Stromschnellen – Bonnie Jo Campbell

Download (20)Bonnie Jo Campbell wurde 1962 geboren und lebt heutzutage in Kalamazoo, Michigan. Sie hat bereits etliche Literaturpreise und Auszeichnungen für ihre Kurzgeschichten veröffentlicht und legt nun mit “Stromschnellen” ihren ersten Roman vor. Übersetzt wurde der Roman, der mit einem Zitat von Joyce Carol Oates beworben wird, von Carina von Enzensberg.

“Der Stark River floss durch die Flussschleife bei Murrayville wie das Blut durch Margo Cranes Herz.”

Bonnie Jo Campbell erzählt in ihrem Debütroman “Stromschnellen” die Geschichte von Margaret Louise Crane, genannt Margo. Margo lebt mit ihren Eltern am Ufer des Stark Rivers und genießt die Zeit, die sie in der freien Natur verbringen kann. Sie schwimmt, befährt den Fluss mit ihrem eigenen Boot “The River Rose” und schießt und jagt Tiere. Ihr Großvater nennt Margo “Elfe” oder “Flussnymphe”. Ihr ungewöhnliches Leben, fern ab der Zivilisation, empfindet sie als Paradies.

“Sie verbrachten die Sommer mehr oder weniger nackt, sammelten Regenwürmer im moosigen Wald und im Wasser Froscheier im Glibber unter dem Totholz.” 

Doch als Margo älter wird, bekommt dieses Paradies die ersten kleinen Risse: nach dem Tod ihres geliebten Großvaters, verlässt ihre unzufriedene Mutter Margo und ihren Vater und verschwindet ohne eine Erklärung oder eine Adresse zu hinterlassen aus Murrayville. Margo und ihr Vater sind plötzlich auf sich alleine gestellt.

“Der Tod von Margos Großvater, als sie vierzehn war, traf die Familie wie eine dieser Fluten zum Ende des Winters. Er ließ alles gefrieren und spülte nicht nur die alte Generation fort, sondern auch den unsichtbaren Kitt und die Bande, die die Murrays zusammengehalten hatten.”

Je älter Margo wird, desto weiblicher und hübscher wird das junge Mädchen. Zu Beginn des Romans ist sie fünfzehn Jahre alt und weckt schon in diesem Alter bei Jungs und Männern Begehrlichkeiten. Margo ist still und zurückhaltend, ein ernsthaftes Mädchen, das gleichzeitig schmerzhaft unerfahren und naiv ist. Nach dem Verschwinden ihrer Mutter geraten die Dinge zunehmend außer Kontrolle: es ist ein Fehler, eine in Sekundenschnelle falsch getroffene Entscheidung, die Margo dazu zwingt, ihr behütetes Leben in Murrayville aufzugeben und sich mit ihrem Boot und ihrem Gewehr alleine auf dem Stark River auf den Weg zu machen.

Der Roman begleitet Margo über eine Zeitspanne von drei Jahren. Als ich das Buch zuklappe, ist Margo achtzehn Jahre alt und durch die Erlebnisse und Erfahrungen, die sie gemacht hat, dem jungen Mädchen, dass sich drei Jahre zuvor auf den Weg gemacht hatte, kaum noch ähnlich. Margo stolpert von einem Abenteuer in das nächste, lebt mal hier und mal dort und hat ein Händchen dafür, sich Menschen auszusuchen, die es nicht gut mit ihr einen, die guten Menschen dagegen schreckt das Mädchen mit ihrer Zurückhaltung und Stille häufig ab. Der rote Faden des Romans ist sicherlich die Beziehung zwischen Margo und den unterschiedlichen Männern, denen sie auf ihrer Fahrt begegnet. Zu Beginn des Romans findet ihre erste Begegnung mit einem Mann statt, einem Mann, mit einem Alkoholproblem, der sich am Fluss versteckt, um nicht von der Polizei entdeckt zu werden. Das Mädchen, das gerade erst ihr Zuhause und ihre Familie verloren hat, glaubt Geborgenheit, Sicherheit und Liebe bei diesem Mann finden zu können. Sie glaubt, sich und ihre Sexualität hergeben zu müssen, um das zu bekommen, was sie sich wünscht. Trotz der Tatsache, dass sie eigentlich in der Lage dazu ist, sich selbst zu ernähren, macht sich Margo immer wieder abhängig von anderen Männern. Auf knapp vierhundert Seiten begleitet der Leser sie bei ihrer Entwicklung von einem naiven und bedürftigen Mädchen zu einer erwachsenen und selbstständigen jungen Frau, die gelernt hat, sich selbst zu schützen.

