Elsa ungeheuer – Astrid Rosenfeld

Die Schriftstellerin Astrid Rosenfeld wurde 1977 in Köln geboren und hat in diversen Jobs in der Filmbranche gearbeitet, unter anderem war sie als Casterin tätig. Heutzutage lebt sie in Berlin. “Adams Erbe” war ihr Debütroman und war sowohl beim Publikum als auch bei der Kritik ein großer Erfolg. In diesem Frühjahr erschien im Diogenes Verlag ihr zweiter Roman “Elsa ungeheuer”.

Astrid Rosenfeld erzählt in “Elsa ungeheuer” die Geschichte der zwei Brüder Brauer. Lorenz ist ein aufgehender Stern in der Kunstszene, mit einem ungewöhnlichem Projekt zieht er die Aufmerksamkeit auf sich und findet seinen Namen nach kurzer Zeit in jeder Kunstzeitschrift wieder. Schneller als ihm lieb ist, muss er jedoch die Erfahrung machen, dass der Kunstbetrieb einem Haifischbecken gleicht und dass sein Wohl und Wehe mehr von den Racheplänen zweier einflussreicher Frauen abhängt, als von seinem künstlerischen Talent. Karl, der jüngere Bruder von Lorenz, lebt dagegen ein ruhigeres Leben – immer an der Seite und im Schatten seines Bruders. Wenn er die Bilder seines Bruders sieht, erkennt er welchen Ursprung sie haben – er schaut sie an und befindet sich wieder in ihrer Kindheit.

“Für manche Menschen scheint die Erde einfach nicht der rechte Ort zu sein, und meine Mutter Hanna war so ein Mensch:”

Karl und Lorenz verbringen ihre Kindheit in einem kleinen oberpfälzischen Dorf. Ihre Mutter Hanna springt mit einer rosa Unterhose auf dem Kopf vom Balkon und nimmt sich das Leben. Der Vater Randolph, der eine Ferienpension betreibt, zerbricht beinahe am Schmerz über den Verlust seiner Frau. Die meiste Zeit weiß er weder, dass er Besitzer einer Ferienpension ist, noch, dass er Vater von zwei Jungen ist, die ihn nun mehr bräuchten, als je zuvor.

“Lorenz war zwei Jahre älter als ich, einen Kopf größer und viele Kilos leichter. Er war mein Beschützer, mein Freund, mein Vorbild. Ein fetter Junge wie ich, der seine Fettheit weder mit Kraft noch mit einem besonderen Talent wettmachen konnte, war das geborene Opfer für den Zorn und die Langeweile der Dorfkinder.”

Ihre Kindheit wird von seltsamen und skurrilen Gestalten geprägt, von der harschen Haushälterin Kratzler und von Herrn Murmelstein, einem ewigen Dauergast im Ferienhaus. Dann taucht auch noch ein junges Mädchen auf – so tritt Elsa plötzlich in das Leben der beiden Brüder. Elsas Eltern wollen um die Welt segeln, ihr Kind jedoch zu Hause lassen. “Was soll denn die kleine Elsa auch auf so einem Schiff?” Elsa ist schon elf Jahre alt und ein eigenwilliges und seltsames Mädchen. Sie kleidet sich ohne Sinn und Verstand und weigert sich standhaft, sich irgendwo einzufügen. Von anderen wird sie häufig nur als “Ungeheuer” bezeichnet. Alle drei verbringen einen herrlichen Sommer miteinander, voller Verrücktheiten. Doch Elsa, das Mädchen mit den Streichholzarmen, drängt sich schnell zwischen die Jungs. Sie treibt keinen Keil zwischen sie, doch Karl muss schnell erleben, dass da etwas zwischen Elsa und Lorenz vorgeht, an dem er keinen Anteil mehr hat. Als der Sommer endet, erstickt die Freundschaft der drei plötzlich am Ernst des Lebens und nicht nur die Abende mit Elsa verschwinden, sondern irgendwann auch Elsa selbst …

Genauso eigenwillig wie Elsa ist auch dieser Roman, den Astrid Rosenfeld vorlegt. Die Gestalten, die sie beschreibt sind skurril, voller Leben und Lebendigkeit, stellenweise aber auch in ihrer Außergewöhnlichkeit überzeichnet. Alles Schräge und Abseitige versammelt sich auf den wenigen Seiten dieses Romans, angefangen mit der Mutter der beiden Brüder, die vom Leben überfordert den Verstand verliert. Skurrilität und eine Existenz abseits der normalen Gesellschaft ziehen sich wie ein roter Faden durch das Leben von Karl und Lorenz: in der Szene, in der sie sich aufhalten, werden nicht nur Drogen konsumiert, sondern man prügelt sich auch und schläft miteinander, es wird philosophisch schwadroniert und nicht gerade wenig Alkohol getrunken. Das Leben der Brüder Brauer ist so bunt und lebensprall, das Elsa, das Mädchen ihrer Kindheit, fast in Vergessenheit gerät und doch geht sie vor allen Dingen Karl nicht aus dem Kopf. Er krankt an der unerfüllten Liebe zu Elsa, die er nicht vergessen kann, seitdem sich ihre Wangen zum Abschied streiften.

