Klaus Modick wurde 1951 geboren und studierte in Hamburg Germanistik, Geschichte und Pädagogik. Sein Studium schloss er mit einer Promotion über den Schriftsteller Lion Feuchtwanger ab. Anschließend arbeitete er als Lehrbeauftragter und Werbetexter. Seit 1984 ist er freier Schriftsteller und lebt mittlerweile wieder in Oldenburg, der Stadt, in der er auch geboren wurde. Zuletzt erschien von ihm der Roman “Sunset”: ein Roman über die beiden Schriftsteller Lion Feuchtwanger und Bertolt Brecht.
“Im Westen ist die Luft wieder rein, ausgewaschen die bleierne Schwüle. Die regenschwere Schleppe des Sommergewitters zieht letzte Wolkenfetzen nach Osten.”
Mit diesen Sätzen beginnt der neueste Roman “Klack” von Klaus Modick. “Klack” erzählt die Geschichte von Markus. Erzählt wird die Geschichte in Fotos, die Markus mit seiner Agfa Clack macht, einer Kamera, die er auf dem Jahrmarkt gewinnt. Klaus Modick erzählt aber auch die Geschichte einer ganz wichtigen Zeit in Deutschland, einer Zeit, in der es nach dem Krieg im Westen wieder bergauf ging, während der Osten eine Mauer um sich errichtete. Über allem legte sich in dieser Zeit die spürbare Angst vor einer atomaren Katastrophe.
Die Agfa Clack heißt so, “weil der Auslöser klackt, wenn man ihn drückt”. Fünfzehn Fotos macht Markus mit dieser Kamera, einem Gewinn vom Ostermarkt. Die schwarz-weißen Fotos liegen mittlerweile mit grünem Weihnachtspapier gebündelt in einem feuchten Karton: “Sie halten fest, was sich im Leben nicht wiederholen lässt.” Jahrzehnte später stößt der Erzähler auf diesen Karton. Eigentlich möchte er nur ein bisschen aufräumen, doch dann fallen ihm die Fotos in die Hände und er begibt sich auf eine Zeitreise zurück in die sechziger Jahre.
“Unscharf. Verwackelt. Was soll das sein? Eine schräge Plattform. Senkrechtes Gestänge oder Gebälk. Und nackte Mädchenwaden. Der Faltenrock reicht eine Handbreit übers Knie.”
Das ist das erste Foto, das Markus mit seiner Kamera macht. Er schießt es 1961 auf dem Ostermarkt und das Motiv ist seine Schwester Hanna, die – obwohl dies eigentlich von den Eltern verboten wurde – bei den Halbstarken am Geländer der Raupenbahn lehnt. Das Foto ist verwackelt. weil Markus damals noch nicht wusste, wie man an der Kamera die Entfernung einstellen kann. Es sollten vierzehn weitere Fotos folgen, die aus dem Leben von Markus erzählen.
“Es gibt keine reinen Fakten der Erinnerung. Sie bleibt immer eine Konstruktion, ein Mosaik aus Beobachtungen, Reflexionen, Sprache, Bildern, Klängen, Reizen und Gefühlen, eine sich ständig verändernde, instabile Collage, die sich modifiziert, indem sich neue Teilchen an sie ansetzten, während alte abgestoßen werden ins Vergessen.”
Markus ist “kümmerliche vierzehndreiviertel” Jahre alt und lebt zusammen mit seinen Eltern und seiner Schwester Hanna. Auch seine Großeltern leben bei ihnen im selben Haus und Markus hat unter seiner tyrannischen Oma immer wieder zu leiden. Doch Markus und seiner Familie geht es im Grunde sehr gut, besser als vielen anderen Familien – in der Apotheke des Vaters herrscht Hochkonjunktur. Wäre da nur nicht die Angst vor einer drohenden Atomkatastrophe.
“Die Angst vor der kommenden Vernichtung. Diese Angst erzeugte die Paranoia des Kalten Kriegs, in der du aufgewachsen bist und in der Eltern und Großeltern, Pastoren und Lehrer dir ununterbrochen Vorwürfe machten, verwöhnt zu sein und nicht zu wissen, wie gut du es doch hattest.”
Und dann gibt es da auch noch Clarissa. Von einem Tag auf den anderen zieht Clarissa gemeinsam mit ihrem kleinen Bruder und ihrem Vater in das baufällige Haus nebenan – das von Markus’ Oma als “Schandfleck” bezeichnet wird. Familie Tinotti bringt nicht nur ihren Eiswagen mit, sondern möchte in der Stadt auch einen Eissalon eröffnen. Markus verliebt sich Hals über Kopf in Clarissa und tut alles, um ihre Zuneigung zu gewinnen: er nimmt Gitarrenstunden bei ihrem Vater und hilft bei der Renovierung des Eissalons mit. Er möchte nur eines: in Clarissas Nähe sein. Doch hat er überhaupt eine Chance, ihr Herz zu gewinnen?
