Patric Marino wurde 1989 in Bern geboren und lebt heutzutage in Münsingen. Er ist Absolvent des Schweizerischen Literaturinstituts und Mitbegründer des Literaturbüro Olten. Um für seinen Roman, der in Kalabrien spielt, zu recherchieren ist Patric Marino sechsmal zu seinen Großeltern nach Guardavalle gefahren.
Im Zentrum von “Nonno spricht” steht der Erzähler Patric, der die Sommerwochen bei seinen Großeltern in Kalabrien verbringt. Damit ist die Handlung des Romans in wenigen Worten zusammengefasst. “Nonno spricht” lebt von der sommerwarmen Atmosphäre Kalabriens, von sanften Stimmungen und Bildern. Von Momentaufnahmen, die den Eindruck eines Schnappschuss machen, eines Urlaubsfotos. Von Kodak-Momenten.
“Nonna und ich gehen am Lungomare spazieren, das ganze Dorf spaziert abends am Lungomare. Ich gehe neben Nonna her. Nonna geht langsam, sie hebt die Füsse kaum vom Boden und schaukelt hin und her. Ich gehe zu schnell, bleibe stehen, lasse Nonna vorbei, überhole sie wieder. Nonna hakt sich unter, und wir gehen nebeneinander. So könnte ich ewig weitergehen.”
Der neunzehnjährige Erzähler erzählt von gemeinsamen Spaziergängen, vom Kochen und von Verwandtenbesuchen. Die Bilder, die er dabei erschafft, sind mitunter poetisch, doch überwiegend von einer einfachen Natur. Dennoch vermitteln sie eindrücklich etwas, das ich für mich als ein kalabrisches Lebensgefühl bezeichnen würde. Essen und das Kochen und Zubereiten von Lebensmitteln ist ein zentrales Element des Romans. Die Lebensmittel werden frisch auf dem Markt eingekauft und später eigenhändig eingelegt, eingefroren, aufbewahrt, verarbeitet. An einer Stelle werden “Omeletten mit frischer Ricotta und Kirschmarmelade” zubereitet, an einer anderen Stelle kochen der Erzähler und seine Nonni gemeinsam Pesto:
“Das Pesto hat eine leuchtende Farbe. Nonna streut Salz ein. Wir füllen einen Teil des Pesto in Plastikbecher und frieren ihn ein. Einen anderen Teil mischen wir mit Käse und Öl, für die Spaghetti zum Mittagessen. Den letzten Teil Pesto füllen wir in ein Schraubglas und bedecken ihn mit Öl. Ich stanze Etiketten auf Nonnos Buchstaben-Stanzmaschine.”
Bewusster leben, bewusster essen, bewusster mit Lebensmitteln umgehen und sich Zeit für ihre Zubereitung nehmen – das sind Aspekte die mir beim Lesen durch den Kopf gehen. Das Dorf, in dem die Nonni des Erzählers leben wirkt wie ein Ort der Entschleunigung, nicht einmal das Mobiltelefon hat hier einen Empfang. Die Uhren scheinen hier anders zu ticken. Doch das moderne Leben macht – wie so oft – auch vor diesem Ort der Abgeschiedenheit nicht halt. Der Nonno des Erzählers hat einen Olivenbaum versetzen müssen, weil die neue Hauptstraße über sein Land führte.
“Ich hätte eine Entschädigung bekommen, wenn ich den Baum gefällt hätte, und ich hätte das Holz als Brennholz verkaufen können. Letzten Herbst hat der Baum mehr Oliven gemacht als je zuvor.”
Einen Ableger des Olivenbaums hat Nonno zu Patrics Eltern in die Schweiz geschickt, doch die hatten keine Geduld für so etwas: Patrics Vater hat den Zweig mit der einzigen Olive abgeknickt, “Das ist nichts”. Diese Geschichte spiegelt möglicherweise ganz gut die unterschiedlichen Lebenswelten und Lebenseinstellungen. In Guardavalle nehmen sich Patrics Nonni gerne die Zeit, um auf etwas zu warten, sie pflegen gerne Dinge, hüten sie wie kleine Schätze. In Patrics Elternhaus hat niemand Zeit dafür, darauf zu warten bis an einem Baum ein paar Oliven wachsen.
“Man verschwendet nichts, weder auf dem Feld noch in der Küche. Zia Rosa hat die Pasta von gestern vors Haus gestellt, wo Giulias Hund sie frisst. Nonna brät aus der Pasta von gestern eine Frittata.”
Patric Marinos Debütroman “Nonno spricht” überzeugt mich vor allem durch seine Schlichtheit, die einen feinen Glanz ausstrahlt. Der Roman braucht keine Handlung: Patric Marino reiht Bild an Bild, Stimmung an Stimmung. Die Atmosphäre ist trotz aller Schlichtheit flirrend und intensiv. Beim Lesen hatte ich das Gefühl, mich an der Seite des Erzählers zu befinden, gemeinsam mit ihm ins Meer zu springen, die Sommerwärme auf der nackten Haut zu spüren oder in Badehosen in der Garage zu sitzen und Tomaten einzumachen. Guardavalle, der Ort an dem “Nonno spricht” spielt, hat mich von der ersten Seite an fasziniert. Wie aus der modernen Zeit gefallen wirken der Ort und seine Bewohner und doch habe ich seine Beschreibung als unheimlich reizvoll und anziehend empfunden. Der Umgang mit Lebensmitteln und das Zubereiten von frischem Gemüse haben mich immer wieder fasziniert.
Patric Marino ist ein beeindruckend ruhiger und unaufgeregter Roman gelungen, der mich aufgrund seiner Sprache, seiner Bilder und seiner Stimmung begeistert hat. Ich freue mich darauf, hoffentlich bald weitere Bücher dieses spannenden und vielversprechenden jungen Autors zu entdecken.
2 Comments
Glück unter der Sonne. | Klappentexterin
May 26, 2013 at 10:28 am[…] hier noch kleiner redaktioneller Hinweis: Mara von buzzaldrins Bücher hat bereits eine schöne Rezension zu diesem Buch sowie ein interessantes Interview mit dem jungen Autor auf ihrem Blog […]
5 Fragen an Patric Marino! | We read Indie
June 10, 2013 at 11:30 am[…] Das Interview ist zuerst auf buzzaldrins Bücher erschienen. Besprechungen zu Patric Marinos Debütroman Nonno spricht gibt es hier und hier. […]