Arcadia – Lauren Groff

Lauren Groff wurde in Deutschland durch ihren ersten Roman “Die Monster von Templeton” bekannt, der 2008 bei C.H.Beck erschienen ist. Der Autorin war mit ihrem Debütroman eine wunderbar magische und verzaubernde Geschichte gelungen, voller skuriller, neurotischer und liebenswerter Charaktere. Nun, fünf Jahre später, erscheint ihr zweiter Roman “Arcadia”.

“Die Erinnerung haftet an ihm, weil dies alles in Arcadia so lange erzählt wurde, bis es zu Allgemeingut wurde, wieder und wieder, bis die Geschichte in Bit herangewachsen war, als hätte er sie selbst erlebt. Nacht, Feuer, Musik, Abe, der mit seinem Rücken die Kälte abhielt, Hannah, die sich an seine erhitzte Vorderseite lehnte. Und Bit, zusammengerollt im Körper seiner Mutter und eingehüllt im Glück seiner Eltern, glücklich.”

Die Geschichte, die Lauren Groff in “Arcadia” erzählt, spielt in den Siebzigerjahren – auf einem ländlichen Grundstück in der Nähe von New York. Dort haben sich einige Männer und Frauen mit ihren Kindern niedergelassen und leben, neben einem alten Schulhaus, in einer Art Hippiegemeinschaft zusammen, Ihr Traum ist es, frei und unabhängig zu sein, sich selbst ernähren zu können und ein Leben, frei von den Einflüssen der verderblichen Umwelt, zu führen. Dieser Ort heißt Arcadia. Der Aufstieg dieser gemeinsame Lebensform, aber auch der schleichende Zusammenbruch dieser Gemeinde, wird aus der Perspektive von Bit erzählt. Bit kam zur Welt, als Arcadia noch in den Kinderschuhen steckte, ganz zu Anfang, als die Gemeinschaft nur aus ein paar gestrandeten Existenzen bestand. Später schlossen sich ihnen immer mehr Menschen an: Drogensüchtige, Kriminelle, Ausreißer. Je größer die Gemeinschaft wird, desto mehr Probleme tauchen auf – der eigentliche Grundgedanke von Arcadia geht dabei Stück für Stück verloren, bis das Hippiedorf schließlich, nach einer rauschenden Feier, gewaltsam aufgelöst wird.

“Die Worte haben sich in ihm vergraben, sind schlafen gegangen, wie ein gefrorener Ball, der sich unter ihm zusammenrollt und auf Tauwetter wartet.”

Bit ist vierzehn Jahre alt, als er zum ersten Mal die wirkliche Welt betreten muss: er fährt zum ersten Mal Rolltreppe, geht zum ersten Mal in eine richtige Schule. Die Anpassung fällt ihm schwer. Aus Arcadia geblieben sind ihm lediglich seine damaligen Freunde, zu denen er noch immer einen engen Kontakt pflegt. Und Helle, die eigenwillige Tochter des ehemaligen Anführers. In der Welt da draußen, werden beide ein Paar und leben gemeinsam mit ihrer Tochter Grete in New York. Bit arbeitet als Professor für Fotografie. Doch das Glück der beiden trügt, die Nachwehen ihrer Zeit in Arcadia sind immer noch in ihnen. Als Kind hat Bit sein Leben in Arcadia als Paradies empfunden, als eine kleine abgeschottete Oase, die ihm alles bieten kann, was ihn glücklich macht und noch viel mehr. Ein Ort, an dem Kinder frei und ungezwungen aufwachsen können, immer verbunden mit ihrer natürlichen Umwelt. Helle jedoch hat diesen Ort ganz anders erlebt; als Sumpf, an dem Kinder Drogen nehmen und sich sexuell ausprobieren, ohne, dass es Erwachsene gibt, die eingreifen würden. Wie kann ein Ort wie Arcadia Kinder für ein Leben in der Wirklichkeit rüsten?

“Er weiß, dass sein Verständnis von “Draußen” ungenau ist, zusammengestoppelt und zugleich falsch. Es besteht aus allem, was ihm zu Ohren kommt, aus den Geschichten, die die Leute von draußen mitbringen, aus dem, was er gelesen hat.”

