Die junge Schriftstellerin Anna Stothard wurde 1983 in London geboren und wuchs in Amerika auf. Sie studierte Englische Literatur in Oxford und ging danach an das American Film Institute in Los Angeles, die Stadt, in der auch ihr Romandebüt “Pink Hotel” spielt. Mittlerweile lebt Anna Stothard wieder in London. Mit “Pink Hotel” war sie für den “Orange Prize for Fiction” nominiert.
“Sie war immer nur ein unbestimmter Gedanke in meinem Kopf, wie ein Schemen, kurz davor, sich am Rand meines Gesichtsfelds zu materialisieren, was jedoch nie geschah. Niemand hörte mehr etwas von ihr, nachdem sie weg war. Wir wussten nicht einmal, dass sie nach Amerika ausgewandert war.”
Im Mittelpunkt von Anna Stothards Romandebüt steht eine namenlose Ich-Erzählerin: sie ist siebzehn Jahre alt, wurde von der Schule verwiesen und erfährt am Telefon vom Tod ihrer Mutter Lily. Lily hat ihren und Mann und ihre Tochter früh verlassen und nie wieder etwas von sich hören lassen. Das einzige, was die junge Frau über ihre Mutter weiß, ist, dass diese drei Jahre nach ihrer Geburt, mit siebzehn Jahren, einfach verschwunden ist.
“[…] all die anderen bruchstückhaften Informationen hatte ich von meiner Großmutter oder von Freunden der Familie: Lily war feige, eine Schlampe, eine miserable Mutter.”
Nicht einmal einen Tag später hat die junge Frau die Kreditkarte ihres Vaters gestohlen, sich in ein Flugzeug gesetzt und steht nun im ehemaligen Schlafzimmer ihrer Mutter im Pink Hotel in Kalifornien. An dieser Stelle beginnt der Roman von Anna Stothard.
“Wenn man Sehnsucht nach etwas haben kann, das man nie gekannt hat, dann war es diese Sehnsucht und ein wenig Neugier, warum ich mich erst auf ihr Bett legte und mir dann nebenan in der Wanne ein Bad einlaufen ließ.”
Im Pink Hotel, das Lily vor ihrem Tod gehört hatte, findet eine Totenwache für die Verstorbene statt: Drogen, Alkohol, laute Musik – man verabschiedet die Tote so, wie sie ihr Leben gelebt hat. Gestorben ist sie auf einem Highway – sie ist ohne Helm und viel zu schnell Motorrad gefahren. Die junge Frau schleicht sich in Lilys Schlafzimmer und beschließt einige Sachen ihrer Mutter mitzunehmen: wenn sie schon nicht Bestandteil ihres Lebens sein konnte, möchte sie zumindest jetzt ein Andenken an ihre Mutter besitzen können. Sie wirft alles, was sie finden kann in einen roten Koffer, der unter Lilys Bett liegt. Doch natürlich bleibt dieser Diebstahl nicht unbeobachtet.
Die junge Frau beginnt mithilfe des Kofferinhaltes die Menschen aufzusuchen, die ihre Mutter gekannt haben. Puzzlestück für Puzzlestück setzt sie sich ein Bild von ihrer Mutter zusammen, füllt Leerstellen, ergänzt ihr Wissen, findet Erklärungsansätze für das, was passiert ist, für die vierzehn Jahre, in denen sie ihre Mutter nicht gesehen hat. Aus einer kurzen Reise in die Vergangenheit, entwickelt sich ein Abenteuer, dass das Leben der jungen Frau gehörig durcheinander bringt. Sie findet nicht nur zu sich selbst und zu ihrer Mutter, sondern trifft auf diesem Weg auch noch auf ihre erste große Liebe.
“Pink Hotel” ist eine ungewöhnliche Geschichte, die viele unterschiedliche Facetten beinhaltet: eine romantische Liebesgeschichte, eine Abenteuerkomödie, ein amerikanisches Roadmovie und eine Geschichte über eine zerrüttete Kindheit eines außergewöhnlichen Mädchens. Abgerundet werden diese Zutaten durch ein überraschendes Ende, das deutlich macht, dass es Wahrheiten gibt, die man manchmal lieber nicht erfahren möchte. Aus geplanten drei Tagen in Kalifornien werden schließlich mehrere Wochen und Monate, die das Leben der jungen Protagonistin nachhaltig verändern werden.
