Nenn mich einfach Superheld – Alina Bronsky

Alina Bronsky, die 1978 in Russland geboren wurde und auf der asiatischen Seite des Ural-Gebirges aufwuchs, kam als Jugendliche nach Deutschland. Das nach ihrem Abitur begonnene Medizinstudium hat sie abgebrochen, stattdessen arbeitete sie als Werbetexterin und Redakteurin. Ihren größten Erfolg feierte die Autorin mit ihrem Debütroman “Scherbenpark”, der beim Publikum und bei den Kritikern ein großer Erfolg gewesen ist. Mittlerweile ist das Buch eine beliebte Schullektüre und wurde sogar verfilmt. In diesem Herbst erschien ihr neuester Roman “Nenn mich einfach Superheld”.

“Seit dem Rottweiler hatte ich niemanden mehr geküsst. Schon dafür gehörten alle Rottweiler dieser Welt bei lebendigem Leibe gehäutet.”

Im Zentrum des neuen Romans von Alina Bronsky steht Marek. Marek ist nach der Attacke eines Rottweilers entstellt, sein Gesicht sieht nicht mehr so aus, wie es mal ausgesehen hat. Für den Jungen, der es sich zur Angewohnheit gemacht hat, Hut und Sonnenbrille zu tragen, um sein Gesicht zu verstecken, aber auch. um seine Mitmenschen vor seinem Anblick zu schützen, ist das ein schwerer Schicksalsschlag. Er igelt sich in seinem Zuhause ein, kapselt sich von seinen ehemaligen Freunden ab und zieht sich zurück in eine Welt des Selbstmitleids und der medizinischen Fachbücher. Durch einen Trick gelingt es seiner verzweifelten Mutter, Marek in eine Selbsthilfegruppe für “Krüppel” zu lotsen. Als er bemerkt, wo er wirklich gelandet ist, möchte Marek stehenden Fußes wieder kehrt machen. Doch dann entdeckt er Janne.

“Meine eigene Mutter hatte wochenlang üben müssen, mir ins Gesicht zu gucken, und dieses Mädchen kannte mich noch gar nicht. Ich rechnete es ihr hoch an, dass sie nicht sofort kotzte.”

Janne ist das schönste Mädchen der Welt, “mit solch grünen Augen, rabenschwarzen Haaren” – und sie sitzt im Rollstuhl. In einem Rollstuhl, in dessen Speichen bunte Reflektoren leuchteten, die wie “Schmetterlinge und Butterblumen” geformt waren. Nachdem sich Marek ein Jahr lang  vor der Welt jenseits der Tür seines Kinderzimmers versteckt hat, ist er plötzlich zurück im Leben und mitten in der Selbsthilfegruppe.

“Wir waren zu sechst. Außer diesem Mädchen und mir waren es: ein langhaariger Typ mit einer Beinprothese, ein schwammiges, teigiges Etwas mit rötlichem Flaum auf dem Kopf und ohne sichtbare Behinderungen, eine sehr langbeinige Tunte mit nervös umherirrenden Blick und ein arrogant dreinblickender Schönling, der wie ich eine Sonnenbrille trug.”

Marek wird Teil einer Selbsthilfegruppe, die sein ganzes bisheriges Leben auf den Kopf stellen wird. Eine zart aufblühende Schwärmerei, eine gemeinsame Reise und ein plötzlicher Unglücksfall krempeln nicht nur das Leben von Marek um, sondern auch die Geschichte erhält eine überraschende Wendung, die den Roman nach der Hälfte beinahe noch einmal von vorne beginnen lässt. Statt mit Janne auf Landfreizeit findet sich Marek plötzlich in einem spießigen Frankfurter Vorort wieder, um seinen Vater zu beerdigen …