Der Roman endet, wie er begonnen hat: in einer Utopie. Doch anders als die Glückseligkeit in Arcadia ist das Leben im Jahr 2018 geprägt von einer Umweltkatastrophe, die das Leben aller Menschen bedroht. Diesen Ausflug in utopische Welten zum Ende des Romans habe ich als stellenweise als überflüssig empfunden, da die Autorin ihre eigene Geschichte der Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit beraubt.

Lauren Groff erweist sich in ihrem Roman “Arcadia” erneut als große Erzählerin, die, mit viel Wärme und Liebe für ihre Figuren, eine Geschichte erzählt, die alle Facetten eines großartigen Buches aufweist: die Sprache der Autorin ist lyrisch und poetisch, ihre Erzählung ist kraftvoll, berührend und mitreißend – nur stellenweise droht das Buch zu kippen, vor allem an den Stellen, in denen sich die Autorin in endlos wirkenden Beschreibungen verliert. Das Leben in einer Kommune und die Abgrenzung zu einem ungewünschten Außen, wird von der Autorin sehr eindrücklich und authentisch geschildert. Dabei werden sowohl positive Aspekte des Lebens in einer Kommune thematisiert, als auch die langanhaltenden Nachwirkungen, von denen besonders die Kinder aus Arcadia betroffen sind. Bit ist der einzige von ihnen, der sich mit unerschrockener und stellenweise schon fast schmerzlichen Naivität und Loyalität an seine Kindheitserinnerungen klammert und auch viele Jahre danach noch bestimmte Rituale daraus bewahrt, alle anderen werden von dem Wunsch getrieben, diesen Ort und die Erinnerungen an dieses Leben schnellstmöglichst hinter sich zu lassen und aus dem Gerüst, in das sie als Kinder gesteckt wurden, auszubrechen. Erstaunlicherweise ist es dennoch Bit, der im Leben nach Arcadia am besten zurecht kommt und dem es gelingt, halbwegs unbeschädigt in der Wirklichkeit Fuß zu fassen. Mit Ridley Sorrel Stone, in Arcadia bekannt unter dem Namen Bit, ist Lauren Groff eine großartige Hauptfigur gelungen, die die Geschichte auch über die schwächeren Passagen hinweg tragen kann.

Mit “Arcadia” ist Lauren Groff ein auf der einen Seite ruhiger und melancholischer Roman gelungen, der auf anderen Seite jedoch auch eine gewichtige Geschichte erzählt: die Autorin stellt die Frage, ob der Wunsch danach, frei und autark in einer Kommune zu leben, die menschliche Natur besiegen kann. Im Falle von Arcadia gelingt dies nicht, die Kommune wird gewaltsam auseinander gerissen und nur Bit bleibt übrig, den damaligen Idealen verhaftet. “Arcadia” besticht durch eine wunderbare Sprache und durch die Abhandlung gewichtiger moralischer Fragen, beides macht den Roman zu einer lesenswerten Lektüre.

9 Comments

  • Reply
    dasgrauesofa
    September 30, 2013 at 2:29 pm

    Liebe Mara,
    das Cover des Buches ist ja schon seit ein paar Tagen auf Deinem Blog zu sehen und hat, genau die Erwartungen in mir geweckt, die Du auch zuerst erzählst: eine Hippie-WG in den 1970er Jahren. Aber das ist ja wohl nur der Anlass zu dem Roman, der doch offensichtlich der viel spannenderen Frage nachgeht (und das ist auf dem Cover ja nicht zu entdecken), was mit den Kindern ist, die hier aufwachsen, wie sie in der Realtität ankommen, sich in der “normalen” Welt zurechtfinden. Und mit der Frage scheint der Roman doch eine ganz spannende Auseinanderstezung zu bieten. — Vor ein paar Jahren habe ich eine Schülerin gehabt, damals schon Anfang 20, die von ihrer Kindheit in einer Familie mit absoluter antiautoritärer (das ist ja schon ein Widerspruch 😉 ) erzählt hat und diese Zeit als überhaupt ncht gut in Erinnerung hatte. Ihr fehlten nämlich gerade ein paar Vorgaben und Grenzen, die ihr geholfen hätten, sich zu orientieren. Aber von Rauschgift und sexuellen Experimenten hat sie – zum Glück – nichts erzählt. Jedenfalls scheint “Arcadia” ein interessantes Thema anzuschneiden.
    Viele Grüße, Claudia

