Die 1969 geborene Schriftstellerin Amy Waldman leitete das Südasien-Büro der New York Times und arbeitete als Korrespondentin für The Atlantic. Übersetzt wurde “Der amerikanische Architekt” von Brigitte Walitzek, die seit 1986 als Übersetzerin tätig ist.
Als Journalistin hat Amy Waldman die unmittelbaren Nachwehen von 9/11 dokumentiert, sie hat Opfer und Angehörige interviewt und sechs Wochen lang in der Stadt gelebt, die vom Terror erschüttert wurde. Anschließend reiste sie nach Russland, Afghanistan und in den Iran, um die Reaktionen auf die Anschläge im Ausland einzufangen. All das fließt auch in ihr Romandebüt “Der amerikanische Architekt” ein. Auch wenn der Begriff 9/11 in diesem Roman gar nicht direkt genannt wird, bilden die Anschläge auf das World Trade Center doch das Zentrum der Erzählung.
Die Handlung des Romans spielt im Jahr 2003: eine dreizehnköpfige Jury berät über den besten Entwurf einer Gedenkstätte für die Opfer des 11. Septembers. Die Jury setzt sich aus Experten und Kunstkennern zusammen, das einzige Mitglied, das dabei herausfällt, ist Claire Burwell. Claire hat bei den Anschlägen ihren Mann verloren und vertritt in der Jury die Perspektive der Angehörigen. In das Finale haben es zwei Entwürfe geschafft – die Verhandlungen zwischen den Jurymitgliedern um den Sieger gestalten sich zäh und schwierig.
“[…] die Gedenkstätte ist kein Friedhof, sondern ein nationales Symbol, eine historische Mahnung, ein Versuch, jeden Besucher – egal welche zeitliche oder örtliche Distanz zwischen ihm und dem Geschehen liegt – nachempfinden zu lassen, wie es sich anfühlte, was es konkret bedeutete.”
Es ist vor allem Claire, die sich leidenschaftlich für einen der beiden Entwürfe, den eines Gartens, einsetzt und mit dieser Leidenschaft einen Großteil der anderen Jurymitglieder anstecken und überzeugen kann.
“Die Namen der Opfer sollten auf den Innenflächen der weißen, neun Meter hohen Umfassungsmauer aufgelistet werden, so angeordnet, dass das Textfeld den Umriss der zerstörten Gebäude ergab. Die stählernen Bäume riefen die Türme noch buchstäblicher in Erinnerung: Sie würden aus den gefundenen Metallüberresten hergestellt werden.”
Als die Identität des Gewinners – das Auswahlverfahren wurde anonym durchgeführt – gelüftet wird, ist das Entsetzen groß: der Architekt trägt den Namen Mohammad Khan. Er ist ein Muslim und damit der erklärte Feind der amerikanischen Bevölkerung. Darf man einem Muslim die Möglichkeit geben, eine Gedenkstätte zu bauen, die für die amerikanische Bevölkerung eine so hohe symbolische Bedeutung hat? Darf man ihm diese Möglichkeit wieder nehmen, nachdem er rechtmäßig zum Sieger gekürt wurde? Darf man in einer Gesellschaft über diese Themen überhaupt sprechen? Was ist die moralisch richtige Reaktion in einer solchen Situation?
Amy Waldman beleuchtet diese Fragen aus unterschiedlichen Perspektiven: der Leser begleitet die wohlsituierte Witwe Claire Burwell, die um ihren Mann trauert und Mohammad Khan, dessen ganzes Leben in Aufruhr gerät, nachdem er als Gewinner enthüllt wird. Paul, den Vorsitzenden der Jury, der in die Verlegenheit kommt, eine Entscheidung treffen zu müssen. Den weißen Mittelschichtler Sean, der seinen Bruder bei den Anschlägen verloren hat und für den der Streit um die Gedenkstätte zu seinem einzigen Lebensinhalt wird. Er ist nicht der einzige, der aufgrund einer fehlenden Aufgabe im Leben, zur Eskalation der Situation beiträgt. Zur tragischen Figur wird Asma Anwar, die sich mit ihrem Mann, der bei den Anschlägen ums Leben kam, illegal in Amerika aufgehalten hat: “Wie konnte man tot sein, wenn man gar nicht existierte?” All diese Perspektiven werden von Amy Waldman im Roman an unterschiedlichen Punkten zusammengeführt und verbunden, dabei bleibt nicht aus, dass diese Zusammenführungen stellenweise konstruiert erscheinen.