“Nicht Trauer, sondern Ohnmacht übermannte mich. Ein Leben ohne sie überstieg einfach meine Vorstellungskraft. Man kann über die Liebe eines kleinen, dicken Jungen lachen. Aber man sollte es nicht.”

Astrid Rosenfeld ist mit “Elsa Ungeheuer” ein lesenswerter Roman gelungen, der jedoch nicht dieselbe Kraft und denselben Sog entfaltet, wie “Adams Erbe”, das beeindruckende Debüt der Autorin. Sowieso ist es schwer, Romane an ihren Vorgängern zu messen, gerade dann, wenn der Vorgänger ein über alle Maßen berührendes und gelungenes Buch gewesen ist. “Elsa ungeheuer” führt den Leser in ein Welt ein, wie man sie von John Irving kennt: voller Skurrilitäten und Absurditäten. Die Figuren haben jedoch die Tendenz überzeichnet zu erscheinen, es mangelt ihnen an Glaubwürdigkeit, geschweige denn an Identifikationspotential. Karl, die heimliche Hauptfigur, ist viel zu unscheinbar und passiv – ein Mensch, der seine eigenen Pläne für seinen Bruder sterben lässt, von heute auf morgen und ohne zu zögern. Auch Lorenz, der das hehre Ziel hat, die Ewigkeit zu malen, wird so unklar gezeichnet, das er beim Lesen beinahe verschwimmt. Das eigentliche Thema des Romans, die unerfüllte Kindheitsliebe zwischen Elsa und Karl, verbleibt unausgearbeitet und wird irgendwann zu einer Randerscheinung, dabei hat gerade dies Thema doch eigentlich so viel Potential. Elsa, die Karl “Schwert, Schild und Panzer” war und Karl, der sich von einer einmaligen Berührung, ein Streifen der Wangen, nie wieder erholen sollte.

“Elsa Ungeheuer” ist ein lesenswerter Roman, denn die Autorin besticht auch in diesem Roman wieder mit einer wunderbaren Sprachgewalt und Sprachkraft, mit ihrem Wortwitz, mit Poesie und ganz viel Gefühl. Man kann über die Liebe eines kleinen, dicken Jungen lachen. Aber man sollte es nicht. Es ist dieser Satz, der für mich der Kern der Erzählung ist und der darauf hindeutet, mit wie viel Warmherzigkeit Astrid Rosenfeld eine kraftvolle Geschichte erzählt, deren Kraft sich leider nicht immer überall ganz entfalten kann.

15 Comments

  • Reply
    madameflamusse
    August 17, 2013 at 7:53 pm

    HA! Dieses Buch habe ich gerade letzte Woche aus der Bücherei adoptiert :-). Ein glücklicher Zufall und weil ich das erste Buch von Ihr so toll fand…sehr sogar.

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      August 19, 2013 at 10:36 am

      Ich fand das erste Buch auch unheimlich klasse, dieses hier kann leider nicht ganz mit dem Vorgänger mithalten – aber ich finde Vergleich auch immer schwierig, vor allem wenn der Debütroman einen so begeistert hat. Für sich gesehen ist “Elsa ungeheuer” sicherlich ein lesenswerter Roman, aber im Vergleich fällt er dann doch ab. Ich bin gespannt auf deine Lektüreeindrücke. 🙂

  • Reply
    keeweekat
    August 18, 2013 at 1:49 pm

    Ich hatte ebenfalls viel Spaß mit “Elsa ungeheuer”, auch wenn mich das Buch nur zu, sagen wir, 95% überzeugend konnte. Wahrscheinlich ging es mir mit einigen Wendungen und Figuren(über)zeichnungen ebenso wie dir.
    Bin immer noch am überlegen, ob ich es trotzdem noch mal mit “Adams Erbe” versuchen sollte.

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      August 19, 2013 at 10:20 am

      Liebe Katja,

      “Adams Erbe” solltest du AUF JEDEN FALL lesen … 😀 Im Ernst: ich kann es dir nur wärmstens empfehlen, da ich es wirklich unheimlich gerne gelesen und förmlich verschlungen habe. Während “Elsa ungeheuer” mich auch nicht so ganz und gar überzeugen konnte, war “Adams Erbe” ein wirklich Glücksgriff.

