Eva Lohmann wurde 1981 geboren und lebt heutzutage als Inneneinrichterin und Autorin in Hamburg. Bekannt wurde sie durch ihren Debütroman “Acht Wochen verrückt”, der ein Erfolg bei Presse und Publikum war.
“Wann genau haben wir eigentlich damit angefangen, abends zu kochen statt zu vögeln? In den ersten Monaten einer Beziehung musste man früher aufpassen, dass man sich zwecks Nahrungsaufnahme zweimal am Tag voneinander löste.”
Wir, das sind Wanda und Jonathan. Wanda und Jonathan sind seit fast drei Jahren ein eigentlich glückliches Paar, wenngleich Wanda die sich einschleichende Routine in ihrer Beziehung immer stärker als erdrückend, als einengend empfindet. Wanda versucht auf ihre eigene Art und Weise auszubrechen und schreibt sich mit ihrem Ex Max schmutzige SMS, glücklich macht sie das jedoch auch nicht wirklich.
“Zwei Jahre lang tanzten wir so vor uns hin, und alles war irgendwie gut und okay – bis Jonathan fand, man könne doch jetzt mal zusammenziehen, und das war der Moment, in dem der Beziehungsbeat ins Stocken kam.”
Eine gemeinsame Wohnung für die beiden gibt es bereits, die Wohnung von Wandas verstorbenen Großeltern. Doch dann geht es Wanda plötzlich zu schnell. Sie fühlt sich noch nicht in der Lage dazu, eine Entscheidung zu treffen, die für sie eine solche Tragweite hat. Jonathans Vorstoß bringt ihre ganze Selbstsicherheit ins Wanken, führt ihr ihr Alter vor Augen. Ein Alter, in dem man irgendwann von sich selbst erwartet, sichere und auf die Zukunft ausgerichtete Entscheidungen zu treffen.
“Aber jetzt ist da plötzlich dieses Gefühl, dass man sich sehr genau überlegen muss, welchen Mann man mit dreißig noch verlässt. Welcher Spielverderber hat eigentlich das Karussell angehalten? Wahrscheinlich die gleich Spaßbremse, die mir auch die Falten in die Augenwinkel gemalt und an den Brüsten gezogen hat. Die Zeit. Rennt und rennt und läuft und läuft, während man selbst faul herumsteht und darauf wartet, dass das Leben beginnt. Also das echte. Bisher hat man ja praktisch nur geprobt.”
In dem Moment, in dem Jonathan von ihr erwartet, sich festzulegen, schaut Wanda lieber zurück in die Vergangenheit. Sie macht sich auf die Suche nach ihren Ex-Freunden, um sie in ihrem heutigen Leben zu besuchen. Ihr Ziel ist es, einen Blick in die Vergangenheit und in die Gegenwart, die mittlerweile ohne sie stattfindet, zu werfen. Wanda möchte sehen, was sie verpasst hat, was ihr vielleicht auch erspart geblieben ist, was sie jetzt hätte haben können und sie möchte herausfinden, ob Jonathan wirklich der Richtige ist oder lediglich “unter all den Nicht-wirklich-Richtigen […] noch der am wenigsten Falsche”. Wanda besucht ihre Ex-Freunde zu Hause, in deren – mehr oder weniger – gemachten Nestern.
“Du bist wohl eher ein Kuckucksmädchen. Fliegst von Nest zu Nest. Beobachtest, wie die anderen sich eingerichtet haben. Fragst dich, ob du noch reinpasst. Ob es dir zu eng, zu groß, zu schön oder zu verlogen ist. Ob du dir vorstellen könntest, deine Kinder dort großzuziehen.”
“Kuckucksmädchen” ist der erste Roman von Eva Lohmann, den ich gelesen habe. Beim Lesen habe ich mich an die Romane von Sarah Kuttner, stellenweise auch an Kathrin Weßling erinnert gefühlt. Wenn man so will, kann man sicherlich hier von einer Traditionslinie sprechen, in die sich Eva Lohmann – in ihrem ganz eigenen Stil – einreiht.
