“Später Frost” ist die Gemeinschaftsarbeit von zwei jungen Autoren: Roman Voosen wurde 1973 geboren und lebte in Papenburg, Bremen, Växjö und Göteborg. Kerstin Signe Danielsson, Jahrgang 1983, ist in Schweden geboren und hat in Deutschland studiert. Beide leben heutzutage gemeinsam in Hamburg und sind dort als Autoren und Lehrer tätig. “Später Frost” ist der Debütroman dieses Autorenduos, weitere Bände sind bereits in Planung. Der nächste erscheint im Herbstprogramm 2013.
“Geschichte wiederholt sich nicht, manchmal ist sie nicht einmal wahr.”
“Später Frost” ist der erste Fall von Ingrid Nyström und Stina Forss. Stina Forss, die junge Kommissarin, kehrt Berlin den Rücken und geht aus persönlichen Gründen nach Schweden zurück.
“Hatte sie die richtige Entscheidung getroffen? Oder war das alles falsch? Eine übereilte Flucht? Oder, noch schlimmer, eine sentimentale Dummheit?”
Im tiefsten Winter verschlägt es sie ins schwedische Småland, in die Kleinstadt Växjö, in der Sonntags kein einziges Restaurant geöffnet hat. Dort arbeitet sie unter der Leitung von Ingrid Nyström. Schon kurz nach ihrem Eintreffen in Växjö wird die Kleinstadt von einem brutalen Mord erschüttert: der zurückgezogen lebende Engländer Balthasar Frost wird tot in seinem Gewächshaus aufgefunden. Die Umstände sind mysteriös, das Gesicht des Mannes ist verätzt worden und ihm fehlt ein Finger. In Växjö war Frost vor allem als Schmetterlingsforscher bekannt, sonst wusste man aber nicht viel über ihn.
“Doch am auffälligsten waren die Augen. Der Mann hatte keine Augen mehr. Dort, wo sie einmal gewesen waren, befanden sich nur noch zwei milchig eingetrübte Kugeln. Keine Pupillen, keine Farben, kein Blick. Gar nichts.”
Stina Forss und Ingrid Nyström müssen schnell feststellen, dass dies in jeder Hinsicht kein normaler Mordfall ist. Bis zum Schluss, bis zur letzten Seite, ist in diesem Fall nichts so, wie es auf den ersten Blick scheint.
“Sie dachte wieder an das grauenhaft zugerichtete Gesicht. Die fehlenden Augen. Der Finger. Das waren Dinge, die nicht hierhergehörten, nicht nach Växjö in Småland.”
Die Ermittlungen führen die beiden tief hinein in die schwedische Geschichte und in die persönliche Lebensgeschichte eines Mannes, der sich aufgrund seiner sexuellen Neigungen ein Leben lang verstecken musste. Die Geschichte, die für die Mordentwicklungen eine Rolle spielt, reicht zurück bis in die Zeit des Zweiten Weltkriegs und in der Gegenwart müssen Stina Forss und Ingrid Nyström in den höchsten Kreisen der schwedischen Gesellschaft ermitteln und feststellen, dass sie sich dadurch nicht immer beliebt machen. Stina Forss verschlägt es im Laufe der Ermittlungen sogar bis nach Jerusalem. Die beharrlich geführte Ermittlungsarbeit bringt Stück für Stück Licht ins Dunkle und sorgt vor allem auf den letzten Seiten für eine rasante und überraschende Entwicklung der Handlung. Ingrid Nyström und Stina Forss sind ein sympathischen Ermittlerduo, das sich ergänzt und in seinen Charaktereigenschaften spiegelt. Stina Forss ist wild, vorpreschend und bedient sich auch ab und an gerne Mitteln, die nicht den Vorschriften entsprechen. Ingrid Nyström wirkt dagegen ruhiger und besonnener.
