Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit – Maggie Shipstead

Maggie Shipstead wurde 1983 in Kalifornien geboren und studierte drei Jahre lang Amerikanische Literatur in Harvard. Sie war im Rahmen des berühmten Iowa Writers’ Workshop eine der ersten Studentinnen von Zadie Smith und schloss ihr Studium dort 2008 mit einem Master ab. Anschließend ging sie an die Stanford University, um Fiction Writing zu studieren. “Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit”, das im englischen Original den wesentlich kürzeren Titel “Seating Arrangments” trägt, ist ihr Debüt als Schriftstellerin. Übersetzt wurde es von Karen Nölle, die seit 1984 als Übersetzerin arbeitet.

Maggie Shipstead erzählt in “Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit” eine schillernde Familiengeschichte. Die gesamte Familie van Meter versammelt sich an einem Wochenende im Sommerhaus in Waskeke, um die Hochzeit der ältesten Tochter Daphne zu feiern. Der Text gliedert sich dabei in die Beschreibung von drei Tagen, einer Zeitspanne von Donnerstag bis Samstag. Die Tage sind geprägt von den Vorbereitungen der Hochzeit: die Beschreibungen reichen von den Probedurchläufen für die Zeremonie bis zur Tischordnung. Doch es geht nicht nur um die Hochzeitsvorbereitungen, sondern auch um die Mitglieder der Familie van Meter, die alle ganz unterschiedliche Emotionen und Gefühle mit diesem Wochenende verbinden.

Einer der zentralen Figuren ist Winn van Meter. Winn steht kurz vor seinem sechzigsten Geburtstag und kann auf ein eigentlich perfektes Leben zurückblicken. In finanzieller Hinsicht mangelt es ihm an nichts, er ist mit einer schönen Frau gesegnet, hat zwei gesunde Töchter großgezogen und besitzt ein ansprechendes Sommerhäuschen. Doch hinter dieser perfekten Fassade offenbaren sich bereits früh im Roman Unzufriedenheit und Verbitterung.

“Eigentlich missbilligte er Faulenzen im Bett. Verlorene Zeit war nicht wieder wettzumachen, und verpasste Vormittage ließen sich nicht zu späterem Gebrauch horten. Tage waren dazu da, dass etwas geleistet wurde.”

Es sind die Tage vor der Hochzeit seiner ältesten Tochter, in denen Winn der Grad seiner Unzufriedenheit zum ersten Mal bewusst wird. Daphne heiratet, weil sie bereits schwanger ist und das Gesicht ihrer Familie wahren möchte. Die jüngere Tochter Livia war schwanger, ohne verheiratet zu sein und hat sich für eine Abtreibung entschieden. Von ihrem Freund, der mittlerweile in den Krieg nach Afghanistan gezogen ist, wurde sie sitzen gelassen. Seine Frau Biddy ist schön anzusehen, aber so etwas wie Intimität gibt es schon lange nicht mehr zwischen den beiden. Doch am schwersten wiegt für Winn die Tatsache, dass er in einen Golfclub, in dem er unbedingt Mitglied werden möchte, nicht aufgenommen wird. Sind es möglicherweise die Altlasten seiner Vergangenheit die ihn als mögliches Mitglied disqualifizieren oder bildet er sich diese Ablehnung vielleicht nur ein? Am Hochzeitswochenende kommen all diese Emotionen bei Winn zum Ausbruch: er beginnt mit einer Schulfreundin von Daphne zu flirten, betrinkt sich, wird laut und ausfallend. Das Wochenende endet für Winn beinahe in einer Katastrophe, denn der sonst so geruhsame Ehemann gerät plötzlich außer Kontrolle.