Die fünfzehn Kapitel werden mit Gedanken zum Fotografieren und zu der Funktion von Fotos eingeleitet. Es sind vor allem diese kurzen Kapiteleinleitungen, die mir an diesem Buch besonders gut gefallen haben. Es sind Gedanken dazu, was Fotos nicht zeigen können: Fotos können zwar einen einzelnen Moment abbilden, doch es gibt so vieles, was mit diesem Moment verbunden ist und das auf einem Foto nicht gezeigt werden kann: “dem Geflecht aus Zwängen und Riten, das Knäuel von Konflikten und Verdrängungen.” Es sind Gedanken zum Verhältnis der Fotografie zu der Wirklichkeit. Nicht umsonst fällt natürlich auch der Name Roland Barthes mit seinem wegweisenden Buch “Die helle Kammer”.
“Wie, fragst du dich, sind die Beziehungen zwischen Bildern und Leben, zwischen dem zum Foto gefrorenen Augenblick und dem, was wirklich geschehen ist?”
Klaus Modick wirft in “Klack” einen Blick auf das Leben von Markus, dieser Blick ist überwiegend humorvoll und unterhaltsam. “Klack” erzählt die Geschichte eines liebenswerten Jungen, der sich zum ersten Mal verliebt. Klaus Modick hat die Geschichte in einer Zeit angesiedelt, in der er selbst aufgewachsen ist, einer Zeit zwischen Mauerbau und Kubakrise, zwischen Wirtschaftswunder und der Angst vor einer atomaren Katastrophe. Neben den lesenswerten Reflexionen über die Fotografie ist es vor allem die Beschreibung dieser Zeitspanne, die mich begeistern konnte. “Klack” spielt in einer Zeit, die erst sechzig Jahre her ist und doch so fremd und vergangen wirkt. Beim Lesen ist es für mich unvorstellbar, was sich Markus alles auf dem Ostermarkt für 5DM leisten kann. Wenn man heutzutage mit 2,50€ auf einen Jahrmarkt geht, ist die Ausbeute deutlich geringer.
“Klack” ist ein schmaler und unaufgeregter Roman, der sich schnell lesen lässt. Klaus Modick erzählt die Geschichte von fünfzehn Fotos und die damit verbundenen Erinnerungen. Vor dem Leser entfaltet sich ein Panorama der sechziger Jahre, in das ich gerne zurückgereist bin, auch wenn ich selbst deutlich später aufgewachsen bin. “Klack” ist ein wunderbar erzählter Roman über eine lesenswerte Zeitreise und über die erste große Liebe.
13 Comments
buechermaniac
April 22, 2013 at 12:13 pmLiebe Mara
Setzt man sich erst einmal vor einen Karton, gefüllt mit Fotos von früher, versinkt man automatisch in den Bildern und fängt sich an zu erinnern, die weit über die Fotos hinausgehen. Und plötzlich sind da Stunden vorbeigerauscht. Bei mir steht eine ähnliche Kamera im Regal wie die Agfa Clack. Ich glaube, dieser Roman könnte mir auch gefallen, deshalb hab vielen Dank für die Empfehlung 🙂
LG buechermaniac
buzzaldrinsblog
April 24, 2013 at 12:21 pmLiebe buechermaniac,
ja, mir geht es da so wie dir, die Situation, vor einem Karton mit alten Fotos zu sitzen und diese Stück für Stück in die Hand zu nehmen und sich zurück in die Vergangenheit zu denken, konnte ich mir auch sehr gut vorstellen. Ich habe leider keine Agfa Clack im Regal, aber ich könnte mir vorstellen, dass dir gerade auch dann, wenn du eine ähnliche Kamera besitzt, dieser Roman in der Tat gut gefallen könnte. 🙂 Ich mag Klaus Modick und seine Bücher sehr gerne, bereits Sunset hat mir sehr gut gefallen!
Klausbernd
April 22, 2013 at 2:34 pmLiebe Mara,
danke dir, dass auf dieses augenscheinlich spannende Buch aufmerksam gemacht hast. Ich werd`s mir besorgen, da mich die Reflexion über alte Bilder und speziell das Bildermachen interessiert.
Ich frage mich angesichts deines Blogs, woher du die Zeit nimmst alle diese Bücher nicht nur zu lesen, sondern auch noch darüber zu bloggen. Du musst ungeheuerlich fleißig sein.
Liebe Grüße aus dem sonnigen Norfolk von
Dina und unseren Buchfeen Siri und Selma und mir
Klausbernd
buzzaldrinsblog
April 24, 2013 at 12:14 pmLieber Klausbernd,
ich bin total gespannt darauf, ob dir das Buch gefallen wird und hoffe es sehr. Mir haben die Gedanken über alte Bilder und das Fotografieren unheimlich gut gefallen. Roland Barthes steht nun ganz oben auf meiner Leseliste, denn ich habe – bis auf einzelne Texte im Studium – bisher leider noch nichts von ihm gelesen.
Ich habe im Moment ein glückliches Händchen bei der Buchauswahl und lese deshalb mit sehr viel Vergnügen so einige Bücher. Das Schreiben über diese Bücher macht mir sowieso immer Freude und bereitet eigentlich keinerlei Anstrengung. Fleißig muss ich sicherlich sein, ich mag nur nicht, dass mir darüber die Freude am Lesen vergehen sollte.
