Was wir Liebe nennen – Jo Lendle

Jo Lendle ist in den heutigen Tagen vielen wahrscheinlich als neuer Verleger vom Hanser Verlag bekannt. Jo Lendle verlegt jedoch nicht nur Bücher, sondern schreibt auch selber welche. “Was wir Liebe nennen” ist bereits sein vierter Roman und erschien im vergangenen Herbst bei der Deutschen Verlagsanstalt.

Collage Lendle 1

“Was wir Liebe nennen, ist anfangs nur ein Zittern. Ein Schauer, den wir kaum bemerken, der uns nicht frieren lässt, aber daran erinnert, beizeiten nach etwas zu suchen, das uns wärmt.”

Lambert ist Zauberer, aus seinem eingefahrenen Leben heraus zaubern, kann er sich aber nicht. Oder vielleicht doch? Die Entscheidung Zauberer zu werden, wurde von Lambert nicht wirklich getroffen. Es hat sich halt so ergeben. Doch das, was er eigentlich machen möchte, ist es eigentlich nicht. Auch an seiner Beziehung für Andrea zweifelt er. Überhaupt: sein ganzes Leben scheint sich im Moment überhaupt nicht mehr passend und richtig anzufühlen. Da fühlt sich die Tatsache, dass Lambert erst vor kurzem seinen Vater beerdigen musste, beinahe wie eine Nebensächlichkeit an. Die Einladung zum Kleinkunstfestival nach Montreal kommt ihm deshalb gerade recht; es ist eine Verschnaufpause, eine Abwechslung vom Alltag und vielleicht auch eine Flucht. Doch das Unrunde in seinem Leben scheint sich auch auf seiner Reise fortzusetzen, die ziemlich turbulent ist und zunächst mit einer Notlandung endet. Bei seiner Ankunft in Montreal wird Lambert, der Held der Geschichte mit dem seltsamen Namen, schließlich angefahren. Alles nicht so schlimm, zumindest körperlich – darüber hinaus hat dieser Zusammenstoß jedoch lebensverändernde Auswirkungen – zumindest zeitweise.

“Was wir Liebe nennen, ist zu viel und zu wenig. Es ist Mangel und Fülle, Ungenügen und Überfluss, auch wenn die Sehnsucht beim besten Willen nicht weiß, woran hier Überfluss bestehen soll, außer an der Liebe selbst. Nur was uns fehlt, wissen wir immer.”

Die Verursacherin der kleinen Kollision ist Felicitas Touchbourn, oder kurz gesagt: Fe. Fe ist Paläobiologin, sie erforscht ausgestorbene Arten und sie ist mit ihrem Pferdetransporter Lambert in die Kniekehlen gefahren. Bei Lambert ist es Liebe auf den ersten Blick, eine rettungslose Liebe – ohne Seil und doppelten Boden. Während Andrea im gemeinsamen Zuhause auf eine Nachricht ihres Freundes wartet, wird Fe mit Lamberts rettungsloser Liebe konfrontiert. Doch liebt er wirklich Fe oder reizt ihn die Möglichkeit, durch sie ein neues Leben zu beginnen und aus seinem alten, das sich anfühlt wie ein zu klein gewordener Anzug, auszubrechen? Lambert, der das Gefühl hat, in seinem ganzen bisherigen Leben falsche Entscheidungen getroffen zu haben, muss sich plötzlich nicht nur zwischen zwei Frauen entscheiden, sondern zwischen zwei Leben, zwischen zwei Welten. Da möchte man sich doch am liebsten verdoppeln, um keine Entscheidung treffen und niemanden enttäuschen zu müssen.

“Es hieß immer, man könne nicht auf zwei Hochzeiten tanzen. Aber wer sagte das, und warum sollte es nicht gehen, zumindest für ein Tänzchen?”

Fe und Lambert haben eine gemeinsame Nacht, die ihnen bleibt. Es ist eine magische Nacht, der ein besonderer Zauber inne wohnt: an dieser Stelle verlässt Jo Lendle die Pfade der realen Wirklichkeit und betritt eine Welt der Magie. Lambert möchte alle seine Fähigkeiten als Zauberer aufbieten, um die Entscheidung, die er treffen muss, hinauszuzögern und in einer Welt zu leben, in der er beides haben kann: Andrea, die zu Hause auf ihn wartet und das neue und aufregende Leben an der Seite von Fe. Zumindest für ein paar Stunden oder Tage. Lambert wünscht sich übersinnliche Kräfte, er wünscht sich die Kraft Flugzeuge zum Umkehren zu zwingen und einen Vulkan zum Ausbruch zu bringen. Und dann greift Jo Lendle noch zu einem ganz besonderen Trick …

Collage Lendle 2

“Was wir Liebe nennen, lässt alle auf uns los: Dopamin, Endorphin, Adrenalin.”