Es ist jedoch nicht nur Winn, der in Maggie Shipsteads Roman eine zentrale Rolle spielt. Die Autorin beleuchtet in kurzen Abrissen das Schicksal aller Familienmitglieder: Biddy, die ein Leben an der Seite eines scheinbar perfekten Ehemannes lebt und doch unter einer trostlosen Einsamkeit leidet. Daphne, die Greyson heiratet, weil sie schwanger ist, aber eigentlich lieber später heiraten würde, damit ihr Bauch auf den Hochzeitsfotos nicht so dick aussieht. Livia, die Meeresbiologin werden will und von Teddy einfach sitzengelassen wurde, als sie schwanger wurde. Es ist manchmal schwer, die beschriebenen Figuren sympathisch zu finden. Livia ist diejenige, die am stärksten darum bemüht ist, aus dem familiären Gefüge auszubrechen.

“Winn sah es gar nicht gern, dass Livia zur Therapie ging. Er fand, sie sollte lernen, selbst mit der Geschichte fertigzuwerden und das Gesicht zu wahren.”

Von ihrem Vater fühlt Livia sich nicht richtig wahrgenommen, denn dem ist die Aufnahme in den Golf Club wichtiger, als sein ungeborenes Enkelkind.  Zwischendurch trägt der Roman beinahe schon Züge der großen amerikanischen Literatur und erinnert nicht nur an den “Großen Gatsby”, sondern auch an John Cheever. Doch trotz aller Überzeichnungen und Satire, verliert die Autorin nie die Wärme und Liebe für ihre Figuren.

Maggie Shipstead erweist sich in ihrem Debüt als eine scharfsichtige Beobachterin, die mit viel Gespür für Humor und Ironie das Leben einer weißen amerikanischen Durchschnittsfamilie schildert. “Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit” läuft Gefahr auf den ersten Blick als ein leichter und oberflächlicher Roman daher zu kommen. Hinter der flott und amüsant erzählten Geschichte verbirgt sich jedoch ein Familienroman mit Tiefgang. Shipstead gelingt es dabei auf charmante Art und Weise die aufgesetzten Vorstellungen von Perfektion und Anspruch zu hinterfragen und dabei die äußerlich intakte Fassade der Familie van Meter Stück für Stück einzureißen.

“Dominique hatte fast vergessen, wie diese Familien funktionierten, wie sie Fassaden künstlicher Unwissenheit errichteten und dahinter unausgesprochenen Groll und unterdrückte Leidenschaften verbargen, ganz so wie ihre Häuser Hintertreppen hatten und kleine Kammern hinter der Küche für die Geister der Dienstboten aus der Zeit der Vorfahren.”

“Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit” ist ein gut komponierter Roman, der vor allem aufgrund seines flüssigen und mitreißenden Erzähltempo zu überzeugen weiß. Maggie Shipstead ist mit ihrem Roman eine beeindruckende literarische Leistung gelungen, die auch aufgrund ihres noch jungen Alters nicht hoch genug bewertet werden kann. “Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit” ist ein Roman für sonnige Tage, der einen Blick in die dunklen Geheimnisse einer scheinbar perfekten Familie wirft.

3 Comments

  • Reply
    Stefanie
    June 6, 2013 at 10:47 am

    Danke für den Buchtipp! Das Buch ist sofort in meinen Warenkorb gesprungen und ich hoffe, dass ich es bald lesen kann. Du hast mich wirklich neugierig gemacht, gerade mit deinem Verweis auf den großen Gatsby, eines meiner Lieblingsbücher.

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      June 6, 2013 at 4:38 pm

      Liebe Stefanie,

      meine Lektüre vom Großen Gatsby liegt schon ganz lange zurück, so dass ich leider nur noch wenig konkrete Erinnerungen habe. Ich habe mir aber – passend zum Film, den ich auch noch unbedingt sehen möchte – vor kurzem die Neuauflage besorgt, um das Buch noch einmal zu lesen. Ich bin gespannt, wie dir der Roman von Maggie Shipstead gefallen wird.

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    Top Ten Thursday – Sommerhighlights 2013 | Literaturschaf.de
    September 26, 2013 at 3:41 pm

    […] die sehr lesenswerte Rezension auf buzzaldrins Blog bin ich auf dieses Buch aufmerksam geworden. Der deutsche Titel ist mal wieder selten dämlich, […]

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