Die Schriftstellerin Fee Katrin Kanzler hat Philosophie und Anglistik in Tübingen und Stockholm studiert. 2001 war sie Teilnehmerin des Treffen junger Autoren, 2007 Stipendiatin des Klagenfurter Literaturkurses. Heutzutage lebt sie im Süden Deutschlands und unterrichtet Philosophie und Englisch. Sie betreibt eine sehenswerte eigene Homepage, die einen Besuch wert ist. “Die Schüchternheit der Pflaume” ist ihr Romandebüt.
“Du kennst die mehlige Schicht, die eine frische Pflaume hat. Was sie matt macht und blassblau statt dunkel, diese dünne Schicht, dieses Anstandspuder überm tiefen Violett, die Schüchternheit der Pflaume. Wenn du die Pflaume anfasst, reibt sich diese Schicht ab, und die Pflaumenhaut beginnt zu glänzen.”
Fee Katrin Kanzler erzählt die Geschichte eines jungen Mädchens, die den ganzen Roman hindurch namenlos bleibt. Sie ist Musikerin, spielt zusammen mit ihrem Bassmann auf Konzerten, hat eine Platte veröffentlicht und ist sogar so erfolgreich, dass sie eines Tages in einem Café nach einem Autogramm gefragt wird. Die Welt nimmt sie aus einer ganz eigenen, sehr sinnlichen, Perspektive war: im Mittelpunkt stehen kleine Details, wie das Aussehen einer Pflaume, das Essen einer Tomate und das “saugende Geräusch beim Öffnen einer Kaffeepackung“.
Die Erzählerin wohnt in der Goldlaube, gemeinsam mit Borg, Matti und der ledernden Lora. Ihr Leben wirkt wie einem Märchen entsprungen. Ihre Art zu erzählen und ihre Stimme haben mich sofort in einen Bann gezogen. Sie hat mich gefangen genommen, verzaubert, bezaubert. Wenn sie von ihrem Zwillingsbruder Moritz spricht, wird mein Hals eng und schnürt sich zu. Neben all dem sprachlichen Witz, glitzert auch immer wieder eine schwere und dunkle Traurigkeit hervor.
“Ich bin nur ein Notizblock für die Götter, sie benutzen mich, kritzeln mich voll mit ihren Ideen. Irgendwann werfen sie mich weg.”
Die Handlung ist schnell erzählt: die Welt der Erzählerin, für die Musik ein Lebenselixier ist, gerät aus dem Gleichgewicht, als sie zwischen zwei Männern steht. Fender und Blaum. Beide könnten nicht unterschiedlicher sein, bei beiden glaubt die Erzählerin zunächst die Beziehungsfäden in der Hand zu halten. Doch die Kontrolle entgleitet ihr zunehmend. Sie spielt mit beiden, doch muss irgendwann erkennen, dass Fender und Blaum sich nicht ewig Zeit nehmen, um auf sie zu warten. Fender zieht mit einer anderen Frau zusammen und Blaum faselt plötzlich von einer Doktorandin. Die Erzählerin muss erkennen, dass Liebe nicht immer ein Spiel sein muss und sie ertappt sich dabei, wie sie sogar eifersüchtig wird.
Doch in diesem Buch geht es gar nicht so sehr um die Handlung. Es geht um die Sprache, um Wortkreationen, die die Autorin mit einer ungeheuren Leichtigkeit erschafft. Es geht um Bilder, Sinneseindrücke, um eine sprachliche Wucht und eine literarische Hochgeschwindigkeitsfahrt, die bei mir den Wunsch geweckt hat, das Buch nicht mehr aus der Hand legen zu müssen. In kleinen Kapiteln, überschrieben mit wunderschönen Überschriften, taucht man in ein Paralleluniversum ab, das nur noch aus Sprache und Wörtern zu bestehen scheint. Verliebt in “Die Schüchternheit der Pflaume” habe ich mich bereits auf der ersten Seite. Verliebt habe ich mich in das Wort Quisquilie. Verliebt habe ich mich in folgende Sätze:
“Mich begeistern Kleinigkeiten. Das Schöne ist überall, und wichtig. Wer es nicht sieht, geht unter. Zugegeben, wer es sieht, auch. Aber zusammen mit der Schönheit unterzugehen, das ist es, worauf es ankommt.”
Zusammengehalten wird die Geschichte von der Musik, die eine zentrale Rolle spielt. Die Musik der “Musiksüchtigen”, die Musik machen, aber nicht darüber sprechen kann, findet sich auch in der Sprache, die einen ganz eigenen Rhythmus hat.
“Hätte ich nur eine eigene Geschichte, denke ich, wie ich meine eigene Musik habe. Selten schreibe ich eine Seite auf. Früher hatte ich Tagebücher. Die habe ich nie mehr durchgelesen seitdem. Weil diese Geschichten tote Häute sind, in denen ich nicht mehr leben kann. Schon damals nicht leben konnte. Jetzt abgestreift. Ich erzähle mir meine Geschichte nur noch im Kopf. So dass sie verfliegen kann wie Musik.”
Auch wenn das Buch vieles zu bieten hat, merke ich, dass ich doch immer wieder zu sprachlichen Aspekten zurückkehre, da mich diese am meisten berührt und beeindruckt haben. Ich wünschte mir Worte und Sätze wie Perlen auf eine Kette aufreihen zu können, um mir diese um den Hals hängen zu können und immer bei mir zu tragen. Beim Lesen bin ich tief in diesen Text, in ein Reich der Worte, hinabgestiegen und reich beschenkt worden.
“Die Schüchternheit der Pflaume” hat mich verzaubert und von Beginn an überzeugen können. Fee Katrin Kanzler hat einen Roman für Leser geschrieben, die Spaß und Freunde an Worten haben, an einer besonderen Sprache, an Bildern und eigenen Wortkreationen. Neben der Sprache hat mich der Roman auch aufgrund seiner tollen Hauptfigur überzeugen können, die mich mit ihrer Stimme mitten ins Herz getroffen hat. Sie ist versponnen, verträumt, melancholisch und liebenswert. In ihrem Kopf beherbergt sie einen Gnadenhof für Sonderlinge und Musik ist für sie ein synästhetisches Wunderland.
“Hätte ich nicht als Kind gelernt, dass Klänge ohne Geruch und Geschmack sind, hätte ich keine Scheu sie mit Worten wie zitronig, fade oder süß zu beschreiben. Violettklänge sind oft bitter, Orangeklänge haben scharfe Kanten, auch modrige Klangfarben gibt es.”
“Die Schüchternheit der Pflaume” ist ein Buch, das nicht leicht zusammen zu fassen ist. Es liest sich stellenweise schon fast wie Poesie, wie ein langes Gedicht. Die Sprache ist unheimlich lyrisch und poetisch und am liebsten würde ich nicht nur ein paar einzelne Sätze zitieren, sondern ganze Passagen und Abschnitte, ganze Kapitel oder gleich das ganze Buch. Leider ist das nicht möglich, deshalb bleibt mir lediglich zu sagen: lest es selbst! Lest Fee Katrin Kanzler!
Bei der Klappentexterin gibt es übrigens nicht nur eine lesenswerte Rezension, sondern auch noch ein interessantes Interview.
13 Comments
Susanne Haun
January 21, 2013 at 4:19 pmWieder ein schönes Interview, Mara.
Ich kann nachvollziehen, was Katrin Kanzler mit ihrer fehlenden Kompromissbereitschaft meint. Aber es ist ja auch wichtig, das Kreative ihren eigenen Weg gehen und sich mit sich selber und ihrem Werk auseinandersetzen.
Einen schönen Tag wünscht dir Susanne
buzzaldrinsblog
January 22, 2013 at 7:52 pmLiebe Susanne,
ja, ich kann ihren Punkt mit der Kompromissbereitschaft auch sehr gut nachvollziehen. Wahrscheinlich braucht man im Bereich Literatur und Kultur auch eine gewisse Form der Kompromisslosigkeit, der Ellenbogen, um sich durchsetzen und behaupten zu können. Mir fällt es in meinem Berufsleben auch immer schwer, Kompromisse zu machen oder im Team zu arbeiten. Gemeinsam mit anderen zu arbeiten bedeutet eben auch immer, sich auseinandersetzen zu müssen. Ich merke manchmal, dass mir dafür die Kraft fehlt. 😉
privatkino
January 21, 2013 at 4:38 pmEine wunderbare Rezension, ohne die ich vermutlich nie auf das Buch aufmerksam geworden wäre, jetzt steht allerdings fest, es in naher Zukunft zu lesen. Vielen Dank!
buzzaldrinsblog
January 22, 2013 at 7:57 pmAch, was hast du mir für ein Lächeln ins Gesicht gezaubert mit deinem Kommentar! Ich sitze hier mit rot glühenden Wangen und reibe mir die Hände! 🙂 Ich freue mich so, dass ich dein Interesse an dem Buch wecken konnte. Ich wünsche dir zauberhafte Stunden mit der Lektüre, es ist ein wahres sprachliches Vergnügen.
Wortgalerie
January 21, 2013 at 5:45 pmSehr schön auf den Punkt gebracht! 🙂 Ich habe den Roman kürzlich gelesen und mir ging es wie dir: Ich war sehr angetan vom Umgang mit der Sprache und auch sonst muss ich manchmal noch an die Protagonistin und ihre Weltsicht denken…
buzzaldrinsblog
January 22, 2013 at 8:02 pmLiebe Wortgalarie,
danke! 😀 Ich freue mich, dass es dir mit dem Roman ähnlich erging. Die Lektüre ist wirklich ein wahres Vergnügen, was vor allem an der Sprache liegt. Mir ergeht es ähnlich wie dir, auch ich denke immer mal wieder an die Protagonistin und ihre Weltsicht. Sie ist mir während der Lektüre sehr ans Herz gewachsen.
mickzwo
January 21, 2013 at 7:04 pmMir ging es genau wie privatkino. Danke 🙂
buzzaldrinsblog
January 22, 2013 at 8:03 pmDas freut mich sehr! 😀
laura
January 22, 2013 at 1:39 pmJe mehr ich von dem Buch lese oder über die Autorin erfahre, umso größer wächst in mir der Wunsch, das Buch zu lesen. Ich finde eine kreative Sprache, die mich mit sich nimmt, immer wieder so beeindruckend… und dass dieses “Sprachvermögen” der Fee liegt, liest man auch in ihren “Tagebucheinträgen” auf ihrer Homepage (danke für den Link!).. Ach *seufz*, da komme ich wohl nicht drum herum, um das Buch, wenn es alle empfehlen 😉
buzzaldrinsblog
January 22, 2013 at 8:13 pmOh ja, die Tagebucheinträge haben mir auch ausgesprochen gut gefallen. Ich hatte sie entdeckt, als ich dank der Klappentexterin auf die Homepage der Autorin kam und mich sofort in ihre Texte verliebt. “Sprachvermögen” hat die Autorin auf jeden Fall, ich habe in der Vergangenheit keinen annähernd ähnlich sprachgewaltigen Roman gelesen. Ein wahres Vergnügen. Wie sagst du (und Caterina) immer? Überall Poesie? 😀
Das Buch solltest du dir unbedingt holen, ich denke auch, dass da kein Weg dran vorbeiführen wird … 🙂
caterina
January 22, 2013 at 3:49 pmWundervoll! Vor allem das Zitat mit der Schönheit, mit der man gemeinsam untergeht, gefällt mir außerordentlich gut. Die Stellen, die du gewählt hast, und die Worte, die du gefunden hast, um deiner Begeisterung dafür Ausdruck zu verleihen, ergeben eine sehr schöne Rezension. Danke!
buzzaldrinsblog
January 22, 2013 at 8:15 pmDas Zitat hat mir auch sehr gut gefallen. Ich habe es bereits auf der allerersten Seite des Buches entdeckt und es hat mich sofort angesprungen. Ich musste es schon etlichen Leuten vorlesen und meine Begeisterung mit ihnen teilen. Im Buch gibt es so viele weitere wunderschöne und erinnerungswürdige Sätze. Es fiel mir schwer eine Auswahl zu treffen. 🙂
Neuzugänge Januar 2013 | privatkino
January 24, 2013 at 1:39 pm[…] eine Rezension von buzzaldrins bin ich auf das Buch “Die Schüchternheit der Pflaume” von Fee Katrin Kanzler […]