Der Winter tut den Fischen gut – Anna Weidenholzer

Die junge Schriftstellerin Anna Weidenholzer wurde 1984 in Linz geboren und lebt heutzutage in Wien. Sie hat Vergleichende Literaturwissenschaft in Österreich und Polen studiert und hat bereits einige Texte in Literaturzeitschriften und Anthologien veröffentlicht. Trotz ihres jungen Alters hat sie schon jetzt sowohl Preise und Auszeichnungen als auch Stipendien erhalten. 2010 erschien ihr Debütroman “Der Platz des Hundes”. In diesem Jahr hat der Residenz Verlag ihren zweiten Roman “Der Winter tut den Fischen gut” veröffentlicht. Ich hatte das Glück, das Buch bei Blogg dein Buch zu gewinnen.

“Ich bin immer noch hier, wo es regnet und manchmal die Sonne scheint.”

Anna Weidenholzer erzählt in ihrem Roman “Der Winter tut den Fischen gut” die Geschichte von Maria Beerenberger. Maria hat Zeit, denn sie hat keine Arbeit mehr. Sie hat lange Jahre als Textilfachverkäuferin gearbeitet, ihre Anstellung jedoch verloren, weil es ihrem Arbeitgeber schlecht ging und dieser Stellen einsparen musste. Maria fragt sich, was sie falsch gemacht hat. Sie ist nicht alt, aber auch nicht mehr so jung, dass sie problemlos eine neue Tätigkeit finden könnte. Sie leidet unter ihrer Beschäftigungslosigkeit. Sie verbringt ganze Tage auf einer Parkbank vor einer Kirche, mit dem Handy am Ohr, Hauptsache beschäftigt wirken.

“Wer immer zu Hause bleibt, entkommt der Welt nicht. Der Tag vergeht, das Licht verbrennt. Fangen wir wieder von hinten an.”

Für den Arbeitsmarkt ist Maria zu unflexibel, darüber hinaus besitzt sie kein Auto. Überhaupt: Textilfachverkäuferinnen werden heutzutage kaum noch gesucht. Maria war sechs Monate am zweiten Arbeitsmarkt – in einem Sozialökonomischen Betrieb – ohne den Sprung zurück in den ersten Arbeitsmarkt zu schaffen.

“Ab fünfundvierzig wird es zunehmend schwierig, warum sollte sich ein Arbeitgeber für Sie entscheiden, wenn hinter Ihnen eine ganze Reihe junger attraktiver Verkäuferinnen steht. Warum, Frau Beerenberger. Überlegen Sie sich Argumente, Sie müssen überzeugend auftreten. Es gibt nur wenige Stellen, man muss ein Bewerbungsprofi sein, damit einen die Personalberater nicht am linken Fuß erwischen.”

Maria lebt alleine, sie ist verwitwet. Die Ehe mit dem Elvis-Imitator Walter war nicht immer die glücklichste.  Sie fühlt sich allein und es gibt Tage, an denen sie sich wünscht, “es wäre jemand hier, der einem über den Kopf streicht. Egal, wie schmutzig die Hände sind, Hauptsache, sie sind groß.”

Anna Weidenholzer erzählt Marias Geschichte rückwarts, in 54 kleine Episoden unterteilt. Die Geschichte setzt sich wie kleine Puzzleteilchen zusammen – Episode für Episode, Seite für Seite, erfährt man mehr über Marias Leben. Bilder setzen sich zusammen, man findet Erklärungen, kann Zusammenhänge herstellen.

Anna Weidenholzer ist das beeindruckende Porträt einer Frau gelungen, in dessen Mittelpunkt der Verlust von Arbeit steht und welche Auswirkungen dieses auf das Leben von Menschen haben kann. In den Materialien am Ende des Buches nennt Anna Weidenholzer unterschiedliche Quellen, unter anderem den Titel “Die Arbeitslosen von Marienthal”, eine Sozialstudie, die mich bereits während meines Studiums beeindruckt hat.

