Sarah Kuttner bezeichnet Julian Heun als Wunderkind. Geboren wurde er 1989 in Berlin und ist einer der bekanntesten Poetry-Slammer Deutschlands. Er ist aber auch schon längst über Deutschland hinaus bekannt, 2009 wurde er Vierter bei der Poetry-Slam-Weltmeisterschaft in Paris. An der FU Berlin studiert Julian Heun Literaturwissenschaft und schreibt nebenbei für die Bühne, für Literaturzeitschriften und für Zeitungen. Julian Heun hat eine eigene Homepage. Wer ihn auf der Poetry-Slam-Bühne bewundern möchte, kann dies hier oder auch hier tun.
“und suchst du das nicht auch
irgendein weitdadraußen
fern von den ganzen schweinen
ein weitdadraußen das leuchtet
entwaffnend und entwurzelnd schön
in einer noch nie gesehenen farbe
neoneon oder so
ein funken der vorbeizieht
verglühend vor wahrhaftigkeit vor idee
nicht einfach zum festklammern
sondern sodass man darauf reiten kann
oder zumindest treiben ach
weißt du was ich meine?”
Julian Heun erzählt in seinem Debütroman “Strawberry Fields Berlin” zwei Geschichten: Schüttler ist Boulevardjournalist in Berlin, der seine Arbeitstage mit dem Schreiben von intellektuell anspruchslosen Artikeln verbringt. Außerhalb seiner Arbeit hat er sich mit anderen zu einer Gruppe zusammengeschlossen, die Jagd auf Hipster macht – mit Sektkorken und allerlei anderen Methoden.
“Ich hasse Schokorosinen, ich hasse überhaupt viel. Und nicht nur das – ich hasse gerne! Gründlich und ausführlich zu hassen ist gesund und unerlässlich, wobei man jedoch nie außer Acht lassen sollte, dass gerade der elaborierte Hasser wohl gewählte Abstufungen machen sollte. […] Die schweißfleckigen Hemdsärmel der Kollegen verdienen ein spöttisches Grinsen, die Sekretärinnen in ihrer Apfelschitzeligkeit noch eine zusätzliche Spur Hohn, aber die glutäugigste Satansfratze gebührt nur den Hipstern. Diese urbanen Szeneaffen, die hässlichste Zerrfratze des postironischen Turboindividualismus, das Riesengeschwür von Szeneberlin.”
Obwohl Schüttler cool und abgebrüht wirkt, wird deutlich, dass ihm im Leben etwas fehlt, dass es da noch mehr gibt, von dem er träumt, zu dem ihm aber möglicherweise der Mut fehlt. Symbolisch dafür sind die Nachrichten auf seinem Anrufbeantworter, die dort in regelmäßigen Abständen hinterlassen werden – von einer Frauenstimme, im Hintergrund begleitet von dem Geschrei eines Kindes. Wie eine Stimme aus der fernen Vergangenheit, die Schüttler glaubte schon lange hinter sich gelassen zu haben – genauso wie seinen Vornamen.
“Vielleicht sind zwei, drei Worte etwas schöngeflunkert, aber im Grunde ist alles wahr. Soweit man das sagen kann, denn häufig weiß ich nicht mal so genau, ob ich mir überhaupt glauben soll.”
Und dann gibt es da noch Robert, der glaubt Glück und Zufriedenheit im Leben gefunden zu haben, denn er hatte den Mut den Alltag hinter sich zu lassen und auszusteigen. Robert hat Deutschland verlassen und sich auf den Weg nach Indien gemacht, nach Strawberry Fields, dort reist er Luca hinterher, in die er sich Hals über Kopf verliebt hat. In einem Hippie-Camp auf den Andamanen finden sich beide wieder und leben den fernen und fremden Traum völliger Freiheit. Doch auch dieser Traum kann mit der Zeit Risse bekommen.
“Ich bin ein kleines Tier in der Horde, ein etwas zu zappeliger Fisch im großen Schwarm dieser bunten Fahrzeuge, durch deren Lack der Rost wie kleine Schuppen platzt, wie sie sich umeinanderwuseln, in einem eigenen , für mich undurchschaubaren Rhythmus, und immer wieder blechern hupen. Von außen scheint es das absolute Chaos, keine Regeln, keine Struktur. Mein Fahrlehrer würde seine Mentholzigarette verschlucken vor Entsetzen. Aber wenn man von seinem westlichen Kontrollwahn ablässt, kann man ein Teil dessen werden, kann schwimmen im riesigen Fluss der Energie. Und das ist um Lichtjahre besser als jedes Blinker-setzen-jeder-hat-seine-aufgemalte-Spur-Abbiegen.”
