Karl Marlantes ist Absolvent der Universitäten von Yale und Oxford. Er diente in Vietnam und war bei den Marines als Lieutenant tätig. Er wurde während seiner Dienstzeit mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Navy Cross und dem Purple Heart. An seinem ersten Roman “Matterhorn”, in dem er seine eigenen Kriegserfahrungen verarbeitete, arbeitete Karl Marlantes über dreißig Jahre lang. In den USA wurde das Buch bereits kurz nach seinem Erscheinen ein Bestseller. “Was es heißt, in den Krieg zu ziehen” ist im Gegensatz zu “Matterhorn” kein fiktiver Roman, sondern Karl Marlantes’ persönliches und autobiographisches Zeugnis von der unvorstellbaren Erfahrung eines Krieges.
“Dieses Buch habe ich vor allem geschrieben, um mit meiner eigenen Kriegserfahrung ins Reine zu kommen.”
In “Was es heißt, in den Krieg zu ziehen” verarbeitet Karl Marlantes seine eigenen Kriegserlebnisse, die er während seines Einsatzes in Vietnam gemacht hat. Während er sich in “Matterhorn” noch durch die Schutzschicht der Fiktion mit dem Krieg auseinandergesetzt hat, reflektiert er nun ganz offen und persönlich über seine Erfahrungen im Krieg, aber auch über die Schwierigkeiten in seinem Leben nach dem Krieg. Geschrieben hat Karl Marlantes das Buch aus mehreren Gründen: um mit sich selbst ins Reine zu kommen, aber auch, um anderen dabei helfen zu können, die eigenen Erinnerungen zu verarbeiten. Ein dritter Wunsch war es, mithilfe seiner Erinnerungen heutige Soldaten besser für den Krieg und das Leben danach wappnen zu können.
“Jeder seinem Gewissen folgende Bürger, und vor allem jener, der an den politischen Schaltstellen sitzt, ist besser darauf vorbereitet zu entscheiden, ob junge Menschen in den Krieg geschickt werden müssen oder nicht, wenn er weiß, was man damit von ihnen verlangt.”
Karl Marlantes ist in Oregon aufgewachsen. Die Entscheidung in den Krieg zu ziehen, ist ihm nicht leicht gefallen; er schwankte zwischen der Verantwortung, die er für seine Freunde empfand, die in Vietnam starben und dem Wunsch unbehelligt sein Leben fortzusetzen. Er schwankte so sehr, dass er sich zunächst entschloss, mit viel Haschisch in den Taschen zu desertieren, bevor er sich dann doch meldete und in den Krieg zog. Bei der Schilderung seiner Erlebnisse verschweigt und beschönigt der Autor nichts. Er schreibt über den Riss, der entsteht, wenn man dazu gezwungen ist, einen Menschen zu töten und versucht diesen Riss zu heilen, in dem er eine Sprache für seine Erlebnisse findet.
“Das Leben der Männer lag in meinen Händen, und ich hatte Angst, sterben zu müssen.”
Doch Karl Marlantes nimmt den Leser nicht nur mit nach Vietnam, sondern setzt sich auch mit dem Leben nach dem Krieg auseinander. Als der Autor nach Hause zurückkehrt, wird er weder jubelnd willkommen geheißen, noch als Held gefeiert – er wird beschimpft und angespuckt, dabei hat er doch für sein Land gekämpft. Sein verzweifeltes Bedürfnis, in die Gesellschaft zurückkehren zu können, wird lange nicht erfüllt, so dass Karl Marlantes sich schnell in jenem “selbstzerstörerischen, leeren, alles zerstörenden Drogen- Alkohol- und Sextaumel” wiederfand. Kaum ein Soldat übersteht den Krieg ohne eine geistige Beschädigung, doch Karl Marlantes bemüht sich, aus seiner eigenen Erfahrung ableitend, Techniken aufzuzeigen, die diese Beschädigungen geringer halten können. Die Auswirkungen, der im Krieg erlebten Gewalt ist kaum einschätzbar, doch die Anzahl der Soldaten, die nach der Rückkehr in ihren häuslichen Alltag nicht mehr zurück ins Leben gefunden haben, ist so hoch, dass dieses Problem nicht ignoriert werden darf. Und doch geschieht gerade das viel zu häufig. Ein wichtiger Aspekt, um Soldaten besser auf die Auswirkungen des Krieges vorzubereiten, fasst der Autor unter dem Begriff Spiritualität zusammen – dies ist eines der zentralen Themen dieses Buches.
“Wissen und Struktur können etwas Schutz bieten, sich als eine Art Rüstung erweisen. Warum aber legen wir uns diese Rüstung erst nach dem Krieg an? So war es bei mir?”