Zunächst fällt es Maria schwer zu begreifen, dass sie ihre Arbeit verloren hat. Sie versucht es zu verheimlichen und zu vertuschen. Vor Freunden, aber auch  vor sich selbst.

“Sie steht aufrecht. Ich komme aus der Arbeit, würde sie sagen, würde sie jemand fragen, was sie hier macht. Wo arbeiten Sie, könnte er oder sie weiter fragen, worauf Maria antworten würde: In einer kleinen Boutique, ich hatte heute meinen ersten Arbeitstag. Maria würde nicht von einem Transitarbeitsplatz, von einem Sozialökonomischen Betrieb sprechen.”

Anna Weidenholzer thematisiert auch die psychische Belastung von Arbeitslosigkeit: Maria fühlt sich häufig erschöpft, hat den Eindruck, sie kommt zu vielen Dingen nicht mehr – dabei müsste sie nun, ohne Anstellung, doch eigentlich mehr Zeit und Ruhe haben. Auch die Gespräche zwischen Maria und ihren Berufsberatern werden in den einzelnen Episoden immer wieder thematisiert. Maria hat aufgrund ihres Alters kaum eine Chance auf den Arbeitsmarkt zurückzukehren, zumindest nicht in den von ihr gewünschten Bereich, in den Textilfachverkauf. Maria war viele Jahre lang mit Leib und Seele Textilfachverkäuferin, das Fühlen und Anfassen von Stoffen, war ihr Leben. Genauso wie das Verkaufen und Beraten. Jetzt wird ihr angeboten, Wurst zu verkaufen.

“Weil ich ein einziges Mal Nein gesagt habe, hat er mich gesperrt. Ja, gesperrt, der Kollege meiner Beraterin, die auf Urlaub war und irgendwo in der Sonne lag, auf Urlaub oder krank, es macht keinen Unterschied. Was das bedeutet. Es bedeutet, dass mir nach Paragraph zehn für sechs Wochen das Arbeitslosengeld gestrichen wurde. Nein, ich lache nicht. Lache ich. Ich habe drei Eigenbewerbungen in der Woche verschickt, aber ich habe mich nicht um die Stelle in der Feinkost beworben. Und weil ich mich nicht beworben habe, bin ich für sechs Wochen gesperrt. Wissen Sie, ich habe gelernt mit Stoffen umzugehen und nicht mit Wurst. Wissen Sie, wie es ist, drei Bewerbungen pro Woche zu schreiben und auf Briefe zu warten, auf Antworten zu warten, auf Einladungen. Mir macht das nichts. Nein, mir macht das wirklich nichts, ich bin nicht mehr wählerisch, wenn da steht: Schuhverkäuferin, dann schau ich mir das an, obwohl ich keine Schuhe verkaufen möchte. Alles ist eine Möglichkeit, aber Wurst, Wurst verkaufe ich nicht.”

Mich hat Anna Weidenholzers Roman “Der Winter tut den Fischen gut” sehr beeindruckt. Die Tatsache, dass die Geschichte von vorne nach hinten erzählt wird, dass der Erzählstrom rückwärts fließt,  ist zunächst verstörend und ungewöhnlich, weil nicht sofort alle Zusammenhänge klar erscheinen, führt jedoch auch dazu, dass man den Text mit noch mehr Konzentration und Aufmerksamkeit liest. Maria ist eine ungewöhnliche Hauptfigur: sie wirkt verschroben und seltsam und dennoch liebenswert. Der Verlust ihrer Arbeit hat sie völlig aus der Bahn geworfen. Die Welt und das Leben der anderen dreht sich weiter, nur Maria und ihr ganzes Leben sind zum Stillstand gekommen. Maria ist mir sehr nahe gekommen. Beim Lesen des Buches musste ich manchmal an Toto, die Hauptfigur in Sibylle Bergs Roman “Vielen Dank für das Leben”, denken.