Mit knappen 170 Seiten ist “Kuckucksmädchen” ein schmales Lesevergnügen, dem Roman angeschlossen ist noch ein kurzes, ergänzendes Nachwort, das ich als sehr interessant empfunden habe. Mich hat der Roman vor allem sprachlich überzeugt: Eva Lohmann erzählt sehr flüssig und mit sprachlicher Raffinesse. Fasziniert haben mich vor allem die in den Text immer wieder eingeschobenen Dialoge zwischen Wanda und ihrem Herzen.
Dennoch fällt mir eine Bewertung des Romans überraschend schwer: sprachlich hat mir “Kuckucksmädchen” zwar gut gefallen, doch im Gegensatz zu Ida Schuhmann aus Kathrin Weßlings Debütroman “Drüberleben” hatte ich Schwierigkeiten Sympathie oder durchgehendes Verständnis für Wanda, die Hauptfigur von Eva Lohmann, aufzubringen. Wandas Unfähigkeit Entscheidungen zu treffen, gepaart mit der Tendenz Dinge immer wieder hinterfragen, sezieren und auseinander nehmen zu müssen, hat mich manchmal fast frustriert das Buch zur Seite legen lassen. Diese Entscheidungsschwierigkeiten von Wanda konnte ich nur schwer nachvollziehen und habe sie stellenweise beinahe schon als etwas banal empfunden. Ich wollte Wanda schütteln und sie anschreien “Jetzt nimm ihn doch endlich, den Jonathan!” und Jonathan hätte ich am liebsten gesagt “Jetzt lass dir von der blöden Kuh doch nicht alles bieten!”. Für mich war es sehr schwer zu ertragen, wie Wanda ihr Leben selbst verkompliziert.
Entscheidungen gehören zum Leben dazu. Entscheidungen sind in den meisten Fällen nicht immer eindeutig richtig oder falsch. Doch auch wenn man eine Entscheidung trifft, legt man sich nicht zwangsläufig für den Rest des Lebens fest. Ich glaube, dass es immer besser ist eine klare Entscheidung zu treffen, möge sie auch die falsche sein, als in Gedanken immer weiter in der Vergangenheit zu leben oder sich vorzustellen, wie das Leben jetzt wäre, wenn man drei Abzweigungen früher in eine andere Richtung abgebogen wäre. An einer Stelle schreibt Eva Lohmann sehr schön: “This is no video game.”
Trotz meiner Vorbehalte Wanda gegenüber, ist “Kuckucksmädchen” für mich ein guter Roman, den ich gerne weiterempfehlen möchte. Ich glaube, dass ich Wandas Verhalten möglicherweise auch in einer anderen Lebensphase anders beurteilen würde. “Kuckucksmädchen” hat mich nicht kaltgelassen, hat in mir viel angestoßen, viele Gedanken geweckt, Gefühle freigesetzt – ich habe mir zwischendurch einfach gewünscht, Wanda mehr mögen zu können.
Wie geht es denn euch bei der Lektüre von Büchern: müssen euch die beschriebenen Figuren sympathisch sein oder findet ihr ein Buch auch dann gut, wenn euch die Figuren wütend gemacht oder verärgert haben?
16 Comments
Petra Gust-Kazakos
October 16, 2012 at 6:14 pmIch glaube, liebe Mara, Symapthie mit der Hauptfigur ist für mich nicht maßgeblich. Natürlich erleichtert Sympathie beispielsweise die Identifikation, aber es gibt ja auch Romane, bei denen das eher nicht beabsichtigt ist, beispielsweise bei Hilsenraths “Der Nazi und der Friseur” – ein furchtbar gutes Buch, also furchtbar und gut. Liebe Grüße, Petra
buzzaldrinsblog
October 16, 2012 at 7:45 pmLiebe Petra,
natürlich gibt es Romane, bei denen es beabsichtigt ist, dass man nicht mit der Hauptfigur sympathisiert. Ich musste gerade spontan an Jonathan Littells Roman denken, auch wenn Maximilian Aue mir nicht gänzlich unsympathisch war. (Danke übrigens auch für den Tipp von Hilsenrath, habe von ihm noch nichts gelesen). Ich hatte auch immer geglaubt, dass Sympathie nicht so wichtig für mich ist, aber im Falle des “Kuckucksmädchen” hat mein Lesevergnügen einfach massiv unter meiner Wanda-Abneigung gelitten, was ich selbst als sehr schade empfunden habe. 🙁
Liebe Grüße
Mara
Petra Gust-Kazakos
October 17, 2012 at 2:01 pmDas kann ich mir vorstellen, liebe Mara, die Hauptfigur liest sich schon bei der Rezension nervig und erinnert an einen gewissen Typ, der immer alles unnötig verkomplizieren muss, ständig glaubt, etwas verpasst zu haben, und bei aller Überlegerei und Hetzerei tatsächlich eine Menge versäumt. Das schöne, ganz normale Leben.
