Patrick Roth wurde 1953 geboren und lebt heutzutage als freier Schriftsteller in Los Angeles und Mannheim. Neben dem Schreiben ist Roth aber auch im Bereich Film tätig – 2006 erschien sein letztes filmisches Werk “In My Life – 12 Places I Remember”. Für seine bisherigen literarischen Veröffentlichungen wurde der Autor bereits vielfach ausgezeichnet, zuletzt stand er mit seinem beeindruckenden Roman “SUNRISE” auf der Longlist des Deutschen Buchpreis 2012.
“Die amerikanische Fahrt” trägt den Untertitel “Stories eines Filmbesessenen” – es handelt sich in der Tat um zehn einzelne Kurzgeschichten, diese können jedoch auch als ein Gesamtgefüge betrachtet werden. Die zehn Stories sind in drei Abschnitte geteilt, in ein “Außen” und ein “Innen” und in “Tag”, “Abend” und “Nacht”. Wenn ich an mein Lektüreerlebnis zurückdenke, sind dies die entscheidenden Schlagwörter: “Die amerikanische Fahrt” ist eine Reise von Außen nach Innen, vom Hellen in das Dunkle und vom Tage in die Nacht.
“Drei Bilder würde ich Ihnen gerne näherbringen: Eine Autofahrt durch Los Angeles. Eine Hand, die rätselhaft auf etwas deutet. Und: ein einfacher Tisch.”
Patrick Roth erzählt in seinen “Stories” eine Geschichte, die im Jahr 1975 in Los Angeles beginnt. Es ist die Geschichte eines zweiundzwanzig Jahre alten Filmstudenten, der sein Zuhause verlässt, um nach Los Angeles zu gehen. Die Geschichte reicht bis in das Jahr 2012 hinein, als der Schriftsteller in seine Heimat zurückkehrt, um eine Bilanz seines Lebens zu ziehen. Bereits an diesen Eckdaten wird deutlich, dass Patrick Roth nicht nur die Geschichte irgendeines Filmstudenten erzählt, sondern auch seine eigene Geschichte und Autobiographie. Es wird jedoch nie ganz deutlich, was Fiktion und was authentische Biographie ist.
“Ich will von Bildern erzählen, die Ihnen einige meiner Stationen als werdender Schriftsteller vor Augen führen. Ich werde reden vom Wunsch, das Ferne nah zu bringen, von einer Sehnsucht mithin, der Einsicht auch, im Fernen immer wieder auch das Allernächste aufzufinden. Das Ferne war mir einst Amerika, jetzt ist es “nah”, und nah ist es, weil ich es über die Jahr immer wieder mit Nahem, Nächstem ergänzt habe. Ich habe mir das fremde Land durchs Eigenste, Nächste angeeignet.”
Angeeignet hat sich der junge Mann, der ungeheure Bilder im Kopf hatte, doch in diesem riesigen Land, fremd gewesen ist, Amerika, indem er sich eine Heimat in der Fremde geschaffen hat. Er hat sich seine Lieblingsautoren, “den Johann Peter Hebel, den Hölderlin, Joyce, Trakl, Nathanael West, Poe, Arno Schmidt und Celan”, auf Kassetten gesprochen. Er hat die Geschichten, in denen er sich heimisch fühlt, eingelesen und ihnen auf den langen und einsamen Fahrten auf den Boulevards durch Los Angeles gelauscht. Die erste “Story” der amerikanischen Fahrt trägt den Titel “Hebels Hollywood”, einen Titel, der auf den ersten Blick widersprüchlich anmutet, weil er zwei Dinge vereint, die kaum zusammengehören (ähnlich wie die Gegensatzpaare Tag und Nacht, sowie Außen und Innen), doch für den damaligen Studenten war genau dies, eine ganz wichtige Erfahrung: “Denn wenn ‘dichten’ vom lateinischen ‘dictare’ kommt, dann dichtete Hebel mir, ‘diktierte’ er mir die Heimat aufs Fremde. Ich stenographierte die vertrauten Wendungen der Geschichte mit, erkannte sie wieder, im Fremden einer fremden Welt.”
