Malin Schwerdtfeger, die 1972 geboren wurde, ist in Bremen aufgewachsen. Sie studierte Judaistik und Islamwissenschaft und arbeitete in einer Berliner Buchhandlung – heutzutage lebt sie als Schriftstellerin in eben dieser Stadt. Mit “Café Saratoga” debütierte die Autorin 2001 und wurde von der Kritik begeistert gefeiert. Erschienen ist das Buch nun erneut und zwar in der edition fünf, einem ganz besondern Buchverlag, der sich vergessenen und zu wenig beachteten Autorinnen widmet und den ich in mein literarisches Herz geschlossen habe. In der Flut der Neuerscheinungen, die uns heutzutage jedes Jahr wieder erschlägt, ist es so erfrischend, Bücher, die man auf den ersten Blick nicht entdecken konnte, auf den zweiten Blick entdecken zu können.
“Jeden Tag im Café Saratoga erklärte uns unser Vater die zwei Deutschlands. Er erklärte sie uns, wie er den Tod erklärte und die nächsthöhere Dimension: Nur durch das eine war das andere zu erreichen, das andere aber war gut. Sein Name war Bundes.”
In “Café Saratoga” erzählt Malin Schwerdtfeger eine Geschichte vom Erwachsenwerden und von zwei Mädchen, die zwischen zwei Welten aufwachsen: Sonja und Majka sind Schwestern, gemeinsam verbringen sie ihre Sommerferien auf der polnischen Halbinsel Hel. Es sind unbeschwerte Zeiten, in denen man Sonne und Sommerluft atmen kann. Das Café Saratoga befindet sich auf Hel, Tata, der Vater der beiden Mädchen hat es übernommen. Doch was Sonja und Majka nicht ahnen, ist, dass dies nur eine Zwischenstation sein soll: das endgültige Ziel der Familie ist Deutschland. Oder wie Tata sagt: “Bundes”. Was für die Mädchen eine idyllische Heimat ist, ist für den Vater nur Mittel zum Zweck: mit dem Café möchte er endlich genug Geld verdienen, um den Sprung nach Deutschland zu schaffen.
“‘Sehr euch euren Vater an!’, sagte sie, und immer wollte Mama, dass wir uns etwas ansähen, denn in Mamas Augen bestand die Welt aus guten und schlechten Beispielen und das schlechteste Beispiel war Tata.”
Als die Familie Hel endlich hinter sich lassen kann und nach Deutschland übersiedelt, ist dies für Sonja und Majka ein schmerzlicher Verlust der Heimat. Die beiden Mädchen befinden sich an der Schwelle zur Pubertät und sind diesen Irrungen und Wirrungen nun in einem für sie gänzlich fremden Land ausgeliefert. Einem Land, das für sie kein Zuhause ist und dessen Sprache sie nur langsam und mühsam erlernen. Befanden sie sich eben noch auf der idyllischen Halbinsel, werden die beiden schüchternen und zurückhaltenden Mädchen plötzlich in eine leuchtende und grelle Großstadtwelt gestoßen. Im Jahr 1987 beginnt für Sonja und Majka plötzlich und unfreiwillig eine neue Zeitrechnung.
“Im Jahr drei meiner Zeitrechnung war es geschehen: Eine ewig Linie löste sich auf. Sie hatte zwei Deutschlands getrennt, die zwei Deutschlands, die uns Tata und Bocian erklärt hatten, jeden Tag im Café Saratoga.”
Ähnlich wie Alice Pung in ihrem Roman “Ungeschliffener Diamant”, den ich vor einigen Wochen hier vorgestellt habe, beschäftigt sich auch Malin Schwerdtfeger mit dem Themenkomplex Heimat und Fremde. Die Bemühungen ihrer beiden stillen Heldinnen, sich in ihrem neuen Heimatland zurechtzufinden, werden von der Autorin frei von jeglichem Kitsch und Pathos geschildert: ihre Beobachtungen sind unprätentiös und durchzogen von einem feinen Humor. Sonja und Majka erleben nicht nur einen Bruch ihrer Biographien, ein Wegziehen und Ankommen, sondern werden davon mitten in ihrer beginnenden Pubertät konfrontiert. Die Kindheit endet mit den Sommerferien auf Hel und die Jugend beginnt mit dem Umzug nach “Bundes”. Viele von Malin Schwerdtfegers Beschreibungen muten auf den ersten Blick unterhaltsam und humorvoll an, dazu tragen besonders die exzentrisch gezeichneten Eltern von Sonja und Majka bei, doch hinter dieser humorvollen Oberfläche steckt eine bittere Wahrheit: für Tata ist Deutschland das Paradies und damit ein Ort, den er um jeden Preis erreichen möchte. Doch wo liegt für die beiden Mädchen das Paradies? Wo möchte man leben? Wo gehört man hin? Für die Mutter der beiden ist die erzwungene Auswanderung und die dadurch entstehende Lebensveränderung zu viel, um es noch ertragen zu können – statt ihren Kindern beizustehen, flüchtet sie in eine Depression.