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      October 2, 2013 at 10:12 am

      Liebe Claudia,

      ich muss ja gestehen, dass ich das Cover des Romans sehr gerne mag – es passt wirklich gut zum Roman, auch wenn ein Cover natürlich nie kaufausschlaggebend sein sollte, könnte mich dieses schon von einem Kauf überzeugen. 😉
      Das Leben in einer Kommune, aber vor allen Dingen die Auswirkungen auf die Kinder, auf diejenigen, die nicht frei entscheiden können, ob sie so leben wollen oder nicht, finde ich höchst spannend und lesenswert geschildert. Bis auf Bit zerbrechen eigentlich alle Kinder aus Arcadia an den Anforderungen der realen Welt. Das einzige Manko des Romans ist der Schluss, da die Autorin scheinbar nicht wusste, wie und wann sie den Roman enden lassen soll, wird er künstlich in die länge gezogen – bis wir uns in einem utopischen Jahr 2018 befinden. Das hat mich leider nicht so ganz überzeugen können. Das, was Lauren Groff zuvor erzählt, macht diesen seltsam unrunden Schluss aber wieder gut. Ich wäre sehr gespannt auf deine Meinung zum Roman, falls du ihn lesen solltest.

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    Xeniana
    September 30, 2013 at 2:36 pm

    Auch ich bin jetzt ganz gespannt auf das Buch. Danke:)

  • Reply
    Bücherphilosophin
    September 30, 2013 at 6:15 pm

    Da komm ich ja mit dem Lesen gar nicht mehr hinterher, so viele tolle Bücher wie Du hier empfiehlst. Von Groff hab ich noch die Templeton Monster im Regal und will das auf jeden Fall zuerst lesen. Gut zu wissen, dass ich, sollte es mir gefallen, gleich mit Arcadia weiter machen kann. Denn diese Geschichte klingt so, als könnte sie mir gefallen. Danke für die Empfehlung!

    LG, Katarina 🙂

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      October 2, 2013 at 10:02 am

      “Die Monster von Templeton” solltest du möglichst bald lesen, es ist ein wunderbar magisches Buch – genau passend für den langsam beginnenden Herbst. Ein bisschen beneide ich dich darum, dass die Lektüre noch vor dir liegt. “Arcadia” hat mir auch sehr gut gefallen, auch wenn es in meinen Augen nicht ganz den selben Zauber hat, wie der Debütroman von Lauren Groff.

      Liebe Grüße nach England
      Mara

  • Reply
    QUEMADA. The Magazine That Never Happened
    September 30, 2013 at 6:41 pm

    Beim Lesen der Rezension musste ich an einen tollen Film denken, den ich letztes Jahr gesehen habe: “Die Vaterlosen” von Marie Kreutzer erzählt von einer ganz ähnlichen Konstellation. Schauplatz ist allerdings ein Bauernhof in der Steiermark. Sehr sehenswert! Hier ein Link zur Besprechung in der ZEIT, inklusive Trailer: http://www.zeit.de/kultur/film/2011-07/film-vaterlosen

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      October 2, 2013 at 9:59 am

      Liebe Simone,

      ich danke dir herzlich für deinen Besuch und deinen Kommentar, aber vor allen Dingen auch für den Hinweis auf den Film. Ich finde die im Roman geschilderte Konstellation, mit all den positiven aber natürlich auch negativen Aspekten, sehr spannend und würde gerne mehr über ähnliche “Lebensentwürfe” lesen oder sehen. In den Trailer werde ich also auf jeden Fall mal einen Blick werfen. 🙂

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    Bücher die ich noch lesen möchte « Familienbande
    October 6, 2013 at 2:02 pm

    […] “Arcadia” von Lauren Groff gefunden bei Buzzaldrin […]

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