Liebe Grüße zurück aus Bremen, wo endlich wieder die Sonne scheint
auch an Dina und die Buchfeen 🙂
B.ee
April 22, 2013 at 7:48 pmIch kam bei der Lektüre von Klack am vergangenen Wochenende über die ersten beiden Kapitel nicht hinaus. Ich fand die zugrundeliegende Geschichte zwar sehr interessant, aber ich mochte die Sprache nicht und fand auch nicht hinein. (Dafür liegt der Spazierer auch schon hier. *lächel*)
buzzaldrinsblog
April 24, 2013 at 12:10 pmLiebe Bee,
schade, dass du noch nicht so viel anfangen konntest mit dem Buch. Mir hat es auch sprachlich ausgesprochen gut gefallen, aber mir hat auch schon “Sunset” gut gefallen. Ich mag das unaufgeregte und ruhige Erzählen von Klaus Modick unheimlich gerne. Ich hoffe, dass du dem Buch irgendwann vielleicht aber noch einmal eine zweite Chance geben magst. Mit dem Joel Spazierer wünsche ich dir übrigens ganz viel Lesevergnügen! 🙂
wildganss
April 24, 2013 at 9:18 am“Kümmerliche vierzehn Jahre alt” bin ich schon sehr lange nicht mehr- und vielleicht ist es gerade deshalb so interessant, in einem Buch nicht nur über solche Zeiten bei jemand anderem zu lesen….Danke für Rezension!
Sonja
buzzaldrinsblog
April 24, 2013 at 12:05 pmLiebe Sonja,
ich glaube, dass es für viele Leser sehr interessant sein mag, zurückzublicken, besonders dann, wenn man in derselben Zeitspanne aufgewachsen ist, in der Markus groß geworden ist. Aber auch für mich war die Lektüre sehr lesenswert. Das Szenario alte Fotos zu finden und aufgrund dessen einen Blick zurück in die Vergangenheit zu werfen, wirkte für mich wie aus dem Leben gegriffen … ich habe stellenweise auch zurückdenken müssen beim Lesen.
Ich bin gespannt, wie dir das Buch gefallen sollte, falls du dich entscheidest, es zu lesen!
dasgrauesofa
April 25, 2013 at 7:56 amLiebe Mara,
mich hat Deine schöne Besprechung an einen anderen Roman erinnert, der auch das Fotomitv nutzt, um eine Familiengeschichte, oder besser: den dunklen Fleck einer Familiengeschichte, zu erzählen: Jonathan Coe – Der Regen, bevor er fällt. Die (Familien-)Fotos als Ausgangspunkt einer Geschichte, das ist schon eine tolle Idee. Ob es solche Romane wohl in Zukunft noch geben wird, wenn wir ganze digitale Bilderfluten zur Verfügung haben und nicht mehr nur noch ein paar wenige, leicht angegilbte und abgestoßene, dafür aber umso wertvollere Bilder?
Viele Grüße, Claudia
buzzaldrinsblog
April 25, 2013 at 3:39 pmLiebe Claudia,
ich danke dir ganz herzlich für den interessanten Hinweis auf den Roman von Jonathan Coe. Ich habe davon schon einmal gehört, ihn aber noch nicht gelesen. Beim Stöbern habe ich entdeckt, dass es ihn mittlerweile als Taschenbuch gibt – ich werde beizeiten sicherlich mal einen Blick hineinwerfen. Der Klappentext klingt auf jeden Fall schon einmal sehr reizvoll.
Deinen Gedanken dazu, ob es diese Romane in Zukunft so überhaupt noch geben wird, finde ich spannend und gleichzeitig auch irgendwie traurig. Ich denke, dass es mittlerweile eher die Ausnahme sein wird, wenn man zu Hause wirklich entwickelte Fotos rumliegen hat. Wahrscheinlich entdeckt die Hauptfigur eines solchen Romans in der Zukunft einen Ordner Fotos auf dem Computer, was doch irgendwie traurig ist.
Liebe Grüße
Mara
Lesemonat April 2013 | Aig an taigh
May 1, 2013 at 12:48 pm[…] „Klack“ auch nicht wirklich, obwohl mich der Klappentext und eine Rezension auf Mara’s Seite (http://buzzaldrins.wordpress.com/2013/04/22/klack-klaus-modick/) durchaus angesprochen hatten. „Emmas Geheimnis“ und „Ich schreib Dir sieben Jahre“ von […]
flattersatz
May 9, 2013 at 7:27 pmLiebe Mara, vllt interessiert dich ja (falls du den Link noch nicht kennst) diese Videolesung Modicks aus der ZEIT…
lg
fs
buzzaldrinsblog
May 10, 2013 at 2:34 pmLieber Flattersatz,
ich kenne den Link noch nicht und es interessiert mich sehr, danke dafür. Ich werde heute Abend mal in Ruhe in die Videolesung hineinschauen und freue mich schon darauf! 🙂