Charles Lewinsky wurde 1946 in Zürich geboren. Er studierte zunächst Germanistik und Theaterwissenschaft und arbeitete später als Dramaturg, Regisseur und Redakteur. Seit 1980 ist er als freier Schriftsteller tätig. Bekannt geworden ist er durch seinen Roman “Melnitz”. Zuletzt erschien von ihm der Roman “Gerron”, der für den Schweizer Buchpreis nominiert gewesen ist.
“Doppelpass” trägt den Untertitel “Ein Fortsetzungsroman” und genau darum handelt es sich auch. Der Text ist ursprünglich als Fortsetzungsroman in der Schweizer Wochenzeitung Weltwoche erschienen, einer Zeitung, der eine zunehmende Tendenz zu einer rechtskonservativen bis rechtspopulistischen Position bescheinigt wird. Im Vorwort erklärt der Autor, dass für die Buchausgabe keine weiteren Veränderungen oder Überarbeitungen vorgenommen wurden sind. So wie der Text im Buch erscheint, ist er auch ursprünglich in der Zeitung erschienen. “Für einen Fortsetzungsroman, finde ich, gehört sich das so.” Charles Lewinsky beantwortet an dieser Stelle auch die Frage, warum er sich diesem Genre überhaupt zugewendet hat:
“Warum habe ich das Projekt trotzdem in Angriff genommen? Ich kann nur die Antwort von Sir Edmund Hillary zitieren, als man von ihm wissen wollte, warum er denn auf den Mount Everest geklettert sei. “Because it was there”, sagte er.”
In dem Titel des Romans “Doppelpass” sind die beiden zentralen Themen des Romans bereits zusammengefasst: es geht um Fußball, aber es geht auch um die Asylpolitik in der Schweiz. Im Mittelpunkt stehen zwei Afrikaner: Tom Keita, der gefeierte Mittelstürmer eines Fußballvereins in der Schweiz und sein entfernter Verwandter Mike. Beide stammen aus Guinea, aus demselben Dorf. Tom ist schon eine ganze Weile in der Schweiz und mittlerweile ein bekannter Fußballspieler, der mit Claudia, einer jungen Frau verlobt ist, mit der er zusammenlebt. Claudia wäre auch gerne so bekannt wie Tom und tut alles dafür, um dies zu erreichen. Mike lässt sich über die Grenze schleusen und steht plötzlich vor Toms Tür.
“‘Es geht mir gut’, hatte in jedem Brief gestanden. Und einmal sogar: ‘So gut, wie Ihr es Euch überhaupt nicht vorstellen könnt.’ Als er das gelesen hatte, genau diesen Satz, da hatte er beschlossen, eines Tages auch in dieses Land zu fahren. ‘Sie sprechen hier vier Sprachen’, hatte Vetter Tom geschrieben. ‘Aber man muss sie nicht alle können.'”
Mikes Hoffnung, dass sein berühmter Cousin ihm helfen und ihn unterstützen kann, zerschlägt sich schnell. Eigentlich stört Mike nur, er bringt Erinnerungen an eine Vergangenheit und an einen Ort zurück, die Tom schon lange hinter sich gelassen hat. Auch Claudia, Toms Verlobte, empfindet Mike als Eindringling, der Toms Karriere als Fußballer gefährden könnte. Und dann gibt es da auch noch Eidenbenz, den Präsidenten von Toms Fußballverein, der eine klare Meinung zur Asylpolitik der Schweiz vertritt, mit der er jedoch nicht nur die Bevölkerung vor den Kopf stößt, sondern auch seine eigene Familie. Eidenbenz wirkt wie die Karikatur eines Politikers – kein Wunder, dass an einer Stelle sogar sein eigener Sohn Philipp während einer Schultheateraufführung sich über Eidenbenz lustig macht.
“Es musste nun wirklich niemand wissen, was für ein Besucher sich da bei ihm versteckte, ohne Visum und ohne Papiere. ‘Illegaler Immigrant beim Fußballspieler’ – das hätte diesen Journalisten was zu schreiben gegeben.”
Tom möchte Mike, der nicht einmal sein richtiger Cousin ist, sondern nur ein entfernter Verwandter, so schnell wie möglich verschwinden lassen. Tom hat sich ein Leben in der Schweiz eingerichtet, von dem er nie zu träumen gewagt hätte und das plötzliche Auftauchen von Mike gefährdet all das, was er bisher erreicht hat. Aber Mike ist nicht in die Schweiz gekommen, um sich dort zu verstecken, er erhofft sich ein besseres Leben in seiner neuen Heimat.
