Dreizimmerwohnung aus Plastik – Petra Hůlová

Die Schriftstellerin Petra Hůlová wurde  1979 in Prag geboren. Sie hat Kulturwissenschaften und Mongolistik studiert und gehört zu einer der wichtigsten tschechischen Schriftstellerinnen ihrer Generation. Ihr Durchbruch als Schriftstellerin in Deutschland gelang ihr mit dem Roman “Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe”. Übersetzt wurde “Dreizimmerwohnung aus Plastik” von Doris Kouba, die in Hamburg als freiberufliche Übersetzerin arbeitet und diesen Roman mit einem beeindruckenden Sprachgefühl unheimlich elegant übertragen hat.

“Sobald ich nämlich mit Denken anfange, verfällt die Zeit schlagartig in Galopp, und wenn ich stehen bleibe, steht die Zeit mit mir, obwohl ich sie damit antreibe und schubs, dass ich versuche, an was anderes zu denken, was mich zerstreut und sie verwirrt.”

Petra Hůlovás Roman “Dreizimmerwohnung aus Plastik” wird von einer namenlosen Ich-Erzählerin erzählt. Die Erzählstimme ist atemlos, rasant – es gibt kaum Atempausen, an denen der Leser sich ausruhen könnte. Mit Beginn des Romans wird man in diese Geschichte geworfen, ohne Seil und doppelten Boden und ohne, dass man weiß, wo man sich eigentlich genau befindet. Mit der Zeit stellt sich heraus, dass die Ich-Erzählerin als Prostituierte arbeitet.  Ihrer Tätigkeit scheint sie mit einer gewissen Distanz nachzugehen, stellenweise auch mit Humor: “Nicht stinken und sein Gewicht halten. Einen wichtigeren Grundsatz kenne ich nicht.” Die Prostitution ist ihr  Beruf. Das Verkaufen ihres Körpers sorgt dafür, dass dringend benötigtes Geld auf die Kreditkarte kommt. Geld ist für sie die Hauptsache bei diesem Job, der für sie ein Theaterprogramm ist. Diese kühle Betrachtung wird konterkariert mit einer ständigen Verniedlichung, die beinahe schon naiv wirkt. Die Erzählerin bezeichnet die Geschlechtsorgane beispielsweise durchgehend als “Reibeisen” und “Reinstecksel”.

“[…] alles ist doch so zerbrechlich, und ich selbst komme mir auch so vor. Wie eine Schneekönigin aus glitzernden Flöckchen und feinsten Spinnennetzen.”

“Dreizimmerwohnung aus Plastik” erscheint wie ein einziger Gedankenstrom, der den Roman von der ersten bis zur letzten Seite durchzieht. Der Stil ist assoziativ, es gibt keine kohärente Geschichte, sondern die Erzählung setzt sich aus einzelnen Bildern und Betrachtungen zusammen.  Die Erzählerin macht sich über alles mögliche Gedanken, sie betrachtet nicht nur die Menschen in ihrer Umgebung, sondern denkt auch über den Zustand unserer Welt nach. Sie beklagt die zunehmende “Digitalisierung” der Welt, die alles Menschliche durch Roboter ersetzt.

In der Dreizimmerwohnung aus Plastik empfängt die Erzählerin ihre Kunden, Männer, die ein ganz normales Leben führen und denen doch etwas fehlt, das sie dazu treibt, eine Prostituierte zu besuchen. Es gibt schüchterne Männer, eklige Männer, aber auch die speziellen Männer, mit abseitigen Wünschen und Vorstellungen.

“Hätte ich einen Hof, würde ich ihn von einer Ecke zur anderen mit einem selbst gebunden Reisigbesen auskehren, und bei der Arbeit hätte ich immer das Gefühl, ich wär in einer traditionellen Tracht auf einem Jahrmarkt. Und nicht in dem Zimmer, in dem ich aufwache, neben mir oft ein Mann und um mich herum lauter Plastik.”