Die zehn Geschichten, die Patrick Roth in seinem Roman “Die amerikanische Fahrt” erzählt, führen den Leser in eine Welt des Films hinein. Endlos viele Stellen habe ich mir markiert, um anschließend Szenen, die im Text erwähnt werden, “nachschauen” zu können. Deutlich ist mir dabei geworden, dass Patrick Roth eine unglaubliche Fähigkeit zum Erzählen besitzt, denn es gelingt ihm nicht nur, Filmbilder in Worte zu verwandeln, sondern er lässt dabei eine ungeheure Kraft entstehen. Eine Kraft, die ich in den kleinen Filmszenen, die ich mir anschließend angesehen habe, selten wiedergefunden habe. Patrick Roth erzählt von einem Leben, das durch Filme geprägt gewesen ist, von seinem Job als Production Manager, von einem Drehtag im Hause von Marta Feuchtwanger. Es gibt ein fiktives Interview mit dem verstorbenen Regisseur John Ford und unter dem Titel “Lynch for Lunch” eine Auseinandersetzung mit dem streitbaren Regisseur David Lynch.
“Ich wollte einen Film, der mir erlauben würde, darin zu leben, das heißt, mich an seinem Feuer zu lagern, mich niederzulassen mit anderen, am Feuer zu dauern.”
Die entscheidenden Gedanken von Patrick Roth finden sich in den letzten drei Erzählungen, die ursprünglich Teil seiner Heidelberger Poetikvorlesung gewesen sind. Es sind vor allem diese drei Erzählungen, die gleichzeitig den Abschluss dieses Bandes bilden, in denen es dem Autor eindrücklich gelingt, von den Filmbildern abstrahierend über die Bilder zu sprechen, die in einem liegen und die in Texten und Filmen zum Ausdruck gebracht werden können. Hier gelingt es dem Autor am deutlichsten, nicht nur über den Film zu sprechen, sondern auch über die innere Gedankenwelt – es ist ein beeindruckender Erzählbogen von einem Außen nach Innen.
Patrick Roth legt mit seinem Erzählband “Die amerikanische Fahrt” ein Stück beeindruckender und wunderbarer Literatur vor. Die zehn in diesem Band versammelten Geschichten sind nicht nur Geschichten für Filmbesessene, sondern auch für all diejenigen, die Interesse daran haben, etwas über die künstlerische und persönliche Entwicklung eines Schriftstellers zu erfahren, der zu den bedeutendsten Stimmen unserer heutigen Zeit gehört.
7 Comments
Ken Takel
October 16, 2013 at 1:59 pmKlingt gut!
buzzaldrinsblog
October 17, 2013 at 4:00 pmIst es auch! 😀 Bereits “SUNRISE” habe ich sehr gerne gelesen, “Die amerikanische Fahrt” ist ganz anders, aber nicht weniger lesenswert!
skyaboveoldblueplace
October 17, 2013 at 10:29 amLiebe Mara,
das klingt leider wieder verdammt nach einem Buch, das ich unbedingt lesen möchte. Ist notiert. Danke für die schöne Besprechung. Ich vermute, das hat Dir sehr gefallen und in finde, das kommt in Deinem Text sehr schön rüber.
Liebe Grüsse, Kai
buzzaldrinsblog
October 17, 2013 at 4:13 pmIch kann dir Patrick Roth nur empfehlen, lieber Kai und ich glaube wirklich dass dieser Schriftsteller zu einem der wichtigsten Schriftsteller unserer heutigen Zeit gehört. Mich hat bereits sein Roman “SUNRISE” begeistern können, auch wenn mir die eigentliche Thematik unheimlich fremd ist – aber das macht ja einen guten Schriftsteller aus, Lesern etwas näher bringen, von dem sie bisher noch nicht wussten, dass es sie interessieren könnte. 🙂
Liebe Grüße
Mara
seitenspinner
October 18, 2013 at 7:44 amHoert sich wirklich nach einem spannenden Buch an!
Viele Gruesse,
Laura
buzzaldrinsblog
October 19, 2013 at 6:55 pmFreut mich, dass ich dich neugierig machen konnte! 🙂 Ich würde dem Buch und dem Autor viele Leser wünschen und bin gespannt, ob du es irgendwann mal in die Hand nehmen wirst. 🙂
2errors
November 14, 2013 at 2:18 amReblogged this on horstbellmer.