Die Ordnung der Sterne über Como – Monika Zeiner

Monika Zeiner wurde 1971 geboren und hat Romanistik und Theaterwissenschaft in Berlin und Neapel studiert. Ihr Studium schloss sie mit einer Promotion zum Thema Liebesmelancholie im Mittelalter ab. Sie hat bereits mehrere Hörspiele veröffentlicht und ist auch schon beim Open Mike aufgetreten – für ihre Arbeit an “Die Ordnung der Sterne über Como” erhielt sie ein Jürgen-Pronto-Werkstatt-Stipendium. Monika Zeiner, die heutzutage in Berlin lebt, ist nicht nur Autorin, sondern auch noch Sängerin und Texterin der Band mariafon.

“Freundschaft, dachte er, und er äußerte es einmal Marc gegenüber, ganz im allgemeinen, philosophischen Sinn, hält länger frisch als die Liebe. Freundschaft hat kein Verfallsdatum, muss nicht mit irgendwelchen Taschenspielertricks am Leben gehalten werden, Freundschaft stirbt nicht in der Zeit, sondern im Gegenteil, sie wächst noch darin.”

In “Die Ordnung der Sterne über Como” erzählt Monika Zeiner die Geschichte von zwei jungen Musikern aus Berlin. Tom Holler und Marc Baldur, die sich durch Zufall an der Musikhochschule in Berlin kennen gelernt haben, pflegen eine intensive Männerfreundschaft. Tom Holler stammt aus einem spießigen Elternhaus, mit Eltern die eher rückwärts gewandt gelebt haben, statt einen Blick in die moderne Zukunft zu werfen. Der Lebensmittelpunkt für Tom ist sein Klavier und die Musik, vor allem die Musik und alles, was mit Tönen verbunden ist. Auch Marc Baldur ist Musiker und gibt dem zaudernden Tom endlich wieder frische Lebensenergie und neuen Mut. Beide verbringen viel Zeit zusammen, rauchen, trinken, musizieren – sie stehen sich nahe und sind eng miteinander verbunden. So verbunden, wie man nur sein kann. Doch dann betritt eine Frau die Bildfläche … Betty Morgenthal wird zu Toms bester Freundin und zu Marcs Affäre. Wie lange kann das gut gehen? Wie viel Liebe hält eine Freundschaft aus? Es kommt, wie es kommen muss und die Ménage á Trois endet tragisch.

“Und das war es im Wesentlichen mit biographischen Eckdaten: Geburt, Klavier, Schule, Ausbildung, Beruf, Heirat, Kinder (noch nicht eingetreten), Tod (noch nicht eingetreten). Alle Begebenheiten, die im Nachhinein hätten als Entscheidung deklariert werden können, waren im Grunde Zufälle oder Notlösungen gewesen, um nicht zu verzweifeln, um nicht zu sterben, um nicht in Hessen bleiben zu müssen. Die wichtigsten Dinge aber, dachte er, sie kommen nicht in Biographien vor, sie hängen zwischen den Zeilen.”

Die Geschichte, die Monika Zeiner erzählt, wirkt auf den ersten Blick wie eine klassische Dreiecksbeziehung. Eine klassische Geschichte über Liebe, Freundschaft, Eifersucht, unterdrückte Wünsche und die Frage, wie viel man bereit ist zu ertragen und zu verzeihen. Doch wirft man einen Blick hinter diese klassische Erzählstruktur, verbirgt sich dort eine Menge mehr: bedingt wird dies  dadurch, dass Monika Zeiner ihren Roman in der Rückschau und aus unterschiedlichen und ungewöhnlichen Perspektiven erzählt. Tom, ist mittlerweile nicht mehr jung, sondern ein gealterter Musiker, der, von seiner Frau Hedda verlassen, vor einem Glas mit Tabletten sitzt, ohne es fertig zu bringen, sie auch hinunterzuschlucken. In diesem Moment hört er, wie Betty eine Nachricht auf seinen Anrufbeantworter spricht – zwischen der Gegenwart und ihrer letzten Begegnung liegen Jahre und über das, was geschehen ist, ist bereits ein meterdickes und tonnenschweres Schweigen gewachsen. Betty und Tom haben ihre Leben weitergelebt, getrennt voneinander, jeder für sich.