Meine Besprechung von “Später Frost” wird sicherlich dadurch beeinflusst, dass ich ansonsten kaum Bücher aus der Sparte “Kriminalliteratur” lese und vielen Büchern aus diesem Segment auch eher skeptisch gegenüber stehe. Gerne und mit großer Begeisterung habe ich aber immer wieder die Bücher von Henning Mankell gelesen, an dessen Geschichten ich mich während der Lektüre von “Später Frost” erinnert gefühlt habe. “Später Frost” ist auf den ersten Blick ein Kriminalroman, der die Geschichte eines ungewöhnlichen Mordfalls erzählt. Für mein Empfinden ist “Später Frost” aber noch viel mehr als das, denn trotz der übel zugerichteten Leiche wird das Buch ansonsten nicht durch Gewalt oder Brutalität dominiert, sondern vielmehr durch genaue Beobachtungen, eine faszinierende Ermittlungsarbeit, eine komplexe Geschichte, detaillierte psychologische Charakterschilderungen und eine sehr lesenswerte Sprache. Auch das politische Geschehen und die schwedische Gesellschaft spielen eine wichtige Rolle.
Spannend finde ich auch die Entstehungsgeschichte von “Später Frost”, das in gemeinsamer Zusammenarbeit eines jungen Autorenduos entstanden ist. Diese Tatsache weckt natürlich Erinnerungen an das Autorenduo Maj Sjöwall und Per Wahlöö und ihren legendären Kommissar Beck. Wie ich in einer Ausgabe der “Welt am Sonntag” lesen konnte, war Roman Voosen vor allem für den Plot und die Handlung zuständig, während Kerstin Signe Danielsson sich auf die psychologische Darstellung der Figuren konzentriert hat.
“Später Frost” ist ein sprachlich überzeugender, literarisch fein ausgearbeiteter Krimi, der spannende Einblicke in ein schwedisches Morddezernat gibt. Voosen und Danielsson beschreiben mit einem Blick für Details die Arbeit der Polizei, legen aber auch Wert auf die Charakterisierung ihrer Figuren. Eine Leseempfehlung – nicht nur für Krimifans.
5 Comments
Eva Jancak
February 6, 2013 at 10:24 pmfein ein Krimi, ich dachte schon, das gibt es hier nicht
buzzaldrinsblog
February 7, 2013 at 1:51 pmLiebe Eva,
ich habe bereits Ende des vergangenen Jahres einen Krimi vorgestellt. Aber du hast Recht, es ist nicht gerade ein bevorzugtes Genre von mir. Vielleicht ja noch nicht. Liest du gerne Krimis?
Eva Jancak
February 7, 2013 at 4:12 pmEigentlich schon, ganz gern und immer wieder, obwohl ich keine schreiben kann, weil ich ja gegen Gewalt bin, das Leben ist schon seltsam, nicht.
Habe gerade vom Residenzverlag ein Mail bekommen Anna Weidenholzer wurde für den Leipziger Buchpreis Bellestristik nominiert und Alexander Nizberg für seine Bulgakov-Übersetzung
buzzaldrinsblog
February 7, 2013 at 6:37 pmLiebe Eva,
ich habe früher auch gerne Krimis gelesen, vor allem die Mankell-Reihe, aber auch die bekannte Trilogie von Stig Larsson. Später habe ich dann buchtechnisch andere Interessen entwickelt, aber ein schöner Krimi zwischendurch finde ich dann doch immer toll.
Danke übrigens für diese grandiosen Nachrichten, für Anna Weidenholzer, deren Roman ich gerne gelesen habe und über die Bulgakov-Übersetzung haben wir uns ja erst kürzlich unterhalten. Überhaupt finde ich die diesjährige Shortlist recht spannend.
Eva Jancak
February 7, 2013 at 7:09 pmKenne davon eigentlich außer Anna Weidenholzer und Alexander Nizberg, die ja in Wien öfter zu hören sind, nur Lisa Kränzler vom Bachmannlesen und David Wagner war, glaube ich, mal auf einer Buchpreisliste.
Also laße ich mich überraschen “Der Winter tut den Fischen gut” ist das einzige Buch, das ich gelesen habe, der Bulgakov wartet auf der Leseliste, allerdings in der alten Übersetzung und heuer werde ich auch nicht nach Leipzig fahren, aber bezüglich Preis gibt ja einen live stream und die blauen Sofa Lesungen kann man sich auch im Internet anschauen, was ich immer sehr gern tue.
Mankell habe ich auch sehr gern gelesen und da wartet jetzt der Oldie “Hunde von Riga” auf mich, den ich vorigen Jahr leider vergessen habe, dorthin mitzunehmen.