Charles Lewinskys Fortsetzungsroman “Doppelpass” setzt sich aus insgesamt 50 kurzen Episoden zusammen, die eine Geschichte von Erfolg, Anerkennung und von der Kraft unsichtbarer Familienbande erzählt. Die einzelnen Episoden lesen sich beinahe wie Kurzgeschichten und können jede für sich selbst stehend gelesen und verstanden werden. Viele der Figuren von Charles Lewinsky sind stellenweise überzeichnet und karikieren eine politische Meinung, die leider immer noch von vielen Menschen vertreten wird. Da ist zum Beispiel Herr Eidenbenz, ein Politiker, der politisch gesehen weit rechts außen steht. Eidenbenz ist so von sich eingenommen und überzeugt, dass er kaum noch merkt, wie sich andere über ihn lustig machen. Seinem Starstürmer Tom Keita würde er sofort einen Schweizer Pass besorgen, andere Asylsuchende möchte er in seinem Land aber lieber nicht sehen. Auch Toms Verlobte Claudia entspricht dem typischen Klischee einer Spielerfrau. “Doppelpass” lebt von ironischen und humorvollen Zwischentönen und von einer humoristischen Überzeichnung, von der ich sicherlich längst nicht alles verstanden habe – viele Anspielungen sind höchstwahrscheinlich nur für gebürtige Schweizer zu verstehen.
Die Tatsache, dass es sich bei “Doppelpass” um einen Fortsetzungsroman handelt, empfinde ich als unheimlich spannend, denn für mich selbst war der Fortsetzungsroman bis zu dieser Lektüre immer etwas Verstaubtes, mit einem geringen literarischen Wert. In “Doppelpass” zeigt Charles Lewinsky, dass auch ein Fortsetzungsroman auf hohem literarischen Niveau funktionieren kann.
Charles Lewinsky ist mit “Doppelpass” ein anregender, lustiger, unterhaltsamer und unheimlich lesenswerter Roman über Fußball und die Asylpolitik der Schweiz gelungen.
4 Comments
buechermaniac
March 27, 2013 at 6:11 amLiebe Mara
In der Schweiz war Charles Lewinsky schon vor seinem Erfolg mit “Melnitz” bekannt, vor allem durch seine Drehbücher, die er für Soaps im Schweizer Fernsehen geschrieben hat. Die Dialoge waren immer ausgesprochen witzig. Auch seine monatliche Kolumnen im Literaturmagazin der NZZ gefallen mir unheimlich gut. Kennst du diese? Vielleicht sind einige noch im Archiv der NZZ nachzulesen.
Ich glaube auch, dass man mit gewissen Dingen aus der Schweiz vertraut sein muss, um die Pointe zu verstehen. Sollte dir einmal etwas nicht ganz klar sein, ich würde gerne versuchen Aufklärungsarbeit zu leisten 😉
LG buechermaniac
buzzaldrinsblog
March 27, 2013 at 9:59 amLiebe buechermaniac,
ich habe Charles Lewinsky vor einigen Jahren durch seinen großartigen Roman “Melnitz” kennengelernt, den ich damals förmlich verschlungen habe. Vorher kannte ich ihn leider noch gar nicht und auch “Melnitz” war doch eher eine Zufallsentdeckung – und was für eine. Seine monatlichen Kolumnen kenne ich leider noch nicht, ich werde gleich mal recherchieren, ob sich diese noch im Archiv finden lassen.
Ich werde mich auf jeden Fall das nächste Mal vertrauensvoll an dich wenden, wenn sich mir etwas nicht entschließt. 🙂 Es stehen noch einige seiner Titel auf meiner Wunschliste.
Liebe Grüße
Mara
dasgrauesofa
March 27, 2013 at 9:38 amLiebe Mara,
Fußball – sowie seine Funktionäre – und (Doppel-)Moral, das ist ja mal ein tolles Thema. Das würde bestimmt auch in Deutschland gut funktionieren, denn ein Hort von Aufklärung und Moderne ist im Fußballumfeld sicherlich nicht zu finden. Vielen Dank für deine leselustmachende Besprechung!
Viele Grüße, Claudia
buzzaldrinsblog
March 27, 2013 at 9:56 amLiebe Claudia,
auch wenn ich früher ein großer Fußballfan gewesen bin und meine Fußballschuhe auch selbst geschnürt habe, hat sich diese Leidenschaft in den letzten Jahren etwas verlaufen, was dafür sorgt, dass ich fußballtechnisch nicht mehr auf dem neuesten Stand bin. Als um so überraschender empfand ich dann die Tatsache, dass der Roman ausgerechnet Fußball zum Thema macht.
Auf jeden Fall ist “Doppelpass” eine ungewöhnliche und lesenswerte Lektüre, wenn du aber mal etwas von Charles Lewinsky lesen möchtest, würde ich dir doch eher zu “Melnitz” oder “Gerron” raten, die mir beide außergewöhnlich gut gefallen haben.
Liebe Grüße
Mara