“Betty, die du einmal gekannt hast, an die du dich eventuell nicht mehr erinnern kannst, Betty, die folgenden Nachnamen trägt, als wüsste sie nicht, dass dieser Name mit winzigen Buchstaben in die Zwischenzeilen deines Lebenslaufs graviert war. Betty, an deren Augen du eben gedacht hast.”

Aus der Perspektive von Tom, aber auch aus der Perspektive von Betty, wird in Rückblenden die ganze Geschichte erzählt, während Tom sich mit seiner Band auf den Weg zu einer Konzerttournee quer durch Italien macht, bei der er auch auf Betty treffen wird. Es ist eine Reise in die Vergangenheit, es ist eine Suche nach Spuren und ein Weg zurück zu den damaligen Ereignissen und zu den Gründen, die dazu geführt haben, dass eine scheinbar unzerstörbare Freundschaft auseinander brechen musste. Mit dieser Reise in die  Vergangenheit verbunden, ist die Frage, ob man durch Einsicht und Erkennen das Recht erlangt, noch einmal von vorne zu beginnen. Gibt es so etwas, wie eine zweite Chance im Leben oder lassen sich manche Entscheidungen, die man einmal getroffen hat, nicht mehr revidieren?

“Berlin heute, nicht 1995. Aber was genau, denkt er, sind Jahreszahlen, woraus sind sie gemacht? Er wüsste nicht, dass sich diese rund zwölf, dreizehn Jahre irgendwo befänden, dass er auf sie deuten und sie wie verstaubte Bücher aus einem Regal herausziehen und auf einem Bibliothekstisch ausbreiten könnte.”

“Die Ordnung der Sterne über Como” überzeugt vor allen Dingen durch eine wunderbar poetische Sprache, die eine philosophische Tiefe und Dichte erzeugt, wie ich sie selten zuvor erlebt habe. Gleichzeitig ist es aber auch dieser sprachliche Anspruch, die manchmal endlos anmutenden Sätze, die stellenweise erschlagenden philosophischen Auswüchse, die detaillierte Vertiefung in musikalische Kompositionen und die endlosen Brüche der Perspektive, durch die Gedanken immer wieder neu betrachtet werden, mit denen ich mich schwer getan habe. Man muss sich in die Sprache von Monika Zeiner hineinarbeiten und eingraben, um sie genießen zu können.

Monika Zeiner legt mit “Die Ordnung der Sterne über Como” einen ambitionierten und sehr klugen Roman vor. Es ist ein Roman, der auf den ersten Blick Leichtigkeit verspricht, der jedoch – bei genauerem Hinsehen – eine Vielzahl an gewichtigen und großen Themen behandelt. Es geht um Liebe und den Tod und es geht um Schuld und die Frage, ob einem vergeben werden kann, wenn man sich schuldig gemacht hat. All diese Themen hat die Autorin zu einem großangelegten Roman komponiert, einem Roman der so stimm- und bildgewaltig ist, wie ein ganzes Orchester und dabei nur ab und an aus dem Takt gerät.

12 Comments

  • Reply
    Dina
    September 25, 2013 at 1:08 pm

    Dein Lesetempo ist wirklich sehr beachtlich, liebe Mara, so viele tolle Bücher stellst du vor! Die werde ich mir alle nach der Reise vornehmen. Habe ein feine Zeit und streichle mal den lieben Bandit von mir.
    Herzliche Grüße
    Dina

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      September 26, 2013 at 10:07 am

      Liebe Dina,

      ich wünsche dir eine ganz schöne Reise und hoffe, du findest danach die ein oder andere Lektüre unter meinen Besprechungen. Mein Lesetempo schlägt im Moment in der Tat Kapriolen, ich wünschte mir aber auch, dass es anders wäre – aber wer weiß, Mittwoch steht ein Vorstellungsgespräch an und ich hoffe, es wird etwas. 🙂 Den lieben Bandit streichel ich sehr gerne … er muss sich nach unserem Umzug im Moment nach an seine neue Lebenssituation gewöhnen, was gar nicht so einfach ist.