“Zum ersten Mal im Leben hatte Margo das Gefühl, dass Reden genauso ein Vergnügen sein kann wie Schießen.”

Bonnie Jo Campbell erzählt in “Stromschnellen” eine mitreißende Geschichte, die nicht nur von einer wunderbar gezeichneten Hauptfigur getragen wird, sondern vor allem auch durch die intensiven Naturbeschreibungen. Ich habe “Stromschnellen” nicht nur gelesen, sondern gelebt: ich habe den Wald gerochen, das Wasser des Stark Rivers auf meiner Haut gespürt, die Hirsche geschossen und die Biber gehäutet. Beschreibungen eines Lebens in der wilden Natur spielen in dem Roman eine zentrale Rolle, denn Margo ist fern der Zivilisation dazu gezwungen, zur Waffe zu greifen, um zu überleben. Sie schießt Tiere, sie angelt Fische und sie stellt Fallen auf. Bonnie Jo Campbell entführt den Leser in eine wilde und ursprüngliche Welt, in eine Welt, die von einem unbändigen Freiheitsdrang, von Waffen und von der Jagd geprägt ist. Eine Welt, auf die sich der Leser einlassen muss, um sowohl ihre Schönheit, als auch ihre Rauheit genießen und erleben zu können.

“My home is on the water, I don’t like no land at all. / Home is on the water, I don’t like no land at all. / My home is on the water, I don’t want no land at all. / I’d rather be dead than stay here an be your dog.” 

Diese Zeilen aus dem Song “See the rider”  bilden das Motto des Romans. Margo, die Hauptfigur des Romans, eifert ihrem großen Vorbild Annie Oakley nach, einer amerikanischen Kunstschützin, die ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit gelebt hat. Der abstrakte Begriff Freiheit ist das zentrale Thema des Romans. Es geht um die Freiheit, das Leben zu leben, das einen glücklich macht. Für Margo bedeutet ein Leben in Freiheit, dass sie am Fluss leben und auf die Jagd gehen kann. Dieses Leben in Freiheit hat natürlich auch seine Kehrseiten: bei Margo sind es vor allem die Beziehungen zu Männern, die sie immer wieder eingeht. Dazu wird sie nicht gezwungen, sondern sie setzt ihren Körper trotz ihres jungen Alters ganz bewusst ein, um das zu bekommen, was sie möchte. Stellenweise läuft der Roman Gefahr, zu sehr in stereotypen Verhaltensweisen zu verharren, doch der Schluss des Buches entschädigt den Leser dafür.

“Stromschnellen” ist ein Roman über das große Thema Freiheit, der nicht nur sprachlich und literarisch zu beeindrucken weiß, sondern auch durch die natürliche und wilde Atmosphäre, die beim Lesen entsteht. Eine ungewöhnliche Coming-of-Age-Geschichte und ein Schmöker, den man – wenn man erst einmal angefangen hat zu lesen – kaum noch aus der Hand legen kann.

12 Comments

  • Reply
    Kathrin
    June 18, 2013 at 12:54 pm

    “Stromschnellen” hielt ich vor einiger Zeit auch in den Händen, war aber recht unentschlossen. Durch deine Rezension habe ich mir nun ein viel klareres Bild der Geschichte schaffen können und werde das Buch auf jeden Fall im Hinterkopf behalten. 🙂

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      June 20, 2013 at 1:22 pm

      Liebe Kathrin,

      mich hat bei der deutschen Ausgabe lange Zeit das Cover etwas zurückschrecken lassen, nun bin ich froh, dass ich den Roman dennoch gelesen habe. 🙂 Das Cover der amerikanischen Ausgabe gefällt mir dennoch ein bissche besser. Das Buch solltest du wirklich im Hinterkopf behalten – die Lektüre lohnt sich! 🙂

      • Reply
        Kathrin
        June 21, 2013 at 6:59 am

        Hallo liebe Mara!