In “Was es heißt, in den Krieg zu ziehen” gelingt es Karl Marlantes nicht nur über seine persönlichen Kriegserfahrungen zu schreiben, sondern auch von diesen zu abstrahieren und seine eigenen Erfahrungen in einen größeren Kontext und Gesamtzusammenhang zu stellen. Für ihn steht dabei außer Frage, dass es weiterhin zu Kriegen kommen wird und das sein Land Soldaten in Kriegsgebiete entsenden wird. Im Gegensatz zu früher verändert sich durch neue technologische Entwicklungen die Erfahrung als Soldat jedoch zunehmend – mittlerweile ist man immer seltener dazu gezwungen, sich im Matsch robbend dem Feind anzunähern, denn stattdessen reicht es, auf einen Knopf zu drücken, um eine Drohne auszusenden. Diese Veränderungen machen die Auswirkungen und Folgen von Kriegserlebnissen jedoch nicht weniger schwerwiegend.
“Die Welt des Krieges hinter sich zu lassen und ins ‘normale’ Leben zurückzukehren, wird umso schwieriger, je mehr wir die Grenzen zwischen den beiden Welten verwischen. Wie können wir nach Hause zurückkehren, wenn wir nie wirklich weg waren?”
Karl Marlantes legt mit “Was es heißt, in den Krieg zu ziehen” ein wichtiges und lesenswertes Buch vor, das ich nicht nur Lesern von seinem Roman “Matterhorn” empfehlen möchte, sondern das auch singulär für sich stehend gelesen und verstanden werden kann. Es ist ein mutiges Buch, denn der Autor traut sich, einen nie ausgesprochenen und doch existierenden Schweigekodex zu durchbrechen und über das zu sprechen, was er im Krieg erlebt hat. Die einzige Heilung von Kriegserfahrungen liegt für ihn in der Sprache, im Sprechen und im gegenseitigen Mitteilen. Wer nicht spricht, wird keinen Weg zurück in den Alltag finden können.
“Wenn ein Kind fragt: ‘Wie ist es im Krieg?’, müssen wir ihm antworten. Wer schweigt, findet nicht nach Hause.”
“Was es heißt, in den Krieg zu ziehen” ist ein Buch, das für eine Welt geschrieben wurde, die sich auch weiterhin im Krieg befindet. Es ist geschrieben worden für diejenigen, die noch keine Sprache für das Erlebte gefunden haben und für diejenigen, denen ein Krieg noch bevorsteht. Es wäre wünschenswert, wenn das Buch dazu beitragen könnte, weiteres Unheil zu verhindern. Ideal wäre natürlich das Ziel, irgendwann einen Zustand des Friedens zu erreichen. So lange dies jedoch nicht der Fall ist, sollten diejenigen, die in einen Krieg ziehen müssen, bestmöglichst darauf vorbereitet werden. “Was es heißt, in den Krieg zu ziehen” sollte gelesen werden, nicht nur von den Soldaten und Soldatinnen, die in den Krieg geschickt werden, sondern vor allen Dingen von Politikern und Politikerinnen, die diese Kriegseinsätze befehlen.

17 Comments
literaturen
August 11, 2013 at 10:29 amIch finde ja, niemand sollte in den Krieg ziehen MÜSSEN. Und ich weiß auch nicht, ob ich es als unabänderliche Tatsache akzeptieren möchte, dass es eben Kriege gibt. Es ist nichts Heldenhaftes am Krieg oder am Kampf im Krieg. Ich befürchte aber, es wird auf ewig genug Menschen geben, die es als Heldentat begreifen, dem “Feind” zu Leibe zu rücken. In diesem Zusammenhang auch immer wieder lesenswert: “Im Westen nichts Neues”. Die Kriegsführung mag sich verändert haben, die Tatsache, dass getötet wird, undzwar viel häufiger völlig Unbeteiligte, hat sich wenig geändert. Ich weiß nicht, ob das Problem nur darin besteht, dass nach dem Krieg nicht über die Erlebnisse gesprochen wird. Das Problem ist der Krieg, nicht das Schweigen.
buzzaldrinsblog
August 11, 2013 at 10:35 amNatürlich wäre ein Zustand des Friedens sehr viel sinnvoller und erstrebenswerter – so lange es diesen nicht gibt, wird es aber immer wieder Menschen geben, die in den Krieg ziehen müssen und für diese Menschen wäre es wichtig, Strukturen zu schaffen, die einen Kriegseinsatz “erleichtern” und sei es eben nur das Angebot anschließend darüber zu sprechen, um sich im Leben nach dem Krieg wieder zurechtfinden zu können. Bei der Lektüre musste ich viel an Uri, den Sohn von David Grossman denken, der in den Krieg ziehen musste und dort gestorben ist.
Über das Heldenhafte des Krieges schreibt Karl Marlantes übrigens auch, spannend, dass du diesen Punkt auch erwähnst.