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    dasgrauesofa
    September 25, 2013 at 1:54 pm

    Liebe Mara,
    wenn ich Deine Besprechung richtig verstehe, dann konnten Dich die “Sterne” – fast – komplett überzeugen. Ein bisschen scheinst Du auch manchmal mit der Sprache zu hadern. Findest Du den Roman denn auch shortlist-würdig?
    Ich bin ja immer noch der Meinung, dass eine Straffung des Inhaltes der Geschichte richtig gut getan hätte, denn über die vielen Seiten wurde sie, mir jedenfalls, zu breit und zu zäh. Aber vielleicht ist auch einfach das Thema nicht so sehr meins.
    Viele Grüße, Claudia

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      September 26, 2013 at 9:36 am

      Liebe Claudia,

      ach du, ein klares Urteil zu dem Buch fällt mir abschließend doch irgendwie schwer – warum genau, kann ich nicht einmal sagen. Die Geschichte und die Perspektiven, aus denen Monika Zeiner erzählt, genauso wie die Themen, die bei ihr zur Sprache kommen, konnten mich begeistern. Schwer getan habe ich mich aber in der Tat mit der Sprache, bei vielen Passagen neigte ich dazu, sie schlichtweg zu überblättern, so langatmig und ausufernd habe ich sie empfunden.
      Mit deiner Frage, ob ich den Roman denn auch shortlist-würdig finde, sprichst du einen wichtigen Punkt an, denn diese Frage würde ich alles in allem eher verneinen. Der Roman hat sicherlich Stärken und Besonderheiten, ich persönlich hätte ihn aber nicht unbedingt auf der Shortlist gesehen und wäre – um ehrlich zu sein – mehr als erstaunt, wenn ich mit diesem Buch, den Siegertitel gelesen haben sollte.

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    Xeniana
    September 25, 2013 at 3:09 pm

    Ach mensch das kommt nun auch auf meine Liste:)

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      September 26, 2013 at 9:48 am

      Schön, danke für diese schöne Rückmeldung – ich bin gespannt auf deine Meinung zu den Sternen. 😀

  • Reply
    Karin
    September 25, 2013 at 7:41 pm

    Mich hat dieses Buch auch total begeistert, allerdings waren mir die vielen Passagen, in denen es um Jazz ging, oft zu langatmig….aber nur deswegen, weil ich Jazz nicht so mag und zu wenig davon verstehe und deswegen ungeduldig war….ein Jazzliebhaber dürfte begeistert sein…..und es geht ja auch um Musiker…Vollblutmusiker…., insofern kann ich den Einwand von Claudia verstehen und nachvollziehen…..
    aber ansonsten finde ich ihn als Debütroman beachtlich.
    Eine informative Besprechung, liebe Mara….
    mit abendlichem Gruß
    Karin

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      September 26, 2013 at 9:45 am

      Liebe Karin,

      ja, die Passagen, in denen es um Musik geht, in denen es um die Komposition und um den Jazz geht, die waren mir häufig auch zu langatmig. Wobei bei mir einschränkend dasselbe gilt, wie bei dir : Musik oder auch Jazz sind nicht unbedingt meine Interessensgebiete.
      Der Roman ist aber sicherlich beachtlich, gerade auch weil es sich um einen Debüt handelt – ob ich ihn selbst auf die Shortlist gewählt hätte, weiß ich jedoch nicht.

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    Der Mann fur den Text
    September 26, 2013 at 6:58 am

    Hat dies auf Der Bär liest rebloggt und kommentierte:
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  • Reply
    Conor
    September 27, 2013 at 6:15 am

    Liebe Mara!
    Danke für deine Rezension. Soeben habe ich den Roman beendet und habe ihn insgesamt ganz gerne gelesen. Zugegeben – manche Passagen empfand ich als langatmig und zäh. Ich hätte lieber “Soutines letzte Fahrt” von Dutli auf der shortlist gesehen, den ich mit Begeisterung gelesen habe.
    Liebe Grüße

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      September 27, 2013 at 11:02 am

      Liebe Conor,

      “ganz gerne” habe ich den Roman auch gelesen, im Nachhinein frage ich mich nur, ob das für die Shortlist reichen kann. “Soutines letzte Fahrt” steht hier schon und wartet ganz ungeduldig darauf, gelesen zu werden – der Roman wurde ja überall begeistert besprochen und ich war doch überrascht, ihn letztlich nicht auf der Shortlist vorzufinden.

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    Rezension: Monika Zeiner, Die Ordnung der Sterne über Como | Leipzig.Lebensmittel.Punkt.
    May 14, 2014 at 1:22 pm

    […] Ursprünglich veröffentlicht auf buzzaldrins Bücher: […]

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