Alina Bronsky legt mit “Nenn mich einfach Superheld” einen höchst lesenswerten Roman vor: auf der einen Seite ist der Roman hochkomisch und pointiert, auf der anderen Seite ist er aber auch traurig und regt zum Nachdenken an. Der Autorin gelingt es durchweg, den richtigen Ton zu treffen – stellenweise gerät der Roman in die Gefahr, überzeichnet zu wirken, doch Alina Bronsky schafft es immer wieder, der Geschichte noch einmal Humor oder eine lesenswerte Wendung einzuhauchen. Es sind vor allen Dingen die Dialogszenen, die es in sich haben; die Mutter-Sohn-Gespräche haben mich das ein oder andere Mal laut auflachen lassen. Überhaupt sind die Figuren wunderbar lebendig, authentisch und lebensecht gezeichnet. Im Mittelpunkt steht natürlich Marek, aber auch seine Mutter und seine Freunde aus der Selbsthilfegruppe werden so gezeichnet, dass sie mir auch im Anschluss an die Lektüre noch lange im Gedächtnis geblieben sind. Besonders beeindruckt hat mich an diesem Roman die herrliche Mischung aus einem trockenen und bitterbösen Humor, der von einer ernsthaften Geschichte unterlegt ist. Die Grundidee – zwei Menschen mit Defekt lernen sich in einer Selbsthilfegruppe kennen – ist seit John Greens Roman “Das Schicksal ist ein mieser Verräter” nicht neu, Alina Bronsky setzt diese Grundidee aber mit sehr viel erfrischendem Charme und in einer wunderbaren Sprache um.

Am Ende des Romans wird der Leser mit vielen offenen und ungeklärten Fragen zurückgelassen. Offene Enden haben häufig ihre Tücken, denn sie fordern den Leser heraus, sich Gedanken zu machen und eigene Schlussfolgerungen zu ziehen. Mich haben diese ungeklärten Fragen und die absichtlich offen gelassenen Lücken nicht verärgert, sondern ganz im Gegenteil schon fast verzaubert – sie geben der eigenen Phantasie Raum und die Möglichkeit, sich zu entfalten. Bei mir hat das dazu geführt, dass dieser Roman um so länger und um so intensiver nachgewirkt hat.

Alina Bronsky ist mit “Nenn mich einfach Superheld” ein herrlicher und lesenswerter Roman gelungen, der alles zu bieten hat, was ein gutes Buch braucht: Humor und Tiefe. Es geht um Defekte, um Behinderungen und darum, Veränderungen – und seien sie noch so fürchterlich und schrecklich – im Leben anzunehmen und damit umgehen zu lernen. “Nenn mich einfach Superheld” ist ein überraschendes Buch, mit ungeahnten Wendungen und Volten, es ist unterhaltsam und verzückend und es ist zum Verrücktwerden, weil man glaubt zu wissen, wie es ausgeht und die Autorin einen dann doch an der Nase herumführt. Lest selbst! Ich kann diesen Roman nur empfehlen – ganz laut und eindringlich!

12 Comments

  • Reply
    Alina Bronsky über Pseudonyme und Literaturverfilmungen! | buzzaldrins Bücher
    October 23, 2013 at 10:58 am

    […] Bronsky, die durch ihren Roman “Scherbenpark” berühmt wurde und in diesem Herbst mit “Nenn mich einfach Superheld” einen weiteren lesenswerten Roman vorgelegt hat, nimmt sich dennoch die Zeit, sich mit mir noch zu […]

  • Reply
    Klappentexterin
    October 23, 2013 at 12:14 pm

    Liebe Mara,

    dein Ruf ist bei mir angekommen. Ich werde den Roman lesen und freue mich nach deiner Besprechung noch mehr drauf. Karo war ja bereits begeistert, ja, sie hat das Buch ins Herz geschlossen. Vielleicht bin ich dann die Dritte im Bunde? Wir werden sehen.