Die Erzählung des Romans ist in kurzen Worten zusammenzufassen, da kaum etwas geschieht. Vieles von dem wenigen, was geschieht, vermittelt das Gefühl, dass es sich in unserer heutigen digitalisierten Welt lediglich um Sexualität und die lustvolle Befriedigung der eigenen Bedürfnisse dreht. Eine deprimierende Erkenntnis. Die Prostituierte sollen immer jünger werden, die Wünsche werden immer ausgefallener. Der Roman ist stellenweise so vulgär und pornographisch, dass er nur noch schwer zu ertragen ist.  Die Sprache ist rau, nichts wird versteckt und die schonungslose Offenheit der Erzählerin ist bedrückend.

“[…] und überhaupt gewöhne ich mich nur ungern. Deswegen verändere ich in meiner Wohnung auch nix, obwohl sie mir gar nicht gefällt. Sich dran gewöhnen, dass die Wohnung schön ist, wenn sie echt schön ist, ist schwieriger, als sich einzureden, dass sie schön ist, wenn sie nicht schön ist.”

Neben dem Inhalt ist es jedoch vor allem die Sprache, die diesen Roman lesenswert macht. Der Erzählstil ist atemlos und von der Übersetzerin meisterhaft in die deutsche Sprache übertragen worden. Stellenweise liest der Roman sich wie Slam Poetry, wie ein rasantes Gedicht, wie atemlose Gedankenfetzen und kleine Miniaturkunstwerke, die sich im Hirn einnisten und dort hängenbleiben.

“Auch ich wär gern irgendwie Gutmensch, damit auf der Welt mehr Güte wär und man das Gute nicht immer mit der Lupe suchen müsste – obwohl so eine Schwarzmalerei, die nicht an das Gute glaubt, der Welt bei der Fortpflanzung überhaupt gar nicht weiterhilft.”

Trotz dieser beeindrucken rasanten Erzählweise, läuft der stream of consciousness stellenweise Gefahr, den Leser unter einer Lawine an Gedanken, Bildern und Assoziationen zu begraben. Der Roman zeichnet sich jedoch nicht nur durch einen außergewöhnlichen Erzählstil aus, sondern auch durch das Spielen mit Sprache, durch das eigenmächtige Umwandeln von Sprache, durch das Verwenden von Wörtern, die anders geschrieben werden, als sie eigentlich geschrieben werden: Neglischee, Nüanzen, Niewoh.

Petra Hůlová ist mit “Dreizimmerwohnung aus Plastik” ein schonungsloser, offener und unverzerrter Blick auf die Arbeit einer Prostituierten gelungen. Dabei gelingt es ihr, die “digitale Welt” der modernen Sexualität in einer erschreckenden Art und Weise zu porträtieren. Die Lektüre ist nicht einfach, trotz der schmalen 190 Seiten erfordert das Lesen viel Zeit und der Leser muss bereit sein, sich auf die Welt und die Sprache, in die Petra Hůlová diese beschreibt, einzulassen.

8 Comments

  • Reply
    Bücherphilosophin
    June 24, 2013 at 10:59 am

    Das Buch hatte ich schon bei “Bücherwurmloch” gesehen, war mir aber nicht sicher, ob es was für mich ist. Was Du zu dem Buch und dem Stil der Autorin schreibst klingt interessant, aber um ehrlich zu sein, kann ich mich immer noch nicht so recht entschließen… auch wenn ich doch sehr neugierig bin, auf den Roman und seine Autorin.