Julian Heun führt seine beiden Hauptfiguren auf charmante und überraschende Art und Weise zusammen, lässt Strawberry Fields auf Berlin prallen und erzählt dabei eine rasante Geschichte von dem Wunsch aus dem Alltagsleben auszubrechen, der Liebe und dem Leben zwischen zwanzig und dreißig. Schüttler und Robert erscheinen wie zwei gegensätzliche Pole, der eine im Alltagstrott und einem ungeliebten Job gefangen, der andere, der es geschafft hat aus all den Erwartungen und Forderungen auszubrechen und sich auf eine Reise zu seiner großen Liebe zu begeben. Beide vereint mehr, als man beim Lesen der ersten Seiten glauben mag.
“[…] aber sie hat den absoluten Durchblick gepachtet, häng nicht so rum, Robert, du bist ein cleverer Bursche, mach was aus deiner Zukunft, man muss sich positionieren, und all die netten, glatten Halbprolls in ihren dualen Studiengängen, in ihren Early-Bird-Kursen, in ihren sinnvollen Ausbildungen, in den sozialen Netzwerken und den langweiligen Bars, gelähmte Schimpansen auf dem Valiumgel ihrer eigenen Hirnflüssigkeit, kaum fließfähig vor Phlegma, die alles fressen, was man ihnen vorwirft, die nie mehr wollten als einen mittelgroßen BMW und filmtauglichen Sex mit einer, die aussieht wie die Frauen aus den Sat.1-Produktionen.”
Noch mehr als von der Geschichte, wird Julian Heuns Debütroman jedoch vor allem von einer faszinierenden und einzigartigen Sprache geprägt. Besonders in den Abschnitten, die aus der Sicht von Robert erzählt werden, gibt es wunderschöne Passagen, in denen Julian Heun aufzeigt, dass er ein begnadetes Talent dafür hat, mit Wort umzugehen.
“Luca. In Dauerschleifen durchzog es mich später, wie ein Einspielclip, wie ein Trailer, wie jetzt. Den ganzen Juli habe ich es so oft auf und ab geträumt, dass ich kaum weiß, ob es tatsächlich so war. Trotzdem steht ein klar leuchtendes Bild vor mir, das sich nicht abnutzt. Und so will ich es auch in Erinnerung behalten.”
Julian Heun ist mit “Strawberry Fields Berlin” ein lesenswertes Debüt gelungen, dessen Geschichte schnell erzählt ist, das aber vor allem auch durch seine Sprache überzeugt. “Strawberry Fields Berlin” ist ungewöhnlich, stellenweise ein bisschen sperrig – doch der Autor jongliert durchgehend auf einem hohen literarischen Niveau mit Worten und Sprache. Julian Heun hat einen Roman vorgelegt, der mir vor allem aufgrund der manchmal beinahe schon poetischen Passagen in Erinnerung bleiben wird.
13 Comments
Karo
March 22, 2013 at 4:03 pmBei Poetry Slammern habe ich immer das Problem, dass sie auch beim Romane schreiben in dieser stakkatohaften Spontanpose verharren. Die schießen ihre Wortbilder immer wie so hektische Lichtblitze ab und dann krieg ich beim Lesen irgendwann nen Föhn. Trotzdem ein spannender Lesetipp, danke 🙂
buzzaldrinsblog
March 24, 2013 at 1:26 pmLiebe Karo,
dein Problem kann ich wirklich gut nachhvollziehen und ich weiß auch nicht, ob ich die Sprache von Julian Heun auch über 600 Seiten hinweg hätte genießen können. Du schreibst von Poetry Slammern, die auch Romane veröffentlichen – bisher kenne ich nur Kathrin Weßling, die Poetry Slam macht und schreibt, da habe ich die Sprache unheimlich genossen. So erging es mir auch mit Julian Heun. Kennst du noch weitere Romane, die von Poetry Slammern veröffentlicht wurden sind?
Karo
March 25, 2013 at 3:54 pmIch habe auch direkt an Kathrin Weßling gedacht 🙂 Ich fand diese atemlose Sprache auch schon manchmal etwas anstrengend, aber es passte sehr gut zum Thema Depression im Roman. Dann fallen mir noch Andy Strauß bei uns ausm Pott ein und Mieze Medusa aus Wien. Alles sehr begabte Poetry Slammer, die diesen speziellen Sound auch konsequent in ihre Romanen tragen, was man mögen muss. Absolut empfehlenswert: Die Lesebühnen-Stars Kirsten Fuchs und Frank Sorge – einfach herrlich genial!