buzzaldrinsblog
October 18, 2012 at 7:38 amDas hast du sehr schön und treffend zusammengefasst, liebe Petra! Und so habe ich es bei der Lektüre auch empfunden! Ich bin – im Vergleich zu Wanda – sicherlich ein sehr viel pragmatischerer Mensch, um so weniger konnte ich mit Wanda sympathisieren oder mich sogar mit ihr identifizieren. Wie bereits in meinem Kommentar an Sophie erwähnt: ich glaube, dass Caterina das Buch sehr viel besser gefallen hat, als mir und hoffe, dass sie sich in diese Diskussion vielleicht noch eingeklinkt. 🙂
glasperlenspiel13
October 16, 2012 at 8:43 pmPetras Einwand kann ich gut nachvollziehen, vor allem mit ihrem Beispiel Hilsenrath
“Der Nazi und der Friseur”. Ich habe eher mit den 170 Seiten meine Bedenken. Ich habe schon des öfteren die Erfahrung gemacht, dass ich gar keinen wirklichen Zugang zur Geschichte bekommen, wenn sie derart kurz ist. Da bevorzuge ich dann doch die dicken Wälzer 😉
buzzaldrinsblog
October 17, 2012 at 7:23 pmLiebes Glasperlenspiel,
mir geht es wie dir, auch ich bevorzuge eigentlich lieber dicke Wälzer, wie den Irving den ich vor einigen Wochen gelesen habe. Bücher, in die ich mich richtig reinversenken, für einige Zeit abtauchen. Ich mag aber auch kurze Romane. Und es gibt ja auch schmale Bücher, die sehr gut sind. Ich weiß auch nicht, ob bei dem ‘Kuckucksmädchen’ die Kürze ein Problem für mich war. Ich bin leider einfach mit Wanda nicht warmgeworden. Einen dicken Wälzer über Wanda hätte ich dann vielleicht sogar abgebrochen … 😉
Viele Grüße
Mara
literaturen
October 17, 2012 at 6:30 amMh, die Figuren müssen mir nicht unbedingt sympathisch sein. Sie müssen authentisch sein. Ich muss sie nachvollziehen können – und das fällt mir interessanterweise auch bei wahren Kotzbrocken nicht schwer, wenn sie nachvollziehbar kotzbrockig sind -, ich werde dann frustriert, wenn ich deren Handlungsweise und Gedanken völlig absurd und dadurch keinen Anknüpfungspunkt finde.
Ich bin ja doch etwas um “Kuckucksmädchen” herumgschlichen, jetzt weiß ich definitiv, dass ich es nicht lesen muss. Für mich klang das jetzt wie Sarah Kuttners “Wachstumsschmerz” – und zwar fast in sämtlichen Bereichen. Frau Anfang dreißig weiß nicht, wo sie in ihrem Leben hin will, soll mit ihrem Freund zusammenziehen, will das und vielleicht auch ein bisschen nicht, begehrt nochmal post-pubertär auf, um sich endlich von der Jugend zu verabschieden und Verantwortung zu übernehmen.
Ne, ich glaube, das muss ich nicht haben. Sarah Kuttner war gut, aber so eine Geschichte gibt für mich nicht soooviel her, dass ich sie nochmal exakt reproduziert lesen müsste.
buzzaldrinsblog
October 18, 2012 at 7:36 amLiebe Sophie,
mir geht es in dieser Hinsicht ähnlich wie dir und ich finde, du hast das sehr schön zusammengefasst: es geht nicht unbedingt immer darum, die Hauptfigur zu mögen oder sympathisch zu finden sondern darum, ihre Handlungen und Entscheidungen als passend, nachvollziehbar, begründbar sehen zu können. Und da hatte ich bei Wanda sicherlich Probleme.