Trotz des allgegenwärtigen Lobes für das Romandebüt von Amy Waldman, habe ich die Lektüre als schwierig empfunden. Es dreht sich alles um Mohammad Khan, den eigentlichen Gewinner der Ausschreibung, der jedoch nicht gewinnen darf, da er zur feindlichen Religion gehört. Über die Tatsache, dass Mohammad, der am liebsten Mo genannt wird, in Amerika geboren wurde und kein praktizierender Muslim ist, wird dabei geflissentlich hinweg gesehen. Die Perspektiven, aus denen die zentrale Frage des Romans betrachtet wird, wirken stellenweise überzeichnet. Beinahe entsteht der Eindruck, als würde Amy Waldman stereotype Gruppierungen ihres Landes karikieren und ins Lächerliche ziehen wollen. Gruppierung von Menschen, die sich versammeln, um gegen den Islam zu protestieren, weil sie keinen anderen Lebensinhalt haben und auf der Suche nach Bestätigung und Anerkennung sind. Gruppierungen von Menschen, die muslimischen Frauen das Kopftuch runterreißen und damit eine nationale Bewegung auslösen.
Trotz der symbolträchtigen Thematik des Romans, ist die Sprache von Amy Waldman größtenteils kühl und steril. Verständnis und Einfühlungsvermögen für ihre Figuren blitzen bei der Autorin nur stellenweise auf. Am stärksten erreicht hat mich die Figur, die die Perspektive der Angehörigen vertritt: Claire Burwell verliert sehr früh im Leben ihren Mann und bleibt alleine mit der Aufgabe zurück, ihren zwei Kindern erklären zu müssen, was mit ihrem Vater passiert ist.
“Fetzen, Partikel von Cal, lagen aller Wahrscheinlichkeit noch immer noch in der Erde, auf der die Gedenkstätte entstehen würde.”
Trotz der angesprochenen Kritikpunkte gelingt es der Autorin dennoch, eine Reihe wichtiger Fragen aufzuwerfen. Im Zentrum dieser Fragen steht Asma Anwar aus Bangladesch, die die Menschen repräsentiert, die sich zum Zeitpunkt der Anschläge illegal in Amerika aufgehalten haben. Diese Menschen trauern nicht nur um Angehörige, die sie verloren haben, sondern haben gleichzeitig auch das Gefühl in diesem Land, in dem sie nicht mal auf dem Papier existiert haben, nun mehr unwillkommen unerwünscht zu sein.
“Der amerikanische Architekt” ist eine unterhaltsame Satire, die andeutungsweise den Riss aufzeigt, den das Land seit den Anschlägen des 11. Septembers durchzieht. Leider ist das Buch jedoch keines, das nachhaltig im Gedächtnis bleibt, da die Autorin dazu zu sehr in Stereotypen verharrt und an der Oberfläche bleibt. In der literarischen Auseinandersetzung mit dem 11. September gibt es deutlich gelungenere Werke, um mit Don deLillo und Jonathan Safran Foer nur zwei Autoren zu nennen, die sich mit dieser Thematik beschäftigt haben.
7 Comments
lesesilly
May 15, 2013 at 12:22 pmLiebe Mara,
mir hat dieses Buch außerordentlich gut gefallen. Ich fand die Idee und die Umsetzung sehr gelungen. Da Amy Waldman Journalistin ist, hat sie natürlich eine spezielle Sprache, die mir persönlich aber liegt. Allerdings kenne ich die Werke zu diesem Thema von DeLillo und Safran Foer nicht und kann deshalb keinen Vergleich ziehen.