Dem Roman fehlt bei all diesen guten Ansätzen jedoch an manchen Stellen leider ein bisschen Tiefgang und Ernsthaftigkeit. Anna Stothard erzählt – trotz eines ernsthaften Themas – sehr leichtfüßig, stellenweise fast schon ein bisschen oberflächlich und seicht. Die Geschichte ist nicht immer ganz stimmig und logisch kohärent, manches erscheint fast schon an den Haaren herbeigezogen. Vor allem auch in der Schilderung der namenlosen Hauptfigur sammeln sich viele Klischees und stereotype Vorstellungen. Ihre Handlungen waren für mich nicht immer nachvollziehbar, das Ziel von dem, was sie tut, wird nicht ganz klar und das Bild ihrer schrecklichen Kindheit, die von Schmerzen, Graffitis und Drogen geprägt wurde, wurde für mein Empfinden stellenweise überstrapaziert. Ein Gegengewicht zu dieser oberflächlichen Leichtigkeit bildet sicherlich das Ende des Romans, das in mir noch lange nachgewirkt hat. Nicht umsonst wurde der Roman für einen renommierten Preis wie den “Orange Prize for Fiction” nominiert.
“Pink Hotel” ist ein netter, leichter Roman für zwischendurch, an den man jedoch nicht zu hohe Erwartungen stellen sollten. Ich habe ihn dennoch gerne gelesen und bin gespannt, was wir von dieser jungen Autorin in Zukunft noch zu lesen kriegen werden.
6 Comments
lesesilly
November 1, 2012 at 3:56 pmLiebe Mara,
ich stimme mit Dir vollkommen überein. Der Roman ist schnell und leicht zu lesen und hat mich gut unterhalten. Mir fehlt aber auch so ein bisschen der Tiefgang und manches ist doch sehr verwirrend (wie kann ein junges Mädchen ohne Geld so lange Ihren Aufenthalt finanzieren?). Allerdings denke ich kann man zwischendurch auch mal “leichtere Kost” konsumieren. Das schadet auch nicht.
LG
lesesilly
buzzaldrinsblog
November 2, 2012 at 10:36 amLiebe Lesesilly,
ähnlich wie bei dem Buch von Margaret Mazzantini freue ich mich auch jetzt darüber, dass du meine Eindrücke teilen kannst. Mich hat das Buch auch gut unterhalten, was mich überrascht hat, da ich sonst eigentlich nicht zu “leichterer Kost” tendiere – aber manchmal braucht man so etwas dann halt doch und schaden tut es ja eh nicht. 😉 Logisch stimmig war die Geschichte in der Tat wirklich nicht. Schwierig war für mich auch die Beweggründe der jungen Frau nachzuvollziehen: warum klaut sie den Koffer und zieht die Kleider ihrer toten Mutter an … mit welchem Ziel? Das fiel mir nicht immer leicht, nachzuvollziehen.
Viele Grüße
Mara
Wortgalerie
November 1, 2012 at 9:44 pmEs freut mich, dass ich auf deinem Blog eine Rezension zu einem Buch gefunden habe, dass ich schon mehrmals in der Buchhandlung in der Hand hatte und überlegt habe, zu kaufen. Deine Einschätzung erleichtert mir auf jeden Fall die Kaufentscheidung, denn Lektüre für zwischendurch habe ich kaum und muss manchmal eben doch sein 😉
Viele Grüße
Ann-Christin
buzzaldrinsblog
November 2, 2012 at 10:40 amLiebe Ann-Christin,
da stimme ich dir aus vollem Herzen zu! Lektüre für zwischendurch braucht man in der Tat manchmal, sie muss einfach sein und schaden tut sie uns ja auch nicht. (Besonders wenn man gerade Nadine Gordimer am Wickel hat). Dafür ist dieses Buch wirklich gut geeignet. 🙂 Ich schreibe dir gleich mal eine Mail, vielleicht solltest du so lange noch mit der Kaufentscheidung warten. 😉
Viele Grüße
Mara
Eva Jancak
April 27, 2013 at 6:04 amDas lag auch auf dem Abverkaufstisch der kleinen verstaubten Buchhandlung in der Lerchenfelderstraße, wenn ich mich nicht irre war es sogar ein unverkäufliches Leseexemplar
buzzaldrinsblog
April 28, 2013 at 11:36 amDann bin ich schon auf deine Meinung gespannt! 🙂 Ich hab das Buch mittlerweile schon weiter gereicht, es ist eine nette Lektüre, aber nicht mehr … sie ist mir auch nicht bleibend im Gedächtnis geblieben.