    Freudig winkend,

    Klappentexterin

    • Reply
      Karo
      October 24, 2013 at 6:08 pm

      Ja stimmt, ich bin ebenso wie Mara begeistert! Hab den Roman jetzt auch schon öfters an verschiedenste Leute empfohlen und alle fanden’s toll. Wer “Tschick” von Wolfgang Herrndorf mochte, der wird auch an diesem Superhelden seine Freude haben 🙂

      • Reply
        buzzaldrinsblog
        October 25, 2013 at 6:53 pm

        Dann werde ich wohl “Tschick” auch mal bald lesen müssen, ich kenne das Buch – als einziger Mensch auf dieser Welt wahrscheinlich – nämlich noch nicht. 😉

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      October 25, 2013 at 7:07 pm

      Liebe Klappentexterin,

      wie schöööön! 😀 Ich bin schon ganz freudig gespannt und aufgeregt, wie dir wohl das Buch gefallen wird und ob du die Begeisterung von Karo und mir teilen wirst.

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    Eva Jancak
    October 23, 2013 at 2:58 pm

    Scherbenpark habe ich gelesen, nachdem ich die Autorin 2008 beim Bachmannpreis lesen hörte, bei der letzten Buch Wien las sie, glaube ich, aus Spiegelkind und beim Frankfurt Surfen habe ich sie aus dem neuen Buch lesen, bzw. ein Interview daraus gehört. Spannend, spannend, ein Leseexemplar der “Schärfsten Gerichte der tatarischen Küche” mit der sie ja einmal auf der Longlist stand, habe ich vorigen Jahr beim Augustin-Flohmarkt bekommen und ich denke, daß Alina Bronsky eine interessante Autorin ist, die sehr spannend jür Jugendliche schreibt

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      October 25, 2013 at 7:04 pm

      Liebe Eva,

      eine spannende Autorin ist Alina Bronsky in jedem Fall, sie schreibt jedoch nicht nur für Jugendliche, sondern auch für Erwachsene – auch wenn ich dir zustimme, dass der neue Roman keine klare Zielgruppe hat, er kann sowohl von Jugendlichen als auch von Erwachsenen gelesen werden. Ich kenne von ihr bisher nur den neuesten Roman und natürlich “Scherbenpark”, ihren Longlist-Titel möchte ich aber auch möglichst bald noch entdecken.

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    brunnenwaechterin
    October 27, 2013 at 12:57 pm

    Schön, hier eine Rezension zu diesem Roman zu finden. Ich hatte das Buch neulich schon in der Hand, war aber noch unschlüssig, ob es mir nicht zu “flach” ist. Besten Dank für die Empfehlung, gleich morgen früh geht es in den Buchladen;-)

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      October 28, 2013 at 7:50 pm

      Ach wie schön, dass ich dich überzeugen konnte! 😀 Mir liegt das Buch sehr am Herzen, sicherlich auch weil ich die Autorin getroffen habe und sie sehr sympathisch fand – am liebsten würde ich jedem, dem ich über den Weg laufe, das Buch vor die Nase halten. 😉

  • Reply
    Ariana
    November 11, 2013 at 5:54 pm

    Ach, Mara, da schaffe ich es nach Wochen endlich mal wieder, mir deine inzwischen geschriebenen Rezensionen durchzulesen, und schon mit der ersten hast du mich wieder erwischt … Ist schon auf die Wunschliste gewandert. 😉

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      November 12, 2013 at 3:55 pm

      Schöööööön! 😀 Zum einen ist es schön, dich wieder zu lesen, zum anderen ist es schön, dass ich dich mit meiner Besprechung überzeugen konnte. Mit dem Superhelden wünsche ich dir ganz viel Freude und Lesevergnügen. Ein tolles Buch! 🙂

  • Reply
    Baba Dunjas letzte Liebe - Alina Bronsky | Buzzaldrins Bücher
    September 11, 2015 at 1:37 pm

    […] Köln 2015. 160 Seiten, 16,90€. Auf Buzzaldrins Bücher gibt es bereits eine Besprechung zu Nenn mich einfach und Superheld sowie ein Interview mit der […]

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