LG
lesesilly
buzzaldrinsblog
May 15, 2013 at 12:24 pmLiebe lesesilly,
ich habe bereits einige begeisterte Besprechungen zu diesem Roman gelesen und scheine mit meinen Schwierigkeiten alleine dazustehen. Was für mich aber auch in Ordnung ist, jeder liest einen Roman nun einmal einfach anders. 🙂 Ich hatte eine Probleme mit der Einordnung (soll mich der Roman nun bewegen oder unterhalten?) und mit der kühlen Sprache konnte ich mich nicht anfreunden. Mit Amy Waldman und mir hat es irgendwie einfach nicht gepasst. Leider. 🙁
Liebe Grüße
Mara
P.S.: Das ist wohl eines der ersten Bücher, bei dem unsere Meinung auseinandergeht, oder? 🙂
lesesilly
May 16, 2013 at 5:19 amJa, das ist das erste Buch, bei dem wir unterschiedlicher Meinung sind. Finde ich aber auch nicht schlimm, denn im großen und ganzen haben wir den gleichen Lesegeschmack. Deshalb, lies weiter so und präsentiere mir viele schöne Besprechungen, damit ich durch dich neue Perlen entdecken kann.
LG
lesesilly
buzzaldrinsblog
May 16, 2013 at 12:08 pmLiebe Lesesilly,
das werde ich tun! 🙂 Ich freue mich auch, dass wir mit Monika Held bereits ein weiteres “gemeinsames” Buch gefunden haben und hoffe, dass noch viele weitere folgen werden.
Liebe Grüße
Mara
literaturen
May 16, 2013 at 10:05 amMensch Mara, das finde ich ja extrem spannend, denn wie du ja weißt, war ich sehr begeistert von dem Buch. Ich habe das auch keinesfalls als Satire (!) erlebt. Was daran erschien dir denn satirisch? Ich empfand die Meinungen auch nicht als überzeichnet, sondern als ziemlich realistisch, denn teilweise habe ich sie so genauso schon gelesen/gehört oder mir hat jemand davon erzählt. In der Tat hat Amy Waldman einen eher dokumentarischen Schreibstil, das ist wahrscheinlich ihre journalistische Herkunft .. gestört hat mich das allerdings überhaupt nicht, das Thema ist eben auch eines, bei dem, wie ich finde, überbordende Emotionen fehl am Platz wären. Genau das führt ja eigentlich erst zum Problem – dass viele lediglich auf der Basis ihrer Emotionen urteilen. Find ich echt total spannend, da sich unser Lesegeschmack ja sonst auch eher deckt .. aber so ist das eben manchmal. 🙂
buzzaldrinsblog
May 16, 2013 at 12:03 pmLiebe Sophie,
ich finde es auch extrem spannend, dass wir bei diesem Buch meinungstechnisch etwas auseinander gehen, da es bisher ja noch nicht so häufig vorgekommen ist. 🙂
Für mein Empfinden hat der Roman einige satirische Elemente. Mir ging es beim Lesen zumindest so, dass ich stellenweise das Gefühl hatte, Amy Waldman zieht ihre Figuren ins Lächerliche. Claire, als intellektuelle und reiche Frau der Oberklasse, Mohammad, der eingebildete und arrogante Architekt, dazu die religiös Verblendeten … für mich waren die meisten der Figuren, die Amy Waldman beschreibt nichts weiter als Klischees und Stereotype. Mag sein, dass es in Amerika GENAU solche Menschen gibt, ich hätte mir nur gewünscht, dass Amy Waldman mir diese Figuren, ihre Meinungen und ihr Handeln ein Stück weit hätte näher bringen können und nicht nur stereotype Figurenbilder produziert. Vielleicht habe ich den Roman völlig falsch verstanden, das mag sein und möchte ich auch gar nicht bestreiten 😉 und doch habe ich an vielen Stellen Spott heraus gelesen, Sarkasmus … “Der amerikanische Architekt” mag keine Satire sein, ich habe ihn aber so gelesen. Ich bin schon total gespannt auf weitere Rezension in der Bücherblogwelt, um herauszufinden, wie andere diesen Roman gelesen und empfunden habe. 🙂
Architekt
May 20, 2014 at 8:56 amfinde ich super, danke für die infos.