    LG von einer unentschlossenen Katarina 🙂

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      June 24, 2013 at 12:19 pm

      Liebe Katarina,

      ich wusste vor Beginn der Lektüre nicht unbedingt, auf was ich mich einlasse und habe mich überraschen lassen. Zwischendurch war ich immer mal wieder etwas “abgeschreckt” durch die vulgären Beschreibungen, habe mich aber auch von der Sprache verzaubern lassen. Auf jeden Fall ein ungewöhnliches Buch und ein ungewöhnliches Leserelebnis. Ich würde mich natürlich freuen, falls du dich doch noch entschließen solltest, das Buch zu lesen … 🙂

  • Reply
    Karo
    June 24, 2013 at 2:24 pm

    Also mir hat das Buch leider gar nicht gefallen. Der Erzählton wirkte selbst im Deutschen irgendwie “übersetzt” – wobei das Fremdländische vielleicht sogar gewollt ist, auf mich aber eher einen künstlichen Eindruck gemacht hat. Das Thema “Prostitution – Digitalwelt” hatte in meinen Augen leider auch keinen Mehrwert – weder literarisch, noch politisch. Vielleicht ist mir das aber auch entgangen, weil ich die Lektüre nach kurzer Zeit abgebrochen habe 🙁

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      June 26, 2013 at 11:29 am

      Liebe Karo,
      der Erzählton ist schon sehr speziell, manchmal hatte ich auch das Gefühl, dass sich in der Sprache österreichische Einflüsse befinden, da habe ich mich aber vielleicht auch getäuscht. Einen künstlichen Eindruck hat das auf mich aber nicht gemacht, auf mich hat der Sprachfluss viel eher einen ungeheuren Sog ausgeübt. Schade, dass du das Buch dann im Endeffekt abgebrochen hast, vielleicht solltest du noch einen zweiten Versuch wagen. Ich habe das Thema des Romans, vor allem die Beschreibung einer zunehmenden Digitalisierung, als gut umgesetzt empfunden. Ich kenne aber auch keine thematischen Vergleiche, da dies das erste Buch gewesen ist, das ich über die Thematik Prostitution gelesen habe.

      • Reply
        Karo
        June 26, 2013 at 11:50 am

        Liebe Mara, eigentlich finde ich es ja auch schön und wichtig, wenn ein Roman eine einzigartige Sprache hat. Aber irgendwie wollte sich kein “Sog” bei mir einstellen. Vielleicht hätte ich aufgeschlossener sein können und einfach weiterlesen sollen, aber andererseits ändert sich mein Geschmack an der Sprachpoesie dadurch ja auch nicht. Umso interessanter fand ich es aber, deinen persönlichen Leseeindruck hier zu verfolgen! Lg, Karo

        • Reply
          buzzaldrinsblog
          June 28, 2013 at 1:09 pm

          Liebe Karo,
          so etwas gibt es ja manchmal! 🙂 Mir geht es übrigens so mit dem Roman von Lily Linder (“Splitterfasernackt”). In der Bücherblogwelt habe ich darüber so viele begeisterte Besprechungen gelesen, aber wenn ich es im Buchladen aufschlage und ein paar Sätze lese, dann spricht es mich einfach überhaupt nicht an und ich lege es dann doch immer wieder zur Seite. Geschmäcker, gerade hinsichtlich von Sprache und Erzählstil, sind ja einfach verschieden. 🙂

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    Mariki
    June 25, 2013 at 9:13 am

    Es ist wirklich ein ungewöhnliches Buch, bei dem ich bis zum Schluss nicht wusste, ob ich mich damit anfreunden sollte … aber andererseits ist es ja immer gut, etwas Ungewöhnliches zu lesen. Man darf halt wirklich nicht sehr zimperlich und prüde sein bei diesem Roman.

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      June 26, 2013 at 11:05 am

      Liebe Mariki,
      du hast Recht mit deiner Anmerkung, dass man bei diesem Roman weder zimperlich noch prüde sein sollte – ich lese nicht häufig erotische Romane (also eigentlich nie) und war doch sehr überrascht, über die deutliche Sprache. Ungewöhnliche Romane sind meiner Meinung nach immer gut und wichtig, in diesem Fall hat mich das Ungewöhnliche begeistern können, aber ich kann auch nachvollziehen, wenn einem dieser Text nicht gefällt. 🙂

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