Minous Geschichte – Mette Jakobsen

Die Schriftstellerin Mette Jakobsen wurde 1964 in Kopenhagen geboren und lebt heutzutage in Sydney. Sie hat Philosophie studiert und eine Ausbildung zur Drehbuchautorin gemacht, außerdem unterrichtet sie Kreatives Schreiben. “Minous Geschichte” ist der Debütroman der Autorin.

“Es war November. Ein Jahr war seit der Zirkusvorstellung vergangen. Und ein Jahr, seit Mama mit einem großen schwarzen Schirm in den kalten Morgenregen hinausgegangen war. Ein Jahr, seit sie verschwunden war und Schildkröte mitgenommen hatte.”

Mette Jakobsen erzählt in ihrem Roman die Geschichte eines jungen Mädchens. Minous Geschichte. Minous wohnt mit ihren Eltern auf einer kleinen, einsamen Insel, die wie aus der Zeit gefallen scheint und allem entrückt wirkt. Minous Mutter hat die Familie verlassen, sie ist am Strand spazieren gegangen und nicht mehr zurückkehrt.  Ihr Verbleib ist ungeklärt, ihr Verschwinden mysteriös. Die erwachsenen Bewohner der Insel glauben, dass sie von einer Welle erfasst und ins offene Meer hinaus gezogen wurde. Minou möchte das nicht wahrhaben. Sie glaubt, dass ihr Mutter noch lebt und sammelt Beweise für diese Theorie.

“[…] alle auf der Insel glaubten, Mama sei tot. Nach ihrem Verschwinden hatte Priester ihren Schuh am Strand angespült gefunden. Papa sprach nie über den Tag, an dem sie ihn, salzverkrustet und ohne Absatz, in eine alte Schuhschachtel gepackt und begraben hatten. Ich schaute vom Leuchtturm aus zu. Papa meinte, ich solle mitkommen, aber ich wollte nicht. Ich fand es sinnlos, denn ich war sicher, dass Mama noch lebte.”

Doch niemand  möchte Minou zuhören, weder ihr Vater, der Fischer und Philosoph ist, noch Priester oder der Zirkuskünstler Kistenmann. Sie schreibt ihre Beweise in ein Notizheft und liest sie einem toten Jungen vor, den ihr Vater aus dem Meer gefischt hat und der einige Tage bei ihnen im Haus liegt, bevor seine Leiche abgeholt wird.

“Vielleicht glaubt ihr meine Geschichte nicht. Vielleicht lest ihr sie wie ein Märchen oder wie eine Fabel aus meiner Phantasie. Aber alles ist wahr. Der tote Junge blieb drei Tage lang bei uns.”

Das Verschwinden von Minous Mutter ist der Kern dieser Geschichte, der zentrale Punkt, um den sich alles dreht und rankt. Die Handlung des Romans ist unheimlich ruhig, leise, schleppend. Sie lebt von der atmosphärisch dichten Beschreibung der Insel, auf der die wenigen Bewohner ein Leben führen, das man sich kaum vorstellen kann. Sie lebt von den verschrobenen Charakteren und dem liebenswerten jungen Mädchen. Minou. Minou, die sich nichts sehnlicher wünscht, als dass ihre Mutter zurück nach Hause kommt. Die sich nichts anderes vorstellen kann, als dass ihre Mutter noch lebt. Irgendwo da draußen. Ganz bestimmt. Minou wünscht sich ihre Mutter so sehr zurück, dass sie ihr manchmal sogar erscheint. Plötzlich taucht sie auf oder Minou hört ihre Stimme.

Die Geschichte, die Minou dem toten Jungen erzählt, ihre Erinnerungen und ihre Gedanken, sind mysteriös und rätselhaft. Der Leser wird in eine Welt gestoßen, von der Mette Jakobsen keine Details preisgibt. Man erfährt weder, wann die Geschichte spielt, noch wo die Insel genau liegt. Immer wieder wird ein Krieg erwähnt, doch auch dabei ist nicht klar, um welchen Krieg es sich eigentlich handelt. Vieles bleibt im Unklaren und der Leser ist gezwungen, die Lücken mit eigenen Bildern und Vorstellungen zu füllen.

Die Sprache ist seltsam, abgehakt, dann aber auch wieder sehr poetisch und voller Sätze, die man festhalten und bewahren möchte.

“[…] nur im Gerzen und nicht in Worten – auch nicht in den allerschönsten – sondern im Herzen, in dem kleinen Vogelskelett, das in deiner Brust drängt und fliegen möchte, wissen wir genau, wen und was wir lieben. Das ist alles, was wir haben, und mehr gibt es nicht.”

Das Ende bleibt offen, wenn man das Buch zuklappt, klafft vor dem Leser ein riesengroßes Loch, das kaum zu füllen ist. Offene Enden können passen, doch hier fühlt sich das offene Ende leider einfach nur unbefriedigend und unvollständig an. Raubt der Geschichte fast den kompletten Sinn und jede Grundlage. “Minous Geschichte” ist ein schmales Büchlein und dennoch eines, das schwer im Magen liegt. Mich hat die Geschichte von Minou in einen Bann gezogen, ich habe sie gerne gelesen, bin in sie abgetaucht, habe zwischen all den verschrobenen Charakteren auf dieser Insel gewohnt, doch am Ende ist all dies wie eine Seifenblase geplatzt. Schade. Mich erleichtert es zu wissen, dass ich mit meinen Gedanken nicht alleine da stehe.

Beworben wird “Minous Geschichte” übrigens als Jugendbuch, für Jugendliche ab 14 Jahren. Ich bin mir nicht sicher, ob Jugendliche wirklich einen Zugang zu dieser Geschichte finden können, denn sie enthält kaum etwas Greifbares und ist schwer zu fassen, schwer zu begreifen. “Minous Geschichte” ist ein Roman mit interessanten Ansätzen, mit schönen Abschnitten, mit faszinierenden Charakteren, doch all diese Bestandteile führen in meinen Augen leider nicht zu einem wirklich überzeugenden Gesamteindruck.

3 Comments

  • Reply
    Kathrin
    January 7, 2013 at 7:08 pm

    Auf deine Rezension zu diesem Buch war ich so gespannt! Ich hatte “Minous Geschichte” vor etlicher Zeit mal einem Buchkatalog gesehen, aber konnte mir nicht so wirklich vorstellen, was mich inhaltlich bei diesem Buch erwarten würde – und Rezensionen gab es damals noch nicht hierzu. Für ein Jugendbuch hätte ich es aber nie gehalten – weder von der Optik noch vom Klappentext her. Nach deiner Beschreibung kann ich mir auch immer noch nicht vorstellen, dass es für Jugendliche geeignet ist, da es vermutlich zu abstrakt und ruhig ist (sofern ich das nach deiner Rezi beurteilen kann).

    Ich persönlich hatte mir das Buch sehr atmosphärisch vorgestellt, mit einer ungewöhnlichen Geschichte und liebenswerten Charakteren – zumindest hatte es mich an bestimmte andere Werke erinnert, auch deinen Zitaten nach.

    Nach deiner Rezension und der von Literaturen bin ich nun aber doch sehr skeptisch und ein wenig enttäuscht. Schade… Aber zumindest habe ich jetzt eine etwas nähere Vorstellung von “Minous Geschichte”.

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      January 8, 2013 at 7:45 pm

      Liebe Kathrin,
      herzlichen Dank für deinen Kommentar. Es tut mir auch leid, dass ich deine Vorfreude und Erwartung das Buch betreffend durch meine Besprechung sicherlich ein Stück weit gebremst habe.
      Mich hat das Buch aufgrund seiner Aufmachung auch vom ersten Moment an verzaubert. Das Cover, der Titel und ein wunderschönes Zitat auf dem Buchrücken haben gereicht. Für Jugendbuch hatte ich es eigentlich auch nicht gehalten, es lag in meinem hiesigen Buchladen auch nicht in der Jugendbuchabteilung und ich befürchte auch, das Jugendliche nicht die richtige Zielgruppe für dieses Buch sein werden.

      “Minous Geschichte” hat viele gute Ansätze, schöne Figurenbeschreibungen und auch atmosphärisch sehr dichte Passagen, es fehlt aber leider ein überzeugender roter Faden und das offene Ende schließt das Buch dann leider sehr unrund ab. Zurückgeblieben bin ich mit einem schalen Gefühl und enttäuschten Erwartungen.

      Falls du es doch noch lesen solltest, wäre ich gespannt, wie es dir gefällt. 🙂

      • Reply
        Kathrin
        January 9, 2013 at 3:50 pm

        So ganz ohne guten roten Faden – das ist schon mal ein Punkt, der mir den Lesegenuss auf jeden Fall auch stark einschränken würde. Sollte sich eine gute Möglichkeit ergeben (Sonderangebot, Ausleihe o.ä.), werde ich Minou und ihrer Geschichte sicher irgendwann eine Chance geben. Aber für die nächste Zeit ist es von der Wunschliste gestrichen. Mein SUB dankt deiner Rezension jedoch erst einmal für die Verhinderung des Zuwachses 😉

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