdem habe ich mich gefragt, ob sich Amy ihrer Tochter gegenüber nicht genauso verhält wie ihre eigenen Eltern. Übrigens bin ich in Rezensionen zu dem Roman häufig auf die Behauptung gestossen, es handle sich um einen Entwicklungsroman – eine Einschätzung, die ich aber so gar nicht teilen kann.

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      July 26, 2012 at 11:59 am

      Ich freue mich über deinen Kommentar, darüber, dass du das Buch gelesen hast und bin natürlich erleichtert darüber, dass auch dein Urteil zwiespältig ausfällt. Auf Amazon gab es bisher eigentlich nur begeisterte Fünf-Sterne-Bewertungen, so dass ich schon fast so weit war, an meiner Wahrnehmung zu zweifeln oder zu glaubeb, dass ich ein anderes Buch gelesen habe. Die Perspektiv- und Zeitsprünge war in den Tat sehr gelungen und doch erfährt man ja kaum etwas über das Leben von Sharona und ihrer Mutter in der Gegenwart. Ich fand den Umgang zwischen Amy und Sharona sehr irritierend. Es gibt viele interessante Figuren, die jedoch nicht ausgearbeitet werden (Hanne-Lore, Sharonas Tante) – von den meisten erfährt man kaum etwas. Am Ende bricht die Geschichte einfach ab, als wären der Autorin die Ideen ausgegangen.

      Das mit den Wetterberichten fand ich zunächst etwas irritierend, als am Ende der Grund dafür aufgelöst wurde, habe ich geschmunzelt. Eine schöne Idee. Als “Entwicklungsroman” würde ich “ohnegrund” auch nicht bezeichnen. Auch den häufig beschriebenen Witz und Humor habe ich vergeblich gesucht. Wie ich schon anmerkte, fand ich aber viele der positiven Besprechungen des Romans nicht nachvollziehbar.

  • Reply
    buechermaniac
    July 26, 2012 at 6:10 am

    Da geht es mir ähnlich wie caterina, liebe Mara. Dass du einmal nicht ganz so begeistert bist von einer Lektüre, beruhigt mich irgendwie. Ein Buch, das man vorab lesen darf, muss man auch rezensieren, auch wenn negative Kritik durchschimmert. Du hast gute Textpassagen gewählt, um deine Zweifel an diesem Roman aufzuzeigen. Noch eine Frage:
    Welches ist denn der vierte Ort, neben London, Wien und Tel Aviv? Tel Aviv ist ja in Israel, den du als vierten Ort erwähnst 😉

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      July 26, 2012 at 12:11 pm

      Liebe buechermaniac,
      ich schrieb es schon in meiner Antwort an caterina: auch ich bin erleichtert, dass ich mal einen Fehlgriff habe, da ich mir schon viele Gedanken darüber gemacht habe, wie glaubwürdig andere meine Rezensionen finden, wenn ich Bücher immer nur positiv bespreche. Für mich war “ohnegrund” das erste Rezensionsexemplar, das ich vorab bekommen habe und das mir nicht gefallen hat und irgendwie habe ich mich dabei – lustigerweise – sehr schlecht gefühlt. Wenn ich etwas umsonst geschenkt bekomme und dieses dann kritisiere, bin ich dann nicht ein bisschen undankbar?
      Danke für deine Frage, die mich auf einen Fehler hingewiesen hat, den ich gleich geändert habe: natürlich ist der vierte Ort nicht Israel, sondern Indien. 🙂

  • Reply
    ruthabrahamiestate
    June 14, 2013 at 11:10 am

    ich habe dieses buch sehr, genossen …leicht und fluessig beschreibt den stil in der tat…es ist mir viel herz und juedischer seele geschrieben! vielen dank shulamit meixner!

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      June 14, 2013 at 11:13 am

      Erst einmal: herzlich Willkommen auf meinem Blog! 🙂 Ich freue mich, dass dir der Roman gefallen hat – mich konnte er damals leider nicht so ganz überzeugen.

      Liebe Grüße
      Mara

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