buzzaldrinsblog
March 27, 2013 at 10:06 amLiebe Karo,
ich habe das Buch von Kathrin Weßling sehr gerne gelesen, auch wenn ich dir natürlich zustimme, dass die Sprache eindeutig auch perfekt zum Thema passt und sich dadurch beides ergänzt. Ich bin auf jeden Fall schon gespannt darauf, was sie als nächstes vorlegen wird. 🙂 Mieze Medusa und Andy Strauß werde ich mir beide notieren, genauso wie deine andere Leseempfehlung – alles drei sagt mir leider noch gar nichts! 🙂
caterina
March 26, 2013 at 4:40 pmAndy Strauß hab ich neulich in Berlin gesehen – was für ein durchgeknallter, abgefahrener Typ! Ich kann mir vorstellen, dass gerade in diesem Fall die Texte nur dann funktionieren und wirken, wenn Strauß selbst sie vorträgt – auf seine sehr spezielle, sehr schräge Art und Weise. Liest man diese Texte einfach nur, geht meiner Meinung nach sehr viel verloren.
dasgrauesofa
March 23, 2013 at 12:15 pmDu hast wieder so eine schöne Besprechung verfasst, bei der Du den Roman so einfühlsam dargestellt und beurteilt hast. Auch wenn das Thema des Buches gar nicht mein Thema ist (es liegt wahrscheinlich am Alter :-)), habe ich Deine Rezension sehr gerne gelesen – und dabei ganz viel über Roman und Autor erfahren.
Liebe Grüße, Claudia
buzzaldrinsblog
March 24, 2013 at 1:31 pmLiebe Claudia,
ich danke dir ganz herzlich für deine freundlichen Worte, die mir ein Lächeln ins Gesicht gezaubert haben. 😀 Dass dich das Thema des Romans nicht unbedingt anspricht, könnte in der Tat eine Frage des Alters sein – ich befinde mich mitten in diesem Lebensgefühl der Twentysomethings, das Julian Heun hier so eindrücklich beschreibt. In zehn Jahren würde ich sein Buch vielleicht auch nicht mehr mit einer solchen Begeisterung lesen. 😉
Liebe Grüße
Mara
caterina
March 24, 2013 at 2:08 pmIrgendwo habe ich neulich eine Rezension gelesen, die genau das Problem hatte mit diesem Buch, das Karo beschreibt: dass der Autor als Poetry Slammer zwar sehr talentiert und geistreich sei, dass er aber nicht in der Lage sei, die Fäden einer langen Erzählung zusammenzuhalten. Poetry Slam und Roman sind eben doch zwei grundverschiedene Gattungen, und wenn jemand gut mit Sprache umgehen kann, heißt das noch lange nicht, dass er auch imstande ist, einen Roman zu schreiben.
Interessanterweise war ich vor ein paar Wochen in Berlin auf einem Poetry Slam, an dem Julian Heun zwar nicht teilgenommen, den er aber moderiert hat. Er war mir bis dato kein Begriff, da ich mich bislang nicht mit der Slam-Szene auseinandergesetzt hatte, habe mich aber hinterher informiert, wer diese junge Kerl war, der die Veranstaltung moderiert hat. Und zwar nicht etwa, weil er mir so gut gefallen hätte, sondern ganz im Gegenteil: weil ich die Moderation (auch die des Co-Moderators, Wolf Hogekamp, dem Begründer der Berliner Slam-Szene) im Vergleich zu den Poetry-Beiträgen erstaunlich ungeschickt und uninspiriert und ziemlich peinlich fand. Deshalb hält sich meine Lust, Julian Heun als Poetry Slammer oder aber Romanautor kennenzulernen, sehr in Grenzen…
buzzaldrinsblog
March 24, 2013 at 2:13 pmLiebe Caterina,
ich danke dir herzlich für diesen etwas kritischen Kommentar, den ich als sehr interessant empfand. Die schlechte Kritik hast du bestimmt in der Zeit gelesen, dort gab es einen regelrechten Verriss von David Hugendick, den ich nicht ganz nachvollziehbar fand, auch wenn er sicherlich einige wichtige Punkte angesprochen hat.
Dass du nach deinem Erlebnis keine besonders große Lust mehr darauf hast, Julian Heun als Autor oder auch als Poetry Slammer zu entdecken finde ich zwar schade, aber auch nachvollziehbar. Ich kenne mich übrigens im Bereich Poetry Slam gar nicht aus. Das einzige andere Buch von einem Poetry Slammer, das ich bisher gelesen habe, war “Drüberleben” von Kathrin Weßling, das ich unheimlich gelungen fand.
Liebe Grüße
Mara
caterina
March 24, 2013 at 2:38 pmJa, genau den Zeit-Artikel meinte ich. Ich fand ihn schon nachvollziehbar – kenne aber auch das Buch nicht, kann seine Argumente also auch nicht widerlegen.
Wie gesagt habe auch ich keine Ahnung der Poetry-Slam-Szene, im Grunde habe ich mich erst mit der Veranstaltung neulich begonnen, mich damit auseinanderzusetzen. Ein paar spannende Slammer gab es da, u.a. Ken Yamamoto aus Berlin. Viele scheinen aber durchaus in den Bereich Comedy reinzureichen, ich habe den Eindruck, dass der Übergang da fließend ist.