Im Mittelpunkt des Romans steht ein Thema, das so wichtig und zentral ist, da es mittlerweile immer mehr Menschen betrifft: der Verlust von Arbeit, die Auswirkungen von langanhaltender Arbeitslosigkeit, aber auch der Weg zurück auf den Arbeitsmarkt bei älteren Menschen.  Erstaunlicherweise ist dies dennoch der erste Roman, den ich lese, der sich mit dieser Thematik beschäftigt. Anna Weidenholzer ist dabei ein sprachlich herausragender und sehr berührender Roman gelungen, der mich gefangen genommen und sehr lange nicht mehr losgelassen hat.

“Der Winter tut den Fischen gut” ist ein erstaunlicher Roman, großartig, berührend, ungewöhnlich – eine ganz große Empfehlung.

3 Comments

  • Reply
    jancak
    November 25, 2012 at 8:34 pm

    Fein, die Besprechung und das Interview mit Anna Weidenholzer hier zu finden, da ich den Tip ja, glaube ich, ein bißchen nach Deutschland bringen konnte. Ich kenne Anna Weidenholzer von ihren Anfängen, 2009 hat sie gemeinsam mit Cornelia Travnicek in einigen Anthologien und Literaturzeitschriften Texte gehabt, in der FM4 Anthologie zum Beispiel, dann ist der erste Erzählband herausgekommen und jetzt der Roman, den ich auch schon im Literaturgeflüster besprochen habe. Mir gefällt der stille realistische Ton und auch die Behandlung von Themen, die man sonst in der Gegenwartsliteratur nicht so leicht findet. Freut mich, wenn das Buch hier Anklang findet, weils ja bei den übrigen Kultbüchern vielleicht ein bißchen untergegangen wäre und es freut mich auch, daß es gut gefallen hat.

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      November 27, 2012 at 1:26 pm

      Liebe Eva,
      auch mich hat vor allem das Thema fasziniert, das ein so wichtiges und zentralen gesellschaftliches Thema ist, das in der momentanen Literatur jedoch dennoch kaum Beachtung findet. Warum eigentlich nicht? Daneben hat mich aber – ähnlich wie dich – auch die ganz besondere Sprache begeistern können. Anna Weidenholzer hat in ihrem Roman eine wirklich spezielle, ungewöhnliche Stimme gefunden, der ich sehr gerne zugehört habe.
      Kennst du ihren ersten Erzählband? Ist dieser empfehlenswert? Ich würde sehr gerne weitere Texte von Anna Weidenholzer lesen.

      Viele Grüße
      Mara

  • Reply
    Eva Jancak
    November 27, 2012 at 2:14 pm

    Ja, “Am Platz des Hundes” habe ich 2010 von der Buch-Wien nach Hause gebracht, aber erst im Jänner gelesen und im Literaturgeflüster besprochen, weil ich Erzählungen nicht so mag, das wäre auch eine kleine Korrektur, es ist ein Erzählband, kein Roman, obwohl einige Personen in mehreren Geschichten vorkommen und ich kann das Buch wirklich nur emfpehlen und glaube auch, daß es noch zu bekommen ist. Ich glaube auch, daß es schon Bücher mit realistischen Inhalten gibt, nur erscheinen die halt in sehr kleinen Verlagen, so daß sie Blogs, wie diesen vielleicht gar nicht so auffallen. Ein Gegenbeispiel wäre das Buch von Martin Horvath, das morgen in der Alten Schmiede vorgestellt wird. Ein anderes eines eher unbekannten österreichischen Autors, der in einem Kleinstverlag vor sich hin dümpfelt, wäre etwa Peter Campa, den ich demnächst lesen will und ich schreibe ja auch sehr realistisch und falle mit meinen selbstgemachten Büchern auch nicht auf, so daß ich wenigstens im Literaturgeflüster ein bißchen dagegen steuern will, weil ich denke, daß das schon sehr wichtig ist.

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