      Liebe Grüße
      Mara

      • Reply
        keeweekat
        August 19, 2013 at 12:52 pm

        Ist notiert! Danke nochmal! 🙂

        • Reply
          buzzaldrinsblog
          August 21, 2013 at 12:32 pm

          Gern geschehen! 😀 Auf deine Eindrücke bin ich gespannt …

  • Reply
    laura
    August 21, 2013 at 10:37 am

    Danke für deine ehrliche Einschätzung. Dann werde ich mir diesen Roman von ihr erstmal noch nicht zu Gemüte führen, da mir gerade die Glaubwürdigkeit der Figuren besonders wichtig ist. Schon bei “Adams Erbe” hatte ich einiges zu bemängeln, aber insgesamt war es doch ein sehr lesenswerter Roman… wenn “Elsa” noch dahinter zurücksteht.. nun gut. LG Laura

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      August 21, 2013 at 12:15 pm

      Liebe Laura,

      ja, leider fällt für mein Empfinden “Elsa ungeheuer” doch gegenüber dem Romandebüt der Autorin um einiges ab – was ich wirklich sehr schade finde. Wobei der Roman für dich vielleicht noch einmal ein bisschen interessanter sein könnte, da er ja in der Kunstszene spielt – ich würde dir jedoch empfehlen, auf die Taschenbuchausgabe zu warten. 🙂

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    madameflamusse
    October 19, 2013 at 2:42 pm

    So, endlich habe ich auch Elsa ungeheuer gelesen. Und ich finde es wirklich so gar nicht vergleichbar mit Adams Erbe und muß sagen, ich mochte es sehr, aber ganz ganz anders als Adams Erbe. 🙂

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      October 19, 2013 at 6:44 pm

      Du beschreibst das, was ich nach der Lektüre auch empfunden habe – der Roman hat mir schon gefallen, aber er ist auch so ganz anders, als Adams Erbe. Vielleicht ist es unfair, Astrid Rosenfeld an diesem beeindruckenden Debütroman zu messen. 🙂

      • Reply
        madameflamusse
        October 19, 2013 at 7:36 pm

        Allein die Dramatik der ersten Geschichte macht halt auch viel aus. Alles in Allem habe ich Adams Erbe aufjedenfall auch als runder erlebt. Bei Elsa ungeheuer war ich bissle sauer über das Ende. Und an manchen Stellen wars ein bisschen holperig. Aber insgesamt hat mich die Geschichte und auch die Figuren wieder voll gepackt. Ich bin aufjedenfall ein Fan von Astrid Rosenfeld und freu mich sehr das mir mal wieder eine SchreiberIN gefällt!

        • Reply
          buzzaldrinsblog
          October 21, 2013 at 12:32 pm

          Ein Fan bin ich sicherlich auch und warte bereits schon ganz gespannt darauf, dass hoffentlich bald wieder etwas von ihr erscheinen wird! 😀

          • madameflamusse
            October 21, 2013 at 12:49 pm

            Das wird dann sicher sehr spannend werden, was im 3. Buch passiert. Ich glaube generell sind Bücher wie Adams Erbe ein ganz seltender Schatz. Ich habe viel über die NS Zeit gelesen. Und vieles kann ich nicht mehr lesen. Aber bei Adams Erbe war ich irgendwie dabei. Mittendrin. Es ist echt eine große Kunst solche schlimmen Dinge so zu erzählen das man als LeserIn dranbleiben kann und es einen nicht zerreißt. Und trotzdem das ganze Mitgefühl mit dabei sein kann.

          • buzzaldrinsblog
            October 23, 2013 at 11:57 am

            Schöner, hätte ich es nicht auf den Punkt bringen können. Auch mich hat “Adams Erbe” begeistert, wie selten zuvor ein Buch und es ist lange her, dass ich eine ähnliche Lektüre über die damalige Zeit gelesen habe. Großartig. 🙂

  • Reply
    Mademoiselle Cake
    April 14, 2016 at 1:44 pm

    Hallo! 🙂

    Meine Rezension zu diesem Buch wird am 20.04. auf meinem Blog erscheinen und ich wollte fragen, ob ich dich darin verlinken darf? Es gibt quasi einen Unterpunkt der sich “.. das sagen andere” nennt (der ist neu, also bei meinen “alten” Rezensionen noch nicht zu finden ;)) und dort würde ich dich mit deiner tollen Rezension gerne verlinken, wenn es für dich ok ist?! 🙂

    Herzige Grüße
    Jane 🙂 von http://mademoiselle-cake-liest.blogspot.it/

Hinterlasse hier Deinen Kommentar ...

%d bloggers like this: