Anne Gesthuysen wurde 1969 in Veen geboren, einem kleinen Dorf am Niederrhein. Nach ihrem Abitur hat sie Journalistik und Romanistik studiert und arbeitet seit 1987 als Reporterin und Autorin von Dokumentationen für unterschiedliche Fernsehsender. Einem größeren Publikum bekannt wurde sie durch ihre Tätigkeit beim ARD Morgenmagazin, das sie seit 2004 moderiert. Mit ihrem Mann Frank Plasberg lebt sie in Köln. “Wir sind doch Schwestern” ist ihr Romandebüt.
Anne Gesthuysen erzählt in ihrem Roman “Wir sind doch Schwestern” die Geschichte von drei Schwestern, die zusammen 298 Jahre alt geworden sind. Katty, Paula und Gertrud – sie treffen sich, um gemeinsam Gertruds Geburtstag zu feiern. Nicht irgendeinen Geburtstag, sondern den hundertsten Geburtstag. Katty ist Mitte achtzig und die jüngste der drei. Wenn es darum geht Feste zu feiern, ist sie immer noch eine der letzten, die geht. Paula ist achtundneunzig und beinahe blind. Gertrud hört dafür kaum noch etwas und baut auch sonst gesundheitlich ab. Trotz ihres Alters wohnt sie noch alleine, stürzte in den vergangenen Wochen jedoch mehrmals, so dass Katty sie gerne zu sich holen würde. Katty wohnt alleine auf dem Tellemannshof. Im Sommer vermietet sie einige Zimmer des Anwesens an Pensionsgäste.
Schnell wird jedoch deutlich, dass die Stimmung zwischen den drei Schwestern angespannt ist: Katty und Gertrud kommen beide gut mit Paula aus, nur miteinander können sie einfach nicht. Zu vieles zwischen den beiden ist ungesagt geblieben, runtergeschluckt worden. Katty hat sich von der ältesten Schwester schon immer schnell gemaßregelt und bevormundet gefühlt. Gertrud dagegen trägt ihr Geschehnisse aus der Vergangenheit nach.
“Paula war völlig unkompliziert. Katty liebte sie uneingeschränkt und hatte sie gerne um sich. Das Verhältnis zu Gertrud war von jeher schwieriger gewesen. Natürlich liebte sie auch die älteste Schwester, aber irgendwie gerieten sie immer aneinander.”
Mit leichter Hand verknüpft Anne Gesthuysen Fäden aus der Gegenwart mit Rückblicken in die Vergangenheit. Die Geschichten, die sie erzählt, umfassen eine Zeitspanne, die sich quer durch das 20. Jahrhundert zieht. Sie erzählt vom Aufwachsen der Geschwister und dem frühen Tod der Mutter. Sie erzählt von Paula, die ihren Mann Alfred an andere Männer verliert. Etwas, was zur damaligen Zeit undenkbar war und mit viel Scham und gesellschaftlicher Ächtung verbunden gewesen ist. Doch Paula hat sich ihre Gelassenheit und auch ihre Fröhlichkeit bis ins hohe Alter bewahren können, ohne daran zu zerbrechen. Es ist ihr sogar gelungen, freundschaftlich mit Alfred verbunden zu bleiben. Sie erzählt von Gertrud, die sich Hals über Kopf in Franz Hegmann verliebt und trotz aller Widerstände seine Verlobte wird, ihn dann jedoch während des Krieges auf tragische Weise verliert. Und sie erzählt von Katty, die in jungen Jahren als Hauswirtschafterin auf den Tellemannshof zieht. Die Stellung wurde ihr von dem verwitweten Heinrich Hegmann angeboten, dem Bruder von Franz, der sich an dessen Tod schuldig fühlt und die Familie versucht zu unterstützten. Die Verbindung zwischen Katty und Heinrich wird im Laufe der Jahre immer enger und als dieser nach dem Krieg als Politiker tätig ist, wird auch Kattys Leidenschaft für Politik geweckt, für das Organisieren und Planen. Heutzutage würde man Katty wohl als PR-Beraterin bezeichnen. Sie ist das Mädchen für alles an Heinrichs Seite, seine engste Vertraute. Zwischen den beiden herrscht ein so enges Vertrauensverhältnis, das kein Blatt zwischen sie passt und schon gar keine zweite Frau Hegmann an Heinrichs Seite.
Auch heute noch, nach so vielen Jahren sind viele dieser Themen zwischen den Schwestern ein Tabu. Vor allem die Rolle von Heinrich Hegmann ist vermintes Gelände. Gertrud gibt ihm lange die Schuld an Franz Tod, glaubt, dass Heinrich ihre Hochzeit verhindern wollte und seinen Bruder deshalb in den Krieg geschickt hat. Gertrud fällt es schwer, die Vergangenheit ruhen zu lassen, zu vergessen, zu verzeihen.
“Sprach man sich also besser noch mal aus, bevor es zu spät war, oder ließ man alles auf sich beruhen?”
Anne Gesthuysen erzählt in ihrem Roman “Wir sind doch Schwestern” von dem Schicksal der drei Schwestern, verwebt aber auch das Leben vieler anderer Personen in diese Geschichten mit hinein, beispielsweise die des Spions, den Gertrud eine Zeit lang in ihrem Haus versteckt. Obwohl die Schwestern zwei Kriege durchstehen müssen und geliebte Menschen verlieren, erzählt Anne Gesthuysen diese Geschichten frei von jeglichen Sentimentalitäten. Auf viele Ereignisse wird stellenweise sogar beinahe ein erheiternder Blick geworfen, so dass ich beim Lesen auch immer wieder schmunzeln musste. Die Schwestern erscheinen als mutige Frauen und als starke Persönlichkeiten, die es nicht immer leicht hatten im Leben. In den gemeinsamen Vorbereitungen auf die Geburtstagsfeier von Gertrud, beginnen sie jedoch sich wieder anzunähern und auch langsam aber sicher miteinander und aneinander Spaß zu haben. Anne Gesthuysens Roman ist ein Plädoyer für die Gegenwart, für den Genuss, für das Leben im Hier und Jetzt und dafür, dass es manchmal besser sein kann, alte Geschichten hinter sich zu lassen.
“Manchmal musste man die Vergangenheit ruhen lassen und die Gegenwart genießen.”
Exemplarisch dafür ist auch der Titel des Romans zu verstehen: was auch immer in der Vergangenheit geschehen ist, was auch immer der andere getan haben mag, Wir sind doch Schwestern. Wir bleiben Schwestern.
Im Nachwort erfährt man, dass dem Roman von Anne Gesthuysen wahre Begebenheiten zugrunde liegen. Heinrich Hegmann hat es wirklich gegeben und Katty, Paula und Gertrud sind die Großtanten der Autorin. Dennoch ist der Roman kein “Dokument der Wahrheit, wohl aber ein wahrhaftiges Dokument der Familiengeschichten.”
Anne Gesthuysen ist ein leichter Familienroman gelungen, mit dem ich mich unheimlich wohlgefühlt habe und der mich ausgesprochen gut unterhalten hat. Sprachlich ist “Wir sind doch Schwestern” sicherlich nicht immer auf dem höchsten literarischen Niveau, doch Anne Gesthuysen versteht es zu erzählen. Sie erzählt von dem Schicksal ihrer Großtanten, die trotz allem doch Schwestern geblieben sind.
5 Comments
IngridW
January 15, 2013 at 4:40 pmDas geht bei Dir ja Schlag auf Schlag: eine interessante Buchempfehlung nach der anderen!
buzzaldrinsblog
January 17, 2013 at 3:49 pmLiebe Ingrid,
ich freue mich sehr, dass ich dein Interesse wecken konnte mit meiner Besprechung. Meine Erwartungen an das Buch waren recht niedrig, doch dann wurde ich wirklich sehr positiv überrascht. Ich hoffe, dass noch einige andere Leser diesen Roman entdecken werden. 🙂
Julia
January 22, 2013 at 9:29 amDanke für deine ausführliche Vorstellung des Romanes! Ich hatte diesen bei meinem letzten Buchhandlungsbesuch in der Hand und war mir noch unschlüssig.
Einen wunderbaren Blog hast du hier!
Liebe Grüße,
Julia
buzzaldrinsblog
January 22, 2013 at 8:06 pmLiebe Julia,
ganz herzlichen Dank für deinen lieben Kommentar. Ich freue mich, dass ich dir mit meiner Besprechung weiterhelfen konnte. Darf ich fragen, wofür du dich entschieden hast? Wird das Buch beim nächsten Buchhandlungsbesuch gekauft? 🙂
Danke auch für dein Kompliment! Ich habe mir auch deinen Blog angeschaut, der mir gut gefällt. Schade nur, dass ich dich über WordPress nicht “verfolgen” kann – ich werde aber gerne noch ab und an bei dir vorbeischauen,
Liebe Grüße
Mara
[Backlist-Jahr #10] Anne Gesthuysen – Wir sind doch Schwestern | Aig an taigh
March 2, 2015 at 10:12 pm[…] fand die Geschichte von “Wir sind doch Schwestern” sehr ansprechend und Maras Rezension auf Buzzaldrins Bücher hatte mir gut […]