        Ich muss gestehen, dass ich deutsches, britisches und US-Cover gleichermaßen mag. Nun habe ich gerade gesehen, dass die britische Ausgabe lediglich rund 8 Euro kostet… da komme ich durch deine Eindrücke nun wirklich in Kaufversuchung. Aber ich lasse es wohl doch vorerst auf der Wunschliste, da ich momentan so gut wie gar nicht zum Lesen komme und die Bücherstapel immer größer werden.

        Ich wünsche dir ein schönes Wochenende!

  • Reply
    Sonja | Zeilenkino
    June 18, 2013 at 1:57 pm

    Mir hat “Stromschnellen” auch sehr gut gefallen – einzig an ihren “Beziehungen” zu Männern hatte ich mich ebenfalls etwas gestört. Hier fehlte mir etwas Margos Weiterentwicklung. Aber das war nur ein sehr kleiner Kritikpunkt, der sich auf mein sehr gutes Gesamturteil nicht auswirkte.

    Empfehlen kann ich auch ihre Kurzgeschichten-Sammlung “American Salvage”, die es aber leider (noch) nicht auf deutsch gibt. Sollte “Stromschnellen” ein großer Erfolg werden, könnte es sich noch ändern. Eine dieser Kurzgeschichten ist jedenfalls auch der Anlass für “Stromschnellen”.

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      June 20, 2013 at 1:20 pm

      Liebe Sonja,

      ich hatte schon das Gefühl, dass es zum Ende des Romans zu einer Entwicklung bei Margo kommt. Den Umgang von ihr mit Sexualität habe ich zwischenzeitlich auch als bedenklich empfunden, dies hat meiner Lesefreude aber auch keinen Abbruch getan.

      Den Titel der Kurzgeschichtensammlung habe ich mir mal notiert, leider lese ich auf Englisch nicht sehr gut. Da wäre das vielleicht mal eine gute Übung und ein guter Anlass. Ich hoffe aber auch darauf, dass es – falls “Stromschnellen” sich erfolgreich verkauft – vielleicht doch noch ins Deutsche übersetzt wird.

      Liee Grüße
      Mara

  • Reply
    buechermaniac
    June 18, 2013 at 7:30 pm

    Liebe Mara

    Das Buch liegt tatsächlich neben mir auf dem Schreibtisch. Ich habe es für den Urlaub gekauft und dann doch nicht mitgenommen. Aber deine Rezi sagt mir, dass mein Entscheid, den Roman zu kaufen, sicher richtig war.

    LG buechermaniac

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      June 20, 2013 at 1:08 pm

      Liebe buechermaniac,

      die Entscheidung, das Buch zu kaufen war sicherlich ganz richtig, nur die Entscheidung, es noch auf dem Schreibtisch liegen zu lassen, statt es zu lesen, ist überdenkenswert. 😉 Ich wünsche dir bei der Begleitung von Margos Abenteuern ganz viel Spaß und bin schon gespannt, wie der Roman dir gefallen wird.

      Sonnige Grüße
      Mara

  • Reply
    keeweekat
    June 19, 2013 at 7:37 pm

    Super, dass du genauso viel Spaß mit dem Roman hattest wie ich. Ich fand auch, dass Margo als außergewöhnlich starke Protagonistin und die so rauh und greifbar beschriebene Wildnis einen beim Lesen nicht mehr losgelassen haben.

    Liebe Grüße
    Keeweekat

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      June 20, 2013 at 1:06 pm

      Liebe Keeweekat,

      ich begrüße dich erst einmal ganz herzlich hier auf meinem Blog und freue mich über deinen Besuch. 😀 Schön, dass ich mit meiner Begeisterung für “Stromschnellen” nicht alleine dastehe und dass auch dir der Roman gut gefallen hat. Margo ist in der Tat eine außergewöhnliche Protagonistin, ich habe sie gerne begleitet.

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    Karo
    June 20, 2013 at 4:18 pm

    Tolles Buch: Atmosphärisch dicht, starke Charaktere, intensive Schreibe!

  • Reply
    Der Mann fur den Text
    June 22, 2013 at 5:49 am

    Hat dies auf Der Bär liest rebloggt und kommentierte:
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    Rezension: Bonnie Jo Campbell, Stromschnellen | Leipzig.Lebensmittel.Punkt.
    May 14, 2014 at 6:12 pm

    […] Ursprünglich veröffentlicht auf buzzaldrins Bücher: […]

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