Jo Lendle legt mit “Was wir Liebe nennen” einen heiter beschwingten Roman vor, der dennoch Tiefgründigkeit besitzt. Er kreist um die Frage, ob es klüger ist, klare Entscheidungen zu treffen und wie es sich in dem Vakuum vor einer Entscheidung lebt. Der Titel des Romans ist auch für den Inhalt Programm: es geht um die Liebe, es geht um das gegenseitige Kennenlernen, es geht um den Moment, in dem zwei Menschen miteinander kollidieren und wie dieser ein ganzes bisheriges Leben aus den Fugen bringen kann. All das wird von Jo Lendle solide erzählt, häufig untermalt von einer heiter-amüsanten Note. Es ist der ausgeprägte Humor, der die Geschichte davor bewahrt, in den Kitsch abzugleiten. Das, was den Roman für mich besonders gemacht hat, war der Moment, in dem Jo Lendle die soliden Pfade des Erzählens hinter sich lässt und verspielt wird. Die Magie, die sich dadurch, dass Lambert ein Zauberer ist, von Anfang an andeutet, zieht zunehmend in den Text hinein.

“Was wir Liebe nennen” ist ein wunderbarer Roman, der mich beim Lesen verzaubert hat. Jo Lendle erzählt eine magische Liebesgeschichte, doch nicht nur das, er erzählt auch von Entscheidungen und von neuen und alten Leben. Er erzählt von dem Moment, in dem sich alles urplötzlich ändern kann. Leicht, heiter und gleichzeitig verzaubernd poetisch ist “Was wir Liebe nennen” ist ein Roman, der mir ans Herz gewachsen ist.

10 Comments

  • Reply
    Karo
    January 9, 2014 at 6:43 pm

    Liebe Mara, ich habe den Roman leider noch nicht gelesen, aber deine überbordende Begeisterung ist wirklich ansteckend 🙂 Herzlichst, Karo

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      January 11, 2014 at 1:39 pm

      Liebe Karo,

      ich freue mich, dass ich dich ein kleines bisschen anstecken konnte. 🙂 Für mich war das Buch die erste Leseerfahrung mit Jo Lendle und ich war sehr angetan. Auf weitere Meinungen wäre ich sehr gespannt.

      Liebe Grüße
      Mara

  • Reply
    bookberry
    January 9, 2014 at 7:42 pm

    Liebe Mara,

    vor ein paar Tagen hatte ich kurz hineingelesen, es aber dann doch wieder weggelegt. Nun werde ich einen zweiten Blick hineinwerfen. Danke dafür! 🙂

    Liebe Grüße,
    Sonja

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      January 11, 2014 at 1:40 pm

      Liebe Sonja,

      dann solltest du dem Buch vielleicht noch einmal eine Chance geben, ich habe es sehr gerne gelesen – es ist solide erzählt und durch den kleinen Erzählkniff von Jo Lendle erhält die Geschichte noch einmal eine ganz besondere Note.

      Liebe Grüße
      Mara

      • Reply
        bookberry
        January 13, 2014 at 5:12 pm

        Liebe Mara,

        das Buch bekommt definitiv noch eine zweite Chance. Jetzt machst Du mich aber neugierig, was dieser Kniff ist. Da muss ich es wohl (bald) lesen. Danke! 🙂

        Liebe Grüße,
        Sonja

        • Reply
          buzzaldrinsblog
          January 15, 2014 at 1:09 pm

          Auf deine Eindrücke wäre ich sehr gespannt, bitte berichte! 🙂

          • bookberry
            January 15, 2014 at 5:09 pm

            Gerne 🙂

  • Reply
    Buchheldin
    January 10, 2014 at 10:24 pm

    Die Zitate klingen wunderschön- das Buch sollte ich mir mal näher anschauen. 🙂

    • Reply
      buzzaldrinsblog
      January 11, 2014 at 1:30 pm

      Oh ja, mach das liebe Buchheldin – es lohnt sich! 🙂

  • Reply
    Jo Lendle im Gespräch! - Buzzaldrins Bücher
    December 3, 2014 at 3:03 pm

    […] Jo Lendle Verleger des Hanser Verlags, doch nicht nur das: er schreibt auch selbst. Seinen Roman Was wir Liebe nennen habe ich bereits besprochen. All das war Grund genug, mich mal mit ihm über die Arbeit eines […]

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