Schade, dass du aufgrund meiner Rezension beschlossen hast, “Kuckucksmädchen” nicht zu lesen. Ich denke, dass meine Abneigung Wanda gegenüber auch stark persönlich gefärbt ist – wobei ich ähnliches auch schon von anderen (beispielsweise bei Facebook) gelesen habe. Wanda scheint für viele eine schwierige Figur zu sein. Andere konnten sich aber auch total mit ihr identifizieren – ich denke da an Caterina mit ihrem Blog SchöneSeiten. Vielleicht meldet sie sich diesbezüglich hier auch noch einmal zu Wort.
Die Ähnlichkeiten zu Sarah Kuttner sind sicherlich da, wobei ich gestehen muss, dass ich Sarah Kuttners Buch “Wachstumsschmerz” auch sehr gerne gelesen habe! 🙂
Liebe Grüße
Mara
literaturen
October 18, 2012 at 7:56 amIch habe “Wachstumsschmerz” auch sehr gern gelesen. Mich schreckt Kuckucksmädchen auch nicht, weil Wanda mir möglicherweise über alle Maßen unsympathisch sein könnte, sondern einfach, weil ich, so gern ich Kuttner gelesen habe, ungern die selbe Geschichte nochmal aufgetischt bekommen möchte, mit den selben Problemen und Gedanken und Fragen in den selben Situationen. Das gibt das Thema für mich irgendwie
nicht her. Von daher bedanke ich mich eher für deine Rezension, sie hat mir einen Dienst erwiesen. (;
dermannfuerdentext
October 17, 2012 at 11:34 amReblogged this on Der Bär liest.
5 Fragen an Eva Lohmann! « buzzaldrins Bücher
October 17, 2012 at 12:00 pm[…] durch ihren Debütroman “Acht Wochen verrückt”, der ein Erfolg bei Presse und Publikum war. “Kuckucksmädchen” ist ihr zweiter […]
Herr Palomar
October 17, 2012 at 5:24 pmIch kann mit sympathischen und liebenswerten Protagonisten nichts anfangen Mit denen kann ich mich nicht identifizieren! 😉
buzzaldrinsblog
October 17, 2012 at 6:06 pmLieber Herr Palomar,
dann solltest du es mal mit Wanda versuchen! 😉 Spaß beiseite: ich brauche auch nicht immer sympathische und liebenswerte Personen – ich kann mich auch mit bösen oder hinterlistigen oder unsympathischen Personen identifizieren. Ich glaube auch, dass mein Problem ein bisschen auf das ‘Kuckucksmädchen’ beschränkt ist, weil in der Geschichte und besonders bei Wanda einige Dinge vorkommen, auf die ich einfach allergisch reagiere … ich probiere mich nun an Eva Lohmanns Romandebüt ‘Acht Wochen verrückt’.
Liebe Grüße
Mara
literatwo
October 23, 2012 at 6:15 pmLiebe Mara,
es ist immer wieder ein vergnügen, mit dir über gelesene Bücher zu schreiben. Mir gefällt deine Rezension sehr gut und ich finde diese Absätze mit den Zitaten einfach wundervoll. Das Auge genießt diese richtig.
Danke auch für das Interview mit Eva Lohmann!
Herzliche Grüße
buzzaldrinsblog
October 24, 2012 at 12:21 pmHallo liebe Bianca,
ich habe mich sehr über deine Worte gefreut und darüber, dass dir meine Besprechung gefallen hat. Ich habe deine Besprechung auch sehr gerne gelesen, besonders begeistert mich bei dir/euch immer die dazugehörige Visualisierung. Bei meinen letzten Lektüren habe ich mich beim Lesen – von euch inspiriert – auch immer mal wieder auf die Bilder konzentriert, die mir bei der Lektüre durch den Kopf gehen. Das war sehr interessant. 🙂
Ganz liebe Grüße
Mara
Rezension: Eva Lohmann, Kuckucksmädchen | Leipzig.Lebensmittel.Punkt.
May 14, 2014 at 4:10 pm[…] Ursprünglich veröffentlicht auf buzzaldrins Bücher: […]