“Café Saratoga” ist trotz allem Humor ein rauer und schonungsloser Roman, der sich auf eine manchmal schwer zu ertragende Art und Weise mit den Übeln und Begleiterscheinungen des Erwachsenwerdens beschäftigt. Malin Schwerdtfeger erzählt vom Auseinanderbrechen einer Familie und vom viel zu frühen Erwachsenwerden zweier junger Mädchen, doch tut sie dies auf so lakonische Art und Weise, dass dennoch und trotz allem Hoffnung erhalten bleibt. Es ist die Hoffnung, auch in diesen Verhältnissen überleben zu können. Malin Schwerdtfeger gelingt es, wunderbare und eindringliche Bilder für die Kindheit und Jugend ihrer Heldinnen zu erschaffen und dabei eine berührende Geschichte zweier Schwestern zu erzählen. “Café Saratoga” ist großartige und sehr empfehlenswerte Literatur, die alles enthält, was ein gutes Buch ausmacht: Melancholie und Tiefe, gepaart mit ganz viel Humor.
11 Comments
jancak
November 4, 2013 at 11:00 pmDas habe ich auch auf meiner Liste
buzzaldrinsblog
November 6, 2013 at 3:51 pmLiebe Eva,
dann bin ich gespannt, wann du das Buch in die Hände bekommen wirst – es ist auf jeden Fall lesenswert! 😀
wortstarkmh
November 5, 2013 at 8:59 amDas Buch hört sich wirklich gut an! Ich kannte die Autorin noch nicht. Vielen Dank für den Tipp!
buzzaldrinsblog
November 6, 2013 at 3:38 pmFür mich war es auch der erste Roman, den ich von Malin Schwerdtfeger gelesen habe, die Lektüre hat sich aber gelohnt! Ich mag Bücher, die Witz und Traurigkeit vereinen und das geschieht hier auf hohem Niveau! 🙂
jancak
November 6, 2013 at 4:55 pmHaben tue ich es schonr, habe ich es ja vor ein paar Monate im “Wortschatz” gefunden und war jetzt auch erstaunt, es hier zu finden, weil ich dachte, es wäre schon ein älteres Buch, aber manchmal liegen auch ganz neue Bücher im Kasten, so wie vor einer Woche Richard Fords “Canada”, zum Lesen werde ich erst ein bißchen später kommen, habe ich ja eine endlos lange Leseliste und jetzt, weil ich ja Geburtstag habe Marion Poschmanns “Sonnenposition” und das Buch über die “Gruppe 47” bekommen, die ich früher lesen werde. Und jetzt geht es erst einmal nach Ungarn, da habe ich vor Franz Molnar, Sandor Marai und Antal Szerb vorzuziehen und nachher kommt der Robert Schindel mit dem “Kalten” und der Köhlmeier mit dem “Joel Spazierer” an die Reihe, die ja noch vom Frühling warten. Aber die Besprechung hilft mir auf das Buch nicht zu vergessen und die Übersicht zu bewahren, was mir ja sehr wichtig ist, vielen Dank dafür
buzzaldrinsblog
November 8, 2013 at 3:34 pmLiebe Eva,
oh, da hast du ja ein umfangreiches literarisches Programm vor der Brust, ich wünsche dir ganz viel Spaß (bin schon gespannt auf deine Meinung zu Robert Schindel) und einen schönen Ungarnurlaub.
Liebe Grüße
Mara
skyaboveoldblueplace
November 8, 2013 at 12:32 pmLiebe Mara,
das Buch ist in der Tat an mir vorbeigegangen – und es klingt nach eionem, dass ich unbedingt lesen möchte. Nun habe ich es mir notiert und danke Dir für diese ausgesprochen anregende Besprechung mal wieder ganz heftig.
Liebe Grüsse, Kai
buzzaldrinsblog
November 8, 2013 at 3:44 pmLieber Kai,
der Dank ist hier angekommen und ich freue mich! 😀 Das Buch war auch an mir vorbeigegangen. Dabei stammt die Autorin ursprünglich ja sogar aus Bremen, ich hatte aber zuvor weder von ihr, noch von dem Roman gehört. Nun freue ich mich schon darauf, weitere Bücher von ihr zu entdecken.
Liebe Grüße
Mara
madameflamusse
November 8, 2013 at 4:42 pmOh oh, schon wieder so ein Buch was mit mir zu tun hat…ich hoffe ich finde es irgendwann in der Bibliothek.
buzzaldrinsblog
November 11, 2013 at 11:50 amDa es ja schon etwas älter ist, besteht auf jeden Fall die Chance, es in der Bibliothek zu finden oder kostengüsntig zu erwerben. Drücke dir dabei die Daumen. 😀
buzzaldrins Bücher
April 2, 2014 at 10:53 am[…] Verlagsprogramm bereits Alice Pungs Roman “Ungeschliffener Diamant” entdeckt, sowie “Café Saratoga” von Marlin Schwerdtfeger. Die edition fünf ist ein Verlag, der Herzensbücher veröffentlicht und […]