Mir hat dein Kommentar gefallen, da er einen Punkt anspricht, über den ich beim Lesen auch nachgedacht habe: über das Selbstverständnis von einer Welt, die sich im Krieg befindet. Über das Selbstverständnis in einem Land zu leben, das seine Soldaten in den Krieg schickt. Das waren auch Punkte, die mir bei der Lektüre sauer aufgestoßen sind, da Karl Marlantes zunächst beispielsweise den Irakkrieg gutgeheißen hat. Gerade nach seinen Erlebnissen finde ich es schwer, Krieg überhaupt noch zu als Möglichkeit zu betrachten. In dieser Hinsicht ist “Was es heißt, in den Krieg zu ziehen” sicherlich auch ein streitbares Buch.
literaturen
August 11, 2013 at 10:42 amIch glaube ja, dass man niemandem auf den Krieg vorbereiten kann. Man kann niemanden darauf vorbereiten, was es heißt, Menschen zu töten, weil es, für die meisten von uns, vollkommen außerhalb der eigenen Vorstellungskraft liegt. Man kann höchstens die Menschen davon überzeugen, dass das Töten eine gute Sache ist. In diesem speziellen Falle eben. Gerechtfertigte Gewalt gegen “die Bösen”. Ich muss aber auch zugeben, dass ich da eine ziemlich resolute Ansicht habe. Ich finde es schlimm genug, in einem Land zu leben, dessen Wirtschaft sich zu einem erschreckend großen Teil durch Waffenexporte am Leben erhält. Und ich habe wenig Mitgefühl mit Menschen, die freiwillig nach Afghanistan gehen und völlig verstört zurückkehren. Was haben sie im Krieg erwartet? Dass sie Brunnen bauen und den Einwohnern die Hände reichen? Ich habe schon Leute gehört, die mit sechzehn oder siebzehn verkündet haben, unbedingt zum Militär und nach Afghanistan zu wollen. Da tut’s mir dann auch nicht leid – …wir sind nicht mehr 1914, wo man noch jubelnd das Vaterland verteidigte, wir wissen heute eigentlich alle, wie der Krieg aussieht und was er anrichtet.
buzzaldrinsblog
August 13, 2013 at 12:35 pmLiebe Sophie,
ich kenne das selbst, dass man bei bestimmten Themen eine sehr resolute Haltung einnimmt. 🙂 Ich finde auch nicht, dass deine Haltung unbedingt falsch ist, ich finde einfach nur, dass es bei diesem Thema noch eine ganze Menge an Grauschattierungen gibt, die man – wenn man so einseitig darauf blickt – gar nicht fassen kann. Der Sohn von David Grossman hat sich seinen Kriegsdienst nicht ausgesucht und sicherlich auch nicht mit sechzehn oder siebzehn Jahren seine Lust am Töten hinausposaunt – in Israel ist der Militärdienst verpflichtend. Gerade dann finde ich es wichtig, den Soldaten Rüstzeug mitzugeben, durch das es ihnen leichter fällt, das, was sie erleben, auszuhalten. Auch wenn langfristig ein Zustand des Friedens natürlich das wünschenswerteste wäre.
Liebe Grüße
Mara
Ken Takel
August 12, 2013 at 7:50 amMatterhorn steht auf meiner Tp-Read Liste. Das klingt auch interessant.
buzzaldrinsblog
August 13, 2013 at 12:28 pm“Matterhorn” ist auch eine großartige Lektüre, ich kann dir beide Bücher nur empfehlen! 🙂
dasgrauesofa
August 12, 2013 at 10:05 amLiebe Mara,
da hast Du ja mit “Scherben” und nun der Autobiographie Karl Marlantes zwei Bücher gelesen, die bestimmt nicht so einfach “wegzulesen” waren, weil sie Gewalterfahrungen thematisieren und Traumata beschreiben. Und das, wenn man beide zusammen nimmt, aus den unterschiedlichen Perspektiven. Und beide Beteiligte, Soldat und Betroffener, finden nach dem Krieg kaum mehr in ein normales leben zuürck, zu tief sind ihre inneren Verletzungen.
Nach den schweren Thema wird es nun aber Zeit für etwas Fröhlicheres!
Viele Grüße, Claudia
buzzaldrinsblog
August 13, 2013 at 12:30 pmLiebe Claudia,
ich lese gerade Joel Dickers Roman, nicht unbedingt ein fröhliches Buch, dafür aber höchst unterhaltsam! 🙂
Ich habe die Bücher nicht hintereinander gelesen, die Reihenfolge hat sich erst zufällig ergeben, als ich die beiden Besprechungen eingestellt habe und da habe ich es als ganz passend empfunden. Denn auch wenn der Krieg in beiden Büchern aus unterschiedlichen Perspektiven geschildert wird, ist die Thematik eine ähnliche: die Rückkehr in das Leben danach ist holprig und steinig, sei es als Zivilist oder auch als Soldat.