Zum Beispiel erinnere ich mich an einen Beitrag zu Marc-Uwe Kling auf literaturen, der hat ja offenbar auch als Poetry Slammer angefangen, könnte aber ebenso als Kabarettist oder Comedian bezeichnet werden und hat mittlerweile schon zwei Bücher mit seinen Känguru-Geschichten gefüllt. Der ist schon ganz witzig, zumindest die Live-Auftritte – ob ich über dieselben Geschichten immer noch so herzlich lachen würde, wenn ich sie lesen statt hören würde, bezweifle ich.
Kathrin Weßling geht da ja eher in eine ernstere Richtung, das scheint im Poetry Slam eher selten der Fall zu sein (das zumindest sagt mir meine bescheidene Erfahrung). Mit ihr bzw. ihrem Buch möchte ich mich auf jeden Fall auch noch irgendwann auseinandersetzen…
buzzaldrinsblog
March 26, 2013 at 4:27 pmLiebe Caterina,
ich empfand den ZEIT-Artikel als sehr grantelig, als hätte Julian Heun dem Autor den Parkplatz vor der Nase weggeschnappt. 😉
Ich kenne mich mit der Poetry-Slam-Szene bisher auch noch überhaupt nicht aus, empfinde deine kleinen Einblicke aus diesem Grund als um so spannender. Den Bereich Comedy schätze ich eigentlich eher nicht so, Kabarettisten und Comedians mag ich mir meistens schon nicht anhören, geschweige denn ein ganzes Buch von ihnen lesen. Ich würde lieber ernsthaftere Poetry Slammer entdecken, schade, dass das scheinbar eher ein seltenes Phänomen ist. Kathrin Weßlings Roman hat mich unheimlich begeistert und fasziniert, zum einen natürlich aufgrund der Thematik, zum anderen aber auch aufgrund der Sprache. Ein bisschen vergleichbar damit – zumindest auf einer sprachlichen Ebene – empfinde ich die Texte von Elisabeth Rank, die jedoch meines Wissens gar kein Poetry Slam macht.
Der Bereich Poetry Slam ist auf jeden Fall spannend und sicherlich sehr vielschichtig – ich würde mich freuen, wenn ich einen Zugang dazu finden würde und dabei vielleicht auf ein paar ähnliche Slammer wie Kathrin Weßling stoße.
Sei herzlich gegrüßt
Mara
caterina
March 26, 2013 at 4:49 pmMir geht es wie dir, mit der Comedy-Schiene kann ich auch nicht so viel anfangen – Ausnahmen bestätigen die Regel (diesen Marc-Uwe Kling finde ich zum Beispiel schon ganz witzig). Ich kann aber verstehen, dass die lustigen Sachen auf der Bühne besser funktionieren als die ernsteren, das Publikum lässt sich damit vermutlich eher einfangen.
Dazu muss ich aber auch noch mal klarstellen, dass ich “Comedy” nicht unbedingt abwertend meinte, die Sachen, die ich bei dem Berliner Slam gesehen habe, waren alle eindeutig niveauvoller als Mario Barth und Konsorten. Ganz viele der Poetry Slammer spielen auf sehr aufregende Weise mit Sprache – Metaphern, Wortwitzen, Reimen und dergleichen. Das hat schon auch was Reizvolles.
Gibt es denn in Bremen keine Poetry-Slam-Szene? Ich war neulich zum ersten Mal hier in Frankfurt bei einer Veranstaltung, wurde aber sehr enttäuscht: sehr platter vorhersehbarer, klischeelastiger Humor. Geistreich ist anders. Aber ich gebe nicht auf und werde mich auch weiterhin mit dem Phänomen Poetry Slam befassen und die Augen nach interessanten Poeten aufhalten :).
Liebe Grüße,
caterina
buzzaldrinsblog
March 27, 2013 at 10:02 amLiebe Caterina,
ich habe den Begriff “Comedy” auch nicht abwertend verstanden, in der Tat habe ich erst kürzlich einen lesenswerten Artikel in der ZEIT gelesen, in dem es um den Humor von Cindy aus Marzahn geht, über die ich stellenweise auch manchmal lachen kann. 😉 Alles in allem, bin ich aber eher kein komödiantischer Typ und kann damit nicht ganz so viel anfangen.
Ob es in Bremen eine Poetry-Slam-Szene gibt, weiß ich leider gar nicht – bisher bin ich aber zumindest noch auf keine aufmerksam geworden, aber das wird sich ja vielleicht noch mal ändern. Ich werde nun auf jeden Fall mal die Augen aufhalten. 😀 Danke auch für den Tipp mit Andy Strauß, das Video hat mir auf jeden Fall schon einmal Spaß gemacht. 😉
Liebe Grüße
Mara