Liebe Grüße
Mara
Karo
August 12, 2013 at 6:36 pmPuh, ganz schön harter Tobak, aber aufgrund der Authentizität sicher sehr packend! Und wie du ja auch schreibst, liebe Mara, leider, leider hochaktuell…
buzzaldrinsblog
August 13, 2013 at 12:25 pmLiebe Karo,
harter Tobak ist das Buch in jedem Fall. Es ist auch streitbarer, es regt einen auf beim Lesen, es nimmt einen mit … ich freue mich sehr, dass der Arche Verlag sich entschieden hat, Karl Marlantes zu veröffentlichen, denn ich glaube, dass seine Bücher sehr wichtig sein könnten.
macg82
August 14, 2013 at 5:51 amDas Buch kommt auf meine Leseliste und bin gespannt, was es mit einem anstellt, wenn man es denn mal gelesen hat. Zusammen mit meinen “nur” 10 Monaten (mehr oder minder langweiligen) Bundeswehrerfahrung kommen bestimmt interessante Erkenntnisse zustande.
buzzaldrinsblog
August 15, 2013 at 11:43 amLieber Marc,
ich bin gespannt, wie du das Buch als “Betroffener” (wenn man das so sagen mag) lesen und empfinden wirst. Bitte berichte doch unbedingt, wenn du dich entscheiden solltest, es in Angriff zu nehmen, ich würde mich freuen.
Liebe Grüße
Mara
macg82
December 12, 2013 at 3:39 pmBuch ist bestellt (zusammen mit Matterhorn) und wird demnächst in Angriff genommen. Erfahrungen dazu werden selbstverständlich auch hier weiter gegeben 🙂
Liebe Grüße, Marc.
buzzaldrinsblog
December 13, 2013 at 10:01 amLieber Marc,
ich bin gespannt, wie dir beides gefällt. “Matterhorn” hat mich persönlich ein bisschen stärker beeindruckt, was aber auch daran liegen kann, dass beide Bücher von unterschiedlichen Übersetzern übertragen wurden und mich die Sprache im Roman mehr erreichen konnte.
Liebe Grüße
Mara
macg82
August 19, 2014 at 7:58 pmMittlerweile habe ich beide Bücher gelesen und kann deine Meinungen nur unterschreiben. Sehr eindrückliche Bücher, wobei Matterhorn noch ein wenig mehr heraussticht, die lange im Gedächtnis bleiben werden. Wie weiter oben mit Sophie schon diskutiert, wird es Kriege leider immer wieder geben und wenn dann Soldaten gegen Soldaten in die Schlacht geworfen werden, sollten diese das besser vorbereitet tun. Sauer ist mir vor allem bei den Marlantes- Büchern, wie sinnlos teilweise die Menschen verheizt wurden, nur um irgendwelche Tötungsquoten zu erreichen. Da kommt eine regelrechte Wut in einem hoch und, um den Bogen zu den Bundeswehrerfahrungen zu schließen, erkennt man dieses Muster immer wieder. Soldaten, gerade die an der Front, sind Befehlsempfänger und haben diese Befehle ohne nachzufragen auszuführen. Finde ich nicht schön und würde in gewissen Situationen Menschenleben retten, wenn man es anders angehen würde.
Es war keine einfache Lektüre und gerade weil ich beide Bücher hintereinander gelesen habe sehr einprägsam. Danke dir nochmal für die indirekte Empfehlung über deine Besprechung.
Mara
August 20, 2014 at 6:11 pmLieber Marc,
über diese Rückmeldung freue ich mich ganz besonders: schön, dass dir beide Bücher gefallen haben. Deiner Einschätzung kann ich mich nur anschließen, auch mich hat Matterhorn noch ein klein wenig stärker beeindruckt.
Eine Zeit ohne Krieg wäre sicherlich wünschenswert, solange dies nicht erreicht ist, sollten Soldaten so gut vorbereitet in den Krieg ziehen, wie möglich. Die Sinnlosigkeit des Ganzen hat mich auch immer wieder erschüttert, vor allem auch deshalb, weil die Kriegstreiber und Befehlshaber selten direkt involviert waren und stattdessen ihre Soldaten verheozt haben.
Liebe Grüße
Mara
Karl Marlantes – Matterhorn und Was es heißt, in den Krieg zu ziehen | Lesen macht glücklich
August 19, 2014 at 7:48 pm[…] beiden Bücher aufmerksam geworden bin (klickt für die Besprechung einfach auf Matterhorn oder Was es heißt, in den Krieg zu ziehen). An dieser Stelle vielen Dank für deine eindrückliche Besprechung zu einem beeindruckenden […]